Von Dingen, die man nicht antasten soll

Ich hatt' ein Bildnis wunderfein,
Mit zarten Farben ausgemalt,
Das hat mit seinem bunten Schein
Gar lieb ins Auge mir gestrahlt;
Ich hielt es ganz für mich allein,
Und wo ich war, da mußt' es sein.
Tags stand's an meiner Arbeitsstätte,
Zu Nacht hing's über meinem Bette,
Und selbst in meinem schönsten Traum
Wie hold es blüht', ihr glaubt es kaum.
Da dachten die Leute in der Stadt:
»Was der wohl so Besondres hat!«
Kamen herbei von allen Enden,
Betasteten es mit plumpen Händen,
Hielten es gegen Feuer und Licht,
Ob auch die Farben in der Richt,
Wischten am Firnis hier und dort
Und hingen's dann an seinen Ort.
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Die Leute sind ein eigen Geschlecht,
Meinen, sie hätten vollkommen recht,
Sagen, mir bliebe das Bild ja doch,
Und ich auch sei derselbe noch;
Ich aber schlage die Augen nieder,
Und wenn ich auf mein Kleinod seh,
Tut's mir im tiefsten Herzen weh;
Der Schmelz ist hin und kommt nicht wieder.

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TextGrid Repository (2012). Geibel, Emanuel. Gedichte. Jugendgedichte. Zweites Buch. Berlin. Von Dingen, die man nicht antasten soll. Von Dingen, die man nicht antasten soll. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-BE24-E