AUS: DAS HAUS DES LEBENS
II
DER LIEBE ERLÖSUNG

Du flössest meinem munde allzeit ein
Der in der liebe stunde fromm entbrennt
Der liebe fleisch und blut im sakrament ·
Ich fühle dir genaht: der odem dein
Muss ihres domes tiefster weihrauch sein ·
Du hast sie stumm empfangen und dir nennt
Sie ihren wunsch dass nichts von dir mich trennt
Und überm kelche sprachst du: denke mein!
O welches glück mir deine huld verleiht
Und welchen ruhm der liebe! trittst du vor
Den steilen weg zu dem verlassnen tor
Zum seufzersee zum ort der traurigkeit
Und bist erlöser dort und steigt befreit
Mein geist aus banden wenn du winkst empor.

[11] III
LIEBES-SCHAU

Wann · liebe · werd ich dich zumeist gewahr?
Wenn meiner augen geister in dem licht
Feiern vorm altar deinem angesicht
Der liebe dienst · durch dich mir offenbar?
Um uns in dunkler stund – wir einsam paar –
Wenn enggeküsst durch blasse dämmrung bricht
Dein schimmernd antlitz und mit schweigen spricht ·
Wenn deine seele all mein eigen war?
O liebe liebste soll ich nie mehr hier
Dich schauen · noch den schatten nur von dir
Noch deiner augen bild am frühlingstag:
Wie rauschte dann ob lebens finstrem hang
Verwelkter hoffnung laub im sturmesdrang
Des todes nieverwehendem flügelschlag?

[12] IV
DER KUSS

Welch qualmend leid in tödlichem verzug
Und welches tückevollen wechsels bann
Dem leib den ruhm · der seele rauben kann
Die hochzeitskleider die sie heute trug!
Denn sieh! ihr mund in dieser stunden flug
Mit meinem solch mittönend spiel begann
Wie Orpheus sehnt · als er sie halb gewann ·
Der darbenden die lezte laute schlug.
Ich war ein kind in ihrer hand · ein mann
Wenn brust an brust wir schmiegten · wir zu zweit
Geist wenn ihr geist durchdringend mich befreit ·
Gott wenn vorm ganzen lebensatem rann
Das lebensblut · an brunst wetteifernd dann
In feuer feuer · gier in göttlichkeit.

[13] IX
DAS GEBURTS-BAND

Bemerktet ihr in manchen häusern nie
Wie zwei erzeugt im ersten hochzeitsbette
Stets halten ihre eigne sanfte kette
Vergass sich auch der pflegrin brust und knie.
Wol sind mit ihres vaters kindern sie
In sinn und tat gutwillig · doch für jeden
Der beiden gibt es ein geheimes reden
Und birgt ein wort vollkommne harmonie.
So · Liebe · als ich dich zuerst gekannt
Schien mir: die mir verbundene seele ist
Mehr als das leben weiss mit mir verwandt.
Du mit mir spross fern dort wo sichs vergisst
Und lang mit schau und schall nicht greifbar · bist
Als seelen-mitgeburt mir wol bekannt.

[14] XXII
GEBROCHENE MUSIK

Die mutter wenn sie meint dass im gelall
Des säuglings sie zuerst ein wort erkannt:
Sie rührt sich kaum · die augen abgewandt
Mit offnem mund und ohr · dass dieser schall
Sie nochmals rufe .. angst- und zweifelvoll
Hat so die seele oft gelauscht bis Sang
Ein taglang innres wimmern schliesslich klang
Und süss musik und süss die träne quoll.
Doch jezt – wie oft auch meine seele schon
Auf dies gewohnte flüstern horcht – wie ein
Verschlossner dumpfer meeresmuschel-ton:
Es kommt kein sang · allein die stimme dein ·
O bitterlich geliebte! und ihr lohn
Ist einzig unerlaubten betens pein.

[15] XXIV
WEIDENWALD
I

Ich sass mit Amor an des baches hang ·
Wir neigten uns zum wasser · er und ich ·
Er sprach kein wort und blickte nicht auf mich ·
Er rührte nur die laute wo erklang
Ein tiefes ding das ihn zu reden zwang.
Nur trafen unser beider augen sich
In niedrer welle · deren rauschen glich
Der teuren stimme und ich weinte bang.
Ich weinte und sein aug ward ihrem gleich ·
Mit seines fusses seiner flügel streich
Wischt er den tau durch den das herz mir schwoll.
Dann wurden dunkle kreise wallend haar ·
Als ich mich bückte bot den mund sie dar
Und volles küssen mir zur lippe quoll.

[16] XXV
II

Und Amor sang: es war ein sang halblaut
Umstrickt von dingen die entwirrbar kaum ·
So wimmern seelen öd im todesraum
Wenn immer noch der neue tag nicht graut.
Dann hab ich eine dumpfe schar geschaut
Von wesen abseits – eins an jedem baum ·
Sie alle Sie und ich in trübem traum ·
Die schatten unsrer tage ohne laut.
Sie sahn uns an – gewiss: gekannt zu sein
Und wehe seelen waren drunten wo
Der unversöhnlich enge kuss entfloh.
In eigen-mitleid alle brechend schrein:
Ach einmal einmal einmal nur allein!
Und Amor sang noch und sein lied klang so:

[17] XXVI
III

Ihr all die ihr im weidenwalde schweift
Und schweift mit hohlem weissen antlitz sacht ·
Nach welchem einsam tiefen fall geschleift ·
In welcher langen lebenlangen nacht!
Eh wieder ihr · die ohne macht ihr streift
Nach lezter hoffnung – die ihr ohne macht
Nach eurer unvergessnen speise greift ·
Eh euch · eh wiederum das licht euch lacht!
Ach bittre ränfte in dem weidenwald
Mit giftblatt bleich · mit blutkraut brennend rot!
Ach wenn ein solcher pfühl im leiden bald
Die seele betten würde bis sie tot –
Eh'r allzeit sie vergessen als dies ding ·
Dass sie sich fängt in dieser weiden ring.

[18] XXVII
IV

So klangs · und wie sich ros und rose müht
Eng zu verwachsen in des windes qual
Und so zu bleiben · bis zum späten strahl
Die blätter fallen wo der herzfleck glüht –
So war der kuss als der sang starb versprüht.
Sie sank ertränkt hinab und war so fahl –
Fahl wie ihr auge · ob mir je einmal
(Obs Amor weiss?) ein wiedersehen blüht!
Ich weiss nur das: ich beugte mich und trank
In tiefem zug das wasser wo sie sank
Und ihre hauche · tränen · all ihr sein.
Ich weiss: im beugen fühlt ich Amors haar
An meinem halse mitleidvoll · es war
Sein und mein haupt in seinem heiligenschein.

[19] XXXII
EIN DUNKLER TAG

Der dunst der mich mit dieser luft umweht
Wie regen ist der auf den wandrer schlug.
Er weiss nicht: ist ein neuer sturm im zug –
Ist es der rest des alten der sich dreht ...
Verspricht die stunde neues blumenbeet?
Ach · oder ahnt sie nur den tag dess pflug
Einst not gesät – die nacht wo du (o trug!
O beten!) nicht mehr fülltest mein gebet?
Wie struppig war das gras das doch so sanft
Da liegt an dieses weges rand gedrückt ·
Ein spiel der zeit · bis nacht bis schlaf es glätte –
So wie ein distelflaum am toten ranft
Von einer maid im jugend-herbst gepflückt ·
Damit sie einst ein weiches brautbett hätte.

[20] XXXIII
DIE SPITZE DES HÜGELS

Es ist der sonne festtag: ihr altar
Im breiten westen ruft zum vespersang.
Ich bringe – ich verblieb im tal zu lang –
Verspätet meine huldigungen dar.
Doch dies · erinnr ich wohl · ward ich gewahr
Auf meinem wanderzug: ihr antlitz stand
Verwandelt an umfranztem himmelsrand ·
Ein feuerbusch mit blendend hellem haar.
Nun da mein fuss die höhe kaum gewinnt
Muss ich hinab durch jäher schatten schicht
Und irrend wandeln bis die nacht beginnt.
Doch weiden darf sich kurz noch mein gesicht
Daran: wie gold und silberluft zerrinnt
Und lezter vogel fliegt ins lezte licht.

[21] XXXIV
ÖDER FRÜHLING

Das jahr hat rollend neuen lauf vollbracht.
Und wie ein mädchen das im kahne fliegt
Sich bald nach vorwärts bald nach rückwärts wiegt –
Ganz wie der wind es will – und glüht und lacht:
So naht mir froh der lenz · doch er entfacht
Kein lächeln mehr in mir der machtlos liegt
In toten zweigen die der winter biegt.
Heut hat kein frühling über mich mehr macht.
Im krokus sieh! ist welker flamme grab ·
Im schneeball schnee · in apfelblüten schmerz
Die frucht zu ziehn für falscher schlange scherz.
Nein · von den frühlingsblumen wend dich ab
Und halt erst wenn am lezten lilienstab
Der weisse kelch zerfällt ums goldne herz!

[22] XLV
DES LEBENS URNE

Um lebens urne nicht mit schwachem schritt
Wie ihr schlich er – er schob sie mit der hand
Bis er nach allen seiten sie verstand:
Dort rüstet einer frisch zu grossem ritt ·
Sein weg führt wüsten ihm und gärten mit ·
Er lacht der nie in frohem schwarm sich sezt ·
Er weint der doch nie stillsteht und zulezt ·
Ein jüngling kronetragend · schweigsam tritt.
Die urne füllte er mit wein für blut ·
Mit blut für tränen · duft für heiss gebet
Mit laub das für der liebe grabmal passt
Und wollte sie zerbrechen bei der flut ·
Doch hielt in schicksals namen ein. Sie steht
Nun leer bis einst sie seine asche fasst.

License
Der annotierte Datenbestand der Digitalen Bibliothek inklusive Metadaten sowie davon einzeln zugängliche Teile sind eine Abwandlung des Datenbestandes von www.editura.de durch TextGrid und werden unter der Lizenz Creative Commons Namensnennung 3.0 Deutschland Lizenz (by-Nennung TextGrid) veröffentlicht. Die Lizenz bezieht sich nicht auf die der Annotation zu Grunde liegenden allgemeinfreien Texte (Siehe auch Punkt 2 der Lizenzbestimmungen).
Link to license

Citation Suggestion for this Edition
TextGrid Repository (2012). George, Stefan. Aus: Das Haus des Lebens. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-D1AB-A