[144] Elegie

Soll ich der Flucht von meinen Tagen schelten?
Soll ich auf sie und ihre Trägheit schmähn?
Soll dieser Blick dort nach zufriednen Welten,
Wie? oder noch ins Thal des Kummers sehn?
Was willst du thun? du Geist! der sonst so stille,
Der jung und fromm, der Scherze Meister war?
Ist Schmerz dein Wunsch? Ist Traurigkeit dein Wille?
Was willst du thun mit diesem langen Jahr'?
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Der Jüngling rennt, um Veilchen einzusammlen,
Und sonnet sich auf kaum gebornem Klee;
Das Mädchen sitzt, geheimen Wunsch zu stammlen,
Und spiegelt sich im aufgeklärten See.
Allein nur ich, ich habe keine Freuden,
Todt ist für mich die Stadt, und todt die Flur;
Den Fröhlichen könnt' ich vielleicht beneiden,
Den Traurigen, was hehl' ich's? lieb' ich nur.
Zwar fluch' ich nicht der Liebe, nicht den Scherzen,
Denn ohne sie ist dieses Leben, Nacht.
O selig der, in dessen Engelherzen
So Tag für Tag die Frühlingssonne lacht!
Doch muß nicht ich mich selbst im Frühling' grämen?
Wer tröstet mich? ich selbst versteh' es nicht!
Kommt, lehret nur mich meines Kummers schämen,
So sehr mein Herz auch für den Kummer spricht.
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Wem sag' ich das? vier kalten tauben Wänden!
Doch klagt' ich selbst vier heißen Freunden vor,
Sobald auch sie das Mädchen schuldig fänden:
Wär' aller Trost umsonst, und taub mein Ohr!
Ach! wer sie sieht, mag keine Andre sehen,
Dem, der sie hört, singt Mara 1 nicht mehr süß,
Der, dem sie lacht, hört auf die Welt zu schmähen,
Dem, der sie küßt, wird sie zum Paradies.
Dem aber wird die Welt zum düstern Kerker,
Das Sonnenlicht zum Lampenschein' darin,
Wer sie verliert. Der Weis' ist dann nicht stärker
Als wie der Thor. Hin ist ihm alles, hin!
Erlaubte gleich der Himmel, der zum Lachen
Und Weinen mich gebildet hat, die Thür
Des Lebens, selbst mir früher aufzumachen
Und wegzugehn, ich bliebe dennoch hier.
Ich bliebe hier, um nur an sie zu denken,
In meinem Gram' allmählig zu vergehn,
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Und endlich noch Vergebung ihr zu schenken,
Sie dann beglückt, und mich beweint zu sehn.
Fort! laßt mich hin zum Bach' der Riesenhöhle,
Wo sie das Herz mir einst mit Schwüren gab:
Aushauchen will ich da die müde Seele;
Sie kommt vielleicht und weinet auf mein Grab.

Fußnoten

1 Sonst Schmeling, in Berlin.

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Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2012). Goeckingk, Leopold Friedrich Günther von. Gedichte. Lieder zweier Liebenden. Drittes Buch. Elegie. Elegie. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-DE88-E