26. Der Grübler und Apoll

Der Grübler Narados, von Vorurteilen frei,
Behauptete, der Gott zu Delphi sei
Betrug, Erfindung, Pfafferei!
Und seinem Griechenland die Fabel zu beweisen,
Beschloß er, von Athen nach Delphi selbst zu reisen.
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Noch grübelnd kam er an mit einem Sperling; stand,
In zugeschloßner Hand
Den Sperling haltend, vor dem Gotte.
Die stolze Seele voll von überklugem Spotte,
Dacht er: den Stümper will ich wohl
In meine Schlinge kriegen!
Ja wahrlich! spricht Apoll:
Tot ist der Sperling! dann laß ich den Sperling fliegen;
Spricht er: Du Thor, er ist lebendig! dann
Zeig' ich ihn tot! ihr Herrn! so bring' ich eure Lügen,
Geglaubt von keinem klugen Mann,
Ans helle Tageslicht; und die Vernunft wird siegen!
Was ist der Sperling hier in meiner Hand? du Gott!
Ist er lebendig, oder tot? –
Tot, oder was du willst, antwortete dem Frager
Apoll der Wahrheit-Sager;
Bestraft' ihn aber nicht; ließ ihn
Nach dem erleuchteten Athen
In Frieden seine Straße ziehn.
Wär's heut zu Tage so geschehn,
In Rom? in Lissabon? in Hamburg? oder Wien?

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TextGrid Repository (2012). Gleim, Johann Wilhelm Ludwig. Gedichte. Fabeln. Viertes Buch. 26. Der Grübler und Apoll. 26. Der Grübler und Apoll. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-D9D3-A