9.

Das war in jungen Tagen,
In goldner Frühlingszeit,
Da mir verhüllt noch lagen
Des Lebens Qual und Streit.
Wie deucht' auf allen Wegen
Die Welt mir da so schön!
Im reichen Blütensegen
Wie prangten Tal und Höhn!
Der Himmel glänzt' und blaute,
Als wär' er aufgetan,
Und glückverheißend schaute
Die Ferne rings mich an.
[343]
Da ward ein heimlich Klingen
In meiner Seele wach;
Die Meister hört' ich singen
Und sang den Meistern nach:
Ich sang in dunklem Triebe
Aus frohbewegter Brust
Von Vaterland und Liebe,
Von Wald- und Wanderlust.
Und wie im leichten Reigen
Der Reim den Reim gebar,
Kaum wußt' ich, was mein eigen,
Was nur ein Echo war.
Da ist der Wind gekommen
Und hat im raschen Flug
Die Lieder mitgenommen,
Sie waren leicht genug;
Und hat sie fortgetragen
Durchs Land hin keck und froh –
Das war in jungen Tagen,
Kam nimmer wieder so.

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Citation Suggestion for this Edition
TextGrid Repository (2012). Geibel, Emanuel. 9. [Das war in jungen Tagen]. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-BECA-B