[18] An sein Buch

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So bist du denn zu deiner Reise fertig?
Jetzt bist du noch in meiner Hand,
Bald aber wie allgegenwärtig
Vom Rheine bis zum Donaustrand'.
Bald wirst du, liebes Söhnchen, nun
Bei Prinzen und Prinzessen
Auf weichen Ottomannen ruhn,
Um, wenn vielleicht der Schlaf sie hat vergessen,
Den Dienst des Opiums zu thun.
Vielleicht nimmt gar ein Hoffräulein voll Gnade
Dich beim Frisiren auf den Schooß,
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Und seufzt mitleidig: Ewig Schade!
Wärst du nur ein Franzos'!
Doch, guter Junge, laß dich das nicht irren;
Geh, wie dein Vater, deinen Gang
Geruhig fort, laß um dein Ohr den Klang
Der Stangen und der Hörner plumper Sbirren,
Des Klatschens selbst der Kenner, schwirren,
Wenn, sie zu rühren, dir gelang.
Du weist, daß ich dich nicht erzog,
Um in der großen Welt zu schimmern;
Wie sollt' ich mich für dich um sie bekümmern,
Da ich ihr selbst so früh entflog?
Genug, wenn mein Gefühl mich nicht betrog,
So wird sich nie durch dich ein Herz verschlimmern;
So wird der Mann, der Freude liebt,
Vielleicht dich gern erzählen hören,
Wie in der Kunst, die Freuden zu vermehren,
Dein Vater sich sein Leben lang geübt,
Durch nichts so leicht ließ seine Ruhe stören,
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Und, wenn wir durch den Tod nur keinen Freund verlören,
Sich selbst als Greis noch über nichts betrübt.
Du brauchst, verlangt man etwa mehr
Zu wissen, nicht halsstarrig auszuweichen;
Doch sag' nur dieß: daß wir einander sehr
Im Guten, und im Bösen gleichen.
Besorge nicht, daß dich, wie Dorat's Sohn,
Die Welt einst werde Lügen strafen.
Zwar bist auch du vielleicht der Motten Speise schon,
Wenn ich bei Würmern werde schlafen;
Doch, wenn du, (möcht' ich wahr doch prophezeihn!)
Ein weitres Ziel, als ich, dir kannst erstreben,
So soll gewiß mein ganzes Leben
Kein Vorwurf dir bei deinen Freunden seyn;
Denn, Lehren hat mein Mund gewagt der Welt zu geben,
Doch prägt' ich sie zuvor erst meinem Herzen ein.
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Nicht halb so schön wardst du und deine Brüder 1
Von mir gezeugt, als Dorat's Kinder sind.
Von ihren Lippen fließt so süß die Weisheit nieder,
Wie Honigseim aus einer Linde rinnt.
Was, dacht' ich, muß nicht für ein Mann
Der Vater seyn! die Krone aller Weisen!
Ach! zehnmal war ich nah daran,
Als mir die Freiheit noch den Lebensfaden spann,
Zu Fuße nach Paris zu reisen;
So mächtig zog die Sympathie
Mich hin zu ihm! Mein liebster Wunsch auf Erden
War der, von ihm geliebt zu werden!
Ja! hätt' ich nicht das Sklavenvieh,
Wie Flaccus die Nachahmerzunft benamt,
Als Jüngling schon gehaßt, von allen
Hätt' ich nur Dorat nachgeahmt,
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Obgleich er nie der großen Welt gefallen.
Er starb; da ging ich tiefer in den Wald,
Und weint', und mochte niemand um mich dulden,
Doch beim Verzeichniß' seiner Schulden
Vertrocknete der Bach der Thränen bald.
Denn wer die Weisheit, die das Leben
Allein nur werth, es durchzuleben, macht,
So süß uns lehrt, und selbst nicht widerstreben
Der Thorheit kann, wenn sie im Schmucke lacht,
Dem kann ich Dank für seine Lehre geben,
Doch für sein Beispiel, das den Jüngling irre macht,
Nichts als ein kaltes: Gute Nacht!
O! ruhete mit seiner Asche doch
Sein Beispiel still im dunkeln Grabe,
So hätt' ich ganz des Mannes Weisheit noch,
Von dem ich nur den Witz noch habe.
Was ich, durch keine Necker 2 je verwöhnt,
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Dich suchen hieß, o Sohn! hast du gefunden,
Wenn sich von deiner Freunde Stunden
Auch Eine nur durch dich mit Rosen krönt,
Indessen, von der Welt nun losgewunden,
Sich selbst nach Ruhm dein Vater nicht mehr sehnt.
Doch darf er dort den süßen Traum noch träumen,
Daß hier den Lessingen und Gleimen
Dein Lied im Finkenbusch' das Frühstück hat gewürzt,
Vielleicht der Frau in Rammelburg 3 die Länge
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Des Winterabends, durch Gesänge,
Die du die Töchter lehrtest, sich verkürzt;
Der Sprung ins Grab wird leichter dann
Durch einen solchen frohen Glauben!
Denn freilich werd' ich mich der hohen Buchenlauben,
Der Rosen, die ich selbst daran
Gepflanzt, der Muskatellertrauben,
Wozu ich selbst den Stock gelegt,
Und meiner wunderschönen Tauben,
Die ich so pünktlich selbst verpflegt,
Wohl ungern, selbst als Greis, berauben.
Doch laß' ich dich gesund und stark zurück,
So kann die Welt mich leicht entbehren.
Der Unzufriedenheit die Zähren
Sanft abzutrocknen, und der Thoren Schwarm
Zu überzeugen, daß, zu viel begehren,
Den Armen nur noch ärmer macht als arm,
Das wird nicht jedermann gegeben:
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Kannst aber du das noch, mein liebes Kind,
Wenn meine Knochen längst ein Spiel der Winde sind,
Wie leicht verlaß' ich dann ein Leben,
Worin ich selbst, so wenig mir's auch schien,
Nichts besseres den Menschen konnte geben,
Nichts bessres für sie thun, als dich für sie erziehn.

Fußnoten

1 Die folgenden Theile dieser Sammlung.

2 Dorat brachte gewöhnlich seine Abende bei den Soupers der Madam Necker zu (S. Sturz kleine Schriften.) Ob übrigens Dorat gleich ein Verschwender, und in manchen Stücken der Antipode der in seinen Gedichten herrschenden Philosophie war, so scheint es doch, daß seine Landsleute ihm nicht völlige Gerechtigkeit widerfahren lassen.

3 Ein Waldschloß in der Grafschaft Mannsfeld, auf dem des Verfassers Schwester wohnte.

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Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2012). Goeckingk, Leopold Friedrich Günther von. Gedichte. Vorreden. An sein Buch. An sein Buch. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-DFDE-6