[96] DER RETTER

Zu des heiligen stromes wassern
Zog es oft den prinzen hin
Um mit ihrem wellenrauschen
Seine seufzer auszutauschen
Um der quälenden gedanken
Schreckgebilden zu entfliehn.
Wenn die abendlichen schatten
Ein erkennen schwer gestatten
Schlüpft aus dem palaste heimlich
Er in unscheinbarer tracht.
Aus des palmenhaines mitte
Blickte eine kleine hütte
Vor der hütte sass ein jüngling
Schön wenn auch in armem kleid
Der zu einer leier singen
Seine stimme liess erklingen.
[97]
Manchmal wenn die bergeswinde
Sich besänftigt und gelegt
Sass ein greis an seiner seite
Der mit stolzer vaterfreude
An des sohnes kunst sich labte.
Niemals schien ein schönres bild
Vor dem prinzen sich zu dehnen –
Ein gewaltig heisses sehnen
Zog ihn hin zu jenem jüngling
Der so schön war und so froh.
Lauschend stand er in der ferne
Und er hätte sich so gerne
Ihm genähert · ihn gesprochen
Wenn die scheu nicht und der greis
Und die angst ihn abgehalten
Dass auf seiner stirne falten
Seine sünden sein geschrieben ·
Dass das reine edle aug
Ihn sogleich erkennen liesse
Und voll abscheu von sich stiesse.
[98]
Heute war der Alte ferne ·
Er trat näher in den kreis
Um von palmen noch verborgen
Weiter der musik zu horchen.
Aber kaum bemerkt der jüngling
Ihn den fremden suchend bang
Nach der hütte sich bewegen
Als er schnell ihm trat entgegen
Ganz heran ans haus ihn führte
Bei der hand und sanften tons
Ihn nach seinem wunsche fragend ·
Und der prinz versezte zagend:
Öfter ging ich hier vorüber
Und vernahm dein schönes lied
Und mein einziges begehren
Ist dir stille zuzuhören ..
»Kann ergötzen und erheitern
Ich mit meiner schwachen kunst:
Lass dich mir zur seite nieder
Und vernimm die armen lieder.«
[99]
Aufmerksam und voller andacht
Lauscht prinz Indra der musik
Und des angesichts erregung
Zeugt die innere bewegung.
Und am ende dringt ihm schmerzlich
Aus der vollen brust das wort:
Ach du musst wol recht hienieden
Glücklich leben und zufrieden ...
»Ja der himmel sei gepriesen ·
Ich bin heiter und gesund
Alles nötige zum leben
Wird die vorsicht stets uns geben.
Nach des tages strenger arbeit
Ist es mir das grosse glück
An des teuren vaters seiten
Meine stimme zu begleiten
Mit dem klang der leier oder
Aus der grossen dichter wort
Alter zeiten art und wesen
Hoher helden tun zu lesen.
[100]
Aber · fragt darauf der jüngling
Forschend und doch teilnahmsvoll ·
Mir schien dass du lebst im glücke ·
Was sind deine missgeschicke?«
Seine stimme klang so herzlich
Und sein auge war so gut
Dass der prinz ihn voll vertrauen
In sein tiefstes herz liess schauen ·
Eines nur hielt er ihm heimlich
Dass des Rajah sohn er sei ·
Er erzählt mit heissen tränen ·
Nichts vergass er zu erwähnen
Auch den heiligen entschluss nicht
In der büsser wald zu ziehn ·
Dass der vater gar nichts ahne
Von dem tiefgefassten plane
Dass den greis zu sicherm tode
Brächte die verwirklichung.
Das bekenntnis war zu ende
Bittend hob der prinz die hände.
[101]
Jenes jünglings tiefe einsicht
Fasste der erzählung kern ·
Mit herzinnigem erbarmen
Hielt er fest in seinen armen
Seinen neuerworbenen freund.
Er erklärt ihm ernst und mild:
Deine seele kannst du retten
Aus des feindes schlimmen ketten
Wenn du nur mit starkem willen
Seiner lockung widerstrebst.
Doch dein sinn scheint nicht geschaffen
Aus der welt ihn zu entraffen
Und zum büsserwald zu schicken –
So erreichst du nicht dein glück.
Wahre arbeit musst du finden
Geist und leib musst du verbinden
Um sie auf dein werk zu lenken
Und vom bösen abzuziehn.
Bist du reich an erdengütern
Sorge dass du deinen brüdern
[102]
Auch sie angedeihen lässest ·
Suche hier die armut auf
Deinen segen auszuschütten
Selber in der dürftigen hütten.
Suche arbeit suche wirken
So wirst du mit leichter müh
Wieder glück und frieden finden
Und den dämon überwinden.
Jezt lebwol! wir müssen scheiden
Leider für nicht kurze frist
Denn geschäfte mancher weise
Zwingen mich zu weitrer reise.
Bei des zehnten monds erscheinen
Triffst du wieder mich am ort.
Deinen namen wirst du nennen
Und kein los mehr soll uns trennen.

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TextGrid Repository (2012). George, Stefan. Gesamtausgabe der Werke. Schlussband. Anhang: Jugenddichtungen und Gedichte in fremden Sprachen. Prinz Indra. Der Retter. Der Retter. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-CB40-1