16.

Minne hält, das wilde Kind,
Einen Brauch, wie blind sie fahre,
Daß ihr vierundzwanzig Jahre
Lieber stets als vierzig sind;
Altersfrost und graue Haare
Treiben sie zur Flucht geschwind.
Bei des Herzens Rosenfest
Gilt vor aller Weisheit Schätzen
Selig Stammeln, süßes Schwätzen,
Lipp' auf Lippe stumm gepreßt;
Geist wird nie den Mund ersetzen,
Der sich feurig küssen läßt.
Was verstrickte denn so jäh
Einst das junge Herz Isolden,
Daß sie sich mit ihrem Holden
[109]
Glühend stürzt' in Schmach und Weh?
Tristans Locken wallten golden,
König Markes weiß wie Schnee.
Darum setze dich zur Wehr,
Glänzt ins alternde Gemüte
Dir der Schönheit Strahl, und hüte
Dich vor nichtigem Begehr;
Minneglück will Jugendblüte,
Und du änderst's nimmermehr.

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Citation Suggestion for this Edition
TextGrid Repository (2012). Geibel, Emanuel. 16. [Minne hält, das wilde Kind]. TextGrid Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-B9CC-9