Athen

1838–1840.

Gasel

Zur Zeit, wenn der Frühling die Glut der Rosen entfacht in Athen,
Wie dämmert so lieblich als dann die duftige Nacht in Athen!
Hoch leuchtet der Mond und bescheint Zypressen und Palmen umher
Und marmornen Tempelgesäuls versinkende Pracht in Athen.
Wir aber bekränzen das Haupt und füllen den Becher mit Wein,
Gedenkend, wie Sokrates einst die Nächte verbracht in Athen.
Von Lieb' entspinnt sich Gespräch; denn ob auch Pallas die Burg
Beherrschen mag, Eros der Gott übt selige Macht in Athen.
Zur Rede gesellt sich Musik, leicht sind die Gitarren gestimmt,
Leicht regt sich des Wechselgesangs melodische Schlacht in Athen.
Da webt manch klassisches Wort, manch leuchtender Name sich ein,
Denn großer vergangener Zeit Erinnerung wacht in Athen.
Und kühner erbrauset das Lied; wir spenden aus vollem Pokal
Den Herrlichen, die einst gekämpft, gesungen, gedacht in Athen.

[102] Vorwärts

Laß das Träumen! Laß das Zagen!
Unermüdet wandre fort!
Will die Kraft dir schier versagen,
Vorwärts ist das rechte Wort.
Darfst nicht weilen, wenn die Stunde
Rosen dir entgegenbringt,
Wenn dir aus des Meeres Grunde
Die Sirene lockend singt.
Vorwärts! vorwärts! Im Gesange
Ringe mit dem Schmerz der Welt,
Bis auf deine heiße Wange
Goldner Strahl von oben fällt;
Bis der Kranz, der dichtbelaubte,
Schattig deine Stirn umwebt,
Bis verklärend überm Haupte
Dir des Geistes Flamme schwebt.
Vorwärts drum durch Feindes Zinnen,
Vorwärts durch des Todes Pein!
Wer den Himmel will gewinnen,
Muß ein rechter Kämpfer sein.

Woran ich denke

Woran ich denk'? - An meines Lebens Morgen,
Als noch so ungestüm, so frei von Sorgen
Das jugendliche Herz mir schlug,
Als vor mir, ein besonnter Meeresspiegel,
Die Hoffnung lag, als der Gedanke Flügel,
Und als die Liebe Rosen trug.
Da weilt' ich abends, ohne zu ermatten,
Im Regen, nur um einen flücht'gen Schatten
Am hellen Fenster zu erspähn;
Und selig war ich, durft' ich aus der Ferne
Nach ihrem Auge wie nach einem Sterne
Im tiefen Blau des Himmels sehn.
[103]
Ich sah im Duft der Lilie, die mit Schweigen
Sich auftat, ein Gebet zum Himmel steigen,
Und meine Seele kniete mit;
Ich hörte Lieder im Geräusch der Quellen,
Die mir der Wind mit Sinken und mit Schwellen
In ungewisse Strophen schnitt.
Ja, ich war fromm und frei und rein. Ich glaubte
An jede Reinheit, und mit stolzem Haupte
Sah ich hinab auf das Gewühl,
Das unter mir im engen Horizonte
Schaffen, sich freun, leben und sterben konnte,
Des Windes und der Wellen Spiel.
Nun hab' ich, ach, geschaut, erkannt, genossen;
Die Blüt' ist hin, der Farben Schmelz zerflossen,
Ich bin erprobt in Lust und Schmerz.
Ich ward ein Mann, doch konnt' ich nichts erlangen,
Als wen'ge Lieder, sonnverbrannte Wangen
Und dieses sehnsuchtsvolle Herz.
Und jene Zeit, da mir so unvermessen
Die Welt noch schien, fast hab' ich sie vergessen;
Nur manchmal, wenn der Feigenbaum
An meinem offnen Fenster leise rauschet
Und still durchs Laub des Mondes Sichel lauschet,
Blickt sie mich schmerzlich an im Traum.

Der Sklav

O wär' ich frei und reich, ein Pascha sondergleichen,
Wie liebt' ich dann dies Land mit seinen Lorbeersträuchen,
Von Korn und Trauben segenschwer,
Dies klare Sonnengold in den kristallnen Lüften,
Diese Gärten, durchwürzt von ew'gen Rosendüften,
Und dieses glänzend blaue Meer!
Um Mittag ruht' ich dann auf weichen Purpurdecken
Im luftigen Gemach, wo im marmornen Becken
[104]
Der Springflut Rauschen nie verstummt;
Und wo ein schwarzer Knab', am Nigerstrand geboren,
Mit krausem Wollenhaar, Goldringe in den Ohren,
Sein Liedchen zur Gitarre summt.
Oder auf stolzem Roß von echt arab'schem Stamme,
Dessen Lauf wie der Wind, des Auge wie die Flamme,
Flög' ich dahin durch Tal und Höhn,
Durch die Felder von Mais, beschattet von Platanen,
Den prächt'gen Strom entlang, wo stolz wie grüne Fahnen
Der Palmen breite Fächer wehn.
Und um die Zeit, wo süß die Nachtigallen klagen,
Ließ ich ein leicht Gezelt von Seidenstoff mir schlagen
Am Berg auf kühlem Wiesensamt:
Ich sähe fern das Meer sich dehnen unermessen
Und an der Bucht die Stadt mit Kuppeln und Zypressen
Vom Abendpurpur überflammt.
Und dann die süße Nacht! Auf schwebender Galeere
Führ' ich bei Flötenschall hinaus zum stillen Meere,
Und bei des Halbmonds Dämmerschein
Höb' ich mit leiser Hand der Favorite Schleier
Und säh' ein dunkles Aug', in dem das tiefe Feuer
Verheißend spräche: »Ich bin dein!« - -
So träumte süß der Sklav'. Da klirrte seine Kette,
Er fuhr verstört empor von seiner Lagerstätte
Mit bangem Blick, mit blassem Mund;
Denn schon verschwand im Blau der Morgenstern erbleichend,
Und vor ihm stand der Vogt, den krausen Bart sich streichend,
Und rief: »Zur Arbeit fort, du Hund!«

Platens Vermächtnis

Noch schweift der kräft'ge Geist auf fernen Bahnen,
Und rasch durch diese Adern pocht das Leben;
Doch Stimmen gibt's, geheime, deren Mahnen
Das Herz umsonst sich müht zu widerstreben,
[105]
Und mir verkündet solch ein dunkles Ahnen:
Bald muß ich diesen Staub dem Staube geben,
Und den sie mir im Leben nicht gestatten,
Der Lorbeer wird auf meinem Grabe schatten.
Sei's immer. Ich erfüllte meine Sendung,
Ein rastlos treuer Priester der Kamönen;
Ich deutete mit jeder leisen Wendung
Ein Fackelträger nach dem Reich des Schönen.
Umwallt vom Königsmantel der Vollendung
Schritt mein Gesang dahin in Feiertönen,
Und was vordem den Griechen nur gelungen,
In deutscher Rede hab' ich's nachgesungen.
Zwar habt ihr selten meinen Ernst begriffen
Und nie das Ziel bedacht, das ich erkoren;
Zu meinem Spotte habt ihr grell gepfiffen,
Denn seine Wahrheit kitzelt nicht die Ohren,
Und wie der Wogenschlag an Felsenriffen,
Ging selbst des Liedes Maß an euch verloren;
Doch wie ihr mich verleugnet und mein Dichten,
Ich bin getrost, die Nachwelt wird mich richten.
Ist auch das Saatkorn noch nicht aufgegangen,
Das ich gestreut in unsrer Heimat Boden,
Verzagt ihr auch, von Kleinmut noch befangen,
Des Unkrauts träge Wildnis auszuroden:
Erscheinen wird der Tag, wo mit Verlangen
Den Aschenkrug ihr suchet des Rhapsoden,
Der ringend nach der Schönheit goldnen Früchten
Vor eurem Groll zum Süden mußte flüchten.
Dann wird der deutsche Wald von Liedern schallen,
Die prächtig wie auf Adlersflügeln rauschen,
Der heitre Süden wird zum Norden wallen,
Um seines Ernstes Schätze einzutauschen.
Und heilig wird der Sänger sein vor allen,
Und fromme Hörer werden rings ihm lauschen.
Was soll ich drum den frühen Tod beweinen? -
Der Dichter lebt, solang die Sterne scheinen.

[106] Winter in Athen

Winter mit den eis'gen Locken
War mir immer sonst so leid,
Denn er hielt mit seinen Flocken
Alle Freuden eingeschneit.
Wenn die Vöglein lustig sangen,
Wenn das Bächlein rauschend zog,
Kam er plötzlich hergegangen
Wie ein mürr'scher Pädagog:
»Vöglein, laßt das dumme Lärmen!
Lüfte, laßt das laue Wehn!
Bächlein, willst du ewig schwärmen?
Besser ist's, fein still zu stehn.
Fort, du ausgelaßne Erde,
Mit dem bunten Narrenkleid!
Daß dein Anblick ehrbar werde,
Halt' ich schon ein Hemd bereit.
Und ihr andern wilden Rangen,
Blumenduft und Sonnenstrahl,
Keiner soll sich unterfangen,
Mir zu stören die Moral.«
Und die Blumen wurden selten,
Bächlein stand, und Vogel schwieg,
Als der Pädagog mit Schelten
Auf den Eiskatheder stieg.
Schadenfroh mit arger Tücke
Schlug er in den lust'gen Wald,
Und es stob aus der Perücke
Ihm ein Schneegewölk alsbald.
Und der Sturm, sein böser Husten,
Ließ sich hören weit und breit,
Und wir armen Menschen wußten
Nichts zu tun in solcher Zeit. -
[107]
Doch der Süden, o wie ist er
Doppelt nun mir lieb und wert,
Seit er diesen Erzphilister
Selber zur Vernunft bekehrt!
Nicht mehr in die enge Stube
Schließt mich jetzt der Januar,
Nein, er ward ein toller Bube,
Hat ein Auge groß und klar.
An den Bergeshängen springt er
Lustig hin im grünen Kleid;
In den hohen Lüften singt er,
Blumen streut er weit und breit.
Kommt einmal Gewölk gezogen,
Wurmt ihn gleich der dunkle Tand,
Und den bunten Regenbogen
Spannt er drauf mit leichter Hand.
Gänzlich hat er auch vergessen
Pädagogik und Moral,
Unter Palmen und Zypressen
Sonnt er müßig sich im Strahl.
Manchmal nur in seltnen Zungen
Schwatzt er von der Freude Macht,
Und von seinem Hauch durchdrungen
Hab' ich dieses Lied erdacht.

Tannhäuser

Wie wird die Nacht so lüstern!
Wie blüht so reich der Wald!
In allen Wipfeln flüstern
Viel Stimmen mannigfalt.
Die Bächlein blinken und rauschen,
Die Blumen duften und glühn,
Die Marmorbilder lauschen
Hervor aus dunklem Grün.
[108]
Die Nachtigall ruft: Zurück! zurück!
Der Knab' schickt nur voraus den Blick;
Sein Herz ist wild, sein Sinn getrübt,
Vergessen alles, was er liebt.
Er kommt zum Schloß im Garten,
Die Fenster sind voll Glanz,
Am Tor die Pagen warten,
Und droben klingt der Tanz.
Er schreitet hinauf die Treppen,
Er tritt hinein in den Saal,
Da rauschen die Sammetschleppen,
Da blinkt der Goldpokal.
Die Nachtigall ruft: Zurück! zurück!
Der Knab' schickt nur voraus den Blick;
Sein Herz ist wild, sein Sinn getrübt,
Vergessen alles, was er liebt.
Die schönste von den Frauen
Reicht ihm den Becher hin,
Ihm rinnt ein süßes Grauen
Seltsam durch Herz und Sinn.
Er leert ihn bis zum Grunde,
Da spricht am Tor der Zwerg:
»Der unsre bist zur Stunde,
Dies ist der Venusberg.«
Die Nachtigall ruft nur noch von fern,
Den Knaben treibt sein böser Stern;
Sein Herz ist wild, sein Sinn getrübt,
Vergessen alles, was er liebt.
Und endlich fort vom Reigen
Führt ihn das schöne Weib;
Ihr Auge blickt so eigen,
Verlockend glüht ihr Leib.
Fern von des Fests Gewimmel,
Da blühen die Lauben so dicht -
In Wolken birgt am Himmel
Der Mond sein Angesicht.
[109]
Der Nachtigall Ruf ist lang verhallt,
Den Knaben treibt der Lust Gewalt;
Sein Herz ist wild, sein Sinn getrübt,
Vergessen alles, was er liebt. - -
Und als es wieder taget,
Da liegt er ganz allein;
Im Walde um ihn raget
Verwildertes Gestein.
Kühl geht die Luft von Norden
Und streut das Laub umher;
Er selbst ist grau geworden,
Und bang sein Herz und leer.
Er sitzt und starret vor sich hin
Und schüttelt das Haupt in irrem Sinn.
Die Nachtigall ruft: Zu spät! zu spät!
Der Wind die Stimme von dannen weht.

Lied der Spinnerin

Schnurre, schnurre, meine Spindel,
Dreh' dich ohne Rast und Ruh'!
Totenhemd und Kinderwindel
Und das Brautbett rüstest du.
Goldner Faden, kann nicht sagen,
Welch ein Schicksal dir bestimmt,
Ob mit Freuden, ob mit Klagen
Das Gespinst ein Ende nimmt.
Anders wird's, als wir's begonnen,
Anders kommt's als wir gehofft;
Was zur Hochzeit war gesponnen,
Ward zum Leichentuch schon oft.
Schnurre, Spindel, schnurre leise,
Rund ist wie dein Rad das Glück;
Gehst du selig auf die Reise,
Kehrst du weinend wohl zurück.
[110]
In die Wolken geht die Sonne,
Schnell verweht im Wind ein Wort;
Wie der Faden rollt die Wonne
Rollen Lieb' und Treue fort.
Schnurre, Spindel, schnurr' im Kreise,
Dreh' dich ohne Rast und Ruh' -
Und ihr Tränen, fließet leise,
Fließet unaufhaltsam zu!

Rückerinnerung

Oft wenn die Sommernacht auf lauen Flügeln
Von Gärten, Blütenwäldern, Rebenhügeln
Des Südens Düfte zu mir trägt,
Wenn durch das Bogenwerk am Säulengange
Der Mondstrahl spielt, und fern mit süßem Klange
Die Nachtigall am Brunnen schlägt;
Wenn mit Geplauder dann, mit Scherz und Singen
Die muntern Freunde lachend mich umringen,
Die Laut' im Arm, das Glas zur Hand:
Da werd' ich plötzlich stumm, und die Gedanken
Schweifen, Zugvögeln gleich, mit irrem Schwanken
Sehnsüchtig heim ins Vaterland.
Mir ist es dann, als sei ich doch im Grunde
Ein Schiffer nur, geführt von böser Stunde
Zu eines Zaubereilands Pracht,
Als müßt' ich dieses Mondlichts süßes Weben
Und diese Blütendüfte freudig geben
Für eine deutsche Nebelnacht.
Da denk' ich, wie ich bei des Herbstes Stürmen
Oftmals entlang den Kirchhof an den Türmen
Des gotischen Doms vorüberschritt;
Die Glocken schlugen an, gleich roten Sternen
Schwankten im Zug der Gassen die Laternen,
Und über Gräbern scholl mein Tritt.
[111]
Laut auf die Dächer prasselte der Regen;
Am Bogentor schlug mir der Wind entgegen
Und schüttelt' heftig mit Gebraus
Die alten Ulmen, die dort finster ragen;
Doch ich, den Mantel fester umgeschlagen,
Eilte zum hohen Giebelhaus.
O Freude, wenn ich dann, vom Regen tropfend,
Das Herz in ungestümer Sehnsucht klopfend,
Empor die breiten Treppen flog,
Und von den dunklen Galerien droben
Sich mir, vom Schein der Lampe mild umwoben,
Ein Lockenhaupt entgegen bog! -

Beim Feste

O füllt die Pokale mit zyprischem Wein!
Laßt blinken im Becher den purpurnen Schein!
Schlürft hastigen Zuges den raschen Genuß!
So kurz ist die Jugend, so flüchtig der Kuß.
Es flammen die Rosen in duftiger Glut,
Es spiegeln die Sterne sich tief in der Flut;
Doch mehr ist als Rosen und Sterne zumal
Die Blüt' auf den Wangen, im Auge der Strahl.
Durch Blätter und Lauben bricht farbiger Glanz,
Da regt sich im Grünen melodisch der Tanz;
Heiß schlingt sich der Arm um die schöne Gestalt,
Die Blicke, die Herzen, sie finden sich bald.
So schwärmet, so küsset! Vom Himmelsgezelt
Wirft goldene Schimmer der Mond in die Welt.
Genießt! Wenn die glänzende Scheibe verblich,
Wer weiß, ob die Liebe der Brust nicht entwich!
Ich hab' einst geliebt und auf Treue gebaut,
Ich habe dem Lächeln des Frühlings vertraut.
Die Stürme des Herbstes, sie brausten daher,
Ich suchte die Blumen und fand sie nicht mehr.
[112]
Drum hastig die blinkenden Becher geleert!
Ergreift, was die rollende Stunde beschert!
Genießt die Minute, solange sie glüht!
Der Frühling verwelkt, und die Liebe verblüht.

Neugriechische Volkslieder

1. Das Mädchen im Hades

O wie glücklich sind die grünen Felder,
O wie glücklich sind die hohen Berge,
Welche nimmermehr den Hades schauen!
Kommt der Winter, deckt er sie mit Reif zu
Und mit dichtem flockigen Gestöber;
Kommt der Frühling, grünen sie aufs neue,
Tragen Blumen, tragen würz'ge Kräuter,
Und der Sonnenschimmer schläft auf ihnen;
Aber nimmer brauchen sie dort unten
Jene trübe Dunkelheit zu fürchten.
Hatten sich drei Riesen einst verschworen,
In das Reich der Schatten einzubrechen.
Stiegen sie hinab die dunklen Pfade,
Wanderten drei Tage und drei Nächte,
Kamen endlich in das Reich der Toten.
Wie sie alles dort erforschet hatten,
Wollten sie zurück zum Lichte kehren.
Trat zu ihnen da ein schönes Mädchen,
Blond von Haaren, aber blaß von Wangen,
Sprach die Riesen an mit sanfter Stimme:
»Nehmt mich mit hinauf, ihr lieben Riesen!
Möchte gern einmal die Sonne schauen
Und die roten Blümlein auf dem Felde.«
Drauf versetzten die gewalt'gen Riesen:
»Deine seidenen Gewänder rauschen,
Deine langen blonden Locken flüstern,
An den Füßen klappern die Pantoffeln;
Können dich nicht mit uns nehmen, Mädchen,
[113]
Charon, unser Fährmann, würd' es merken.«
Sprach das Mädchen drauf mit sanfter Stimme:
»Meine Kleider will ich von mir legen,
Will vom Haupt die langen Locken schneiden,
Die Pantoffeln laß ich an der Treppe;
Nehmt mich mit hinauf, ihr lieben Riesen!
Sehen möcht' ich meine beiden Brüder,
Wie am Herd sie sitzen, mich beweinend!
Meine Mutter möcht' ich klagen hören,
Klagen in der rauchbeschwärzten Hütte,
Daß ihr liebstes Töchterlein gestorben.«
Sprachen drauf die Riesen: »Liebes Mädchen,
Bleib nur unten bei den bleichen Schatten!
Deine Brüder singen in den Schenken,
Und dein Mütterlein schwatzt auf der Gasse.«

2. Hirsch und Reh

Auf dem hohen Berg Olympos, wo der Wald von Tannen rauscht,
An dem Quell im hohen Kraute steht ein Hirsch, der talwärts lauscht;
Tränen weint er, dicke Tränen, groß wie Beeren, rot wie Blut;
Wie aus liebem Menschenauge strömet seine Tränenflut.
Kommt ein Rehlein hergesprungen, Rehlein mit geflecktem Fell,
Sieht des Hirsches Tränen fallen auf die Kräuter, in den Quell,
Spricht: »Was weinst du solche Tränen, groß wie Beeren, rot wie Blut?
Wie aus liebem Menschenauge strömet deine Tränenflut.«
»Türken sind ins Tal gekommen. Als empor den Berg ich sprang,
Sah ich ihrer Säbel Blitzen, hört' ich ihrer Trommeln Klang;
[114]
Hört' ich auch ein großes Bellen: denn sie haben sich zur Jagd
Aus der Stadt Konstantinopel sechzig Hunde mitgebracht.«
Rehlein spricht: »Das grämt mich wenig; Läufe hab' ich flink und gut,
Jede Kluft zu überspringen, zu durch schwimmen jede Flut,
Und vom Berg die Klephten haben Pulver, Kugeln und Gewehr,
Um die Türken und die Hunde fortzujagen bis ans Meer.«
Aber als die Sonn' hinabging, lag das Rehlein schon im Staub,
Blutig das gefleckte Hälschen, und sein Fleisch der Hunde Raub;
Eh' der Morgen wieder graute, war der stolze Hirsch erjagt,
Und die Türken höhnen jeden, der sie nach den Klephten fragt.

3. Das Kraut Vergessenheit

Es hat die Mutter mir gesagt, dort hinter jenem Berge,
Der Wolken um den Gipfel hat und Nebel um die Wurzel,
Dort wächst das Kraut Vergessenheit, dort wächst es in den Schluchten.
O wüßt' ich nur den Pfad dahin, drei Tage wollt' ich wandern
Und wollte brechen von dem Kraut und wollt's im Weine trinken,
Damit ich dich vergessen könnt' und deine falschen Schwüre
Und deine Augen, die so oft von Liebe mir gesprochen,
Und deinen süßen, süßen Mund, der tausendmal mich küßte!

4. Lied des Mädchens

O Mond, mein leuchtendheller Mond im klaren Lichtgewande,
Der du dort oben ziehst im Blau, und der du niederschauest,
[115]
O sahst du meine Liebe nicht, den vielgeliebten Jüngling?
In welchem Schlosse sitzt er nun, in welchem Schlosse trinkt er?
Wes Hände schenken ihm den Wein? - und ach, die meinen rasten.
Wes Augen schaun ihn an mit Lust? - und meine sind voll Tränen.
An wessen Tische ruht er aus? - und meiner steht verlassen.
Wes Lippe küßt und kost mit ihm? - und meine brennt in Sehnsucht!

5. Die Küsse

In Saloniki war es nicht,
Nicht war's im schmucken Städtchen,
Im armen Wlachenlande liebt'
Ich einer Witwe Mädchen.
Jetzt schmücke, Mutter, schmück' das Haus
Und schmücke deinen Garten!
Die Tochter dein so hold und fein
Soll mich als Braut erwarten.
Sie hat die Lippen rosenrot
Gefärbt mit rotem Scheine;
Ich neigte mich und küßte sie
Und färbte auch die meinen.
In dreien Flüssen wusch ich sie
Und färbte rot die Flüsse
Und färbte rot das Meer dazu
Durch ihre roten Küsse.

Elegie

O wie war mir daheim am nordischen Herde die Freude
Ein willkommener zwar, aber ein seltener Gast!
Denn bald scheuchte der Nebel sie fort, der grau und verdrießlich
[116]
Über das lachende Tal, über die Berge sich zog;
Bald vertrieb sie der lärmende Tag und das Dröhnen des Marktes,
Wo nur jeder sich selbst, keiner den Sänger vernahm.
Auch den störenden Schwarm der wilden Genossen vermied sie,
Und sie entfloh dem Gelag, fand sie die Zither verstimmt.
Manchmal nur, wenn im Arm der Geliebten sinnend ich ruhte,
Und ihr leuchtender Blick tief mir den Himmel erschloß,
Wenn wir in leisem Gespräch der rinnenden Stunden vergaßen,
Aug' in Auge versenkt, weilte die Liebliche gern.
Aber auch dann nur kurz. Bald kamen die schwatzenden Muhmen,
Vor dem geschäftigen Wort floh das verschüchterte Kind.
Wieder verstrichen darauf eintönige Wochen und Monde,
Und nach der Göttlichen Gruß blickte vergebens ich aus.
Glücklicher Süden, wie dank' ich es dir! Du hast die Entwichne
Neu mir vereint und sie ganz mir zur Vertrauten gemacht.
Schreit' ich hinaus ins Gebirg', so find' ich sie unter dem Lorbeer
Mein schon harrend: sie schläft, schön wie ein Mädchen, am Quell.
Aber sie hört des Nahenden Tritt, mit wehenden Locken
Springt sie empor, und zum Kuß hängt an den Lippen sie mir.
An das Gestade des Meers, zu den heiligen Schatten des Ölwalds
Leitet sie mich; sie besteigt mit mir den schwankenden Kahn;
Leis auch führt sie den Hang mich empor zu den Trümmern des Tempels,
Wo noch das Marmorgesims über den Säulen erglänzt;
Und sie deutet mir dort die verwitterten Bilder, ergänzend
Mit lebendigem Wort, was die Barbaren zerstört.
[117]
Faunen erblick' ich im bakchischen Tanz und trunkne Mänaden,
Hoch auf dem Panthergespann folgt mit dem Thyrsus der Gott;
Weiter verliert sich der taumelnde Zug; harmlosere Feste,
Wie sie Demeter gebeut, zeigt der gebildete Stein;
Hirten, mit Blumen bekränzt, und Jungfraun führen den Reigen,
Und im geläuterten Maß hebt sich und senkt sich der Fuß;
Sieh, dort stürmen auch Rosse heran. Die stäubende Rennbahn
Füllt sich mit Wagen, es strebt jeder der Erste zu sein.
Lorbeern winken dem Sieger als Preis, doch schöner als Lorbeern
Lohnt ihm des Dichters Gesang, der ihm Unsterblichkeit schenkt.
Also deutet die Himmlische mir die Gebilde der Künstler,
Und ich erkenne, wie schön einst sie die Völker regiert;
Wie sie mit lächelndem Blick die rohen Gewalten gezügelt,
Wie sie die sprossende Kraft stets auf das Große gelenkt.
O da wird mir die Seele so weit, unendliche Sehnsucht
Faßt mich, mit bebendem Mund sprech' ich ein stilles Gebet:
Weile bei mir, du Schönste von allen den Töchtern des Himmels,
Mit sanft lenkender Hand führe durchs Leben mich hin!
Zeige besänftigend mir die rechten Bahnen und dämpfe
Weise die Glut, und wenn blind einst mich die Leidenschaft faßt,
O da kühle das brennende Haupt und kränz' es mit Rosen,
Bis mich der zögernde Gott still zu den Schatten entführt.

[118] Auf den Tod eines Freundes

O wie viel Kränze, eben frisch und grün,
Sah ich in einer kurzen Nacht verblühn!
O wie viel blondgelockte Knaben,
O wie viel Bräute, deren süßer Blick
Sich kaum entzündet an der Liebe Glück,
Sah ich schon lächeln und begraben!
Es sucht der Tod die Freude, wie der Strahl
Das funkelnde Metall. Ins laute Mahl,
Wo Blumen duften, Becher prangen,
Wo zur Musik der rasche Tanz erbraust,
Greift er hinein mit eisig kalter Faust
Und streift die Rosen von den Wangen.
Das ist das Schicksal! Nach dem Tag die Nacht,
Die stille Träne nach des Festes Pracht,
Nach lustigem Gesang die Klage,
Und nach der Jugend Glück so strahlenvoll,
Drin wie ein Himmel weit die Seele schwoll,
Die Ruh' im engen Sarkophage.
Auch du, mein Artur! - O gedenk ich dein,
Fließt um mein dunkles Herz ein sanfter Schein,
Wie Mondenschimmer um Ruinen;
Es blickt die alte Zeit mich seltsam an,
So blickt wohl schüchtern auf den ernsten Mann
Ein lächelnd Kind mit ros'gen Mienen.
Wohl war er selig, dieser Jugendtraum!
Ich zählte damals funfzehn Jahre kaum
Und schwärmt' und träumte wie ein Knabe;
Du warst mein Freund - ich forderte nicht mehr;
Ich habe dich geliebt, wie ich nachher
Nur einmal noch geliebet habe.
Dein Auge war mir Licht, dein Wort Musik,
Ich zürnte eifersüchtig jedem Blick,
[119]
Den einem anderen du gönntest,
Und oft hab' ich in stiller Nacht geweint
Bei dem Gedanken nur, daß du den Freund,
Zum Mann gereift, vergessen könntest.
Des Abends, war die Schule endlich aus,
Zogen wir singend in den Wald hinaus,
Oder im Garten am Gewässer
Sahn wir die Sonne glühend niedergehn
Und bauten wie das Lichtgewölk so schön
Uns für die Zukunft goldne Schlösser.
Da freut' ich mich, wenn um dein blondes Haar
Der Glanz der Abendröte wunderbar
Wie eine leise Glorie spielte;
Ich wurde still, ich drückte dir die Hand,
Und nur die Träne, die im Blick mir stand,
Sagte dir schweigend, was ich fühlte.
O sanfter Rasenhang am Rand der Flut,
Wo in den Blumen wir so oft geruht,
O breite, dichtbelaubte Buche,
Zu deren Wipfel unser Lied erscholl,
Wie schauet ihr mich an so trauervoll,
Wenn ich euch einsam jetzt besuche!
Auch du, mein Artur! Abgeblüht ist nun
Dein Lächeln, deine schönen Glieder ruhn,
Staub bei dem Staub, im Schoß der Erden,
Und dieses Auge, das mein Himmel war,
Als reine Flamme glänzt' es nur so klar,
Um ewig Asche dann zu werden. -
Es war die Zeit, wo leis im wärmern Hauch
Der Winterschnee zerrinnt, wo Herz und Strauch
Sehnsüchtig nach dem Lichte ringen,
Da neigtest du die schöne Stirn zur Ruh'
Und lächeltest im Tod, als fühltest du
An deiner Seele schon die Schwingen.
[120]
Du lächeltest, ich weinte laut. Mein Herz
War jetzt verwaist. Es war mein erster Schmerz,
Und nimmer glaubt' ich zu genesen.
Ach, deiner Liebe war ich so gewohnt;
Sie war in meiner Nacht der klare Mond,
Die Ros' in meinem Lenz gewesen.
Und als sie dich gesenkt zur Ruh' hinab,
Da zog der Frühling über deinem Grab
Empor mit leisem, lindem Wehen;
Er brachte Sonnenschimmer, Veilchenduft
Und lust'gen Vogelsang und blaue Luft -
Ich aber hab' ihn nicht gesehen.

Leichter Sinn

Und wie wär' es nicht zu tragen,
Dieses Leben in der Welt?
Täglich wechseln Lust und Plagen,
Was betrübt, und was gefällt.
Schlägt die Zeit dir manche Wunde,
Manche Freude bringt ihr Lauf;
Aber eine sel'ge Stunde
Wiegt ein Jahr von Schmerzen auf.
Wisse nur das Glück zu fassen,
Wenn es lächelnd dir sich beut!
In der Brust und auf den Gassen
Such' es morgen, such' es heut.
Doch bedrängt in deinem Kreise
Dich ein flüchtig Mißgeschick,
Lächle leise, hoffe weise
Auf den nächsten Augenblick.
Nur kein müßig Schmerzbehagen!
Nur kein weichlich Selbstverzeihn!
Kommen Grillen, dich zu plagen,
Wiege sie mit Liedern ein.
[121]
Froh und ernst, doch immer heiter
Leite dich die Poesie,
Und die Welle trägt dich weiter,
Und du weißt es selbst nicht wie.

Ländliche Lieder

1. Frühling

Und wenn die Primel schneeweiß blickt
Am Bach, am Bach auf dem Wiesengrund,
Und wenn vom Baum die Kirschblüt' nickt,
Und die Vögelein pfeifen im Wald allstund:
Da flickt der Fischer das Netz in Ruh',
Denn der See liegt heiter im Sonnenglanz,
Da sucht das Mädel die roten Schuh'
Und schnürt das Mieder sich eng zum Tanz
Und denket still,
Ob der Liebste, der Liebste nicht kommen will.
Es klingt die Fiedel, es brummt der Baß,
Der Dorfschulz sitzt im Schank beim Wein;
Die Tänzer drehn sich ohn' Unterlaß
An der Lind', an der Lind', im Abendschein.
Und geht's nach Haus um Mitternacht,
Glühwürmchen trägt das Laternchen vor,
Da küsset der Bube sein Dirnel sacht
Und sagt ihr leis ein Wörtchen ins Ohr,
Und sie denken beid':
O du fröhliche, selige Maienzeit!

2. Winter

Nun weht auf der Heide der scharfe Nordost,
Am Vordach hangt der Zapfen von Eis,
Die Tannen schütteln sich rings vor Frost,
Und Feld und Kirchhof sind silberweiß.
Im Dorf verschneit liegt jeglicher Pfad,
[122]
Ein Weg nur führet zur Schenke allein,
Und geh' ich dort grade des Abends spat,
So tret' ich hinein;
O mein Käthchen, mein Mädchen, nun bringe mir Wein!
O liebes Käthchen, nun sing' mir ein Lied
Von der sonnigen, wonnigen Frühlingszeit!
Und wenn erst wieder die Schwalbe zieht,
Dann sollst du schauen, wie hold sich's freit.
Und wenn aufs neu der Winter sich naht,
Da schiert kein Wind uns von Ost und von West;
Am lodernden Herde sitzen wir spat
Im traulichen Nest
Und küssen uns warm und umschlingen uns fest.

Das Mädchen von Paros

Denkst du des Abends noch, des hellen,
Da mich der Winde leiser Zug
Sanft über die entschlafnen Wellen
An diese stille Küste trug?
Da ich, ermüdet vom Gewühle,
Das draußen toset früh und spat,
Mit bang sehnsüchtigem Gefühle
Vom hohen Schiff ans Ufer trat?
Wie wehte da vom Bergesgipfel
Ein leiser Hauch willkommner Ruh'!
Wie rauschten der Zypressen Wipfel
Mir den ersehnten Frieden zu!
Die Stadt, von weißem Marmor glänzend,
Das Weinlaub, Fenster und Altan
Mit seinem dichten Grün umkränzend,
Es sah mich so befreundet an.
Die Männer mit gebräunten Zügen,
Sie schienen alter Zeiten Bild;
Und Mädchen wandelten mit Krügen
Zum Brunnen, welcher tönend quillt;
[123]
Und Buben schwangen sich im Tanze,
Es floß der Wein, die Zither klang,
Indes die Sonn' in rotem Glanze
Langsam ins goldne Meer versank.
Da sah ich dich zum erstenmale:
Auf hoher Treppe standest du,
Umwölbt vom rankenden Pokale,
Und schautest still dem Reigen zu.
Der Abendröte Strahl umspielte
Dein Haar, zu träumen schien der Blick,
Als ob dein Busen ahnend fühlte
Der ersten Liebe nahes Glück.
Wohl uns! Nun hat das Herz in Wonne
Die Knospenhülle abgestreift;
Nun hat des Südens heißre Sonne
Die Frucht der Liebe schnell gereift.
Wir haben Welt und Grab vergessen,
In ihrem Laufe steht die Zeit,
Und Palmen schatten und Zypressen
Um unsre stille Seligkeit.

Fahr wohl

Den letzten Becher bring' ich dir,
Du schöner, fremder Strand!
Ach, bitter wird das Scheiden mir,
Als wär's mein Heimatland.
Fahr wohl, fahr wohl! Im Segel ruht
Der Wind und treibt sein Spiel,
Und rauschend furcht die grüne Flut
Der Barke scharfer Kiel.
Die Sonne sinkt ins Inselmeer,
Die Luft glüht rosenrot -
Dort schimmert noch das Fenster her,
Wo sie mir Abschied bot.
[124]
Wie gern, wie gern, du holdes Kind,
Hätt' ich bei dir gesäumt!
Umsonst, auch dieser Traum zerrinnt
Und war so schön geträumt.
Das ist das Leben: Kommen, Gehn,
Treiben in Wind und Flut;
Fortziehn auf Nimmerwiedersehn,
Wenn kaum wir sanft geruht;
Geliebt sein und vergessen sein,
Selbst lieben - still! - Mir deucht,
Es blendet mich der Abendschein,
Mir wird die Wimper feucht.
Vorbei! vorbei! Die Träne fällt;
Vorbei so Lust als Schmerz!
Und wieder einsam in der Welt
Schlägt nun dies wilde Herz!
Sei's drum! - Des Mondes erster Strahl
Beglänzt das Meer in Pracht;
Die Küste flieht - zum letztenmal,
Mein Mädchen, gute Nacht!

Lebensstimmung

O wer so recht die süße Kunst begriffe,
Allein der schönen Gegenwart zu leben,
Bei sanftem Windeshauch auf hohem Schiffe
Ein südlich Meer mit Wonne zu durchschweben,
Im Traubengarten überm Felsenriffe
Beglückter Tage hold Gespinst zu weben,
Als hätte nie das Herz in andern Stunden
Des Lebens Schmerz und Bitterkeit empfunden!
Wer das vermöchte! Wer bei jedem Gruße,
Bei jedem Blick der Liebe könnte säumen!
Wer es verstünde, stets in sel'ger Muße
Sein Lied zu singen unter Blütenbäumen!
[125]
Ihm würde gern mit leichtem Götterfuße
Die Muse nahn in goldnen Dichterträumen,
Und eh' er noch um solchen Preis gerungen,
Wär' ihm die Stirn vom Lorbeer schon umschlungen.
Ich hab' es oft versucht, und oft erglänzte
Die Stunde mir, doch war's ein eitles Prangen;
Denn wenn ich kaum das Haupt mit Blumen kränzte,
Erwachten alte Schuld und altes Bangen;
Am Becher, den der Freundschaft Hand kredenzte,
Schien eine heiße Träne mir zu hangen,
Und wenn ich froh die Saiten angeschlagen,
Verhallten sie in sehnsuchtsvollen Klagen.
Mir ist die Lust ein Schifflein, das zersplittert,
Sobald's aus stiller Bucht hinausgeschwunden,
Ein tönern Bild, das über Nacht verwittert,
Wie schön es auch mit Rosen war umwunden,
Ein Flötenhall, der in der Luft verzittert,
Wenn er getönt zwei selige Sekunden,
Im Lebenskelch der flücht'ge Kranz des Schaumes,
Ein Duft, ein Hauch, der Schatten eines Traumes.
Drum richtet nicht zu strenge die Gedichte,
Wenn sie euch oftmals nahn im schwarzen Kleide;
Nicht alle sind genährt vom frohen Lichte,
Nein, viele tränkt' ein Herz mit seinem Leide;
Und das bedenkt, dem Menschenangesichte
Ist auch die Trän' ein köstliches Geschmeide,
Und manchen Schatz, den ihr in Freudenstunden
Vergeblich suchtet, hat der Schmerz gefunden.

Morgenwanderung

Wer recht in Freuden wandern will,
Der geh' der Sonn' entgegen;
Da ist der Wald so kirchenstill,
Kein Lüftchen mag sich regen;
Noch sind nicht die Lerchen wach,
Nur im hohen Gras der Bach
Singt leise den Morgensegen.
[126]
Die ganze Welt ist wie ein Buch,
Darin uns aufgeschrieben
In bunten Zeilen manch ein Spruch,
Wie Gott uns treu geblieben;
Wald und Blumen nah und fern
Und der helle Morgenstern
Sind Zeugen von seinem Lieben.
Da zieht die Andacht wie ein Hauch
Durch alle Sinnen leise,
Da pocht ans Herz die Liebe auch
In ihrer stillen Weise,
Pocht und pocht, bis sich's erschließt,
Und die Lippe überfließt
Von lautem, jubelndem Preise.
Und plötzlich läßt die Nachtigall
Im Busch ihr Lied erklingen,
In Berg und Tal erwacht der Schall
Und will sich aufwärts schwingen,
Und der Morgenröte Schein
Stimmt in lichter Glut mit ein:
Laßt uns dem Herrn lobsingen.

Türmerlied

Wachet auf! ruft euch die Stimme
Des Wächters von der hohen Zinne,
Wach' auf, du weites deutsches Land!
Die ihr an der Donau hauset,
Und wo der Rhein durch Felsen brauset,
Und wo sich türmt der Düne Sand!
Habt Wacht am Heimatsherd,
In treuer Hand das Schwert,
Jede Stunde!
Zu scharfem Streit
Macht euch bereit!
Der Tag des Kampfes ist nicht weit.
[127]
Hört ihr's dumpf im Osten klingen?
Er möcht' euch gar zu gern verschlingen,
Der Geier, der nach Beute kreist.
Hört im Westen ihr die Schlange?
Sie möchte mit Sirenensange
Vergiften euch den frommen Geist.
Schon naht des Geiers Flug,
Schon birgt die Schlange klug
Sich zum Sprunge;
Drum haltet Wacht
Um Mitternacht
Und wetzt die Schwerter für die Schlacht!
Reiniget euch in Gebeten,
Auf daß ihr vor den Herrn könnt treten,
Wenn er um euer Werk euch frägt;
Keusch im Lieben, fest im Glauben,
Laßt euch den treuen Mut nicht rauben,
Seid einig, da die Stunde schlägt!
Das Kreuz sei eure Zier,
Eur Helmbusch und Panier
In den Schlachten.
Wer in dem Feld
Zu Gott sich hält,
Der hat allein sich wohl gestellt.
Sieh herab vom Himmel droben,
Herr, den der Engel Zungen loben,
Sei gnädig diesem deutschen Land!
Donnernd aus der Feuerwolke
Sprich zu den Fürsten, sprich zum Volke
Und lehr' uns stark sein Hand in Hand!
Sei du uns Fels und Burg,
Du führst uns wohl hindurch.
Halleluja!
Denn dein ist heut
Und alle Zeit
Das Reich, die Kraft, die Herrlichkeit.

[128] Gute Nacht

Schon fängt es an zu dämmern,
Der Mond als Hirt erwacht
Und singt den Wolkenlämmern
Ein Lied zur guten Nacht;
Und wie er singt so leise,
Da dringt vom Sternenkreise
Der Schall ins Ohr mir sacht:
Schlafet in Ruh'! schlafet in Ruh'!
Vorüber der Tag und sein Schall;
Die Liebe Gottes deckt euch zu
Allüberall.
Nun suchen in den Zweigen
Ihr Nest die Vögelein,
Die Halm' und Blumen neigen
Das Haupt im Mondenschein,
Und selbst des Mühlbachs Wellen
Lassen das wilde Schwellen
Und schlummern murmelnd ein.
Schlafet in Ruh', schlafet in Ruh'!
Vorüber der Tag und sein Schall;
Die Liebe Gottes deckt euch zu
Allüberall.
Von Tür zu Türe wallet
Der Traum, ein lieber Gast,
Das Harfenspiel verhallet
Im schimmernden Palast,
Im Nachen schläft der Ferge,
Die Hirten auf dem Berge
Halten ums Feuer Rast.
Schlafet in Ruh', schlafet in Ruh'!
Vorüber der Tag und sein Schall;
Die Liebes Gottes deckt euch zu
Allüberall.
Und wie nun alle Kerzen
Verlöschen durch die Nacht,
[129]
Da schweigen auch die Schmerzen,
Die Sonn' und Tag gebracht;
Lind säuseln die Zypressen,
Ein seliges Vergessen
Durchweht die Lüfte sacht.
Schlafet in Ruh', schlafet in Ruh'!
Vorüber der Tag und sein Schall;
Die Liebe Gottes deckt euch zu
Allüberall.
Und wo von heißen Tränen
Ein schmachtend Auge blüht,
Und wo in bangem Sehnen
Ein liebend Herz verglüht,
Der Traum kommt leis und linde
Und singt dem kranken Kinde
Ein tröstend Hoffnungslied.
Schlafet in Ruh', schlafet in Ruh'!
Vorüber der Tag und sein Schall;
Die Liebe Gottes deckt euch zu
Allüberall.
Gut' Nacht denn, all ihr Müden,
Ihr Lieben nah und fern!
Nun ruh' auch ich in Frieden,
Bis glänzt der Morgenstern.
Die Nachtigall alleine
Singt noch im Mondenscheine
Und lobet Gott den Herrn.
Schlafet in Ruh', schlafet in Ruh'!
Vorüber der Tag und sein Schall;
Die Liebe Gottes deckt euch zu
Allüberall.

License
Der annotierte Datenbestand der Digitalen Bibliothek inklusive Metadaten sowie davon einzeln zugängliche Teile sind eine Abwandlung des Datenbestandes von www.editura.de durch TextGrid und werden unter der Lizenz Creative Commons Namensnennung 3.0 Deutschland Lizenz (by-Nennung TextGrid) veröffentlicht. Die Lizenz bezieht sich nicht auf die der Annotation zu Grunde liegenden allgemeinfreien Texte (Siehe auch Punkt 2 der Lizenzbestimmungen).
Link to license

Citation Suggestion for this Edition
TextGrid Repository (2012). Geibel, Emanuel. Athen. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-BCD8-8