[3] SCHLUSSBAND

[3][5]

MANUEL

[5]

Vorbemerkung

VORBEMERKUNG

Die früheste fassung des Manuel – etwa aus dem jahre 1886 – behandelte auf kindlicher stufe nach art des vor-goethischen schäfergedichts einfachste urmenschliche verhältnisse. Die zweite – aus dem lezten schuljahr 1888 – war von gewissen fragen und spannungen des jünglings erfüllt .. von ihr ist leicht überarbeitet in die Blätter für die Kunst I. Folge 3. Band soviel übernommen als hinreicht um plan und anlage zu zeigen. Die dritte · die Um-schreibungen – Blätter für die Kunst II. Folge 2. und 5. Band – auf den ersten plan zurückgreifend stammen aus den jahren 1894/95.

Erste Stufe

[6] ERSTE STUFE

[7]

TIMON

(vor seiner hütte)


Wie lieblich liegt ihr da im morgenlicht
Ihr glücklichen gefilde die die woge
Des heiligen stroms bewässert. Goldne Sonne
Du lächelst in dem heitren himmelsblau
Du öffnest aller blumen duftige kelche ..
O könntest du Natur den frieden
Den du den dingen gibst · auch mir verleihn!
Den kleinen gram vermagst du wol zu scheuchen
Jedoch die brust die grossen kummer birgt
Fühlt umso tiefer ihn und deutlicher
Je zartre süssere lüfte sie umziehn.

Zweite Stufe

Erstes Bild
ERSTES BILD

Hütte Timons in der umgebung von Trapezunt. Sie liegt im vordergrund seitlich auf einer mit buschwerk bewachsenen erderhöhung von der ein schmaler pfad herabführt. Auf der anderen seite ein rasensitz bei einer quelle · nach der hütte hin durch bäume verdeckt. Im hintergrund das freie feld.


Manuel am brunnen · Leila kommt mit einem wasserkrug aus der hütte und erblickt Manuel.


LEILA
Du hier Manuel
MANUEL
Wie · du erschrickst vor mir?
LEILA
O nein ich hatte nur dich nicht erwartet.
MANUEL
Komm ich dir nicht zu jeder stunde recht?
[10] LEILA
Gewiss! doch macht dein anblick stets mir bange.
MANUEL
Liebste warum?
LEILA
Wenn ich für mich allein bin
So kann ich gar nicht anders denken als
Dass ich dich liebe und dass du mich liebst
Doch wenn du kommst wenn ich dich plötzlich sehe ..
MANUEL
Mein kind du bist so scheu und traurig heut
Traf dich ein leid?
LEILA
Wol quält mich eine frage ..
MANUEL
Du weisst um was ich bat ..
LEILA
Das ist es nicht. Ich liebe dich zu sehr ..
[11] Auch wenn ich nie erfahre wer du bist.
Ein andres ängstigt mich: warst du es nicht
Der sich vor kurzem in der Unterstadt
So tollkühn in des todes arm gestürzt
Beim grossen feuer?
MANUEL
Wie erfuhrst denn du's
LEILA
Man sprach davon in weiter umgegend
Und an des vaters häufiger beschreibung
Erkannte ich dass du es musstest sein
Ich war so namenlos in angst um dich ..
MANUEL
Es galt ein leben zu erretten
Und da kein andrer aus der schar sich traute
Versuchte ichs und ich vollbracht es glücklich.
LEILA
Ich habe lange drüber nachgesonnen
Ob der so ganz · so innig lieben konnte
Der sich so achtlos ins verderben wagt.
[12] MANUEL
Die liebe lässt in dir die selbstsucht reifen.
Der mensch kennt nur die Eine überlegung
Wenn er den nächsten in bedrängnis sieht:
Dass zur gefahr er ankam ist ein zeichen
Dass er erkoren ist sie zu bekämpfen ..
Der heilige schmerz den leidenden zu sehn
Treibt in dem augenblick der höchsten not
Uns unentrinnbar an und lässt nicht zeit
Zu denken weder was uns selber droht
Noch was in trauer all wir lassen müssen
Wenn hilfebringend selbst wir untergingen ..
Und dies ist kein verdienst · den drang empfändest
Du selber · Leila · wenn die stunde riefe.
LEILA
Dass ich an alles dies nicht selber dachte ..
Was ich gesorgt · war töricht – tadle mich.
MANUEL
Du fehltest nur aus liebe.
Zweites Bild
[13] ZWEITES BILD
Manuel und Leila an der quelle. Die türe der hütte öffnet sich · Timon ein greis tritt hervor.

TIMON
Leila!
LEILA
Vater!
(zu Manuel) Der vater · schnell
Manuel sie flüchtig küssend ab.
TIMON
Wo bleibst du Leila?

LEILA
(mit dem krug entgegengehend)
Du weisst ich bin so gerne an der quelle.

TIMON
(sie forschend ansehend)
Mir schiens als ob ich tritte hörte.
[14] LEILA
Da drüben gingen männer.
TIMON
Ich weiss nicht was seit kurzem mit dir vorgeht
Du bist nicht mehr so wie du früher warst
Oft hast du ein so sonderbares aussehn
Oft treffe ich dich wie im traum versunken
Und wenn ich dich bei deinem namen rufe
So siehst du mich so seltsam lächelnd an.
LEILA
Ich weiss nicht was du meinst · mein vater.

TIMON
(etwas hart)
Sag liebst du deinen alten vater noch?

LEILA
(zitternd)
O Gott · was fragst du!
Wo hab ich dich beleidigt und gekränkt
[15] Dass du bezweifelst ob ich dich noch liebe?
TIMON
Und liebst du ihn noch so
Wie du als kind getan wenn du beim feuer
Auf seine alten märchen hast gelauscht ·
Als du entgegen gingst ihm wenn vom feld
Er nach der schweren arbeit matt zurückkam ·
Als du mit einem frischen blumenstrauss
Ihn froh beschenktest und so herzlich küsstest –
LEILA
Glaube deiner tochter.
Ich liebe heute dich nicht weniger
Als ich vor jahren kindlich es getan ·
Ja noch weit mehr. O wüsstest du wie schwer
Du mich betrübst –
TIMON
So hab ich mich geirrt.
Ich glaube dir · du bist mein gutes kind.
Nimm deinen krug und geh hinauf ins haus.
Ich komme bald.
Leila geht.
[16] TIMON
(allein)
Ich habe mich geirrt.
Wie sollte sie auch einen menschen kennen!
Und kommen selten leute hier vorbei
So läuft sie schnell hinauf ins haus.
Sie hört allmählich auf ein kind zu sein
Da kommen manche sonderbare wechsel.
Wär es am ende doch nicht besser wenn –
Nein · nein! ich lasse sie nicht aus den händen.
Weshalb soll ich mein einzig kind verschenken?
Und dazu ein so teures süsses kind.
Drittes Bild
DRITTES BILD
Feld bei Trapezunt · Menes hinter einem baum sich verbergend.

MENES
Hier muss sein weg ihn bald vorüberführen
Wie oft er auch mit klugheit sich verdeckt
Bald da bald dort in neuer maske auftrat
Er wird mir diesmal nicht entgehn.
Hier werd ich ihm erklären wer ich bin ·
[17] Und wenn ich weiche weil er grösser ist
Er glaube nicht dass ers um vieles mehr ist.
Ein herb geschick · des lebens besten plan
Auf einmal aufzugeben da er reifte
Und mit dem kargen amte eines dieners
In bestem falle helfers eines andren
Zufrieden sich zu geben · es muss sein.
Von grossen werken · vom geschick der völker
Kann ich mich nicht zurück mehr ziehn ins dunkel
Das lässt mein schwur mein reger geist nicht zu.
Wenn auch sein diener will mit eifersucht
Ich wachen über allen seinen taten ..

MANUEL
(in der tracht eines bürgers will vorübereilen)
MENES
Erkennst du mich?
MANUEL
Ich sah dich öfter meinen spuren folgen
Ich glaube dass ich dich erkenne.
MENES
Seit jener nacht da unter uns du tratest
[18] Mein herz wie das der andren wandeltest
Mit dem versprechen eines hilfebringers
Da hab ich unablässig nachgeforscht
Bis ich entdeckte:
Du bist der prinz von Trapezunt.
MANUEL
Was willst du von mir?
MENES
Dir sagen wer Ich bin. Menes ein bürger.
Du weisst im volke lag des aufruhrs same
Doch blieb es lange zeit nichts als ein same
Es fehlte jemand frei von jedem band
Der mit der kraft der sprache die verstreuten
Erprobte mahnte reizte und vereinte
Der für Ein ding sich ganz zum opfer brächte ..
In langen nächten hab ich nachgesonnen
Wie ich mich rächen könnte · mich und alle.
Als knabe fühlt ich schon die schlimme herrschaft
Sie trieben uns von haus und hof hinweg
Ich aber schlug den einen unsrer schergen
Und floh mit knapper not vor haft und tod ...
Und immer klarer ward es meinem sinn
Dass ich berufen wäre zum erretter.
[19] Was ich gelitten und gewirkt durch jahre
Kann ich nicht · kann kein mund so schnell erzählen
Doch am erfolge konntest du erkennen
Welch eine kraft das ringen aufgenommen.
MANUEL
Ich wusste · nichts geringes war geplant
Drum kam ich grosses unglück zu verhindern.
MENES
Da kamst du · ja · ich hatte dich vorher
Schon manchmal in der Unterstadt gesehn
Wo hilf und trost verbreitend du dich nahtest.
Es griff mich eine heilige bewundrung
Vor dir (wer du auch mochtest sein) ich dachte
Der müsste einer von den Unsren werden.
Oft bin ich deinen pfaden nachgegangen
Dich anzureden und dich zu gewinnen
Doch es gelang mir nie.
Als mit gezücktem schwert ich auf dich zulief
In der Verschwornen rat · erkannt ich dich
Und plötzlich fiel ein licht in meine seele:
Ich merkte dass ein grösserer als ich
Erstanden war im wechsel der geschicke.
Gebrochnen herzens leistet ich verzicht
[20] Und als die menge zögernd rings mich ansah
Da riet ich abzustehn von meiner tat
Und auf dein wort zu baun.
MANUEL
Damals hast du mit staunen mich erfüllt.
MENES
Nun komm ich als dein diener oder helfer
Mich anzubieten.
MANUEL
Menes sei mein freund!
Im schweren amte das mir auferlegt ist
– Das ich vom himmel hab – bedarf ich dein
Die zeit wird festre bande um uns schlingen ..
Du ältrer hast schon einmal überwunden
Indes ich in des kampfes anfang bin.
MENES
Mein freund!
MANUEL
Auf diesem weg triffst du mich oft.
Viertes Bild
[21] VIERTES BILD

Leila von der quelle kommend. Timon wird im hintergrund sichtbar.


LEILA
– – – Eben kommt er!
Fast fahre ich zurück vor seinem anblick.
Und heftger schlag ist mir sein händedruck.
Sie geht ihm entgegen.
TIMON
(sie umarmend)
Du hast geweint – ich seh es wol mein kind –
Dass ich so lange weggeblieben bin.
LEILA
Mein vater!
TIMON
Und wie vertriebst du dir die zeit?
[22] LEILA
Ich strickte an dem netze dort am brunnen.
Und so verging die zeit.
TIMON
Und heute hast du nicht umsonst gewartet ·
Ich komme nicht mit leerer hand zurück.
Du sollst ein wunder sehn.

LEILA
(bebend)
Doch willst du nicht zuerst ins haus?
Du bist gewiss ermüdet.
TIMON
Nein · sieh zuerst!
Sieh was ich aus der stadt für dich gebracht.
Du wünschtest einen ring und eine kette
Wie von den reichen sie getragen werden.
Ich wollte zwar nicht gerne sehen dass
An solchen eitlen dingen du dich freutest –
(er zieht ring und kette hervor.)
Hier hast du beides. Wie es glänzt!
Der goldschmied sah mit grossem aug mich an
[23] Als ich der arme unscheinliche mann
So kostbares geräte kaufen wollte.
Doch für mein liebes kind ist nichts zu kostbar.

Sie nimmt das geschmeide in die hand · betrachtet es und gibt es überwältigt zurück.
LEILA
Nimm hier dein geschenk zurück ..
Denn ich verdien es nicht.
TIMON
Was ist geschehen · Leila?
LEILA
Ich kann nicht länger heucheln · vater.
Ich muss dir endlich alles eingestehn.
Du wirst verzeihen.
TIMON
Rede schnell · was ist?
LEILA
Wenn ich dir sagte dass ich stets dich liebte
Und mehr noch als vor jahren · war das wahr.
[24] Doch wenn ich sagte: dich allein · mein vater ·
So war das nicht wahr.
TIMON
Was · unglückselige!
(sie am arm fassend)
LEILA
(sich niederwerfend)
Verzeihung vater! aus der hauptstadt kam
Ein jüngling an dem brunnen einst vorbei ·
Er war so freundlich und so schön und herrlich
Dass ich ihn lieben musste –
(Timon macht eine heftige bewegung.)

Wir trafen uns zuweilen an der quelle ·
Er sagte immer mir dass er mich liebte ..

TIMON
(wild)
Was weiter?
LEILA
Beim abschied küsste er mich auf die stirn.
[25] TIMON
Verbirg mir nichts von deiner schande · weiter!
LEILA
O nichts · mein vater.

TIMON
(drohend)
Du lügst –
LEILA
Ich schwöre dir bei meiner seligkeit.
TIMON
O Gott · so hart hast du mich strafen müssen!
Ich glaubte sie so engelrein und fromm
Indessen sie mich schmählich hinterging.
Von ihres buhlen frischen küssen triefend
Kam sie an ihres armen vaters brust
Und schmeichelte und schwazte!
O fluch dir · falsches kind!
Geh denn zu deinem buhlen
Anstatt dem alten vater zu gefallen
Der alles dir geopfert. Fluch dir!

[26] Er geht der hütte zu. Leila streckt flehend die hände nach ihm. Er weist sie barsch ab. Sie sinkt laut weinend zusammen. Timon sieht sich einigemal unentschlossen nach ihr um und tritt dann rasch in die hütte.

Nach einiger zeit kommt er heraus · geht auf sie zu und sagt in ruhigem ganz verändertem ton.


TIMON
Leila!
Du kannst nicht diese nacht im freien bleiben.
Komm mit!

LEILA
(sich aufraffend)
O mein vater!

TIMON
(fast schreiend)
Aber sprich kein wort.
Sonst bleibst du vor der schwelle
Und kannst dich mit den tieren schlafen legen.

Sie steht bebend da · er fasst sie bei der hand und nimmt sie mit sich.
Fünftes Bild
[27] FÜNFTES BILD
Szene bei Timons hütte. Manuel.

MANUEL
Trost soll ich spenden
Und bin doch selber der verzweiflung nah ..
(zur hütte)
Timon Timon. Er ist nicht da
Vielleicht hat angst ihm sinnloses befohlen
Und ich bin hier und rühre keine hand ·
Des vaters armen seh ich sie entrissen
Sie die nichts ahnt · sich keiner schuld bewusst ist
Wird fortgeschleppt – o wie sie klagt · ich seh sie –
In das verlies · das schöne haupt geneigt
Umgeben rings von heuchelnden gesichtern
Die ränkevolle worte auf sie atmen.
Nur der gedanke dass ich bald erscheine
Behütet sie vor der verzweiflung.

Menes tritt auf
MENES
Hier endlich find ich dich.
[28] MANUEL
O Menes du musst hilfe wissen.
MENES
Was ist geschehn? ich suche dich schon lang.
MANUEL
Ruchlose späher haben uns belauscht
Sie haben die geliebte mir entrissen
Mein vater gab befehl in einem kloster
Gefangen sie zu setzen · und kein rat ..
MENES
O prinz wie sehr erregt dich
Die sorge einer reizevollen liebe
Im augenblicke da du sinnen sollst
Auf die erfüllung dessen was du schwurest.
MANUEL
Du weisst nicht was ich dieser liebe danke
Wie sie zuerst zum handeln mich erweckte
Und kräfte mir verlieh in allen stürmen
Ja anteil hat an meinem besten leben ..
Wenn ihr durch meine schuld ein leid geschieht
[29] Was alle guten geister hindern mögen
So ist es auch mit meiner tat vorbei.
MENES
Was aber soll geschehn? was kannst du hoffen?
MANUEL
Ich muss aus ihrem kerker sie befrein
Ich muss sie ihrem vater wieder geben
Ich muss sie unter sicherm schutze wissen
Und wenn das schicksal trennung uns befiehlt
Muss ich noch einmal mit ihr rede tauschen ·
Wenn ich sie sehe werd ich sie bewahren.
MENES
So geh zum vater .. für die eine gnade –
MANUEL
O schweig von ihm · ich tat was du geheissen.
MENES
Und konntest du nicht heimlich botschaft senden?
MANUEL
Mit dichten wachen liess man sie umgeben
[30] Und botschaft ach sie könnte vielmehr dienen ...
MENES
So bleibt nur eines: die gewalt.
In wenig tagen wird es mir gelingen
In stadt und land die freunde zu versammeln
Sie alle kennen Menes namen noch
Ich blieb mit allen stets in engem bund
In hellen haufen werden wir erscheinen
Und mit den waffen die Gefangne holen ..
MANUEL
Du redest von unmöglichem.
MENES
Die stadtbevölkerung wird zu dir stossen
Wenn selber an der spitze du dich zeigst.
Zudem ist jezt der grösste teil des heers
Weit auf dem marsche nach der Persergrenze ..
Du brauchst nicht vom verzichte mehr zu reden
Nicht angstvoll mehr zu harren braucht das volk
Auf des erretters nahn.
MANUEL
Das kann nie sein ..
[31] Wol mag mir alles wie du sagst gelingen
Ich töte zwinge und ich herrsche dann –
Wo aber Menes bleibt das friedensreich
Das dauernd nur den frieden sichern kann ...
MENES
Du dachtest wol in deinen frühen träumen
An solch ein reich · du warst rechtmässiger herr
In dessen händen jedes ding sich fügt ..
Nun packt die wirklichkeit mit rauhem finger.
Sieh ihr ins auge ..
MANUEL
Träume – wirklichkeit ..
Wenn mir die innre stimme trog · nichts bleibt ·
So bricht der ganze stolze bau zusammen ..
MENES
Im ersten augenblick nur ist es furchtbar
Wenn man sich trennen muss von einem glauben
Den man als kostbarsten besitz gehegt.
Doch kommt gelegenheit wo sein befolgen
Uns unheil bringt und keinen nutzen stiftet
So bleibt dem klugen keine wahl.
[32] Ich gehe .. kämpf! dein kampf wird bald zu end sein!
ab
MANUEL
Der vater stösst mich weg – der freund verlässt mich
Dass ich mir treu bin soll nur torheit sein ..
Ich stehe wie auf einem felsenriff
Von allen seiten brüllen wild die wogen
Sie schlagen über mich verschlingen mich!
Wohin verlor ich mich?..
Nein dass ich treu bin kann nicht torheit sein
Und unheil kann nicht aus der weigrung kommen
So wenig wie aus weizensamen giftkraut.
Die guten geister werden sie beschützen
Und böser menschen pläne nichtig machen
Das schicksal muss den knoten glimpflich lösen
Es muss ein wunder wirken ..
Die liebe haucht mir neue stärke ein
Im augenblick wo mich zerschmettern will
Der druck des alls dem ich entgegenwirkte.
Sechstes Bild
[33] SECHSTES BILD
Palast. Der König · der Oberste der Wache.

OBERSTER
Du hast befohlen dir sofort zu melden
Was im Helenenkloster sich begibt
Die uns zur hut gegebene gefangne
Hat eben in der zelle sich getötet.
KÖNIG
Wie konnte dies geschehn?
OBERSTER
Mit einem messer schnitt sie sich die adern
Eh man zur hilfe kam ist sie verblutet ..
Sie war unbändig bis zum lezten tag
Sie sprach im wahn von rettung · vom geliebten ·
Kein wort der nonnen brachte sie zu ruh
Und heute stellte sie sich sanft · man brachte
Ein mahl · sie schien sich kindlich dran zu freuen
Und dann vollbrachte sie die tat.
Das ganze kloster war in aufruhr. Gleich
[34] Rief mich die oberin zu sich streng erklärend
Dass unter ihrem dach die sünderin
Zur bessrung sie wol unterbringen dürfe
Doch dass des ortes heiligkeit verlezt sei
Wenn er der selbermörderin leiche berge.
So brachten wir sie zum palast
In einem seitenturm wird sie bewacht
Wir harren deiner weiteren befehle ..
KÖNIG
Ich werde mit Sophron mich beraten.
OBERSTER
Darf nach der kunde die dir schmerzlich scheint
Dein diener eine bitte wagen?
KÖNIG
Sprich.
OBERSTER
Als wir die leiche aus dem kloster brachten
War es unmöglich zu verhindern dass
Ein alter mann der in der nähe sass
Seit tagen nicht vom platz gewichen war
[35] Uns weinend folgte · sich zur bahre drängend
Rief er man trage dort sein kind.
KÖNIG
Sie hatte ihren vater noch?
OBERSTER
So scheint es Herr
Und er beschwor mich seines kindes leiche
Ihm zu gewähren. Sein gejammer hätte
Verwirrung schaffen können · so versprach ich
Wenn schweigend unsrem weg er folgen wolle
Des Königs gnade anzuflehn.
KÖNIG
Es schmerzt uns
Dass wir dem armen seine tochter raubten
Doch was zu seinem trost jezt kann geschehn
Das soll nicht unterbleiben.
Bahrt ihm die leiche auf und gebt ihm wachen
Die sie zu seinem hause tragen mögen
Dann lasst den alten mann in seinem leid.

Oberster ab. Minister tritt ein.
[36] MINISTER
Der prinz erhielt die kunde von dem tod
Des mädchens .. er ist fortgestürzt
Wie ich vermute nach des Alten hütte.
KÖNIG
Der eignen stimme möcht ich diesmal folgen
Ich will nach meinem sohne suchen gehn
Kein einwand! sorg für treue fackelträger
Sieh dass wir bald den platz erreichen.
Siebentes Bild
SIEBENTES BILD
Im vordergrund Manuel tot neben der bahre Leilas. Timon schichtet eifrig holz um die hütte. Menes.

MENES

(allein nach pause)

Tot · tot – und ungerächt sollst du hier liegen
Du selbst hast mir die rache ja verboten
Du Reiner Heiliger ...
Mit mord und mit gewalt soll ich nicht streiten
[37] Doch einen sturmwind gibts der besser noch
Die lügner und bedrücker niederwirft.
Mir schwebt ein riesengrosses kampfwerk vor
Mit neuem geist will ich das volk durchsäuern
Ich will erleuchten locken und bezaubern
Und alle falschen schädlichen gewalten
Zerfallen wie die staubgewordnen knochen
Sobald sie frische luft berührt.
Du teurer toter · nicht erstarb dein geist
Du hast im leben ihn in mich gehaucht ..
Ich muss hinweg dass ich vor diesem anblick
Nicht überwältigt werde und verzweifle.
Am besten zeig ich meine ehrerbietung
Und meine liebe für den hohen freund
Indem ich treulich seine erbschaft wahre.
Leztes Bild
LEZTES BILD

Der König · sein Minister · von wachen und fackelträgern begleitet im vordergrund.


ERSTER TRÄGER
Da liegt die leiche.
[38] ZWEITER TRÄGER
Zwei leichen! der prinz · o himmel!
ERSTER TRÄGER
Er hat mit einem dolch sich selbst getötet.
KÖNIG
Ihr seid geblendet. Kann das möglich sein!
Und doch da liegt er mit dem dolch im herzen
An der Geliebten bahre.
(niederknieend und nach kurzer pause sich erhebend)
Was hier geschehen ist war Gottes wille.
Wir müssen uns den heilgen ratschlüssen
So wunderbar sie auch den menschen scheinen
Demütig unterwerfen.
(zu den trägern)
Legt beide leichen auf die bahre.

Die träger tun es. Timon ist inzwischen aus der hütte gekommen in der allmählich flammen sichtbar werden.


TIMON
Die eine leiche ist nicht dir.

Er kommt heran · ergreift · seine tochter und zerrt sie an sich. Die träger wollen auf ihn eindringen. Der könig macht [39] ein zeichen ihn gewähren zu lassen. Der minister will Timon einen beutel mit gold aufdrängen den jener zur erde wirft.


TIMON
Damit kann ich mein kind nicht auferwecken.

TRÄGER
(auf Timon eindringend)
Du stehst vor –
KÖNIG
Schweig und lasst ihn.

TIMON
(zum könig)
Ich weiss nicht wer ihr seid. Nur sagt mir · Herr ·
Was hab ich euch getan · was tat mein kind
Dass ihr sie rauben und sie töten liesset!
Wenn jemand je von ihr beleidigt wurde
So war nur ichs und ich verzieh ihr ja.
(weint und sagt lachend)
Doch seid ihr billig wenigstens gewesen:
Ihr habt mein eignes liebes kind gemordet
Ihr machtets nicht viel besser mit dem euren.

[40] Er geht mit der leiche mühsam zur hütte. Der könig scheint in heftigem kampf begriffen ob er bewältigt sich an der bahre niederwerfen soll. Der minister ganz nahe an den könig tretend · zuversichtlich.

MINISTER
Dich trifft nicht die geringste schuld · mein könig.
Komm lass uns gehen · trauern später wir!
Es war so Gottes wille.

KÖNIG
(ergreift des ministers hand und gibt den trägern entschlossen ein zeichen die bahre aufzuheben)
Ja du hast recht · es war so Gottes wille!

König mit gefolge ab. Die hütte steht in hellen flammen.

Dritte Stufe

Das Feld vor Timons Haus
DAS FELD VOR TIMONS HAUS

Manuel – Leila.


LEILA

(blumen pflückend)

Was folgest du mir auf meinem blumengange?
Du hebst nicht die hände und scheinst doch ein bittender.

MANUEL
Ich möchte nur dies: mit dir zusammen blumen lesen.
LEILA
Wie das silber der birken und der gesang in ihren zweigen
So gehört auch die weite wiese dir und mir.

(sie pflücken zusammen blumen)

LEILA
Liebst du die glänzenden sterne zu betrachten
Und die wechselnden bilder der wolken zu verfolgen?
MANUEL
Ja und liebst du den schimmernden gewässern nachzublicken
Und liebst du das schauern in den nächtigen wäldern?
[44] LEILA
Was kommst du mir so nah und brichst mir meine blumen?
MANUEL
Damit ich deine hände sehe die weisser als die lilien sind.

LEILA
(sieht ihn fest an · sie pflücken weiter)
MANUEL
Willst du nicht meinen strauss zu dem deinen nehmen?
LEILA
Ich nehme ihn. Doch darfst du nicht so viele knospen mitbrechen.

(stimme Timons)

LEILA
Der vater ruft – ich muss zurück in die hütte.
MANUEL
Und du wirst mir nicht verbieten wiederzukommen?
LEILA
Ich sagte dir schon dass die wiese uns beiden gehört.
[45] MANUEL
Wenn du so sagst werd ich wol nicht wiederkommen.
LEILA
So sag ich es wäre mir schmerz wenn du nicht wiederkämest.
(sie flüchtet mit ihren blumen)
Am Brunnen
AM BRUNNEN

Manuel – Leila


LEILA

(mit einem kruge kommend)

Warum lächelst du heute nicht froh da ich erscheine?


MANUEL
Ich leide noch von der angst dass du ausbleiben könntest.
LEILA
Ich bin zum drittenmal gekommen und weiss nicht ob ich darf.
MANUEL
Es verfloss keine stunde wo ich nicht bei dir lebte
[46] Ich rufe nach dir in nächten die ich ohne schlaf verbringe.
LEILA
Ich hörte häufig deine stimme deutlich hier an der quelle.
MANUEL
Und zum monde sah ich denkend dass du auch hinsähest.
LEILA
Ich fühlte es an der plötzlichen wärme seiner strahlen.
MANUEL
So kurze nähe und so lange trennung trag ich nicht mehr.
Höre Leila! drüben in weiten gärten liegt mein haus.
Was sagtest du wenn wir dort im morgen der blumen warteten
Im abend den vögeln lauschten unter dunklen lauben
Und wenn wir uns niemals verliessen für alle tage –

(sie schlingen ihre finger ineinander und heben sie bis zur schulterhöhe · dann reisst sich Leila los)

LEILA
Du musst jezt schweigen und mich verlassen
Denn meine seele ist ganz in zittern.
(Manuel steht traurig da · Leila geht mit ihrem krug zur hütte)
*
[47] Der Vater – Leila.
VATER
Warum richtest du dein auge nicht auf die purpurne sonne?
LEILA
Ich sehe die purpurne sonne auch mit geschlossenem auge.
VATER
Willst du nicht einige schritte mit mir wandeln eh sie untergeht?
LEILA
Ich bin den ganzen tag unter bäumen und durch blumen gewandelt.
VATER
Ich glaube dass du deine jungen tauben noch nicht gefüttert hast.
LEILA
Meine jungen tauben werden ihr futter finden auch ohne mich.
VATER
Warum bringst du mir keine blumen mehr wie früher?
[48] LEILA
Es trocknen noch einige sträusse an unsrem fenster.
VATER
Deine worte kommen mir zögernd und müde vor.

LEILA
(sieht auf und schweigt)
VATER
Als ich dich heut morgen rief sahest du mich so starr an.

LEILA
(schweigt)
VATER
(traurig)
Ich ahne dass deine liebe zu mir verloren geht.

LEILA
(auf ihn zueilend)
Vater du züchtigst mich und ich weiss nicht warum.

VATER
(abweisend)
Bleib und füge zu deinem undank keine lüge ·
[49] Ich merke dass du dich von mir trennen willst.
Ein rotes mal ist auf deine stirn gezeichnet.
Ich werde bald aufhören dich meine tochter zu nennen.

(geht in die hütte)

LEILA
Was ist vorgefallen in jenen kurzen tagen:
Ich sah zwei augen und war plötzlich wie geblendet
Blumen quellen und himmel kamen mir anders vor.
Ich spürte zwei lippen und ich lebe seitdem
In einem wunderbaren und süssen reiche.
So oft ich die lider schliesse spüre ich sie wieder.
Deshalb kann mein vater doch nicht erzürnt sein.
(hinknieend und die arme emporhebend)
Ich fühle mich rein wie die kinder im himmel droben.
*
Der Vater – Leila
VATER
Weit weg suchen deine augen nach einem glücke
Höre: wenn die stimme meiner liebe dich nicht mehr hält
So erinnre dich dass wir hohe flüchtlinge sind
[50] Und immer leben müssen nach den gesetzen unsrer krone.
LEILA
Vater ich bin mir keines dings bewusst wovor ich erröten müsste.
VATER
Uns ist verboten mit jedem niedren uns zu verbinden.
LEILA
Und wenn kein niedrer sondern der sohn eines königs käme?
VATER
Dann verbietet dir unser elend zu ihm aufzuschauen.
So leben wir der verbannten herrscher los
Nirgends auf der erde können sie sich mehr verknüpfen
Ihre freude muss es sein dass sie stolz ertragen.
Wenn meine zärtliche sorge dich nicht mehr lenken kann
So wird das heilige blut in deinen adern dir sagen:
Du vergehst dich wenn du einen fremden auch nur anlächelst ..
(ab)
LEILA
(allein)
Der vater spricht mir von unrecht dass ich ein altes band zerrissen
[51] Doch auch das neue zu zerreissen liegt nicht in meiner macht ..
Ich fühlte mich nie als verbannte hier unter meinen blumen
Von einer andren heimat hab ich kaum geträumt ..
Ich bin gewiss wenn ich Ihn nicht mehr sehen soll
Werd ich welken wie eine blume die man aus dem boden zog
Und wenn ich Seiner liebe verlustig gehe
So will ich nichts mehr als heilig und hoch erkennen ...
Ich habe nur Ein leben · das mit ihm und für ihn.

*

Leila (tot) · Vater (vor ihr knieend). Langsam kommt ein zug von weissgekleideten Jünglingen mit goldenen stäben und palmzweigen.

DIE JÜNGLINGE
Heil Timon · Heil dir König Timon!
So jauchzt in deinem land dein volk
Bald ruft es dich zurück!
[52]

DIE HERRIN BETET

EINE SAGE IM SINN DER ALTKÖLNISCHEN MEISTER
DEM BURGHERRN AUF RHEINSTEIN EHRERBIETIGST GEWIDMET

[53]

Bei einer aufführung dieser dichtung in der weise Lebender Bilder dient der beschreibende teil zur errichtung der bühne und stellung der gruppen während der wörtlich angeführte den gestalten in den mund gelegt oder in leidenschaftlos getragener sprache im hintergrund hergesagt wird.


Es treten auf:


die Herrin
Der mit dem Falken
Der mit dem Greifen (nur als erscheinung)
ein Priester
ein Bote
Mägde

Die bühne bleibt unverändert und wird nach dem fünften abschnitt kurze zeit verhüllt.

[54]
Ihr finger frei von allen edelsteinen
Umfängt die perlen der geweihten schnur
Und sieht nur halb aus feh-verbrämtem ärmel
Des kleides dessen straffe schwarze falten
Sie ganz umhüllen vor dem frommen pult.
Die Herrin betet.
Schiefe strahlen fallen
Herab auf sie aus spitzem bogenfenster.
In seinen rauten die marie schwebt
In grün und purpur · gelben schein ums haar
In leuchtend vollen farben andrer welten.
Im hofe drunten geht ein waffentosen
Durch vieler mannen heiliges verstummen.
Im gange schleichen mägde auf den zehen:
[55] ›Die Beiden die die Herrin eifrig ehrten –
Ihr gatte war als er im forste jagte
Von fremdem arme hinterrücks erschlagen –
Sieh in den schranken gegenüber treten
Dass einer sich der schweren klage löse
Und der Erkämpften höchste huld ihm sei.‹
Und zwischen den gebeten lispelt ihr
Der mit dem Falken:
›Seht mich ständig heiter ·
Bei frohen brüdern ist mein lieber ort ·
Sie missen jeden gerne nur nicht mich.
Der wächter · senkt er mir die brücke · sagt
Dass jezt die trübnis aus den mauern reite ·
Des dorfes töchter küssen meine rede
Und innig lauschen frauen meiner laute.
Wer sah mich einsam auf verrufnen wegen
Mit jenem blick wovor den kindern bangt?‹
Der mit dem Greifen:
›Denkt an meine sitte ·
Und meine zierde – meine narben – zeuge!
Vor königs wahl schon nahm ich meine sporen
Vergoss mit ihm mein blut im wälschen land.
[56] Dem heile der bedrängten galt mein arm.
Die ehre nennt das volk mit meinem namen.
Vor meiner lanze fürchten sich die mohren.
Ich stand am berg wo unser heiland hing.‹
Ein lauter schlag · ein halt · ein volles schweigen
Dann jubelrufen und ein dumpfes murren.
Die beterin noch lauschend hat sich bebend
Emporgerichtet · beugt sich einmal noch
Die perle küssend mit dem teuren splitter ·
Sie eilt hinaus dass sie den sieger grüsse
Der schon im gange dröhnt.
Ihr auge glänzt
Und ihre hand die sie mit gnade bietet
(Soweit es ihr in witwentrauer zieme)
Verspricht dass Gottes wahl die ihr genehme:
Der junge ritter sinkt vor ihr ins knie.

*

›Da kaum des festes lezter ton verschallt
Und unsrer freude zeugen sich verstreut
Bleibt mein gemahl auf rauhen zügen fern
Und hat zurückgekehrt nur böse rede.
Ich spinne einsam bei dem herde oder
[57] Ich schaue von dem söller in den strom
Und denke meinen neuen kummer weinend
Der harten prüfungen der tiefen schmerzen
Die sich in meine schönen jahre stahlen.
Ich habe · Frommer Vater · lang gerungen
Dem los mich fügend deinen rat befolgend ·
Vor vielen gnadenbildern brennt das wachs
Von meinen schreinen flossen reiche gaben
Und bei den kranken trat ich furchtlos ein.
Doch seit ich einmal ihn im zorn gehört
Ward meine drangsal zur verzweiflung reif
Und durch die schauer meiner leeren nächte
Verfolgt mich ein entsetzlicher gedanke ..‹
›O tochter reize nicht den höchsten richter
Er irrt so wenig wie der lauf der sterne ..
Nun hat dich wahres unglück heimgesucht:
In deinem busen thront der widersacher
Mit seiner schar. Du musst ihn von dir treiben
Wie heftig er auch tobe · durch die zucht
Des fleisches das sich bäumt und durch vermittlung
Der Heiligen die dir zum schutz gegeben.‹
[58] Ein Bote sprengt den steg hinan:
›Mir ist
Die kundschaft des gebieters an die gattin
Dass ihn des grossen mönches wort erleuchtet
Im felde vor der stadt der sieben brücken
Und tief gerührt er ohne den verzug
Des abschieds nur zu dulden auf der schulter
Das rote kreuz nach Christi grabe fahre.‹
Der bote ist im hof vom ross gesprungen ·
Er sucht in gängen und gemächern · merkt
Die angelehnte pforte der kapelle ·
Er öffnet · zögert etwas · legt sie wieder
Behutsam bei und mit dem deutefinger
Verschliesst er sich den mund:
›Die Herrin betet.‹
[59][61]

DIE AUFNAHME IN DEN ORDEN

EIN WEIHESPIEL

[61]
PERSONEN

DER GROSSMEISTER
CHRYSOSTOMUS
HERMOGENES
DONATUS
CHOR DER BRÜDER
DER JÜNGLING

Klosterchor · am altar der Grossmeister · vor ihm der um aufnahme bittende jüngling · in den stühlen zu beiden seiten alle brüder.

[62]
CHOR
Würdigste gilde
Und herrlichster rat!
Traumesgebilde
Hier wurden sie tat.
Schaffend hienieden
Das oberste licht
Wandel in frieden
Ist einzige pflicht.
GROSSMEISTER
Der du uns suchst weisst du von unserem satze?
Wir lösten von uns sterblich weh und heil
Hier bist du nicht dir selbst hier ist dein teil:
Im kreise fühlen wirken nach dem platze.
Hier ist verbannt wer eigensüchtig wolle –
Wir folgen fromm der jahreszeiten zug
Nach sens und sichel führen wir den pflug
Bis wir uns ganz vereinen mit der scholle.
Doch kennen wir kein schreiten trüb und träge:
Den völkern ungeahnt ist hier in hut
Die vor der allerstarrung wahrt: die glut –
Kein wächter der vor ihr sein blut erwäge!
[63] DER JÜNGLING
Der von den dunklen mächten fast verwirrte
Dankt dem gebote das genesung bringt.
Zu welchem joch ihr seinen nacken zwingt:
Um eure ruhe bittet der verirrte.
CHOR
Dies ist beginn:
Ob leidesvertrauter –
Körper und sinn
Seien noch lauter!
GROSSMEISTER
Mir scheint zu früh warst du vom weg getrieben.
DER JÜNGLING
Im vierten der entscheidenden jahrsieben.
GROSSMEISTER
Weisst du was uns für duldung und genuss
Erloschen sein und was noch glühen muss?
DER JÜNGLING
Hört meinen ernst aus meiner stimme klingen
Und seht mich nackt vor euch die hände ringen!
[64] CHOR
Wenngleich er noch jung
Ist edel der schwung
Des leibs wie des wortes
Würdig des ortes.
GROSSMEISTER
›Der erdengüter will ich mich entschlagen‹
Der schmerzgeprüft verdiente darfs nur sagen
Den der verzicht nicht reut. Doch was vermocht
Dass du vor abend an dies tor gepocht?
DER JÜNGLING
Ein weib hat sich zum unheil mich geboren
Ein weib war meines frühen unheils schuld.
Wie alles kam – nicht füll es eure ohren!
Das immergleiche! doch dies hört mit huld:
Nachdem die erste wilde qual gebrochen
Ich mit des werks genossen mich vermischt:
Wusst ich: unheilbar war mein herz durchstochen
Ein jedes wort hat brennend drin gezischt.
Ich harrte monde wandernd bis zum meere
Doch durch die menschen schlich ich wie ein dieb
Mir war ihr leid und lust und tat nur leere ..
Dann starb die liebe und die wunde blieb.
[65] So wandl ich hin umringt von totenträumen
Und zu bekennen mach ich keinen hehl
Mich lockt es wo die dunklen wasser schäumen
O sendet mir den rettenden befehl!
Wol kann ich dienen nur mit kargem scherfe
Doch glaubt: die grösste not lenkt meinen lauf –
Nur wenn mich euer urteil nicht verwerfe
Geht mir ein weg zu fernerem leben auf.
CHOR
Kein sonderer fug –
Doch wie er ertrug
Sei ihm zum lobe
Lass ihn zur probe!
GROSSMEISTER
So will das erste recht: dass du aus diesen
Den bruder suchst der ahnend für dich zeuge
Nun forsche schau und frage wer sich beuge!
Nur wenn du dreimal fehlst bist du verwiesen.
DER JÜNGLING
Wer soll die wahrheit über mich verhängen
Als der allüberscheinend milde strahl
Dem die lebendigen sich entgegendrängen ...
[66] CHOR
Unhebbare hülle
Unlenkbar geschick!
Tief schauert der blick
Wie sichs erfülle.

DER JÜNGLING
(zu Chrysostomus)
Wirst du mich führen zum erlesenen mahl?
CHRYSOSTOMUS
Gebrochen ganz und müd der eitelkeiten
Von elend wahn und druck und schmach erfasst
An all dem duldend – kamst du so aus weiten?
Mir dünkt zu leicht gewönnest du die rast.
CHOR
Chrysostomus hat sich von ihm gewandt
Er findet nicht den bruder
Fern bleibt er unsrem bund.
DER JÜNGLING
Zu wem mich also richten als zur kraft
Der alldurchdringenden uns eignen leuchte
Die denkt was ist und selbst den schöpfer schafft?
[67] CHOR
Unhebbare hülle
Unlenkbar geschick!
Tief schauert der blick
Wie sichs erfülle.

DER JÜNGLING
(zu Hermogenes)
So findet vor dir gnade der gescheuchte?
HERMOGENES
Was vorbereitet zu dem siedlertume
Ist die bezwingende die tiefste angst
Die uns zu lernen heischt mit blatt und blume
Zum tod zu gehn. Sieh wie du die erlangst!
CHOR
Hermogenes hat sich von ihm gewandt
Er findet nicht den bruder
Fern bleibt er unsrem bund.
DER JÜNGLING
Zu boden werf ich mich fragend was mir noch bliebe ..
So wend ich mich um die erfüllung mit stärkstem flehn
Noch einmal zu dir empor du unendliche liebe!
[68] CHOR
Unhebbare hülle
Unlenkbar geschick!
Tief schauert der blick
Wie sichs erfülle.

DER JÜNGLING
(zu Donatus)
Du jüngster der brüder begreifst du was mir geschehn?
DONATUS
Nicht weiss ich: mein los war es leichter war es gequälter.
Doch – glaubt unser haupt dass in heiligen händen es wohne
Und wird dann zurückgestossen mit blutigem hohne
So fühl ich die äussersten peinen wie du – mein erwählter!
CHOR
Donatus hat sich über ihn geneigt
Nun fand er seinen bruder
Heil ihm in unsrem bund!
CHRYSOSTOMUS UND HERMOGENES
Da sich Donatus deiner angenommen
Bist du auch uns gesegnet und willkommen.
[69] DER GROSSMEISTER
Tritt her und halte seine hand! die weihe
Ist nun vollendet. Bleib in unsrer reihe!
Und dieser leite dich zu werk und mühe
Und zu dem glück das wie dein sehnen blühe.
CHOR
Kein stern und kein jahr
Vernichtet den geist
Allmächtig so wahr
Er noch wundert und preist.
Der kreis ist der hort
Der trieb allen tuns
Ein hehres wort
Verewigt uns!

ENDE
[70]

BROWNING
DER FLECK AUF DEM SCHILD (AKT: III SC: II)

MILDRED
Thorold' wars nicht zu rasch getan?
Dies blut vergiessen das von jugend hoffen
Und liebe für mich glühte – die du auch
Geliebt und hier doch auf ihn warten liessest
Indes du ihn erschlugst – o zweifellos
Du liesst sein arm beklommen knabenwort
Ihn sagen · sein arm bestes tun · dass er dich
[72]
Entwaffne und mich rette · liessest ihn
Von unsrer lieb und unkenntnis erzählen
Dem kurzen wahnsinn und der langen reue ·
Vorbringen liessest du ihn all dies: euer
Gesetz will dass man anhört eh man trifft ·
Jedoch am end als er nach leben aufsah
In dein gesicht schlugst du ihn nieder ..
THOROLD
Nein ·
Hätt ich ihn nur gehört · ihn sprechen lassen
Die halbe wahrheit · nur ihn recht beschaut
Ich hätte ihm verziehn .. als er da lag
Den mond auf der erglühten wange las ich
Die ganze mär · noch eh er sprach · und sah
Durch trübe fluten sein- und deiner sünde
In tiefen unbewegter reinigkeit ..
Hätt ich geschaut nur wo's am wirrsten schien
Mir wär die innre klarheit durchgeschimmert –
Ich sah vorbei .. nun trifft mich meine strafe.
Dies ist die wahrheit · Mildred · und du sag:
Du fluchst mir?

ÜBERTRAGUNGEN

[71]

[73] AUS DER ROMANZE DES ABENAMAR

Wenn du es wolltest · Granada
So würd ich mit dir mich vermählen
Als nadelgeld würd ich geben
Cordoba dir und Sevilla ...
Vermählt bin ich · König Johann
Vermählt bin ich · keine witwe
Der Maure dem ich gehöre
Gar hoch hält der mich in ehren.

[74] JUAN DE LA CRUZ

In einer dunklen nacht
Voll liebesflammen und voll bangem beben
O glückliches geschick
Enteilt ich unbewacht
Da schon mein haus zur ruhe sich begeben.
Im dunkel sicher schritt
Ich die geheime treppe in verkleidung
O glückliches geschick
Im dunkel und verhüllt
Da schon mein haus zur ruhe sich begeben.
[75]
In der beglückten nacht
Geheim wo keiner mich erkannte
Noch ich ein ding erspäht ·
Kein leiter und kein licht ·
Nur das was innen mir im herzen brannte.
Dorthin entführt' es mich
So sicher wie durch mittagliche helle
Dorthin wo er mein harrte
Den ich am orte wusste
Wo niemand anders konnte sein.
O nacht die du mich führtest
O nacht mir holder als die morgenröte
O nacht die du vereintest
Den freund mit der geliebten
Den freund in die geliebte eingegangen.
An meiner blumigen brust
Die ich für ihn allein mir rein bewahrte
Da blieb er schlummernd liegen
Und ich liebkoste ihn
Indem der zedernfächer kühlung wehte.
[76]
Als schon der dämmerung luft
In seinen haaren spielte
Fasste er mich am hals
Mit der erlauchten hand
Und alle meine sinne standen still.
So blieb ich und vergass mich
Das antlitz zum geliebten neigend ·
Die Welt schwand. Ich versank
Und meine sorgen sanken
Inmitten der lilien begraben.

[77] DANTE
SONNETT AUS DER VITA NUOVA

Ich fühlte wie im herzen mir erwachte
Ein geist der liebe der im schlaf gelegen:
Dann kam aus fernen Amor mir entgegen
So froh dass es ihn fast unkenntlich machte
Er sprach: Nun denk mir ehre zu bereiten
Und lächelte bei jedem seiner worte
Mein Herr blieb etwas stehn an meinem orte
Hinschauend wo er herkam und aus weiten
Sah ich Frau Hanna neben Frau Beate
Mir grad entgegen wandelten die zweie
Die eine und die andre Wunderreiche
Und wenn ich Amors meinung recht errate
Sprach er zu mir: DIE hat den namen Maie
DIE Liebe · so ist sie mit mir das gleiche.

[78] MEUCCIO

Sonnett geh nach Meuccio dich erkunden
Und siehst du ihn sollst du ihn gleich begrüssen
Eil zu ihm hin und wirf dich ihm zu füssen
Dass du von feiner sitte seist erfunden.
Und will er eine weile dich begleiten
Sei noch einmal zu grüssen ihn beflissen
Und darauf lass ihn deine botschaft wissen
Doch mach dass du zuerst ihn ziehst beiseiten
Und sprich: Meuccio! der dich liebhat sendet
Dir hier von seinem köstlichsten geschmeide
Um deinem guten herzen sich zu nahen
Doch lass als erste gabe ihn empfahen
Hier deine bruderschar – mit dem bescheide
Bei ihm zu weilen niemals rückgewendet.
[79][81]

PRINZ INDRA

[83]

DIE HEIMKEHR

Nach den toren von Golkonda
Geht ein buntbewegter zug ·
Aufgeschmückt im festeskleide
Wie zum hoffnungsfrohen streite
Führen ihn des Rajahs krieger
Und wie siegesmelodien
Klingts aus pauken und aus flöten
Aus fanfaren und drommeten.
In der mitte thront erhaben
Überm dichten volksgewühl
Zwischen schützenden trabanten
Auf dem weissen elefanten
Er der herrscher von Golkonda
In dem fürstlichen ornat ·
Eine reihe langer jahre
Bleichte seine lockenhaare
[84]
Und das diadem der väter
Ruht ihm würdig auf dem haupt.
Neben thront zu seiner linken
Hehr ein jüngling: freudig blinken
Seine dunklen träumeraugen
Und in vollem jugendglanz
Glühen ihm die schönen wangen
Und der mund noch unbefangen.
Als der sohn des greisenalters
War prinz Indra ganz allein
Aus dem frohen kreis der sieben
Dem beherrscher nur geblieben.
Heute kehrte er zur heimat
Aus dem heiligen büsserwald
Wo er schon seit frühster jugend
Sich geübt in jeder tugend
An der hand des frommen siedlers
Dem der vater ihn vertraut.
Früh riss ihn die alte sitte
Schon aus des palastes mitte
[85]
Ihn ins niedre haus zu senden
Zu dem weisen heiligen mann ·
Dieser lehrt ihn gutes stiften
Und der Veden alte schriften
Zu verstehn und zu ergründen ·
Macht mit allem ihn vertraut
Was von not war zu erwerben
Für den künftigen throneserben.
In des jünglings hellem sinne
Trug der same reiche frucht.
Der gedanken ruhnde geister
Weckte früh der kluge meister
Und dem prinzen wurden manche
Dinge zeitig offenbar ...
Da ward er zurückgerufen
Zu des höchsten thrones stufen
Von dem Rajah dem allmählich
Lästig ward der krone druck.
Von dem frieden jenes waldes
Des so süssen aufenthaltes
[86]
Von dem teuern lehrer musste
Er sich trennen immerdar.
Schmerzlich traf ihn erst die kunde
Bitter war die abschiedstunde
Wogte ihm auch hoffnungsfreudig
Tatenstolz die junge brust
Die nur glanz und glück und ehren
Sich vom schicksal lässt bescheren.
Von des heiligen waldes grenze
Führt in festlich grossem zug
Selbst der vater und gebieter
Seinen einzigen sprossen wieder
Zu dem heimatlichen hause
Zu dem fürstlichen palast ·
Und das festliche geleite
Auf dem thron an vaters seite
Sollte ehrend ihn erklären
Zu dem künftigen landesherrn.
Freudig blickt er auf die menge
Und das farbige gedränge
[87]
An den vater angelehnet ·
Wie ein frischgepflückter strauss
Bunter blumen anzuschauen
Neben einem gelblich grauen
Reifen ährenbüschel. Glücklich
Blickt der vater auf den sohn
Der so herrlich sich gestaltet
Und der greis die hände faltet.
Lauter mischt des volkes jauchzen
Hörner und drommetenklang
Sich zu Einem jubelchore
Und der zug geht durch die tore.

DER FALL

Eine reihe froher feste
Alle tage neue lust!
In den fürstlichen palästen
Wimmelt es von frohen gästen.
[88]
Glücklich im gewühl der freude
Glücklich in der welt der pracht
Flossen jene zeitenräume
Für den prinzen hin wie träume.
In dem weiten blumengarten
Wandelt abendlich der prinz
In dem hauch der kühlen lüfte
In dem reich der süssen düfte.
In der dunklen rosenlaube
Sank er sinnend auf das moos
Denkt bald an die heutigen freuden
Bald vergangner schöner zeiten.
Schön wars in dem dichten walde
In der einsamen natur
Doch ein tor der nicht empfände
Hier die freuden ohne ende
Alles ist so schön und prächtig
Alle sind so glücklich hier
Und des eremiten lehren
Kann ich halb mir nur erklären
[89]
Niemals werd ich recht begreifen
Jenen höchsten segenswunsch
Aus des weisen mannes munde:
Einen freund zur rechten stunde
Möge Gott dich finden lassen –
Als ob alle menschen hier
Mir nicht treue freunde wären
Die mir raten · mich belehren ...
Plötzlich riss ihn aus dem sinnen
Leiser lieblicher gesang
An dem einsam stillen orte ·
Staunend blickt er durch die pforte
Dort wo der fontäne strahlen
Aus dem gras im mondenschein
Silbern auf und nieder springen
Schien die stimme ihm zu dringen.
Er trat näher und – o wunder!
Zwischen blumenbeeten ruht
Eine wasserfee verlangend
Und in allen reizen prangend
[90]
Spielend mit den langen haaren
Singt sie dort ihr himmlisch lied
Die natur rings zu beglücken
Und den wandrer zu berücken.
Nein · es ist ein kind der erde ·
Apsara die herrliche!
Die in des palastes hallen
Als die schönste galt von allen.
Sie entflammt in heissen gluten
Zu dem schönen Königsohn
Suchte oft ihn zu bestricken
Mit der liebe feuerblicken.
Noch nicht drangen ihre pfeile
In des prinzen kindesherz ·
Und es konnt ihr nicht gelingen
In ihr netz ihn einzuschlingen.
Wusste sie dass in dem garten
Abends sich der prinz erging?
Will mit ihren melodieen
Lockend sie ihn zu sich ziehen?
[91]
Stürmisch pocht des jünglings busen –
Winkt nicht ihre weisse hand
Aus den dichten blumenbeeten?
Soll er ihr nicht nähertreten?
Soll er eilig sich entfernen?
Wild durchrasen seinen sinn
Tugendlehre und ermahnung
Und der nahen sünde ahnung.
Ach so schwer ist klar zu denken
Für die jugendliche brust
Wenn so süsse düfte wehen
Wenn so süsse lippen flehen ..
Dieses ist das los der jugend:
Wer in heitrem glücke schwelgt
Ist zur hälfte schon gefallen
Wäre er auch gut vor allen.
Und zu spät ist es zu streiten
Im moment der leidenschaft.
Müsste auch sogleich er sterben
Toll rennt er in sein verderben.

[92] DIE FOLGEN

Bitter ist der rausch der freude
Bitter der geschmack der lust.
Auf des schlosses hohen zinnen
Lag der prinz in tiefem sinnen ·
Vor dem blauen reinen himmel
Mit der sterne gold besät
Schien er seinen blick zu senken
Und an seine schuld zu denken.
Unablässig quält und drückt ihn
Das bewusstsein seiner schuld
Und nachdem die frucht genossen
Wurde alles ihm erschlossen
Was vor kurzem ihm gewesen
Dunkel noch zu seinem glück
Und es trat jezt klar zu tage
Wurde ihm zu qual und plage.
[93]
– Hier bin ich · erklärt der büsser
Und der Veden heilig wort ·
Um das rechte zu vollbringen
Um das ewige zu erringen.
Nichtig ist der menschen streben
Tödlich ist ihr ganzes sein
Eines nur ist kluges handeln:
Arm und fromm vor Gott zu wandeln. –
Ja und ich muss mich entschliessen
Wenn ich rettung finden soll
Weg zu ziehn aus diesen räumen
Diesem boden ohne säumen.
Ruhelos den prinzen jagen
Durch des hauses weite räume
Seines herzens heftig streiten
Neuer fehler neue leiden.
Ach wo bleiben deine lehren
Teurer meister fromm und klug
Ach wo bleiben heilige schwüre?
Wenn er alles jezt erführe!..
[94]
Und es merkt der alte vater
Jene wandlung voller gram
Wie des sohnes wangen blichen ·
Glück und friede von ihm wichen.
Erst sah er mit tiefem schweigen ·
Dann beschloss er eines tags
Ganz allein zu thrones stufen
Den geliebten sohn zu rufen.
– Lange hab ich schon gesehen
Ist mein aug auch trüb und matt
Wie die ruhe dir geschieden
Wie du rastlos unzufrieden
Durch des hauses räume irrest
Wie du traurig immer sinnst ·
Bietet sich dir zum genusse
Alles nicht im überflusse?
Wird nicht alles was du wünschest
Eilig und genau erfüllt? –
Was soll ihm der prinz erwidern?
So kann er sich nicht erniedern
[95]
Seinem vater und gebieter
Seine fehle zu gestehn.
Und nicht durfte er es wagen
Seinen plan ihm vorzutragen.
Stumm senkt er den blick zur erde
Und der Rajah sprach darauf:
Nun so muss ich schliesslich wähnen
Dass von überstolzen plänen
Deine sinne sind gefangen ·
Dass ich dir das diadem
Lang genug und zu lang trage
Nicht für dich dem thron entsage.
Ist es so: so gib nur wieder
Dich zufrieden · guter sohn!
Denn des alten vaters glieder
Legt man bald zur grube nieder. –
Also sprach der Rajah traurig
Und mit einem leisen schrei
Stürzt der prinz zu vaters füssen.
Jäh und bitter war das büssen.

[96] DER RETTER

Zu des heiligen stromes wassern
Zog es oft den prinzen hin
Um mit ihrem wellenrauschen
Seine seufzer auszutauschen
Um der quälenden gedanken
Schreckgebilden zu entfliehn.
Wenn die abendlichen schatten
Ein erkennen schwer gestatten
Schlüpft aus dem palaste heimlich
Er in unscheinbarer tracht.
Aus des palmenhaines mitte
Blickte eine kleine hütte
Vor der hütte sass ein jüngling
Schön wenn auch in armem kleid
Der zu einer leier singen
Seine stimme liess erklingen.
[97]
Manchmal wenn die bergeswinde
Sich besänftigt und gelegt
Sass ein greis an seiner seite
Der mit stolzer vaterfreude
An des sohnes kunst sich labte.
Niemals schien ein schönres bild
Vor dem prinzen sich zu dehnen –
Ein gewaltig heisses sehnen
Zog ihn hin zu jenem jüngling
Der so schön war und so froh.
Lauschend stand er in der ferne
Und er hätte sich so gerne
Ihm genähert · ihn gesprochen
Wenn die scheu nicht und der greis
Und die angst ihn abgehalten
Dass auf seiner stirne falten
Seine sünden sein geschrieben ·
Dass das reine edle aug
Ihn sogleich erkennen liesse
Und voll abscheu von sich stiesse.
[98]
Heute war der Alte ferne ·
Er trat näher in den kreis
Um von palmen noch verborgen
Weiter der musik zu horchen.
Aber kaum bemerkt der jüngling
Ihn den fremden suchend bang
Nach der hütte sich bewegen
Als er schnell ihm trat entgegen
Ganz heran ans haus ihn führte
Bei der hand und sanften tons
Ihn nach seinem wunsche fragend ·
Und der prinz versezte zagend:
Öfter ging ich hier vorüber
Und vernahm dein schönes lied
Und mein einziges begehren
Ist dir stille zuzuhören ..
»Kann ergötzen und erheitern
Ich mit meiner schwachen kunst:
Lass dich mir zur seite nieder
Und vernimm die armen lieder.«
[99]
Aufmerksam und voller andacht
Lauscht prinz Indra der musik
Und des angesichts erregung
Zeugt die innere bewegung.
Und am ende dringt ihm schmerzlich
Aus der vollen brust das wort:
Ach du musst wol recht hienieden
Glücklich leben und zufrieden ...
»Ja der himmel sei gepriesen ·
Ich bin heiter und gesund
Alles nötige zum leben
Wird die vorsicht stets uns geben.
Nach des tages strenger arbeit
Ist es mir das grosse glück
An des teuren vaters seiten
Meine stimme zu begleiten
Mit dem klang der leier oder
Aus der grossen dichter wort
Alter zeiten art und wesen
Hoher helden tun zu lesen.
[100]
Aber · fragt darauf der jüngling
Forschend und doch teilnahmsvoll ·
Mir schien dass du lebst im glücke ·
Was sind deine missgeschicke?«
Seine stimme klang so herzlich
Und sein auge war so gut
Dass der prinz ihn voll vertrauen
In sein tiefstes herz liess schauen ·
Eines nur hielt er ihm heimlich
Dass des Rajah sohn er sei ·
Er erzählt mit heissen tränen ·
Nichts vergass er zu erwähnen
Auch den heiligen entschluss nicht
In der büsser wald zu ziehn ·
Dass der vater gar nichts ahne
Von dem tiefgefassten plane
Dass den greis zu sicherm tode
Brächte die verwirklichung.
Das bekenntnis war zu ende
Bittend hob der prinz die hände.
[101]
Jenes jünglings tiefe einsicht
Fasste der erzählung kern ·
Mit herzinnigem erbarmen
Hielt er fest in seinen armen
Seinen neuerworbenen freund.
Er erklärt ihm ernst und mild:
Deine seele kannst du retten
Aus des feindes schlimmen ketten
Wenn du nur mit starkem willen
Seiner lockung widerstrebst.
Doch dein sinn scheint nicht geschaffen
Aus der welt ihn zu entraffen
Und zum büsserwald zu schicken –
So erreichst du nicht dein glück.
Wahre arbeit musst du finden
Geist und leib musst du verbinden
Um sie auf dein werk zu lenken
Und vom bösen abzuziehn.
Bist du reich an erdengütern
Sorge dass du deinen brüdern
[102]
Auch sie angedeihen lässest ·
Suche hier die armut auf
Deinen segen auszuschütten
Selber in der dürftigen hütten.
Suche arbeit suche wirken
So wirst du mit leichter müh
Wieder glück und frieden finden
Und den dämon überwinden.
Jezt lebwol! wir müssen scheiden
Leider für nicht kurze frist
Denn geschäfte mancher weise
Zwingen mich zu weitrer reise.
Bei des zehnten monds erscheinen
Triffst du wieder mich am ort.
Deinen namen wirst du nennen
Und kein los mehr soll uns trennen.

[103] DIE RETTUNG

Neue lust und neues leben
Wurden in dem prinzen wach
Musste auch das lange scheiden
Von dem freund ihm schmerz bereiten.
Dessen würdig sich zu machen
War sein eifrigstes bemühn
Und an seine kurzen lehren
Aufs genauste sich zu kehren.
Weite uferbauten lagen
Einst begonnen von dem ahn
Zu des ganzen volks bedauern
Stets noch in den ersten mauern.
Junge kräfte waren nötig
Und zum wagnis frischer geist
Um mit vielen tätigen händen
Dieses bauwerk zu vollenden.
[104]
Dies nun ward des prinzen vorsatz:
In geschäftiger eile liess
Er vor seines thrones stufen
Künstler viel und werker rufen ·
Unterredete mit ihnen
Gab auch selber rat und plan ...
Bald verschwand das schlimme wanken
Und die quälenden gedanken.
Der Apsara wüstem locken
Leistete er widerstand.
Was unmöglich ihm geschienen
War jezt leicht ihm zu verdienen.
Und was einst ihn im genusse
Und was ihn nach seinem fall
Mit des zweifels nacht umzogen
War wie leicht gewölk verflogen.
Klar ward ihm jezt was die Veda
Von der menschen streben sagt:
Jeder zu erreichen suchend
SEINES standes höchste tugend
[105]
Ihren vollen sinn erfasse ·
Jezt ward ihm erst offenbar
Jener spruch aus büssers munde
Mit dem freund zur rechten stunde.
Als der zehnte mond gekommen
Eilt der prinz zum palmenwald
Dass er den Ersehnten finde
Seinen heissen dank ihm künde.
Der war eben heimgekehret
Und erstaunte nicht gering
Wie ein fürstliches geleite
Hier nach seiner hütte schreite.
Eilig trat er vor die türe
Blickte aus und ganz bestürzt
Sank er zu des prinzen füssen
Um ihn ehrfurchtsvoll zu grüssen.
Doch der hob ihn auf vom boden
Drückte ihn an seine brust:
Der du halfst mein glück begründen
Willst die freundschaft auf nun künden
[106]
Dem erfreuten · dem entzückten
Die dem armen du gelobt!
Heissen dank muss ich dir bringen
Denn du liessest mir gelingen
Was mir unerreichbar deuchte
Du mit deiner guten lehr!
Komm mein retter · mein berater ·
Eilen wir zu meinem vater
Er soll freudig dich umarmen
Seinen zweiten teuren sohn
Der den ersten · schon verloren ·
Neu belebt und neu geboren.
Komm und schaue meine werke
Schau mich ganz in meinem glück!
Steh du immer mir zu seiten
Als ein freund für alle zeiten ·
Und du hoher geist der welten
Helfer mir durch diesen freund
Lenk uns stets auf rechten wegen
Und verleih uns deinen segen.

ANHANG
JUGENDDICHTUNGEN UND GEDICHTE IN FREMDEN SPRACHEN

[81][83]

[107] [109]MONOLOG AUS GOETHES EGMONT IN VERSEN

[109]
Du alter freund! du immer treuer schlaf ·
Fliehst du mich nun wie alle andern freunde?
Wie senktest willig auf mein freies haupt
Du dich hernieder · kühltest meine schläfe
Du wie ein schöner myrtenkranz der liebe!
Von waffen rings umgeben auf der woge
Des lebens ruhte ich in deinen armen
Leicht atmend · dem aufblühnden kinde gleich.
Wenn stürme wild durch zweig und blätter sausten
Wenn ast und wipfel knirrend sie bewegt
Blieb doch der kern des herzens ungeregt.
Was schüttelt dich nun? was erschüttert dir
Den festen sinn? Ich fühls es ist der klang
Der mordaxt die an meinen wurzeln nascht.
Noch steh ich aufrecht · und ein innrer schauer
[110]
Durchfährt mich. Ja sie überwindet · die
Verrätrische gewalt · sie untergräbt
Den festen stamm und eh die rinde dorrt
Stürzt krachend und zerschmetternd deine krone ...
Warum denn jezt der du gewaltge sorgen
So oft gleich seifenblasen von dem haupte
Dir weggewiesen hast · warum vermagst
Du nicht die ahnung zu verscheuchen die in
Dir tausendfach sich auf und niedertreibt?
Seit wann begegnet furchtbar dir der tod
Mit dessen wechselbildern wie mit allen
Gestalten der gewohnten erde du
Gelassen lebtest? – Auch ist er es nicht
Der rasche feind dem die gesunde brust
Wetteifernd sich entgegensehnt · der kerker
Ist es · des grabes bild dem helden wie
Dem feigen widerlich. Unleidlich war
Mirs schon auf meinem polsterstuhle wenn
Die fürsten in der stattlichen versammlung
Was zu entscheiden leicht war überlegten
Und zwischen düstern wänden eines saals
Die balken seiner decke mich erdrückten.
Da eilt ich fort sobald es möglich war
Und rasch aufs pferd mit tiefem atemzuge
[111]
Und frisch hinaus da wo wir hingehören
Ins freie feld wo aus der erde dampfend
Uns jede nächste woltat der natur
Und durch die himmel wehend alle segen
Des sternenreichs umwittern · wo wir gleich
Dem erdgebornen riesen durch berührung
Mit unsrer mutter kräftger auf uns reissen ·
Wo wir die menschheit ganz und menschliche
Begier in unsern adern fühlen · wo das
Verlangen vorzudringen zu besiegen
Zu haschen seine faust zu brauchen zu
Besitzen durch die brust des jägers glüht ·
Wo der soldat sein angebornes recht
Auf alle welt mit raschem schritt sich anmasst ·
Wo er in fürchterlicher freiheit wie
Ein hagelsturm verderbenbringend streicht
Durch wiese wald und des getreides wogen
Nicht grenzen kennt die menschenhand gezogen.
Du bist nur bild · erinnrungstraum des glücks
Das ich so lang besessen · wo hat dich
Verräterisch das schicksal hingeführt?
Versagt es dir den nie gescheuten tod
Im angesicht der sonne rasch zu gönnen
[112]
Um dir im ekeln moder zu bereiten
Den vorgeschmack des grabes? hauchet er
Mich nicht aus diesen steinen widrig an?
Schon starrt das leben · vor dem ruhebette
Wie vor dem grabe scheut der fuss. – O sorge
Die vor der zeit du schon den mord beginnst
Lass ab · lass ab. – Seit wann ist Egmont denn
Allein so ganz allein in dieser welt?
Dich macht der zweifel fühllos nicht das glück.
Ist die gerechtigkeit des königs der
Du lebenslang vertraut · die freundschaft der
Regentin die (du darfst es dir gestehen)
Fast liebe war · sind sie auf einmal wie
Ein glänzend feuerbild der nacht verschwunden
Und lassen dich auf dunkelm pfad zurück?
Wird an der spitze seiner freunde nicht
Oranien wagend sinnen? wird ein volk
Nicht mit anschwellender gewalt sich sammeln
Und rächend seinen alten freund erretten?
O haltet mauern die ihr mich umschliesst
So vieler geister wolgemeintes drängen
Nicht von mir ab! und welcher mut sich sonst
Aus meinen augen über sie ergoss
Der kehre rück aus ihrer brust in meine!
[113]
O ja sie rühren sich zu tausenden
Sie kommen stehen mir zur seite und
Ihr frommer wunsch eilt dringend zu dem himmel
Er bittet um ein wunder. Steiget dann
Zu meiner rettung nicht ein engel nieder
So seh ich sie zu lanz und schwertern greifen.
Die tore spalten sich die gitter springen
Die mauer stürzt von ihren händen ein
Und Egmont steigt dem tagslicht froh entgegen.
Wie manch bekannt gesicht empfängt ihn jauchzend.
Ach Klärchen wärest du ein mann · nicht fern
Bliebst du · du brächst zuerst die schranken
Und was ich ungern dankte einem herrn
Ich hätte dir die freiheit zu verdanken.

[114] AUS IBSENS CATILINA

[115]

Aus dem ersten Akt

AUS DEM ERSTEN AKT

LENTULUS · STATILIUS · CETHEGUS · MANLIUS

LENTULUS
Ich kenne einen der uns leiten könnte ..
MANLIUS
Du meinst den Catilina?
LENTULUS
Eben den.
CETHEGUS
Ja Catilina ist vielleicht der mann.
MANLIUS
Ich kenne ihn. Sein vater war mein freund
Mit dem ich manche schlacht zusammen focht
Sein kleiner sohn hat ihn im krieg begleitet.
Im zarten alter war er wild · unlenksam
[116] Doch seltne gaben zeigten sich in ihm –
Sein sinn war hoch · sein mut unwandelbar.
LENTULUS
Ich glaube dass er sich bereit erklärt.
Ich traf ihn heute abend tief verstimmt.
Er brütet heimlich über einem plan ·
Ein kühnes werk hat er schon lang im sinn.
STATILIUS
Ja lang bewarb er sich ums konsulat.
LENTULUS
Es will ihm nicht gelingen. Seine feinde
Sind gegen ihn gewaltig losgezogen.
Er war an ort und stelle selbst und rasend
Verliess er den senat auf rache sinnend.
STATILIUS
Dann geht er sicher auf den vorschlag ein.
LENTULUS
Ich hoffe es .. doch müssen wir vorerst
Im stillen arbeiten. Die zeit ist günstig.

Aus dem zweiten Akt

[117] AUS DEM ZWEITEN AKT

CATILINA UND DIE VERSCHWORNEN

LENTULUS
Du schwärmst da Catilina. Das wars nicht
Was wir im kopfe hatten.
GABINIUS
Nüzt es uns
Die alten zeiten wieder aufzurichten
Mit ihrer lächerlichen einfalt?
EINIGE
Nein!
Macht fordern wir –
ANDRE
und mittel um zu führen
Ein frei und sorglos leben!
[118] MEHRERE STIMMEN
Ja das ists ..
COEPARIUS
Was sollen wir für andrer glück und freiheit
Auf einen würfelwurf das leben setzen!
DIE GANZE SCHAR
Wir wollen selbst des sieges frucht!
CATILINA
Elende!
Seid ihr die nachkommen der grossen väter?
Mit schande ihren namen zu bedecken
Ist eure weise ihren ruhm zu wahren!
LENTULUS
Du wagst uns zu verhöhnen – du der längst
Ein schreckensbild du warst –
CATILINA
Ja es ist wahr ·
Ich war ein schrecken für die guten .. doch
So elend war ich nie wie ihr es seid.
[119] LENTULUS
Bezähme dich! wir dulden deinen spott nicht.
MEHRERE
Nein nein – wir wollen nicht –

CATILINA
(ruhig)
So? Ihr feig gezücht –
Ihr wagt noch was zu wollen?
LENTULUS
Zum tod
Mit ihm!
MEHRERE
Zum tod mit Catilina!

(sie ziehen ihre dolche und stürzen auf ihn zu. Catilina zieht ruhig den mantel von der brust und sieht sie mit kaltem hohnlächeln an .. sie lassen die dolche sinken.)

CATILINA
Stosst zu! Ihr wagt es nicht? O freunde · freunde –
Ich würd euch achten falls ihr diese brust
Durchbohrtet wie ihr es mir androht ..
[120] Ist nicht ein funke mehr von mut in euch?
EINIGE
Er will uns wohl ..
ANDRE
Sein tadel war verdient.
CATILINA
Er wars. Doch seht jezt ist die zeit gekommen
Wo ihr der schande mal ausmerzen könnt.
Wir wollen alles hinter uns vergessen –
Ganz nahe winkt uns eine neue zukunft.
(mit bitterkeit)
Ich tor! Zu hoffen – einen sieg durch euch!
Ist siegergeist in der gesunknen rotte?
(hingerissen)
Einst träumte ich so grosses. Mächtge bilder
Durchzogen mich und standen mir vor augen.
Ich träumte dass ich hoch wie Ikarus
Mit flügeln unterm himmelsraume flöge
Ich träumte dass die götter mich gestärkt
Mit kampfeskraft und mir den blitz geliehen.
Ich griff mit einer hand den blitz im flug
[121] Und schleuderte ihn auf die stadt hernieder
Und Rom in dunkler trümmer staub versank.
Da rief ich mit gewaltig lauter stimme
Beschwor des Cato sippe aus dem grab
Und tausend geister folgten diesem ruf
Belebten sich – und Rom erstand von neuem.
(abbrechend)
Es war ein traum nur. Keine götter rufen
Ans tagslicht wieder die vergangenheit.
Und nie entsteigen ihrem grab die geister.
(wild)
Nun wol. Kann nicht das alte Rom erstehen
Durch mich · so soll das jetzige vergehen.
Schnell sollen wo sich marmorsäulen reihen
Rauchsäulen wirbeln zwischen feuerprasseln ..
Paläste tempel sollen niederstürzen
Das Kapitol von seiner höhe sinken.
Schwört freunde dass ihr euer leben weiht
Zu dieser tat! Ich stehe an der spitze
Sagt – wollt ihr folgen?
STATILIUS
Ja wir folgen dir.

[122] AUS IBSENS
DIE HEERMANNEN AUF HELGELAND

[123]

Örnulfs Klage

ÖRNULFS KLAGE

Sinn den schwermut stachelt
Misset Bragas freuden
Sorgenvoller sänger
Leidet · singt er ein lied.
Skaldegott schenkte
Kraft mir zu singen
Klingen lass meine klage
Für meinen verlust meinen schweren.
Neidvolle norne verheerte hart
All meine weltenwege
Trieb alles glück von mir
Zerstörte Örnulfs eigen.
[124]
Der söhne sieben wurden
Örnulf von den göttern gegeben
Nun geht einsam der greis
Söhnelos durchs leben.
Der söhne sieben so herrliche
Erzogen zwischen schwertern
Schirmten wikings weisses haar
Wie die mächtigste mauer.
Nun ist die mauer gesunken
Meine söhne sind getötet
Freudlos steht nun der greis da
Und sein haus ist verödet.
Thorolf du mein jüngster
Kühnster unter den kühnen
Wenig würd ich wehklagen
Hätte ich dich behalten.
Frisch warst du wie der frühling
Gegen den vater voll liebe
Zu einem helden herrlich
Wärst du geartet im alter.
[125]
Todeswunde unselig
– Welches weh ist schlimmer –
Hat meine alte brust
Geklemmt wie zwischen eisen.
Boshafte norne neidisch
Verweigerte all mir mein eigen
Goss aus des schmerzes fülle
Über Örnulfs wegen.
All meine kraft ist gewichen.
Bekäme ich göttliche kraft nun
Eines blieb meine aufgab
Der norne tun zu rächen.
Eines blieb mein streben
Norne's sturz zu versuchen
Sie die alles mir raubte
Alles und nun das lezte.
Hat sie mir alles geraubt?
Nein das hat sie nicht
Zeitig bekam ja Örnulf
Suttungs meth zu trinken.
[126]
Meine söhne nahm sie
Aber sie gab mir gewaltge
Kraft um in liedern
Meine sorge auszusingen.
Auf meinen mund legte sie
Des sanges holde gabe
Laut lass sie erklingen
Selbst bei der söhne grabe!
Heil euch wackre söhne!
Dort seh ich euch reiten!
Gottes gabe heilet
Welten weh und leiden!

[127] [129]GEDICHTE IN FREMDEN SPRACHEN

[129]

PAZ

La sera vola circa me con alas taciturnas.
El di ha pasato con suo violento túrben
Suo furioso e insaciable ager.
En veloz e insana capcia
Se precipitaron copiosamente meas ideas
Las unas devorando las altras.
Jo suspirá: »Ah · quando venerà
El momento pro meditar supra esto e illo ancora ·
Me manca el duple número de horas.« –
Se ha facto la sera tranquila
Jo son en mea cámera inturbato
Ahora haberia tempo pro curarme de toto.
Ma sto magnetizato
Dirigendo los oclos verso la lampa
Reflectata indistinctamente
En el obscuro speculo de la nocte.
No volo plus pensar · no poto ·
Voleria sólamente clinar los genos
Nil pensar – apauco precar.

Romanische Fassung des Gedichts Fibel S. 90

[130] EL IMAGEN

Me revigilo terrefacto en las tenebras.
Vedo nubes negras e imensas
Qui se distacan e composan sin cesar.
E durante que un grej de larvas
Invisibles – ma qui se auden ja ben
Face fremer meos nervos eccitatos
Me aparece un imagen.
Hodie jo lo eflorá entre tantos
Por el momento tan de profundo me mové
E de desiderio laxá meo cor transfixato.
Jo lo obliá de pos – los somnos medesmo
No poteron resuscitarlo.
Vindicandose · petendo suo derecto
En los terrores de la nocte ha venito
De imposarse poténtemente ancora una viz.

Romanische Fassung des Gedichts Fibel S. 93

[131] FRAUENLOB

En la ville aux faîtes antiques
Aux parures en spirales
Aux vitraux peints aux tours sidérales
Sous les blasons des porchers mystiques
Près des fontaines où le soir et le matin
Sonnent les rires et les jets argentins:
Une vie d'espoirs tenaces
Toute une vie d'années noires
J'étais le chanteur de vos grâces
J'étais le héraut de vos gloires:
Blanches filles des processions
Avec vos cierges vos statues
Chanteuses fraîches et hilares
Fantastiquement vêtues
Amies pâles des communions
Vous · jeunes patriciennes préclares
Qui sous les portes de l'église
Pliez les robes lourdes de Venise –
Et j'ai dédié tout l'art de mes rythmes habiles
A vous · décor de nos fêtes et victoires
Reines puissantes et immobiles.
[132]
Mais qui m'a tendu la coupe d'or
Les feuilles de chêne et les couronnes?
Qui de vous a daigné m'élire
Pour porter un jour les bandes mignonnes?
Quels pleurs et quels doux remords
Ont répondu jadis aux pleurs de ma lyre?
Je sens le doigt paisible de la mort.
Aux clameurs des cloches sépulcrales
Des filles et des épouses en deuil
Suivent un cercueil.
Les seules mains frêles et pâles
Conduisent à la cathedrale
A la voûte en offrant des honneurs royaux
Le prêtre fervent de leurs charmes.
Vierges et matrones parmi les larmes
De leur commun veuvage
Versent de nobles vins des fleurs et des joyaux
Pieusement dans le sarcophage.

Französische Fassung des Gedichts Bücher der Hirten- und Preisgedichte S. 52

[133] PROVERBES
POUR LES TROIS INVITÉS
DE SUR-LE-MONT T.

Pendant que ta mère t'allaite
Il faut qu'une fée maligne
Chante d'ombre et de mort.
Elle te donne comme étrennes
Ces yeux sinistres et si mornes
Et dont les Muses s'éprennent.
Quand tes frères se plaignent
Et disent: ô ta douleur! la tienne
Ne la dis qu'aux nuages la nuit –
Et tes chairs d'enfant saignent
Sous l'arme dure des doigts.
Sache que tu dois
Tuer ta fraîche jeunesse ·
Car ce n'est que sur son tombeau –
Si bien des pleurs l'arrosent – qu'éclosent
Parmi la seule flore merveilleuse
Les seules belles roses.

Französische Fassung des Gedichts Jahr der Seele S. 55

[134] D'UNE VEILLÉE ...

Ton front mi-couvert d'une nuée de cheveux
(Ils sont blonds et soyeux)
Ton front me dit les combats juvéniles.
Tes lèvres (elles sont muettes) content le drame
Des âmes que Dieu condamne.
Emouvant miroir · tes yeux!
Ne joue pas avec! il est fragile ..
Même quand tu souris (enfin tu t'es endormie)
Ce sourire est mélancolie
Et tu penches un peu ta tête endolorie.

Französische Fassung des Gedichts Jahr der Seele S. 67

[135] THOSE WHO HAVE LIVED

Those who have lived in dreams see when awake
The spectre of the glories they forsake
For earth and grief · and weeping silently
They fill their hours with fading memory
Of the blue region where with gentle pace
The gold winged children wander to embrace
The trembling weary souls free from their jail
Who turn the first amazed looks shy and frail
In the bright land of Wonder ... so beguile
The dark truth · fellow-prisoners! of a smile
A shadow still remains though your two lives
Again lie fettered in the poisonous air –
A glance that your cold desert's hope revives
And pale and sudden beams that kiss thy hair.

Englische Fassung des Gedichts Teppich S. 70

[136] YOU BOLDLY CEASED TO LOVE

You boldly ceased to love the God of yore ·
Now he appears with dark revengeful brow:
»You who called servitude my precious lore
And left my house too proud to make the bow ·
Are you not bent by a more shameful yoke
Do you not feel your wrung arm's force decay
More than by this sonorous chain you broke?
Must you not cry for pity · watch and pray?«
Yea! as I neared the Saviour's bloody feet
l now exalt a new God whom I greet
With quivering lips · and equal extasies
Consume me and less sober sympathies
When last light of the holy evening wanes
In my cathedral's gold and purple panes.

Englische Fassung des Gedichts Teppich S. 71 [137]

ANMERKUNGEN

Der titel dieses bandes und der inhalt des hauptteiles wurden noch vom DICHTER selbst bestimmt. Über die aufnahme der jugenddichtungen und der fremdsprachlichen versuche des anhangs hat er nicht mehr endgültig entschieden.


Bereits früher gedruckt sind die folgenden stücke: aus MANUEL das 2. 4. und lezte bild der zweiten stufe in den Bl. f. d. K. l. F. 3. B. unter dem verfassernamen ROCHUS HERZ .. von den UM-SCHREIBUNGEN das 1. bis 3. bild in den Bl. f. d. K. 2. F. 2. und 5. B. ohne namen .. DIE HERRIN BETET Bl. f. d. K. 2. F. 2. B. mit dem vermerk: »die tonbegleitung zu den stummen teilen der handlung ist von Karl Hallwachs gesezt worden« und in der Allgemeinen Kunst-Chronik 1895 heft 4 .. DIE AUFNAHME IN DEN ORDEN Bl. f. d. K. 5. F. .. die UM-SCHREIBUNGEN wurden in den ersten · DIE AUFNAHME IN DEN ORDEN in den zweiten auswahlband der Bl. f. d. K. übernommen.


Jugenddichtungen des Anhangs: PRINZ INDRA ist das früheste gedicht der gesamtausgabe · der EGMONTMONOLOG und die ÜBERTRAGUNGEN AUS IBSEN gehören den lezten schuljahren an.


Über die fremdsprachlichen versuche berichtet der anhang des 1. 3. 4. und 5. bandes der gesamtausgabe. Die französische fassung des gedichtes SPRÜCHE AN DIE GELADENEN IN T. (JAHR Der SEELE s. 55) stand zuerst in dem von Paul Gérardy herausgegebenen Floréal im Februar 1893 · die zweite strofe der endgültigen fassung fehlte auch im ersten deutschen[138] druck Bl. f. d. K. 1. F. 4. B. .. die romanischen fassungen von FRIEDE und DAS BILD sind 1934 von einem Franzosen in Frankreich veröffentlicht worden.


Von abweichungen sind zu verzeichnen: MANUEL s. 45 lesen die Bl. f. d. K.:
Was kommst du mir so nach und brichst mir meine blumen?
ferner s. 47:
Und zum monde sah ich denkend dass du auch hinsahest.
In dem verse s. 47:

Und wenn wir uns niemals verliessen für alle tage –

fehlt »uns« in beiden älteren drucken.
DIE HERRIN BETET: s. 57 fehlt im blätterdruck die zeile

(Soweit es ihr in witwentrauer zieme)

In der Allgemeinen Kunst-Chronik lautet der absatzschluss s. 58:

Verfolgt mich der entsetzliche gedanke

und der drittlezte vers s. 59:

Er öffnet · zögert etwas · lehnt dann wieder


Notes
Erstdruck als Band XVIII der »Gesamt-Ausgabe der Werke«: Berlin (Georg Bondi), Juni 1934.
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Citation Suggestion for this Edition
TextGrid Repository (2012). George, Stefan. Schlussband. TextGrid Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-CC55-F