Zwei Mädchenlieder

1. Spanisch

Gestern noch schwur er,
Nur mich zu lieben,
Heut mit der Blonden
Tändelt er drüben.
Spät noch im Düstern
Kamen sie flüstern,
Mutter, und trieben
Zärtlichen Scherz.
Mutter, im Mondlicht
Hab' ich's gesehen,
Jegliches Wörtlein
Konnt' ich verstehen:
Daß er mich lasse,
Daß er mich hasse, –
Weh mir, vergehen
Werd' ich vor Schmerz.
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Fluch' ihm, o Mutter,
Fluch' ihm Verderben,
Daß er nicht leben
Könne noch sterben!
Fieberverschmachtet,
Wahnsinnumnachtet
Stückweis in Scherben
Brech' ihm das Herz!

2. Nordisch

Die Luft ist grau und grau das Meer,
Der Wind fegt pfeifend drüber her,
Die Möwe kreischt, die Brandung wallt, –
Wie ward mein Herz so sterbensalt!
Traurig rinnen die Tage.
Wohl hab' ich andre Zeit gekannt,
Wir fuhren im Nachen, Hand in Hand,
Das Meer war blau, die Sonne schien,
Ich sah und wußte nichts als ihn;
Selig waren die Tage.
Nun liegt der Kahn und fault am Strand,
Er aber ging ins fremde Land,
Er ging, ein hohes Weib zu frein, –
Gott geb' ihm Glück! Das Leid ist mein.
Traurig rinnen die Tage.

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Zitationsvorschlag für diese Edition
TextGrid Repository (2012). Geibel, Emanuel. Zwei Mädchenlieder. TextGrid Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-B845-1