Auf eine Einsame

Dreimal unselig Weib! Du warst einst schön und jung,
Geflügelt war dein Geist zu wundervollem Schwung;
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Und wie bei lautem Lied von selbst die Saiten tönen,
Klang dir im Herzen nach ein Echo alles Schönen.
Doch ach, du kostetest, niemals bedacht zu ruhn,
Von jeglichem Gefühl nur, wie die Bienen tun;
Gleichwie durch Schlangenblick ans Neue stets gebunden,
Des Trunks, der dich gereizt, schon satt nach wenig Stunden,
Zogst du, dem Augenblick als Sklavin untertan,
Mit jedem frischen Kleid ein frisch Verlangen an
Und schwärmtest, sanft gewiegt in deiner Schönheit Ruhme,
Von Sieg zu Sieg dahin, von Blume hin zu Blume,
Als sei für immerdar dir zum Genuß bereit
Die Erd' ein Rosenwald, die Jugend Ewigkeit.
Doch jeder Lustpokal hat seine Hef' am Grunde,
Es folgt dem Nachtbankett die trübe Zwielichtstunde;
So kam auch dir der Tag, wo plötzlich unterm Spiel
Aus deinem Lockenhaar der Anmut Perle fiel,
Wo all dein sprühnder Witz nicht mehr verhehlen konnte,
Die Sonne neige sich an deinem Horizonte,
Und durch des bunten Fests Musik sich abendlich
Ein fröstelnd Ruhbegehr in deine Seele schlich.
Da sahst du um; doch ach, du trafst auf allen Zügen
Des Mitleids Lächeln nur, des Hohns verhaltne Rügen;
Denn keiner stand im Kreis, den lieblos nicht bis jetzt
Dein scharfer Spott gekränkt, dein Wankelmut verletzt.
Du aber, allzu stolz und allzu schwach zur Bitte,
Schrittst – Frohsinn auf der Stirn – verstört aus ihrer Mitte;
Du wolltest selbst genug dir sein in deinem Sinn
Und schlossest zu dein Herz. Doch öde war es drin.
O hättest damals du erkannt: Es waltet stille
Nach ewigem Gesetz durchs All ein heil'ger Wille,
Der Schlag auf Schlag den Trotz zerbricht, bis daß er schweigt,
Doch jede Stirn erquickt, die sich in Demut neigt:
Vielleicht, es wäre dir, der Weinenden, zum Frommen
Nach kühler Sommerszeit ein milder Herbst gekommen –
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Du aber dachtest nicht an Sühnung, tiefvergällt,
Und grolltest, statt mit dir, mit Gott und mit der Welt.
Und dennoch hofftest du. Du wolltest, aus der Frauen
Gebiet dich flüchtend, kühn ein neu Geschick dir bauen;
Da du den Herd verscherzt und seinen frommen Schein,
Beschlossest Fackel du der Welt und Licht zu sein.
Du wolltest deinen Gram wie ein Geschmeide tragen,
Um prunkend auf dem Markt das Schicksal zu verklagen;
Im Lorbeer dachtest du, den selbst der Neider preist,
Zu herrschen, wie vordem durch Schönheit, nun durch Geist;
Du dürstetest nach Ruhm –
Doch ach, dein trotzig Fodern
Ließ dichter nur herab des Unheils Blitze lodern,
Und deine Hoffnungen, die Träume neuer Lust,
Die du wie Kinder stolz genährt an deiner Brust,
Du sahst sie Haupt für Haupt mit bittern Tränenfluten
Vom scharfen Pfeil durchbohrt zu Füßen dir verbluten,
Bis du, unselig Weib, zuletzt in deinem Weh
Einsam versteinertest, wie jene Niobe.

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Zitationsvorschlag für diese Edition
TextGrid Repository (2012). Geibel, Emanuel. Auf eine Einsame. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-B9DF-0