Als mein Schreibpult zersprang

Wenn im Lenz die Bäume knospen,
und der Saft die Stämme füllt,
fängt im Wald sichs an zu regen,
und des Frühlings Kuß entgegen
dehnt, erwacht, sich Zweig und Ast.
Doch nicht bloß das Holz im Walde,
auch das Holz, das, längst gefället,
als Gerät schon steht und trocknet,
fühlt des Götterboten Nahen
und in törichtem Vergessen
dehnts verlangend seine Adern:
doch, nicht fähig mehr zu grünen,
ächzt es laut auf und zerspringt.
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So, obschon vom Stamm getrennet
und verwelket in der Blüte;
weckt im Frühling mich dein Atem,
Himmelstochter Poesie,
und mein Busen drängt und hebt sich:
doch, nicht fähig mehr zu grünen,
ächzt er laut auf und – zerspringt.

Frühling 1813


Notes
Entstanden 1813.
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Citation Suggestion for this Edition
TextGrid Repository (2012). Grillparzer, Franz. Als mein Schreibpult zersprang. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-F61F-3