AUS: SATURNISCHE GEDICHTE
DIE STUNDE DES SCHÄFERS

Rot tritt der mond aus dunstigem himmel vor
Es scheint der nebel tanze – es verlösche
Das rauchige feld .. und das geschrei der frösche
Steigt aus dem schauer-überlaufnen rohr.
Die wasserblumen ruhn · gebeugte schläfer
Die pappelbäume bleichen in der weite
Hoch und gedrängt · ein schemenhaft geleite
Und nach den büschen irren feuerkäfer.
Die käuze wachen auf und streifen sacht
Die schwarze luft mit ihrem schweren fittich
Mit dumpfem leuchten füllet der zenith sich
Und weiss taucht Venus auf – und es ist nacht.

[9] HERBSTLIED

Seufzer gleiten
Die saiten
Des herbsts entlang
Treffen mein herz
Mit einem schmerz
Dumpf und bang.
Beim glockenschlag
Denk ich zag
Und voll peinen
An die zeit
Die nun schon weit
Und muss weinen.
Im bösen winde
Geh ich und finde
Keine statt ..
Treibe fort
Bald da bald dort –
Ein welkes blatt.

[10] AUS: GALANTE FESTE
MONDENSCHEIN

Dein herz ist ein erlesenes gefild
Bezaubert von dem takt der bergamasken
Von lautenspielen und von tanz – ein bild
Fast traurig trotz der ausgelassnen masken.
Wenn sie in sanften tönen auch besingen
Der liebe siege und das leichte sein:
Will ihnen rechte freude nicht gelingen
Und ihr gesang verschmilzt im mondenschein –
Im stillen mondenscheine schön und fahl
Vor dem die vögel träumen in den hecken
Und in verzückung schluchzt der wasserstrahl
Der grosse schlanke strahl im marmorbecken.

[11] DER LAUBGANG

Geschmückt gemalt wie zu den schäferzeiten
In grossen bandes-schleifen zierlich geht
Sie durch den laubgang wo sich schatten breiten
Und wo das moos auf alten bänken steht:
Mit tausend lärvchen tausend zierereien
Als ob im spiel mit lieblingspapageien.
Ihr langes schleppenkleid ist blau · ihr fächer
Im schmalen finger mit den breiten ringen
Erzählt von so verworrnen liebes-dingen
Die sie zuweilen – ganz im traume – lächern.
Blond also! Ihre nase ein zierlich eckchen
Ihr mund voll fleischrot kindlich stolz ist ganz
Entzückend – schöner als das schönheits-fleckchen ·
Es hebt des auges etwas faden glanz.

[12] DIE KINDLICHEN

Die hohen fersen kämpften und die langen kleider ·
Und je nachdem es boden oder wind gefiel
Erglänzten manchmal beine – aufgefangen leider
Zu häufig – und wir liebten dieses torenspiel.
Und störte eines neidischen insektes stich
Den hals der schönen manchmal unter einem busche ·
So spähten wir ob glanz auf weissen gliedern husche
Und unser närrisches vergnügen mehrte sich.
Verfänglich war ein spätjahr-abend angebrochen ·
Die schönen hingen träumerisch an unserm arm
Und sagten worte so verdächtig ohne harm
Dass unsre herzen seit der zeit verwundert pochen.

[13] DER FAUN

Der alte faun aus grauem thone ·
Sieht aus dem gras mit lüsternheit ·
Er profezeit uns zweifelsohne
Ein schlimmes end auf heitre zeit
Die mich geleitet dich geleitend
Uns wanderer mit trübem geist
Bis zu der stunde die entgleitend
Beim klang der tamburine kreist.

[14] AMOR AUF DER ERDE

Der nachtwind warf den liebesgott herab
Der in des parks geheimstem winkel stand
Und boshaft spielte mit des bogens band
Und der uns einst so viel zu denken gab –
Der nachtwind jagte ihn herab · es streichen
Die morgenwinde drüber hin · o trauer!
Den sockel anzusehn wo der erbauer
Geschrieben steht in halbverwischten zeichen.
O trauer! wie der sockel nun verwaist
Für sich! Ein düsterer gedanke kam
Und ging in meinem sinn wo tiefer gram
In eine zukunft schlimm und einsam weist.
O trauer! dich sogar schien zu bekümmern
Das trübe bild wenn du auch keck und heiter
Dem gold- und purpurfalter folgst der weiter
Sich tummelt über den zerstreuten trümmern.

[15] GEFÜHLSAMES ZWIEGESPRÄCH

Im alten einsamen park wo es fror
Traten eben zwei schatten hervor.
Ihre augen sind tot · ihre lippen erblassen ·
Kaum kann man ihre worte fassen.
Im alten einsamen park wo es fror
Rufen zwei schatten das ehmals hervor. –
Entsinnst du dich unsrer alten minne? –
›Was willst du dass ich mich ihrer entsinne?‹
Dein herz klopft bei meinem namen allein·
Siehst du mich noch immer im traume? – ›Nein‹
Ach die tage so schön · das glück so unsäglich
Wo unsere lippen sich trafen! ›Wohl möglich‹
[16]
Wie blau war der himmel · die hoffnung wie gross! –
›Die hoffnung entfloh in den finsteren schooss.‹
Sie gingen hin in den wirren saaten ·
Die nacht nur hat ihre worte erraten.

[17] AUS: LIEDER OHNE WORTE
VERGESSENE WEISEN

I

Dies ist die müde verzückung ·
Dies ist der liebe bedrückung ·
Dies ist aller wälder gesang
Unter dem kusse der winde ·
Dies ist durch des laubes gewinde
Der kleinen stimmen klang.
O schwaches und frisches flüstern!
Das murmelt und zwitschert im düstern ·
Das ähnelt dem sanften moll:
Dem hauch auf bewegtem korne –
Und fast auf dem ringligen borne
Der kiesel dumpfem geroll.
Die seele die leidende zage
In dieser schläfernden klage
Es ist die unsere · nicht?
Die meine sprich! und die deine ·
Aus ihnen flieht leise der reine
Psalm in das abendlicht.

[18] II

Ich ahne hinter leisem geraun
In feinem umriss alte stimmen
Und in dem tönevollen glimmen ·
Bleiches lieb · ein neues morgengraun.
Herz und seele – in wahnesschleiern –
Sind nur noch ein zwiefach gesicht
Wo zitternd durch trübes licht
Das liedchen dringt von allen leiern.
O stürben wir sacht so dahin!
Lass jahr und tag im gegaukel
Beängstigtes lieb! nur entfliehn –
O sterben auf dieser schaukel.

[19] III

Es tränet in mein herz
Wie es tropft auf die häuser ·
Was für ein sehnender schmerz
Dringt mir ins herz!
Ein sanftes geräusch ist der regen
Auf dem boden auf dem dach.
Für ein herz das die leiden bewegen –
O wie singt der regen!
Es regnet ohne grund
Im herzen das sich verzehret.
Was? kein verrat ward ihm kund?
Die trauer ist ohne grund.
Das sind die ärgsten peinen:
Nicht zu wissen warum ..
Liebe keine – hass keinen –
Mein herz hat solche peinen.

[20] IV

Wir müssen – siehst du – uns versöhnlich einen:
So können wir noch beide glücklich werden ·
Und trifft auch manches trübe uns auf erden:
Sind wir doch immer – nicht wahr? zwei die weinen.
Vermischen wir mit unsren wirren drängen ·
Verschwistert herz · das kindische belieben
Uns fern zu halten von der menschen gängen
Und frisch vergessen was uns weggetrieben.
Wir wollen kindern · jungen mädchen gleichen ·
Den herzen die um nichts verwundert pochen ·
Die unter keuschem blätterdache bleichen
Und wissen sich nicht einmal losgesprochen.

[21] IX

Die schatten der bäume in umnebelten wogen
Wie rauch verzogen!
Und oben in lüften in dem wirklichen laube
Klagt eine taube.
Wie blicken · wandrer · auf dich diese blassen wasser –
Dich selber noch blasser!
Wie traurig weint es in dem hohen laube:
Dein ertränkter glaube!

[22] SPLEEN

Ganz rot die rosen blinken ·
Der efeu ist schwarz wie die nacht.
Teure · wenn leis du nur winkest
Die alte verzweiflung erwacht.
Zu zart und zu blau war der himmel
Zu mild die luft und zu grün die bucht.
Ich erwarte – ich fürcht es immer –
Von dir eine schreckliche flucht.
Den leuchtenden buchs bin ich müde
Des hulstes gefirnisstes dach
Die endlos weiten gefilde
Und alles – dich nur nicht – ach!

[23] GREEN

Hier siehst du blätter früchte blumenspenden
Und hier mein herz · es schlägt für dich allein!
Zerreiss es nicht mit deinen weissen händen!
Lass dir die kleine gabe teuer sein.
Ich komme eben ganz von tau noch blinkend
Den kühler wind an meiner stirn gefriert ·
Geruhe dass sie dir zu füssen sinkend
In teurer rast die müdigkeit verliert.
Mein haupt noch dröhnend von den lezten küssen
Lass michs an deinen jungen busen tun
Dass es genest von starken wettergüssen
Und lass mich da du schläfst ein wenig ruhn!

[24] VÖGEL IN DER NACHT

*

Was verlier ich mich in eitler klage!
Da ich weiss du liebst mich nicht: ists gut.
Dass mich keiner zu bedauern wage
Will ich leiden mit entschlossnem mut.
Ja ich leide da ich dich geliebt ·
Doch ich halte wie ein krieger stand
Der noch liebe voll sein leben gibt
Blutend für ein undankbares land.
Du in der ich liebe · schönheit fand ·
Trifft auch all mein kummer mich durch dich·
Bleibst du immer doch mein vaterland
Wie mein Frankreich toll und jugendlich.

[25] *

Ich gleiche manchmal einem armen schiffe ·
Es läuft entmastet mitten durch die stürme ·
Es sieht kein licht auf Unsrer Frauen türme
Und wartet betend auf den tod am riffe.
Und manchmal leide ich wie jener böse
Der sich verdammt weiss wenn er nicht bekennt ·
Der nicht mehr hofft dass ihn ein priester löse
Und schon im vorgefühl der hölle brennt.
Doch manchmal ach! mich fromme brunst belebt
Des ersten christen vor dem strafgerichte:
Er lächelt seinem heiland zu · ihm bebt
Kein haar am leib · kein nerv im angesichte.

[26] AUS: WEISHEIT
I

Vermummter guter reiter auf dem stillen rosse –
Das unglück traf mein altes herz mit dem geschosse.
Mein altes herzensblut in einem strahl entfuhr
Um zu verflüchten in dem lichte auf der flur.
Mein aug erlosch · ein schrei entfuhr aus meinem munde ·
In wildem zucken ging mein altes herz zugrunde.
Der ritter Unglück hat indessen beigelenkt ·
Ist abgestiegen · hat die hand auf mich gesenkt.
Sein finger erzumkleidet trat in meine wunde –
Er gab mit rauhem wort von seinem willen kunde.
Und sieh! kaum drang sein kalter eisenfinger ein
Ward mir ein neues herz – ein herz so stolz und rein.
Und sieh! erleuchtet wie von einem himmelsdochte
Ein herz so jung und gut in meinem busen pochte.
[27]
Noch blieb ich zitternd und zum zweifel noch geneigt
Wie einer dem der Herr im schlaf gesichte zeigt.
Er aber sass von neuem auf · der gute reiter ·
Er nickte mit dem kopf herab und sprengte weiter.
Er schrie: – und seine stimme gellt mir noch im ohr –
Nun aber vorsicht! solches kommt nur einmal vor.

[28] KASPAR HAUSER SINGT:

Sanften blickes ein stiller waise
Zu grosser städte getös
Kam ich auf meiner reise –
Niemand nannte mich bös.
Im zwanzigsten jahre ein grauen
(Man heisst es auch liebesglut)
Gab mir die schönheit der frauen –
Sie waren mir nicht gut.
Wenngleich ohne heimat und erben
Wenngleich ich für tapfer nicht golt ·
Im kriege wollt ich sterben ..
Der tod hat mich nicht gewollt.
Kam ich zu spät · zu frühe?
Ich weiss nicht wie mirs ergeht.
O ihr all! schwer ist meine mühe –
Sprecht für mich ein gebet!

[29] XVII

Teure hände · ehmals die meinen ·
Nach diesem tödlichen irren
Nach diesen heidnischen wirren
Ihr die ganz schönen ganz reinen –
Nach den rheden und uferräumen
Nach den ländern und provinzen –
Hehrer als hände der prinzen
Geleitet ihr mich zu den träumen.
Traum-hände · auf meiner seele ·
Was ihr zu sagen geruhtet
Mitten in sünd und fehle
Zu dieser seele die flutet!
Trügt es mein keusches sinnen
Von geistiger begleitschaft
Von mütterlicher bereitschaft
Von liebe weit und tief innen?
[30]
Strafe · gute begehrte ·
Heils-träume – hände der weihen
O hände · deine · verehrte ·
Hebet euch zum verzeihen!

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TextGrid Repository (2012). George, Stefan. Paul Verlaine. TextGrid Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-D2AA-F