Der Troubadour

1.

Da ich dich ließ, du wunderschönes Weib,
Vom dumpfen Stundenschlag hinweggetrieben,
Da schied von dir der staubgeborne Leib,
Doch ist die Seel' in deiner Haft geblieben.
Mein Sinnen, Sehnen, die Gedanken all
Umflattern dich, verspottend Schloß und Riegel,
Ja, selbst der Gaukler Traum ward dein Vasall,
Dein Bild allein noch zeigt sein Wunderspiegel.
[340]
So bin ich dein bei Tag, so bleib' ich dein,
Wenn Nacht und Schlaf auf meinen Wimpern liegen;
Du bist die Kerze stets, um deren Schein
Wie trunkne Falter alle Wünsche fliegen.
Du bist zugleich mir Muse und Gedicht,
Festklarer Stern im irren Weltgetriebe.
Luft meines Lebens – ach, und siehst es nicht
Und ahnst es nicht einmal, daß ich dich liebe.

2.

Du bist so schön, ich wag' es nicht,
Dich anzuschauen,
Du schlanke Lilie hoch und licht
Im Kranz der Frauen;
Du Kön'gin sonder Hermelin,
Von deren Stirne Gnad' und Hoheit scheinen,
Du bist so schön – o laß mich vor dir knien
Und stumm auf deine Füße weinen!
Ich kann die Wonne, kann den Schmerz
Nicht mehr verschweigen,
Ich kann nur flehn: Nimm hin dies Herz,
Es ist dein eigen.
Nimm's, deiner Huld wertlosen Raub,
Und blick' es an zwei selige Sekunden;
Dann wirf es hin und tritt es in den Staub,
Es hat des Heils genug gefunden.
Doch wisse, keines kann dir je
Wie dieses schlagen,
So weit beschwingt um Land und See
Die Winde jagen;
So weit das lichte Morgenrot
Dahinfleucht durch die Welt mit raschen Gluten,
Ist keins wie dies bereit, in sel'gem Tod
Sein Dasein für dich hinzubluten.

[341] 3.

O weißt du, was den wilden Schwan
Treibt übers Meer in südlich Land,
Was aus dem Schacht zum Licht hinan
Das Bächlein zwingt durch Kies und Sand?
Kannst du es sagen:
Dann magst du fragen,
Was mich an deine Schritte bannt.
Dann magst du fragen auch, warum
Dies Auge brennt, das stets gelacht,
Warum der kecke Mund ward stumm.
Kein Becher mehr mich fröhlich macht,
Warum in Sorgen
Mich trifft der Morgen
Und schlaflos die gestirnte Nacht.
Ich weiß nur das: Trüb oder froh,
Ein Schicksal ist's, ich gab mich drein;
In meinen Sternen flammt' es so,
Und Lieb' ist Lieb' in Lust und Pein.
Drum duld' es stille,
Daß all mein Wille
Um dich sich dreht: Nimm hin, was dein!

4.

O du der Schönheit Fürstin stolz und hoch,
Du Rätselvolle, die kein Sinn erfaßt,
Du bist so kalt und zündest Flammen doch,
Und selbst so ruhig raubst du alle Rast;
Du machst mich irr an meines Herzens Schlag,
Mich selbst verlor ich, seit ich dich gesehn;
Schlaflose Nacht löst ab verträumten Tag
Mit Zweifeln, Gluten, Wehn –
Du aber lächelst fort, als wäre nichts geschehn.
Oft zweifl' ich, daß dir eine Seele ward,
Und wieder mein' ich dann, sie schlafe nur,
Und wer sie weck' aus ihren Träumen zart:
Ihr holdstes Wunder zeige dem Natur;
[342]
Urplötzlich, wie der Lenz kommt über Nacht,
So müss' aufquellend einst in jäher Lust
Dein Wesen all erblühn in Frühlingspracht,
Wenn deine junge Brust
Zum ersten Male fühlt, wovon sie nie gewußt.
O dürft' ich der gefeite Zaubrer sein,
Der so den Frost in Maienwonne kehrt,
Der deine Wangen glühn in hast'gem Schein,
Dein Aug' in brünst'gen Tränen fluten lehrt!
Dürft' ich der sein, der dir die Seele gibt,
Die stummen Rätsel lösend deinem Sinn,
Der Sel'ge, den du liebst, weil er dich liebt –
O was ich hab' und bin,
Die eigne Seele halb, die ganze gäb' ich hin!
Verwegner Traum! Doch wie du immer seist:
Mich treibt zu dir allmächtige Gewalt;
Gebannt in deine Kreise liegt mein Geist,
Ich kann nicht los, und tust du noch so kalt.
Du ziehst mich nach dir wie der Mond die Flut,
Wie der Magnet das Eisen siegreich zieht;
Und ob du harmlos spielst mit meiner Glut,
Ob streng dein Auge sieht:
Mein unstet Herz ist dein, und dein mein dunkles Lied.

5.

Streich aus, mein Roß, die Flanken hoch!
Die Meute bellt, es klingt das Horn,
Der Tag ist wild, doch wilder noch
Dein Reiter;
Es treibt durch Schnee, Gestrüpp und Dorn
Ihn rastlos, ruhlos weiter.
Ich habe getrunken einen Trank,
Lieb' heißt der Trank, und der war heiß.
Davon bin ich geworden krank
Im Herzen.
Mir will nicht kühlen Winters Eis
Noch scharfer Sturm die Schmerzen.
[343]
Drum rasch, als könnt' ich fliehn mein Weh!
Was schiert's mich, wenn die Sonn' entwich!
Schon färbt des Hirschen Schweiß den Schnee
Der Heide;
Ich jage das Wild, die Liebe mich,
Bis wir erliegen beide.

6.

Durch die erstorbnen Gassen,
Die kalt im fahlen Mondenschimmer liegen,
Durch Pfeilerhallen, über Marmorstiegen
Schweif' ich umher verlassen
Und denk' in Gram versenket
An dich, die meiner nimmermehr gedenket.
Wie unter schweren Lasten
Ein Mann vom Holzschlag keucht auf Waldespfaden,
So seufz' ich mit des Kummers Wucht beladen,
Der nicht vergönnt zu rasten
Und weiter ohn' Ermatten
Mich forttreibt, umzugehn, mein eigner Schatten.
Und führt zu deiner Schwelle
Mein Weg mich, der da weiß von keinem Ziele:
Rankt meine Seele sich in leerem Spiele
Um die geliebte Stelle;
Ich steh' gebannt und weine
Brennende Tränen auf die kalten Steine.

7.

Wohl kenn' ich vom Beginne
Der Neigung Jahreszeiten;
Die Veilchen erster Minne
Brach ich und brach die Rosen dann der zweiten.
Doch seit ich dich erkannt mit Geist und Auge,
War fürderhin kein Streiten
In dieser Brust, was mir zu lieben tauge.
[344]
Denn ein Gemüt, tief innig
Und spiegelklar zum Grunde,
Denn einen Leib, so minnig,
Wie Gott ihn schafft in rechter Gnadenstunde,
Dazu den Geist, für jede Weisheit offen,
Die edlen Drei im Bunde
Hab' ich, o Herrin, nur bei dir betroffen.
O dürft' ich all mein Wesen
Ergeben dir, du Hohe,
Wie würde da genesen
Zu süßem Heil dies Herz, das liederfrohe!
Nichts wüßt' ich, was mir beßre Lust gewährte,
Als meines Geistes Lohe
Zu schüren, daß der Schimmer dich verklärte.
Doch runzelst du die Brauen
Und schämst dich meines Strebens;
Ach, darin muß ich schauen
Gerechte Buße frühern Überhebens.
Einst hab' ich, die mich liebte, kalt betrübet,
Nun lieb' ich selbst vergebens –
Das ist die Minne, die Vergeltung übet.
So will vor deinem Zorne
Ich Flucht und Fahrt erküren,
Will mich an fremdem Borne
Erlaben und will ruhn an fremden Türen.
Und statt des lust'gen Spiels der Minnesinger
Die Harfe will ich rühren,
Ein düstrer Pilgersmann, mit rauhem Finger.
Du aber, hörst du ferne
Des Sängers dumpfe Töne,
Nur so viel Huld erlerne,
Daß ohne Haß dein Ohr sich dran gewöhne.
Und so fahr wohl du, die ich trag' im Sinne,
Fahr wohl, du stolze Schöne! –
Dies ist von mir das letzte Lied der Minne.

[345] 8.

Ich hab' es bei mir selber wohl erwogen
In einer langen, schlummerlosen Nacht,
Daß Liebe, die mir Süßes viel gebracht,
Mich dennoch um mein bestes Glück betrogen.
Denn seit der Zeit, daß ihrer ich gepflogen,
Verlor ich Ruhe, Heiterkeit, Bedacht;
Bald war mein Sinn zu wilder Glut entfacht
Und bald in Schmerzen fern hinausgezogen.
Darum beschloß ich, sonder Ungeduld
Dem holden Reiz auf immer zu entsagen
Und abzutun der Neigung süße Schuld.
In Ruhe sollst fortan, mein Herz, du schlagen
Und statt des Schattens flücht'ger Erdenhuld
Die Ewigkeit in deiner Tiefe tragen.

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Zitationsvorschlag für diese Edition
TextGrid Repository (2012). Geibel, Emanuel. Der Troubadour. TextGrid Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-BF48-5