AUS: PARADIESISCHES GEDICHT
AN DIE LORBEEREN

O lorbeern die im grossen strengen schatten
Ihr den gedankenvollen jüngling hegtet ·
Erzählet mir von ihm · am ersten abend
Erzählet mir von ihm in milden worten ·
Ihr alten lorbeern! weil vielleicht er hört ·
Weil er vielleicht entfernt ist und doch hier.
Wie hat der junge hüter euch geliebt ·
Wie beugtet ihr auf seine freundes-stirne
Die äste oft um euer lob zu hören!
Er las in jenem buche worin züchtig
Die seele zittert und begehrt und weint
Umschlossen vom gewand antiker grazie.
Langsam im kreise stieg der schöne garten
Auf – wie ein traumbild aus dem herzen steigt
Bewässert von der reinen sangesweise ·
[65]
In einem ungewohnten geistigen licht
Das nicht vom himmel sondern auf der erde
Von dem unsterblichen gedicht entflossen.
O lorbeern · ich bin der! nicht mehr verberg ichs –
Ich bin es der im buche las · das licht
Erschaute und im tiefen herzen froh war.
Ist alles hin? der lezte strahl bespottet
Im grossen becken das verfaulte wasser ·
Auf einer hohen mauer schreit der pfau.
In dem geblichnen und versengten grase
Sind tot des ortes liebe schutzgewalten ..
So ist denn jede gottheit hingeschwunden?
Nur kommt ein heisrer klang der glocken näher ·
An welchem leid die fromme flut sich bäumt!
Der schatten dringt zu einem haus allmählich ·
Dem trüben haus wo meine mutter weint.

[66] TROST

Nicht länger weine! der geliebte sohn
Kehrt heim zu dir. Er ist des lügens müde.
Komm mit hinaus! zeit ist es neu zu blühen ·
Du bist zu weiss · dein antlitz gleicht einer lilie.
Komm mit ins freie! der verlassne garten
Bewahrt für uns noch manchen seitenweg.
Ich sage dir wie das geheimnis süss ist
Das auf gewissen fernen dingen schwebt.
Noch manche rose ist am rosenbusche.
Noch manches kraut gibt schüchtern seinen duft.
Obwohl verlassen wird die teure stätte
Noch lächeln wenn du lächeln wirst.
Ich sage dir wie süss das lächeln ist
Gewisser dinge die vergessen dulden.
Was dächtest du wenn jezt mit einem male
Die erde dir zu füssen blumen brächte?
[67]
Dies wird geschehen wenn es auch kein mai ist.
Komm mit · bedecke nicht dein haupt! sanft ist
Septembersonne und noch scheint kein silber
Auf deinem haupt und fein ist noch die falte.
Warum verweigerst du mit müdem blicke?
Die mutter tut des guten sohnes willen ·
Du musst ein wenig sonnenschein geniessen ·
Ein wenig sonne auf dein weisses antlitz.
Du musst getrosten mutes sein · du musst
An alle bösen dinge nicht mehr denken ..
Wenn wir nach jenen rosenbüschen gehen
So red ich leis und deine seele träumt.
Träume · träume! teure seele. Alles
Wird wie in den vergangnen jahren sein.
Ich will in deine reinen hände legen
Mein ganzes innre. Nichts ist noch verloren.
[68]
Träume · träume! ich will dein leben leben ·
In einem neuen leben tief und einfach
Erstehn. Die leichte hostie die reinigt
Ich will aus deinem finger sie empfangen.
Träume! da des träumens zeit gekommen.
Ich rede. Sag · versteht mich deine seele?
Sieh! in den lüften schaukelt und entfacht sich
Fast das gespenst von einem toten mai.
September (sag! vernimmt mich deine seele?)
Hat in den düften und in seiner blässe
So etwas wie die düfte und die blässe
Von einem lenz der aus dem grabe steigt.
Träumen wir! es ist die zeit zu träumen ·
Und lächeln wir! dies hier ist unser lenz.
Zuhause später in den abendstunden
Schlag ich den flügel wieder auf und träume.
[69]
Wie lang lag er im schlaf der flügel! damals
Schon fehlte eine saite · eine saite
Fehlt immer und die tasten mahnen an
Der ahnin wächserne und schmale hände.
Inzwischen von dem abgeblassten vorhang
Wird ein geruch ein zarter sich verbreiten ·
(Du hörst mich?) etwas wie der schwache atem
Von veilchen die ein wenig schon im welken.
Ich werde einen alten walzer spielen
Sehr alt sehr edel · auch ein wenig traurig ·
Der klang wird heiser und verschleiert sein
Als ob er aus dem andern zimmer käme.
Für dich allein will ich ein lied verfassen
Das dich wie eine wiege schaukeln soll
Nach einem alten tone · doch mit etwas
Nachlässiger und schwanker zierlichkeit.
[70]
Wie in der fernen zeit wird alles sein ·
Die seele einfach werden wie sie war
Und wenn du wünschest sachte zu dir kommen
Wie in die hohle hand das wasser kommt.

[71] DER BETRUG

Ich leide nicht! nein · wenn ich schweigsam bleibe
Am abend wenn ich dir zu füssen sitze –
(O schreck des nahen nächtigen gerichtes
In jenem grossen weissen bette) wisse:
So tu ich es damit die seele besser
Geniesse diese köstlich süsse stille –
(Bei tag und nacht zermartert ein gedanke
Die seele ohne ruhe ohne ruhe!)
Die süsse stille die um mich gezogen
Vielleicht mit allzu ungewohnten freuden.
(Verleih · o Herr · verleih dass ich auf immer
Mein schreckliches geheimnis nicht verrate!)
O dies vergessen-haben · dies verzichten
Auf alles · dir zu füssen · sei gesegnet!
(Die seele wird niemals vergessen können ·
Niemals vergessen · niemals!) sei gesegnet!

[72] EINE ERINNERUNG

Zu der erde wandte sie die blicke –
Unerklärlich schweigen. Die minuten
Schienen klüfte masslos zu eröffnen.
O dass wir doch unter unversehenem
Schlag auf ewig stumm geblieben wären!
Langsam hob sie auf mich jene augen.
Ihre lippen leer von blut und zuckend
Seh ich noch und ihre ersten worte
Fallen wie die ersten tropfen blutes
Einer wunde die zu bluten anfängt.

[73] EIN TRAUM

Sie war gestorben. Sie war kalt. Die wunde
War kaum ersichtlich in der einen seite:
Ein kleiner ausgang für so grosses leben!
Weit minder weiss erschien mir als die leiche
Das linnen · niemals wird das auge sehen
Ein ding das weisser ist als jenes weiss.
In flammen traf der ungestüme sommer
Die scheiben und insekten · ungeheure ·
Im schwülen dunste summten ohne ruhe.
Sie war erstarrt. Ich sagte: schläfst du denn?
Mit einem stumpfen fürchterlichen lächeln
Ganz nahe wiederholt ich: schläfst du? schläfst du?
Schläfst du? und denkend dass die schrille stimme
Nicht meine wäre bebte ich vor angst.
Ich horchte. Aber weder hauch noch stimme!
[74]
Es schien als ob die wände flammen wären.
In jener schwüle hob sich immer stärker
Ein odem wie aus einem grabgewölbe.
Der unbesiegliche geruch des todes
Erstickte mich – ich musste wohl ersticken ·
Ich selber hatte tür und tor geschlossen.
Schläfst du? Schläfst du? sie hatte keine antwort ·
Das linnen schien vor ihr weit minder weiss.
Auf erden werden nie die augen sehen
Ein ding das weisser ist als jenes weiss.
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TextGrid Repository (2012). George, Stefan. Aus: Paradiesisches Gedicht. TextGrid Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-CA3A-A