[137] 17. Die Beratschlagung der Pferde

Ha! sprach ein junger Hengst, wir Sklaven sind es wert,
Daß wir im Joche sind! Wo lebt ein edles Pferd,
Das frei sein will? Ha! wie so glücklich war
Zu jener Zeit der Väter Schar!
Die waren Helden, edel, frei,
Und tapfer! In die Sklaverei
Bog keiner seinen Nacken,
Engländer nicht, und nicht Polacken.
Der ungeheure weite Wald
War ihr geraumer Aufenthalt;
Auch scheuten sie kein offnes Feld;
Sie gras'ten in der ganzen Welt,
Nach freiem Willen! Ach und wir
Sind Sklaven, gehn im Joch, arbeiten wie der Stier!
Wir Pferde? wir? dem Menschen unterthan?
Dem Menschen? – – Brüder, seht es an,
Das unvollkommne Tier!
Was ist es? was sind wir?
Solch ein Geschöpf bestimmte die Natur
Uns prächtigen Geschöpfen nicht zum Herrn!
Pfui, auf zwei Beinen nur!
Riecht er den Streit von fern?
Bebt unter ihm die Erde, wenn er stampft?
Sieht man, wenn seine Nase dampft?
Ist er großmütiger, als wir?
Ist er ein schöner Tier?
Hat er die Mähne, die uns ziert?
Und doch ist er, ihr Brüder, ach!
Der Herr, der uns regiert!
Wir tragen ihn, wir fürchten seine Macht;
Wir führen seinen Krieg, und liefern seine Schlacht;
Er siegt; man singt ihm Lobgesang:
Und doch, die Schlacht, die er gewann,
War unser Werk, wir hatten es gethan!
Was aber ist der Dank?
Wir dienen ihm zur Pracht
Vor seinem Siegeswagen;
[138]
Und ach! vielleicht nach wenig Tagen
Spannt er vor einen Pflug
Den Rappen, der ihn trug!
Entreißt, ihr Brüder, euch der niedern Sklaverei!
Dem Joch entreißet euch, und werdet wieder frei!
Schwer ist's wohl nicht, wenn wir
Zusammenhalten! was meint ihr? –
Er schwieg. Ein wieherndes Geschrei,
Ein wilder Lärm entstand, und jeder fiel ihm bei.
Ein einziger erfahrner Schimmel nur,
Ein zweiter Nestor, sprach:
Ja wahrlich! die Natur
Gab uns die prächtige Gestalt,
Die keiner hat, als wir, auch gab sie uns Gewalt
In unsern Huf; allein, aus mildrer Hand
Bekam der Mensch Verstand.
Wer baute diesen Stall, in dem wir sicher sind
Vor Tiger und vor Wolf? vor Regen und vor Wind?
Wer macht, daß wir auch dann dem Hunger widerstehn,
Wann wir der Auen Grün im Winter sterben sehn?
Wenn Eis vom Himmel fällt, wenn alles wüst' und tot
Auf allen Fluren ist? Wer wendet alle Not
Von unsern Krippen ab?
Der Mensch, der gute Mensch, den uns der Himmel gab!
Er streut den Haber aus, und erntet siebenfach,
Er trocknet süßes Gras, und bringt es unter Dach!
Zwar helfen wir dabei; thun aber keinen Schritt
Und keinen Zug umsonst, er macht uns täglich satt;
Und wann er Ruhetag nach seiner Arbeit hat,
So haben wir ihn mit!
Wir dienen ihm, er uns, wir leben mit einander;
Sind mit einander frei; der Rappe Bucephal,
Der Grieche, welcher einst den großen Alexander
Auf seinem Rücken trug, war König in dem Stall,
Wie jener auf dem Thron, und kam er in ein Feld,
Wo Ruhm zu ernten war, so war er auch ein Held,
Und beide, Pferd und Mensch, eroberten die Welt,
Und teilten unter sich den Ruhm des Sieges!
[139]
Würden wir
Vom Bucephal sonst wohl gehöret haben?
Er läg' in tiefer Nacht begraben,
Das edle Tier!
Kein Brutus und kein Cicero
Besänftigte die Römer so
Wie dieser Redner seine Brüder.
Denn er voran und hinter ihm die Schar
Der mutigen Rebellen alle,
Nebst diesem, der der Sprecher war,
Begaben allsobald sich wieder nach dem Stalle!

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Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2012). Gleim, Johann Wilhelm Ludwig. Gedichte. Fabeln. Viertes Buch. 17. Die Beratschlagung der Pferde. 17. Die Beratschlagung der Pferde. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-D947-4