DAS LIED

[123]

WAS ICH NOCH SINNE UND WAS ICH NOCH FÜGE

WAS ICH NOCH LIEBE TRÄGT DIE GLEICHEN ZÜGE

[124]

[Welch ein kühn-leichter schritt]

Welch ein kühn-leichter schritt
Wandert durchs eigenste reich
Des märchengartens der ahnin?
Welch einen weckruf jagt
Bläser mit silbernem horn
Ins schlummernde dickicht der Sage?
Welch ein heimlicher hauch
Schmiegt in die seele sich ein
Der jüngst-vergangenen schwermut?

[125] DAS LIED

Es fuhr ein knecht hinaus zum wald
Sein bart war noch nicht flück
Er lief sich irr im wunderwald
Er kam nicht mehr zurück.
Das ganze dorf zog nach ihm aus
Vom früh- zum abendrot
Doch fand man nirgends seine spur
Da gab man ihn für tot.
So flossen sieben jahr dahin
Und eines morgens stand
Auf einmal wieder er vorm dorf
Und ging zum brunnenrand.
Sie fragten wer er wär und sahn
Ihm fremd ins angesicht ·
Der vater starb die mutter starb
Ein andrer kannt ihn nicht.
[126]
Vor tagen hab ich mich verirrt
Ich war im wunderwald
Dort kam ich recht zu einem fest
Doch heim trieb man mich bald.
Die leute tragen güldnes haar
Und eine haut wie schnee ..
So heissen sie dort sonn und mond
So berg und tal und see.
Da lachten all: in dieser früh
Ist er nicht weines voll.
Sie gaben ihm das vieh zur hut
Und sagten er ist toll.
So trieb er täglich in das feld
Und sass auf einem stein
Und sang bis in die tiefe nacht
Und niemand sorgte sein.
Nur kinder horchten seinem lied
Und sassen oft zur seit ..
Sie sangen's als er lang schon tot
Bis in die spätste zeit.

[127] SCHIFFERLIED
ABSCHIED YVOS VON JOLANDA

Du harrst umsonst. Ist Der auch hin
Und schläft in ruh wo keiner ihn
Entdecken wird – mein blut ward kühl
Ich geh an bord seh dich nicht mehr.
Als er erwürgt zur klippe sank
Floh weit wie je das nahe glück.
Du ahnst wol viel das lezte kaum ..
Wild lockt das meer nie werd ich dein.
Ich weiss du weinst wenn abends spät
Dir botschaft kommt ich sei schon fern –
Mein schiff mein freund – bis sich beim werk
An fremdem strand mein loos erfüllt.
Wir all sind bös doch du bleib rein!
Bald klagst du sanft und flichst den kranz
Fürs gnadenbild am felsgestad
Und flehst um dein und um mein heil.

[Horch was die dumpfe erde spricht]

[128]
Horch was die dumpfe erde spricht:
Du frei wie vogel oder fisch –
Worin du hängst · das weisst du nicht.
Vielleicht entdeckt ein spätrer mund:
Du sassest mit an unsrem tisch
Du zehrtest mit von unsrem pfund.
Dir kam ein schön und neu gesicht
Doch zeit ward alt · heut lebt kein mann
Ob er je kommt das weisst du nicht
Der dies gesicht noch sehen kann.

[129] SEELIED

Wenn an der kimm in sachtem fall
Eintaucht der feurig rote ball:
Dann halt ich auf der düne rast
Ob sich mir zeigt ein lieber gast.
[130]
Zu dieser stund ists öd daheim ·
Die blume welkt im salzigen feim.
Im lezten haus beim fremden weib
Tritt nie wer unter zum verbleib.
Mit gliedern blank mit augen klar
Kommt nun ein kind mit goldnem haar ·
Es tanzt und singt auf seiner bahn
Und schwindet hinterm grossen kahn.
Ich schau ihm vor · ich schau ihm nach
Wenn es auch niemals mit mir sprach
Und ich ihm nie ein wort gewusst:
Sein kurzer anblick bringt mir lust.
Mein herd ist gut · mein dach ist dicht ·
Doch eine freude wohnt dort nicht.
Die netze hab ich all geflickt
Und küch und kammer sind beschickt.
So sitz ich · wart ich auf dem strand
Die schläfe pocht in meiner hand:
Was hat mein ganzer tag gefrommt
Wenn heut das blonde kind nicht kommt.

[131] DIE TÖRICHTE PILGERIN

Wo die strasse vom gebirg
Plötzlich sich zum strome kehrt
Felder bis zur kuppe ziehn
Wo mich einst die schwangre bat
Dass ich ihr die heu-last höbe:
Dort lag mit verwirrtem haar
Und in kümmerlichem rock
Wie vor müde hingestürzt
An dem wegrand eine maid –
Ich ging hin und half ihr auf ..
Dankend sprach sie und betrübt
Während sie die stirn sich strich:
Oft schon kam ich dir vorbei
Nur mein unglück dass ich fiel
Machte dass du auf mich schautest.
Nächstes mal wenn du mich triffst
Zeig ich mich in schmuckrem kleid ..
Freu ich dich auch so nicht sehr:
Wird dein blick doch auf mir ruhn
Weil du einst vom grund mich hobst.

[132] DER LEZTE DER GETREUEN

Noch weilt der Eine ausser lands
Drum ist auch mir die heimat leer
Ich haus' als fremdling nur in ihr
Bei meines königs banne.
Ich zähle nicht nach freud' und fest
Der Andern und ich warte gleich
Den sommer durch · den winter lang
Bis mich mein könig rufe ..
Und kehrt er nie mehr hier zurück
Holt er mich nicht zu seinem dienst –
Gibt mir nur EINES ziel und sinn:
Mit meinem könig sterben!

[133] DAS WORT

Wunder von ferne oder traum
Bracht ich an meines landes saum
Und harrte bis die graue norn
Den namen fand in ihrem born –
Drauf konnt ichs greifen dicht und stark
Nun blüht und glänzt es durch die mark ...
Einst langt ich an nach guter fahrt
Mit einem kleinod reich und zart
Sie suchte lang und gab mir kund:
›So schläft hier nichts auf tiefem grund‹
Worauf es meiner hand entrann
Und nie mein land den schatz gewann ...
So lernt ich traurig den verzicht:
Kein ding sei wo das wort gebricht.

[134] DIE BECHER

Sieh hier den becher golds
Voll von funkelndem wein –
Jedes hat einen schlurf!
Sieh dort den becher aus holz
Mit den drei würfeln aus stein –
Jedes hat einen wurf!
Dieser lässt ohne verdruss
Wissen was zu uns steht ·
Heben vorn tisch wir ihn bloss.
Jener bringt den beschluss
Den niemand vorsieht und dreht:
Wieviel Mein loos wieviel Dein loos.

[135] DAS LICHT

Wir sind in trauer wenn · uns minder günstig
Du dich zu andren · mehr beglückten · drehst
Wenn unser geist · nach anbetungen brünstig ·
An abenden in deinem abglanz wes't.
Wir wären töricht · wollten wir dich hassen
Wenn oft dein strahl verderbendrohend sticht
Wir wären kinder · wollten wir dich fassen –
Da du für alle leuchtest · süsses Licht!

[In stillste ruh]

[136]
In stillste ruh
Besonnenen tags
Bricht jäh ein blick
Der unerahnten schrecks
Die sichre seele stört
So wie auf höhn
Der feste stamm
Stolz reglos ragt
Und dann noch spät ein sturm
Ihn bis zum boden beugt:
So wie das meer
Mit gellem laut
Mit wildem prall
Noch einmal in die lang
Verlassne muschel stösst.

[Du schlank und rein wie eine flamme]

[137]
Du schlank und rein wie eine flamme
Du wie der morgen zart und licht
Du blühend reis vom edlen stamme
Du wie ein quell geheim und schlicht
Begleitest mich auf sonnigen matten
Umschauerst mich im abendrauch
Erleuchtest meinen weg im schatten
Du kühler wind du heisser hauch
Du bist mein wunsch und mein gedanke
Ich atme dich mit jeder luft
Ich schlürfe dich mit jedem tranke
Ich küsse dich mit jedem duft
Du blühend reis vom edlen stamme
Du wie ein quell geheim und schlicht
Du schlank und rein wie eine flamme
Du wie der morgen zart und licht.
[138][140]

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Zitationsvorschlag für diese Edition
TextGrid Repository (2012). George, Stefan. Das Lied. TextGrid Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-CAD8-8