Drei Vögel

September 1869.


Ich stand auf hohem Berge
Und schaut' hinab ins Tal,
Drei Vögel sah ich fliegen
Im roten Abendstrahl.
»Was bringst du, schwarzer Rabe?
Du kommst aus Welschland her –«
»Ich sah einen greisen Fischer,
Der warf sein Netz ins Meer.
Er warf's mit stolzen Sinnen,
Des reichen Fangs gewiß,
Da ging im Grund ein Brausen,
Das riesige Netz zerriß.«
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»Was bringst du, grauer Habicht?
Du fliegst vom Seinestrand –«
»Ich sah einen kranken Leuen,
Der sich in Ängsten wand:
›Weh mir, es wankt der Boden,
Und ich bin alt und siech!
Was wähl' ich, mich zu retten,
Freiheit oder Krieg?‹«
»Was bringst du, weiße Taube?
Du schwangst dich auf am Main –«
»Ein schwarzes Wetter sah ich
Vergehn in Sonnenschein.
Ein Regenbogen wölbte
Sich glorreich überm Strom,
Und wachsend aus den Trümmern
Stieg auf der Kaiserdom.«

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Citation Suggestion for this Edition
TextGrid Repository (2012). Geibel, Emanuel. Drei Vögel. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-B808-9