Erster Band.
Mit fünf colorirten Kupfern.

Albert Ludewig Grimm: Kindermährchen
[3]

Vorrede für die Aeltern.

Indem ich dieses Mährchenbuch dem Publikum übergebe, glaube ich einigermaßen zur Rechenschaft über den Inhalt desselben verbunden zu seyn. – Leicht wird man in Mordi's Garten die Fabel des Singspieles Zemire und Azor, so wie in dem Knüppel aus dem Sacke ein anderes bekanntes Volksmärchen wieder erkennen, das ich unter dieser Gestalt, die ich für die ursprünglichste halte, am häufigsten fand. Das Mährchen von dem kleinen Frieder mit seiner Geige geht ebenfalls, obgleich nur selten, noch im Volke umher. Ich habe es aus Ayrer, einem Nachfolger des Hanns Sachs genommen, wo es dramatisirt [3] steht, und einige Redensarten sind ganz von ihm beibehalten. Das Mährchen von Brunnenhold und Brunnenstark verdanke ich mit allen darin beibehaltenen Nebenumständen der Erinnerung an meinen siebenzigjährigen Großvater, einen schlichten Bürgersmann, der es mir in meinem sechsten und siebenten Jahre nebst den meisten Mährchen der Tausend und einen Nacht so oft erzählte, daß ich es mit diesen ganz in eine Reihe zu stellen gewohnt ward, und es sogar in der Tausend und einen Nacht suchte, als ich sie später einmal in die Hände bekam. Woher er den köstlichen Stoff dieses Mährchens geschöpft, ist mir bis diese Stunde noch unbekannt, so sehr ich auch allenthalben darnach forschte. Selbst meine gelehrten beiden Namensverwandten übergehen es in ihrem von ungemeiner Belesenheit zeugenden Anhange zu dem ersten Theile ihrer »Kinder- und Haus-Märchen,« und das Mährchen selbst besitzen sie nur in einem, durch des Volkes Mund sehr verunstalteten und skizzenartigen Fragmente. – Die Thierfabel von [4] der Freundschaft des Perlhuhns mit dem Seidenhäschen u.s.w. ist durch ein auffallendes Beispiel freundlichen Beisammenwohnens und Zusammenspielens jener Thiere entstanden. Ich habe nur den Thieren Sprache gegeben; und so ist diese Erzählung geworden, die eher Wahrheit, als Fabel, zu nennen wäre. Das Mährchen von der schwarzen Zither ist durch einen unvergeßlich wunderbaren Traum aus meinem frühesten Kindesalter veranlaßt, zu dessen weiterer Erzählung hier nicht die schickliche Stelle zu seyn scheint.

Ueber die Behandlung der Stoffe und das Gewand, in welchem diese Mährchen erscheinen, bedürfte es eigentlich keiner weitern rechtfertigenden Auseinandersetzung. Eine ähnliche Sammlung hatte sich eben sowohl einer ermunternden Beurtheilung in mehreren öffentlichen Blättern zu erfreuen, als sie auch von den Kindern aller Stände mit gleicher Lust gelesen Und wieder gelesen wurde. Selbst auf einem einsamen Bauernhofe fand sie einer meiner Freunde in den Händen eines Bauerknaben, der sich sogar durch die ungewöhnliche [5] Ankunft des Fremden nicht stören ließ, sondern mit unermüdlichem Eifer darin fort las. Solche Erscheinungen sind die günstigsten Recensionen für Jugendschriftsteller. Gleichwohl finde ich mich durch die Vorrede meiner Herren Namensverwandten in dem ersten Theile ihrer Sammlung zu einigen Worten darüber veranlaßt. In kindlicher Einfachheit müssen freilich die Mährchen für Kinder erzählt werden. Aber dazu gehört ein ganz idealer Erzähler, den man nicht in der ersten besten Kindermagd unserer Tage findet, und fehlt dieser, so muß der Dichter seine Stelle vertreten. Der selige Runge hat in ihrer Sammlung zwei wunderschöne Mährchen unnachahmlich in plattdeutscher Sprache erzählt. Sie sind aber gewiß nicht so aus dem Munde des Volkes aufgeschrieben. Die meisten ihrer übrigen Mährchen tragen noch das Gepräge eines ganz gewöhnlichen Erzählers aus dem Volke mit allen seinen Fehlern, wie es denn überhaupt an der übrigens so sehr verdienstlichen Sammlung zu bedauern ist, daß nicht sorgfältiger davon abgeschieden wurde, was doch [6] augenscheinlich durch die Länge der Zeit, während diese Mährchen Volkseigenthum waren, von verschiedenen Erzählern Schlechtes und Unpoetisches in Form und Stoff zugemischt ist, woher es auch kommt, daß man unter verschiedener Form dasselbe Mährchen oft zwei- oder dreimal in demselben Buche findet.


Als ein Buch, das Kindern in die Hände gegeben werden kann, darf man jene Sammlung aber keineswegs ansehen, wenn auch alles Erwähnte unerwiesen oder unschädlich wäre. Ich habe es immer nur mit dem größten Mißfallen in Kinderhänden gesehen. Statt weiterer hier nicht am rechten Orte stehender Erörterungen verweise ich nur auf Nr. 12, und Väter und Erzieher werden hier, wie an noch mehreren Orten, Ursache genug finden, ihm nicht den Namen einer Kinderschrift beizulegen, was es auch nach der Ansicht der Herren Herausgeber wohl gar nicht seyn soll. Sollten sie es aber doch auch dazu bestimmt gehabt haben, so möchte hier das alte Sprüchlein [7] anzuwenden seyn: »Niemand kann zweien Herren dienen.« –

Nur das Reinste kann Stoff für die Phantasie des Kindes seyn, und Halbreines ist hier schädlicher, als völlig Unreines. In dieser Ueberzeugung ist Lina's Mährchenbuch entstanden, und Niemand wird in dieser Rücksicht ein Aergerniß daran zu nehmen Ursache finden.


So nehmt es denn hin! und möchten sich recht viele Kinder seiner erfreuen, wie sich viele der ersten Sammlung erfreuten.

Daß ich dieses Buch aber gerade Lina's Märchenbuch nenne, werden sich alle Kinder, so Knaben als Mädchen, schon gefallen lassen, wenn ich ihnen sage, daß Lina dasselbe gute Mädchen ist, von dem in dem Mährchen von der Freundschaft des Perlhuhns mit dem Seidenhäschen u.s.w. erzählt wird, und dem alle jene Thiere gehörten.


Weinheim, im Christmonate.


A.L.G. [8]

Zur Erklärung des Titelkupfers.

Auf der Höhe ruht der Sänger,
Mild umspielt vom Abendwind
Zu den Füßen seiner Lieben;
Neben ihm ein lieblich Kind.
Unter ihm auf blauen Wellen
Still dahin die Schiffe ziehn,
Und die alten Schlösser schauen
Ernst aus dunklem Blättergrün.
Ueber ihm regt seine Schwingen
Stolz ein silberweißer Schwan,
Und der Abendstern blickt grüßend
Den verzückten Dichter an.
Aus den Felsenritzen tönet
Neckischlust'ger Gnomen Chor;
Ueber ihren braunen Häuptern
Lacht ein bunter Blüthenflor.
[9]
Der Poet lauscht bald der Sage,
Bald des Mährchens süßem Sang,
Und berührt vom Schmetterlinge
Rauscht der Zitter Saitenklang.
Liebe flüstert mild zur Sage,
Sage spricht zum Dichter mild;
Er erzählt dann Sag' und Mährchen,
Tief im Thal dem frommen Kind.

Karoline Leonhadt-Lyser. [10]

[11] [1]1. Mordi's Garten,
ein dramatisirtes Mährchen in vier Akten.

Mordi »Bist du etwa Besenstielchen?«⋼ (Mordis Garten) (Albert Ludewig Grimm: Lina's Mährchenbuch)
[1]

Personen

Personen.

Herr Mordi, erst ein Ungeheuer, hernach ein König.
Schira, ein reicher Kaufmann.
Astralle
Hirlanda
Roselinde, seine Töchter.
Sami
Lugar
Guran, Schira's Diener.
Ein Meister Arzt.
Besenstielchen.
Rauna
Billowa
Lodissa, Königstöchter.
Mehrere Diener Mordi's und Schira's.
Miß Käthchen, im Anfange Misekätzchen.
Hunde, Störche und dergleichen Diener Mordi's.
Minister, Räthe, Gefolge.

1. Akt

1. Szene
Erste Scene.

(In Mordi's Garten.)


Ein breiter Weg zieht durch hohe, blühende Bäume: neben dem Wege blühen mancherlei Blumen. Ein wenig vom Wege entfernt steht ein Rosenstock mit einer einzigen eben aufblühenden Rose. Etwas ferner sieht man dichte Lauben und schattige Gänge. Im Hintergrunde steht ein prächtiges Schloß, über welches ein hohes Gebirge hervorragt, auf dem einzelne rauchende Hütten zerstreut liegen.


Schira,

auf einem schönen Arabischen Rosse reitend, hinter ihm seine Knechte mit reich beladenen Kameelen. Er hält sein Pferd an, und ruft zurück.


Haltet, Knechte! laßt die Thiere
Von der Fahrt ein wenig rasten.
Mögt auch selbst ein wenig ruhn.
Früh sind wir ja aufgebrochen,
Und es war der Weg beschwerlich,
Bin des Reitens selber müde.

Er steigt ab, und winkt einem Diener.


[3] Sami, nimm mein Roß am Zügel,
Führ' es, bis es sich verkühlet.

Sami

nimmt das Roß, und führt es auf und ab.


Schira, umhersehend.


Ei, welch blumenreicher Garten
Ist das nicht, in dem wir weilen.
Wer nur in dem Garten lebte,
Wer die Herrschaft jenes Schlosses;
Müßte glauben, Frühling sey es,
Während draußen vor dem Garten
Schon der Herbstwind von den Bäumen
Roth und gelbe Blätter schüttelt.

Sami.

Ja, das ist auch Mordi's Garten,
Wo die Blumen immer blühen.
Schira.

Mordi's Garten? Wer ist Mordi?
Sami.

Herr, nachher sollt Ihrs erfahren,
Wenn wir aus dem Garten ziehen.
Hier getrau ich's nicht zu sagen.
Schira.

Furchtsam Herz! Ich kenn dich, Alter.
[4] Steckt dein Kopf doch voller Mährchen,
Die verwirren dir die Sinne.
Sami.

Hütet Euch, daß Ihr nicht selber
In ein Mährchen Euch verstricket.
Folget meinem guten Rathe,
Und verlaßt Herrn Mordi's Garten;
Haltet wenigstens Euch ruhig.

(zu den Knechten:)

Und ihr Andern, bleibt im Wege,
Daß die Thiere nichts zertreten!
Hütet euch vor Mordi's Rache.
Schira.

Hat ein Wahnsinn dich ergriffen,
Alter? bist du närrisch worden?
Sami.

Herr, befolget, was ich sage,
Denn ich kenne wohl den Garten;
Wohnt ich einst doch in der Nähe. –
Seht Ihr dort die Hütten rauchen?
Dort stand meines Vaters Hütte,
Dort erzählte mir die Mutter
Manches wunderliche Mährchen,
Und dann wies sie oft herunter,
[5] Sprechend: »Seht, dort ist's geschehen!
Dort steht noch Herrn Mordi's Garten.
Darum bleibt hier auf den Bergen,
Hütet euch vor Mordi's Rache!«
Schira.

Dort im Schlosse wohnt Herr Mordi?
Sami.

Schweigt, o Herr, ich bitt' Euch herzlich!
Alles sollt Ihr ja erfahren,
Wenn wir aus dem Garten ziehen.
Nur verschont mich jetzt mit Fragen.

Schira, unwillig.

Läppisch Kind mit grauem Kopfe!
Solltest dich der Einfalt schämen.
So behalte dein Geheimniß,
Deine dummen Ammenmährchen!
Will sie jetzt auch gar nicht wissen.
Aber geh mir aus den Augen,
Und im Zuge sey der Letzte.
Führ' ein Andrer meinen Rappen,
Daß ich ihn heut nicht mehr sehe.

Guran
nimmt ihm das Roß ab, und Sami geht traurig auf die Seite.
[6] Lugar kommt.

Sollen wir ein Zelt Euch spannen,
Das Euch vor der Sonne schirmet?
Schira.

Laßt's. Wir rasten hier nicht lange,
Stehn ja hier auch viele Bäume,
Ferne dort auch kühle Lauben,
Drin ich kühlen Schatten fände.
Doch mich lockt der schöne Garten,
Näher mir ihn zu betrachten.

(Er geht herum, und betrachtet die Blumen.)

Sieh doch! blühn ja hier versammelt
Alle Blumen, die ich kenne.
Nur die Königinn der Blumen,
Nur die Rose seh' ich nirgend.
Und vor allen möcht' ich grade
Eine Rose mir jetzt pflücken,
Denn es mahnen mich die Blumen
An ein unerfüllt Versprechen.
– Als ich auszog aus der Heimath,
Fragt' ich meine Töchter alle:
Was soll ich euch aus der Ferne
Bringen, wenn ich wiederkehre?
Und es forderten die ältern
[7] Sich ein Kleinod zum Geschenk.
Doch als ich die dritte fragte,
Meine zarte Roselinde:
Sprich, was soll ich für ein Kleinod
Dir mein herzig Mädchen bringen?
Sprach sie: Bring von deinen Fahrten
Mir, o Vater, nichts zum Schmucke,
Nichts, als nur ein frisches Röslein.
Das versprach ich, nicht bedenkend,
Daß ich mit dem Herbst erst wieder
Mich zu meiner Heimath wende. –
Unter vielen reichen Waaren,
Die ich zum Verkauf' ertauschet,
Bring' ich auch, was ich versprochen,
Meinen beiden ältern Töchtern. –
Roselindens frisches Röslein
War mir aus dem Sinn gekommen.
Hier kann ich es ihr nun suchen.
Und in feucht genetztem Moose
Hält es sich wohl frisch und blühend,
Bis ich es nach Hause bringe,
Was bis morgen kann geschehen.
Lugar.

Täuscht mich nicht mein Auge? sehet,
[8] Blüht dort nicht ein frisches Röslein,
Schön, wie Roselindens Wangen?
Schira.

Nein, es täuscht dich nicht dein Auge;
Ja, das ist ein frisches Röslein!
Und wie schön! es faltet eben
Aus dem grünen Kelch die Blätter,
Die erröthend sich in Fülle
An das Licht der Sonne drängen.

(Er geht hin, die Rose zu brechen.)

Komm, du Röslein, laß dich brechen!
Sollst mein frommes Kind – –

Sami
(stürzt ihm in den Weg und läßt sich auf die Kniee.)

O, haltet!
Zürnet, Herr, so viel Ihr wollet,
Stoßt mich ganz aus Euern Diensten,
Stoßt mich alten Mann ins Elend –
Aber schonet Euch nur selber,
Brecht von Mordi's Blumen keine.
Schira.

Bist du ganz von Sinnen, Alter?
Sami.

Laßt, o laßt die Rose stehen.
[9] Schira.

Sami, stelle nicht zu lange
Meine Nachsicht auf die Probe,
Daß ich deine früh're Treue
Nicht um deiner Thorheit willen
Gar vergesse. – Und was ist es
Denn am Ende werth der Rede?
Mag Herr Mordi seine Rose
Höher achten, als wir glauben, –
Wäg ich sie ihm auch mit Golde,
Wird er sich zufrieden geben;
Und der Kauf soll mich nicht reuen,
Müßt ich zehnfach Goldesschwere
Für das frische Röslein wägen,
Um es meiner Roselinde
Von der Fahrt mit heim zu bringen,
Wie beim Abschied ich versprochen.
Darum geh, laß mich gewähren!

(Er stößt ihn zurück, und bricht die Rose.)
Sami.

Herr, Ihr werdet mein gedenken.
Schira.

Wohl, so ist es meine Sache.

(Er betrachtet die Rose.)

[10] Ei, wie herrlich ist das Röslein.

(zu den Dienern:)

Geht, und sammelt in ein Kästlein
Weiches Moos, und netzt's mit Wasser,
Daß wirs unverwelkt erhalten.
Suchet in der Karawane
Das Kameel mit rother Decke.
Jenes trägt an goldnen Dosen
Einen reichen Schatz. Die größte
Soll das frische Röslein bergen.

Einige Diener abgehend.

Herr, wir werden's gleich besorgen.

Schira zu Sami.

Nun, hier hab ich ja die Rose,
Und was ist uns denn geschehen?
Siehst du, alter Mährchenvater,
Wie du kindisch bist und albern!
Sami.

Herr, o Herr, lacht nicht zu frühe,
Sind wir erst aus Mordi's Garten,
Dann erst kann ich auch mich freuen.

Ein Diener laufend.

Wehe, Herr, es kommt!
[11] Schira.

Was kommt denn?
Diener.

Schwarz und feurig.

Andere Diener, laufend.

Zähne so lang!
Schira.

Was denn!
Diener.

Ohren so groß!
Schira.

Was denn?

(Man hört stark und dumpf brüllen.)
Diener.

Hört Ihr?

Andere Diener kommen gelaufen.

Rettet, rettet!
Sami.

Gelt, ich sagt es?
Hättet Ihr nur glauben wollen!
Schira.

Feige Knaben! warum rennet
Ihr so thöricht?
[12] Knechte.

Hättet Ihr es
Nur gesehen. –
Schira.

Groß und schwarz ists?
Zähne so lang, Ohren so groß –?

(Er lacht:)

Was Unwissenheit nicht thun kann!

(Er lacht noch stärker:)
Knechte.

Ja, die Nase, Herr! die Nase!

Schira noch stärker lachend.

Nun, die Nase, ja die Nase!
Dann ists eben so gewisser
Nur ein Elephant gewesen,
Und vermuthlich gar ein zahmer,
Den Herr Mordi sich gezogen.
Diener.

Aber, Herr, die Feueraugen –
Schira.

Die du in der Angst gesehen?
Waren klein, wie Ochsenaugen.
Hundertmal hab ich's gelesen,
[13] Und in Bildern oft gesehen.
Schämt euch, schämt euch, o ihr Thoren!

(Man hört ganz nahe fürchterlich brüllen: Blut! Blut! Blut!)
Schira fährt erschrocken zusammen.
Guran bringt das Roß.

Gelt, Ihr schreckt doch auch zusammen?
Setzet Euch auf Euern Rappen,
Und entflieht so schnell Ihr könnt.
Sami.

Ist zu spät, da kommt er eben.
Mag Euch jetzt der Himmel schützen

Guran, Lugar, Diener, Knechte laufen ab.
Sami bleibt in nicht großer Entfernung stehen.
Mordi kommt.

(Er ist ein Ungeheuer mit großem schwarzem Kopf mit zwei faustgroßen feuerfarbenen Augen; zwei große schwarzzottige Schlappohren hängen ihm bis auf die Schultern; auf der Stirne sitzen ihm zwei dicke aber kurze, stumpfe Hörner; zu dem Rachen stehn ihm, auf- und abwärtsgebogene große, sehr spitze Zähne hervor, und darzwischen hängt ihm eine große blutrothe Zunge weit herab. Die Nase ist aufwärts gebogen und beweglich. Sein Leib gleicht einer ungeheuern Raupe, ist mit schwarzen Schuppen auf dem Rücken, mit gelblich rothen am Bauche bedeckt, und endigt sich in einem langen Schlangenschwanz, auf dem er aufrecht steht. Die Arme sind riesenhafte Adlersfüße mit scharfen Krallen.

Es geht auf Schira zu, der zitternd stehen bleibt, umschlingt ihn mit seinem Schwanze, und packt ihn mit der Kralle an der Schulter; dann spricht er sehr dumpf und langsam:)


[14] Schira, Schira, mußt es büßen!
Reicher Kaufmann mußt bezahlen!
Hast mein Röslein abgebrochen,
Mußt das Röslein theuer zahlen.

Schira ängstlich.


Fordert nur, wir werden hoff' ich
Handels einig. – Aber lasset
Eure Krallen – Seid nicht böse –
Eure Nägel, wollt' ich sagen –
Bitte, laßt sie mir vom Leibe.

Mordi schäumend.


Meiner Rache bist verfallen,
Darum fühle meine Krallen.
Drücke dir sie bis ins Blut,
Blut nur büßt den Frevel gut.

Schira.

Ach, mein Herr, seid nur vernünftig,
Fordert nur, ich will ja gerne,
Was Ihr fordert, Euch bezahlen.
Fordert Geld, so viel Ihr wollet.
Mordi.

Geld? ich hab' genug des Quarkes.
Schira.

Nun, wie kann ich denn bezahlen?
[15] Mordi.

Du bezahlst mit deinem Leben.
Schira.

Mit dem Leben?
Mordi.

Mit dem Leben!

Schira halb für sich klagend.

Meine fromme Roselinde,
Du begehrtest das Geringste,
Und dieß kostet mich am meisten.
Das hast du wohl nicht gefürchtet,
Daß dein Vater mit dem Leben
Dir dein Röslein kaufen würde?
Mordi.

Hattest du für Roselinde
Dieses Röslein abgebrochen?
Schira.

Ja, ich brach's für Roselinde.
Mordi.

Wohl, so magst du weiter ziehen,
Magst ihr auch das Röslein bringen,
Daß sie sich mit selbem schmücke.
Du bist frei von jeder Strafe.
Aber sie, die es begehret,
[16] Sie, für die du es gebrochen,
Mußt du mir zu eigen geben.
Schira.

Roselinde Euch zu eigen?
Mordi.

Ja, so sagt ich: mir zu eigen.
Schira.

Laßt Ihr Euch denn nicht erbitten?
Seht, da hab' ich hundert Thiere,
Jegliches ist reich beladen,
Jegliches mit andern Waaren,
Die in diesem Lande fremd sind,
Jegliche von großem Werthe –
Wählt Euch nur, was Euch gefällig.
Mordi.

Roselinde will ich haben.
Schira.

Ach, was wollt Ihr mit dem Kinde?
Wenn Ihr es auch fressen wolltet –
O, verzeiht! ich wollte sagen:
Wenn Ihr es auch essen wolltet –
Denkt, sie hat erst zehn, elf Jahre!
's ist kein guter Bissen an ihr;
Junges Fleisch ist gar nicht kräftig.
[17] Mordi.

Roselinde will ich haben!
Mach' mich nur nicht ungeduldig.
Schira.

Bitt' Euch, denkt an Euern Magen!
Fraget nur einmal den Doktor,
Solches Fleisch kann nicht gesund sein.
Wollt Ihr Euch um's Leben bringen?
Mordi.

Willst du noch in Zorn mich bringen?

(Er faßt ihn, und schüttelt ihn von Neuem mit den Krallen seines Arms:)

Nun, so fühle meine Krallen!
Soll ich Roselinde haben?
Schira.

Au, au, au! so zwingt Ihr freilich
Endlich mich, nur ja zu sagen.

Mordi ihn loslassend.

Wirst du endlich doch vernünftig?
Schira.

Ach, ich bin es ja schon lange,
Aber Ihr – verzeiht! ich meine,
Ihr thut klüger – Seht die Thiere!
[18] Seht nur hier wie reich beladen!
Nehmt so eins; laßt mir das Mädchen.
Mordi.

Was?
Schira.

Nun zwei? – Auch vier nicht? – Sechse?
Zwölfe? – Zwanzig? – Aber vierzig?

Mordi geht auf ihn zu.
Schira, vor ihm laufend.

Auch vierzig nicht? – dann sechzig? achtzig?

Mordi umschlingt ihn wieder.
Schira.

So nehmt sie meinetwegen alle.

Mordi schüttelt ihn.

Will ich denn Kameele haben?
Schira.

Roselinde wollt Ihr haben.
Mordi.

Schwörst du mir bei deinem Leben,
Roselinden mir zu senden,
Wenn ich meine Diener schicke?
Schira.

Schwör es Euch bei meinem Leben,
[19] Roselinden Euch zu senden,
Wenn Ihr Eure Diener schicket!
Mordi.

Wohl, nun magst du weiter ziehen.
Meine Diener werden kommen,
Wenn der dritte Morgen scheinet.

(Er geht ab nach dem Schlosse.)
Schira ihm nachsehend.

Ja, nun mag ich weiter ziehen,
Jetzt, nachdem ich hier verloren,
Was das Liebste mir gewesen.

Diener und Knechte kommen furchtsam.
Schira.

Wollt ihr denn hier ewig bleiben
In der Macht des Ungeheuers?
Jeder schnell zu seinen Thieren!
Treibt sie eilig durch den Garten,
Daß wir nicht zum zweitenmale
In die Krallen ihm gerathen.

Die Knechte
jagen ihre Kameele auf, und ordnen sie zum Zuge.
Lugar
bringt eine große goldene Dose und etwas feuchtes Moos.

Hier ist, Herr, die goldne Dose;
[20] Größer konnt ich sie nicht finden.
Doch das Röslein wird hinein gehn.

Schira legt die Rose hinein.

O, du fromme Roselinde,
Dir soll ich das Röslein geben,
Das ich um dich selbst erkaufet.
Das ich mit dir selbst bezahle?
– Ja, du hast es selbst begehret.
O, ich hätt' es merken sollen,
Als du nur ein Röslein wünschtest,
Daß in dem geringen Wunsche
Noch geheim ein Zauber stecke.

Guran bringt das Roß.
Schira
nimmt den Zügel, und giebt Guran die Dose.

Nimm die Dose, trag sie sorgsam,
Daß du mir sie nicht verlierest.
Sie enthält ein theures Kleinod,
Wohl das theuerste von allen,
Die ich in der Karawane
Diesesmal nach Hause bringe.

(Er steigt auf das Roß.)

Armes Mädchen! armes Mädchen!
[21] Warum mußtest du vor allen
Auf die Rose denn verfallen?

(Er reitet traurig und langsam ab. Die Diener und Knechte folgen ihm mit den hundert Kameelen in geordnetem Zuge.)

2. Szene
Zweite Scene.

(In Schira's Hause. Wohnzimmer.)


Hirlande, Astralle und Roselinde.

Astralle.

Meine Spitzen sind jetzt fertig.
Jetzt hab' ich den schönsten Anzug,
Den ich mir nur wünschen könnte:
Denket euch mein Kleid von Scharlach,
Meine goldgestickten Schuhe,
Meine Diamantenringe,
Und jetzt gar mein Spitzenschleier! –
Ach, wie stolz will ich dahergehn!
Meine Perlen in den Haaren!
Aber Eines fehlt noch, – Eines:
Gold'ne Ohrgehäng' mit Steinen,
Die im Lichte strahlend flimmern.
Doch die bringt mir ja der Vater,
[22] Wenn er kommt von seiner Reise.
Aber dann ist auch mein Anzug
So vollkommen, als nur möglich.
Hirlande.

Und mir fehlt es nur an Ringen.
Weißt du? Ohrgehänge hab' ich,
Aber keine Demantringe.
Darum sagt ich auch dem Vater,
Als er fragte, was ich wollte:
Schöne Fingerringe möcht' ich
Wohl an meinen Händen tragen.
Die versprach er mir zu bringen. –
Ach, er bleibt nur gar zu lange
Diesesmal auf seinen Reisen.
Roselinde.

Fast kann ich ihn nicht erwarten.
Als die Veilchen kaum noch blühten,
Zog er mit der Karawane
Nach dem reichen Morgenlande.
Jetzt sind schon die Asterblumen
Bald verblüht, und immer, immer
Will er noch nicht wiederkehren.
Hirlande.

Ei, mich freut's, wenn lang er bleibet.
[23] Solches ist ein sicher Zeichen,
Daß er viele reiche Waaren
Sich ertauscht in fernen Landen.
Und so wird er immer reicher,
Gar so reich, als unser König,
Und wenn man von uns dann redet,
Sagt man nur: die reichen Damen –
Täglich dürfen wir in Seide
Und in Gold gestickt dann gehen,
Dürfen bei des Königs Festen
Sitzen unter seinen Rittern,
Wie die Gräfinnen und Fräulein,
Spielen dann mit seinen Töchtern,
Tanzen auch mit seinen Söhnen.
Astralle.

Ja, da hast du Recht. Wir sehen
Ja schon jetzt, wie alle Leute,
Die an uns vorüber gehen,
Tief sich neigend uns verehren.
Roselinde.

Ja, sie grüßen uns sehr höflich.
Aber sag mir, liebe Schwester,
Wenn wir nun in schlechten Kleidern
[24] Gingen, wie im Hof die Mägde,
Würden sie dann auch uns grüßen?
Astralle.

Ei, wie dumm!
Hirlande.

Einfältig Mädchen!
Astralle.

Wer wird eine Magd denn grüßen,
Die in schlechten Kleidern gehet,
Wie man reiche Kaufmannstöchter
Grüßet, die in Seide gehen?
Roselinde.

Ei, da grüßen ja die Leute
Uns nicht, sondern unsre Kleider.
Hirlande.

Wie du wieder kindisch redest
Für ein Mädchen von elf Jahren.

(zu Astrallen:)

Komm, Astralle! komm, wir wollen
Uns an's Kaufgewölbe setzen,
Wo die Leute aus- und eingehn.
Habe von des Königs Hofe
Eingehn sehn zwei hohe Diener,
Die sind immer gar zu höflich
[25] Ach, wie werden die sich neigen,
Wenn sie uns da sitzen sehen.

(Sie gehen ab.)
Roselinde allein.

Ich weiß nicht, was meine Schwestern
Nur in aller Welt dran haben,
Wenn sie fremde Leute grüßen,
Da man doch ihr Kleid nur grüßet.
Und warum denn möchten gar sie
Mit des Königs Töchtern spielen?
Pfui! mit diesen spielt ich gar nicht!
Hab' ihnen noch vor wenig Tagen
In dem Garten ihres Schlosses
Beim Spazierengehn begegnet.
Als die Eine springen wollte,
Einen Schmetterling zu haschen,
Sagte gleich die alte Dame
Mit der spitzen, rothen Nase,
Die sie überall begleitet,
Auf Französisch ein Par Worte:
»Fi ma chère vous êtes prinçesse!«
Und des Vaters Schreiber sagte,
Dieses heiße: »Pfui doch, Liebe!
Schickt sich das für die Prinzessinn?«
[26] Nein, wenn ich nicht laufen dürfte,
Nicht nach Schmetterlingen haschen,
Nicht mit meinem Lämmchen springen,
Nicht im Garten Fangens spielen,
Oder meine Blumen gießen –
Sitzend möcht' ich gar nicht spielen.
– Ei, da kommt das liebe Mädchen
Aus den kleinen Häuschen drüben,
Wo der Besenbinder wohnet.

Besenstielchen
guckt furchtsam zur Thüre herein; in der Hand hat sie eine Handvoll Samenkronen vom Löwenzahn.

Darf ich' rein?
Roselinde.

Ja, Besenstielchen;
Meine Schwestern sitzen unten.
Freilich, wenn die bei mir wären
Würden sie dich von mir schicken;
Denn sie sagen, ich sey reicher,
Hätte viele schöne Kleider,
Und da woll' es sich nicht schicken,
Daß ich mit dir freundlich spiele,
Denn du hättest schlechte Kleider;
[27] Aber ich hab' doch dich gerne. –
Ei, was hast du da für Dinge?
Besenstielchen.

Blumenlichter. Guck!

(Sie bläst die Samenkrone von einem Stiel ab.)

Ei, Alles!
Das bedeut' mir langes Leben.
Roselinde.

Ach, du liebes Besenstielchen,
Sey so gut, schenk mir doch eines.
Besenstielchen.

Da, da!

(Sie gibt ihr alle.)

Nimm nur alle. Morgen
Geh' ich wieder mit dem Vater
In den Wald nach Besenreisern,
Bring dir da den ganzen Arm voll.

Roselinde bläst eine Samenkrone ab.

Sieh, das hab' ich ausgeblasen,
Alles ist davon geflogen.

(Sie bläst die andern auch ab.)
Besenstielchen.

Guck, ei, guck! du wirst recht alt noch.
[28] Roselinde.

Ei, wo kannst du das denn sehen?
Besenstielchen.

Ist kein Härchen dran geblieben,
Das bedeutet langes Leben.
Mein' Großmutter weiß so Vieles,
Die hat mir das auch gelehret.
Aber die muß sehr bald sterben,
Sie hat so 'nen schwachen Athem,
Kann dir keines halb ausblasen,
Bleiben alle beinah hängen.
– Ach, was hast du da für schöne
Rothe Schuh an, Roselinde?

Roselinde zeigt sie.

Gelt, du hast nur immer schwarze?
Schwarze Schuh sind aber besser,
Da darf man doch auf der Straße
Gehn und springen nach Gefallen,
Auf den Wiesen und im Walde.
Aber da mit meinen Schuhen
Darf ich morgens nicht im Garten
Anders, als im Wege gehen,
Weil sie sonst vom Thau verderben.
Ich möcht' lieber schwarze Schuhe!
[29] Besenstielchen.

Nein, ich nicht, ich lieber rothe.

Roselinde zieht die rothen Schuhe aus.

Da!

(Sie gibt sie hin und springt in den Strümpfen herum).

So ist es noch viel besser,
Ohne Schuh, in bloßen Strümpfen.

Besenstielchen
betrachtet die rothen Schuhe mit Vergnügen.
Roselinde.

Nun, so zieh sie an, sie sind dir
Groß genug.
Besenstielchen.

Ach, nein! ich darf nicht!
Deine Schwestern werden schelten.
Roselinde.

Nein! ach, nein!

(Sie bückt sich, hilft Besenstielchen die rothen Schuhe anziehen, und sich zieht sie die schwarzen Schuhe an.)


Wie angemessen,
Passen sie dir ja am Fuße.
Sieh, jetzt hast du rothe Schuhe.

Besenstielchen.

Dürft' ich sie nur auch behalten!
[30] Roselinde.

Ei, du sollst sie ja behalten.
Besenstielchen.

Deine Schwestern –
Roselinde.

Ach, das thut nichts.
Aber wart', zu rothen Schuhen
Steht nicht gut dein braunes Kleidchen.

(Sie fängt an, ihr Oberkleid auszuziehen.)

Komm, ich geb dir auch mein Kleidchen,
Und du mußt mir deines geben.

Besenstielchen fängt an sich auszuziehen.

Ach, das schöne weiße Kleidchen!
– Aber –
Roselinde.

Was denn?
Besenstielchen.

Deine Schwestern!
Roselinde.

Ach, die werden mir nicht zanken,
Hab' ja noch gar viele Kleider.
So! – Gib mir nun auch die Mütze;
Da hast du mein Bändernetzchen.

(Sie zieht es ab, und setzt es ihr auf.)

[31] Ei, wie steht dir das so niedlich.

(Sie ziehn sich gegenseitig vollends an.)
Roselinde.

Sieh, jetzt bist du Roselinde,
Und ich bin das Besenstielchen.
– Wart, wir wollen 'mal so spielen,
Ich wär du, und käm jetzt zu dir.

(Sie geht zur Thüre hinaus, klopft an, und kommt wieder herein.)

Guten Morgen, Roselinde?
Besenstielchen.

Guten Morgen, Besenstielchen.

(Sie lachen beide).
Roselinde.

Ist dein Vater noch nicht kommen
Aus dem reichen Morgenlande?
Besenstielchen.

Weiß nicht, liebes Besenstielchen.

Roselinde halb still, verweisend.

Ach, das war ja dumm! du wirst doch
Wissen, ob dein Vater hier ist?

(verbessernd:)

Nein, er ist noch nicht gekommen!
Sieh, so hätt'st du sagen sollen.
[32] Besenstielchen.

Frag mich wieder, will's dann sagen.
Roselinde.

Ist dein Vater noch nicht kommen?
Besenstielchen.

Nein, er ist noch nicht gekommen.

(Man hört vor der Thüre Schira's Stimme.)
Roselinde freudig.

Ach, da kommt er, Besenstielchen!
Draußen hör' ich seine Stimme.
Freu dich! freu dich! ja, das ist er!
Besenstielchen.

Könnt ich nur hinaus noch kommen.
Kann ich mich denn nicht verstecken?

(Sie versteckt sich hinter die Tische.)
Schira kommt mit Hirlande und Astralle.
Roselinde dem Vater entgegen.

Bist du kommen, lieber Vater?
Bist du endlich wieder kommen?

(Sie springt an ihm hinauf, und küßt ihn.)

Bist so lange ausgeblieben.
Schira.

Ei, was ist das, Roselinde?
Bist du's denn?

[33] Roselinde steht beschämt.
Hirlande.

Um Himmelswillen!
Wie ist das denn zugegangen?
Astralle.

Hätt' ich doch darauf geschworen,
Du seist Nachbars Besenstielchen
Drüben aus dem kleinen Häuschen!
Schira.

Wie kamst du zu diesem Kleide?
Roselinde.

Ach, ich spielte mit dem Mädchen,
Tauschte mit ihm meine Kleider. –
So hab' ich doch auch ein Kleidchen,
Drin ich auf dem Gras darf purzeln,
Und mit andern Kindern spielen.
Hirlande.

Siehst du, Vater! solche Streiche
Macht sie immerfort. Wir haben
Recht viel mit ihr ausgestanden,
Seit allein wir bei ihr waren.
Und auf uns will sie nicht hören.
Astralle.

Ist so groß und noch so kindisch.
[34] Schira.

Schweigt, o schweigt, ich weiß es lange,
Daß ihr sie auch gern zur Puppe
Putzen möchtet, wie euch selber.
Immer noch das alte Liedchen?
Gleich zum Willkomm nichts als Klagen?
–Und besonders heute müsset
Ihr sie mir nicht schelten. Komm nur!
Komm, mein Roselindchen, komm denn?

(Da Roselinde zu ihm kommt, hebt er sie in die Höhe, drückt sie an sein Herz, seufzt schwer, und die Thränen fallen ihm aus den Augen. Darauf stellt er sie wieder nieder, und spricht zu ihren Schwestern.)


Seht, ihr wißt ja nicht, wie lange
Ihr die Schwester bei euch habet.
Eh' vielleicht, als ihr es glaubet,
Wird sie von uns scheiden müssen.
Armes, armes Roselindchen!

(Er drückt sie noch einmal heftig und im Schmerz an sich; dann eilt er, seine Thränen verbergend, ab.)


Roselinde sieht ihm weinend nach.

Hirlande.

Ei, was fehlt denn nur dem Vater?

Astralle gleichgültig.

Was wirds seyn? er ist halt traurig.
Ich mag auch nicht immer lachen.
[35] Aergert mich nur, daß er's grade
Heut zum Willkomm so gewesen.
Jetzt, wer weiß es, noch wie lange
Zeit es dauert, bis wir endlich
Kriegen, was er uns versprochen.
Und ich bin so ungeduldig,
Kann es beinah nicht erwarten.
Hirlande.

Ach, vielleicht hat er es gar nicht.

Roselinde folgt dem Vater nach.

Ich muß sehen, was ihm fehlet.

(ab.)
Lugar und Guran kommen.
Lugar.

Hier, ihr Jungfraun, sind vom Vater
Die versprochenen Geschenke.
Hier die reichen Ohrgehänge.

Astralle nimmt sie ihm schnell ab.
Lugar.

Hier die Diamantenringe.

Hirlande nimmt sie, steckt sie an.

Ach, wie herrlich!

Astralle, ihre Ohrringe betrachtend.

Ach, wie kostbar!
[36] Guran.

Und für Roselinde hab' ich
Hier ein Röslein in der Dose.

Astralle zeigt nach der Thüre.

Roselinde ist da drinnen.
Hirlande.

Sag dem Vater nur einstweilen
Unsern Dank.
Astralle.

Wir kämen selber
Gleich, bei ihm uns zu bedanken.
Hirlande.

Sag, wir wollten die Geschenke
Hier nur erst noch anprobiren,
Und im Schmucke dann uns zeigen.

( Lugar und Guran ab.)
Hirlande.

Sieh die Ringe! sieh die Ringe!
Just für jeden Finger einen,
Und sie passen, wie gegossen.

Besenstielchen
guckt neugierig hervor, versteckt sich aber sogleich wieder.
Astralle.

Aber diese Ohrgehänge!
[37] Sieh, wie bunt, in Farben spielend!
Rothe, blaue, grüne Lichter!
Wie die Diamanten blitzen!

(Sie zieht sie vor dem Spiegel an.)

Und wie leicht sie angehn, sieh doch!
Hirlande.

Ach, jetzt sind wir gar zu glücklich!
Alles, was wir uns nur wünschten,
Haben wir jetzt, Alles, Alles!
Astralle.

Roselinde war recht kindisch,
Daß sie nur ein Röslein wollte.
Hirlande.

Komm, jetzt wollen wir zum Vater.
Astralle.

Geh, er ist ja gar zu mürrisch.
Hirlande.

Komm, wir müssen ihm doch danken.
Astralle.

Ach was! danken! – Glaub nur sicher,
Das ist ihm für seinen Reichthum
Nichts gewesen, das zu kaufen.
Und er ist ja unser Vater,
Muß uns geben, was wir brauchen.
[38] Bleib nur bei mir. Wenn er wieder
Heiter ist, und seine Waaren
Einmal im Gewölbe ordnet,
Dann, dann wollen wir ihm danken.
Weißt du? dann erzählt er immer,
Wo er das und jenes tauschte,
Und wie viel er dran gewinnet.
Und am Ende gibt es immer
Dann noch allerlei Geschenke.
Hirlande.

Ja, das können wir noch immer.
Aber jetzt laß uns doch sehen,
Thränen standen ihm in seinen
Augen, als er von uns eilte.

Schira kommt mit Roselinden.
Roselinde hat das Röslein vorstecken.

Setz dich daher, lieber Vater,
Sey nicht traurig. – Nein, ich sterbe
Nicht so bald; mich wird's nicht fressen.
Besenstielchen soll dir's sagen.

(Sie sieht sich umher.)

Ei, wo ist sie hingekommen?

Besenstielchen schüchtern hinter dem Tische.

Da!
[39] Roselinde.

Ei, wo denn?
Besenstielchen.

Hinterm Tische.

Roselinde will sie hervorziehen.

Ei, so komm doch vor. Gelt, Vater,
Sie darf hier seyn?
Schira.

Ei, ja freilich.
Komm hervor dort, Besenstielchen.

Besenstielchen kommt furchtsam.
Roselinde.

Gelt, ich hab die Blumenlichter
Heute alle ausgeblasen,
Daß kein Härchen dran geblieben?
Besenstielchen.

Das muß wahr seyn, nicht ein Härchen.
Roselinde.

Sag auch, was mir das bedeutet.
Besenstielchen.

Das bedeutet langes Leben.
Schira.

Zeig einmal, lieb Besenstielchen.

(Er nimmt sie beim Arm und betrachtet sie.)

[40] Ei, du siehst wie Roselinde
Völlig aus in diesen Kleidern.

Besenstielchen lacht in sich.

Bin's doch nicht. – Ei, Roselinde,
Ei da hast du noch ein Röslein?

Schira seufzend.

Ja, da hat sie noch ein Röslein –
Aber denk, um dieses Röslein
Muß sie übermorgen sterben,
Wird ein häßlich Thier sie fressen.
Besenstielchen.

Fressen?
Schira.

Ja, Herr Mordi –
Besenstielchen.

Mordi?
Das ist der dort in dem Garten,
Wo die Blumen immer blühen?
Schira.

Weißt du von ihm?
Besenstielchen.

Ja! Großmutter
Weiß von ihm gar schöne Mährchen,
[41] – Habt Ihr ihm in seinem Garten
Dieses Röslein abgebrochen?
Schira.

Ja.
Besenstielchen.

Für wen man etwas abbricht,
Der muß ihm zu eigen werden.
Nein, dem dürft Ihr sie nicht schicken.
Ach, das arme Roselindchen
Würde sich gar vor ihm fürchten,
Und da würd' es gleich gefressen.
Nein, da schicket mich hinüber, –
Wär ja Schad um Roselindchen!
Und ich weiß mich gut zu schicken,
Denn ich weiß es aus den Mährchen,
Die Großmutter mir erzählte.
Schira.

Ei, du bist ein braves Mädchen,
Besenstielchen. Ach, ich wollte
Recht für deinen Vater sorgen,
Wollt' ihm Geld und Waaren geben,
Und ihm sonst noch manche Wohlthat
Bei Gelegenheit erzeigen.
[42] Besenstielchen.

Ach, der Vater wird schon froh seyn,
Wenn er mich nicht mehr darf kleiden,
Und mich nicht mehr muß ernähren.
Denn er klagt ja oft, er könne
Uns nicht Alle mehr ernähren,
Weil das Brot so theuer wäre.
Hab' ich ja noch sieben Schwestern,
Und ich bin die kleinste, kann ihm
Auch noch nichts verdienen helfen.
Kommt nur schnell mit mir hinüber.
Roselinde.

Aber, liebes Besenstielchen –
Besenstielchen.

Nein, du darfst nicht, Roselinde!
Kommt nur, kommt nur mit zum Vater.

(Sie geht mit Schira und Roselinde ab.)
Astralle und Hirlande
standen während der letzten Scene ganz verwundert und schweigend da.
Hirlande.

Ei, was war denn das, Astralle?
Astralle.

Kam das kleine Besenstielchen
[43] Doch am Ende ganz in Eifer. –
Wär' es nur nicht da gewesen!
Hirlande.

Möcht' es nur ausführlich wissen,
Was denn eigentlich geschehen.
Wart, ich frag den alten Sami,
Der wird mir es schon erzählen.

(Sie geht ab.)
Astralle.

Und ich geh zum Besenbinder.
Ich will doch nur gerne sehen,
Wie das Ding zu End mag gehen.

(Sie geht ab.)

2. Akt

1. Szene
Erste Scene.

(In Herrn Mordi's Garten.)


Ein freier, grüner Platz auf der hintern Seite des Schlosses; auf der einen Seite von einem Birkenwäldchen begränzt. Mordi liegt im Grase, nahe am Eingang in das Schloß.

Mordi.

Heut ist schon der dritte Morgen,
Seit der reiche Kaufmann Schira
Mir das Röslein abgebrochen;
Und es sind schon meine Diener
Frühe von mir ausgegangen,
Roselinde mir zu holen.
– Will am Thor hier liegen bleiben,
Bis sie angefahren kommen.
– Wenn sie sich doch nur nicht fürchtet,
Sonst muß ich sie auch zerreißen.
Muß mich nur recht traurig stellen,
[45] Denn sonst glänzen meine Augen
Gleich so feurig, daß sich Alle,
Die mich sehn, vor mir entsetzen.
– Das war ja mein Unglück immer:
Wenn sie freundlich mit mir waren,
Und ich auch dann freundlich wurde,
Glänzten mir gleich meine Augen,
Wackelte gleich meine Nase,
Schlappte meine lange Zunge,
Spitzten sich die Zottelohren, –
Und dann ging die Furcht sie an,
Daß ich sie zerreißen möchte, –
Und da mußt ich sie zerreißen.
Denn es sprach ja meine Mutter,
Weil ich ihre Zaubereien
Einst mit Schelten ihr verwiesen,
Ueber mich den Zaubersegen:
»Schiltst du mich?
Zaubersegen
Wandle dich!
– Zaubersegen
Hat Gewalt;
Bringt zuwege
Ungestalt.
[46] Sey von neuer
Art ein furchtbar Ungeheuer.
Und im Zaubergarten
Mußt als Wächter warten. –
Deinen Krallen
Ist verfallen,
Wer das kleinste Blümlein bricht.
Schonen darfst du nicht.
Bis das Schicksal es gewähret,
Daß ein Mädchen eins begehret. –
Ohne Schonen
Aus dem Vaterhaus genommen,
Muß sie in den Garten kommen,
Bei dir wohnen.
Wird sie aber Furcht beweisen,
Mußt du sie alsbald zerreißen.
Streichelt sie dich mit den Händen,
Dann nur kann dein Unglück enden.
Doch verrathen darfst du nicht,
Wie man diesen Zauber bricht,
Willst du jemals noch auf Erden
Menschlich werden
Von Gebehrden. –
– Zaubersegen
[47] Hat Gewalt,
Bringt zuwege
Ungestalt.«
– Freilich hab ich manch Geräthe,
Sonst auch Alles, was ich brauche,
Das mit zauberischen Kräften
Mir nach meinem Willen dienet.
Aber doch sitz' ich schon länger,
Als neunhundert Jahr, als Wächter
Dieses Gartens unerlöset.
Doch vielleicht ist mir Erlösung
Näher schon, als ich es hoffe.
– Ei, da kommt sie ja gefahren!
Ach, sie sollte mich doch dauern,
Wenn sie sich gleich fürchten würde,
Und so früh schon sterben müßte.
– Mein Gesicht muß ich nur wenden,
Daß sie's nicht sogleich erblicke,
Eh' ich sie drauf vorbereitet.

(Er wendet sein Gesicht gegen das Schloß.)

Besenstielchen

kommt in einer prächtigen, aus Golde getriebenen Kutsche, die wie die Sonne glänzet, von acht schneeweißen Pferden mit Flügeln und schwarzen Mähnen und Hufen an rothem Sammtgeschirre gezogen. Die Polster in der Kutsche sind ebenfalls von rothem Sammt und [48] reich mit Gold gestickt. Besenstielchen gegenüber, auf dem vordern Sitze, sitzt ein Vehkätzchen in menschlicher Stellung. Auf dem Kutschbocke und den Pferden sitzen Affen als Kutscher; hinten auf stehen zwei Pudelhunde aufrecht als Bediente, und vor den Pferden laufen zwei sehr große langbeinige Störche als Läufer. –

Wenn sie bis an das Thor des Schlosses gekommen sind, halten die Pferde; die zwei Pudelhunde springen hinten herunter, und laufen an den Kutschenschlag.


Mordi ohne umzusehen.


Kommt ihr endlich meine Diener?
Lange seid ihr ausgeblieben.

Die Pudelhunde.

Wau, wau! wau, wau!
Mordi.

Kann mir's denken,
War der Abschied so gar traurig. –
Hebet sie doch aus dem Wagen.

Besenstielchen zu den Pudelhunden.

Ei, ihr wart ja noch so eben
Schöne Herrn in reichen Kleidern,
Und jetzt seid ihr Pudelhunde?
Und das Thier, ist das Herr Mordi?

(Sie steigt aus.)

Die Pudelhunde

nicken mit den Köpfen, steigen dann wieder hinten auf die Kutsche; das Kätzchen steigt ebenfalls aus, und halt sich hinter Besenstielchen; [49] die Affen steigen wieder auf den Kutschbock und die Pferde, und fahren durchs Thor in das Schloß.

Mordi.

Fürchtest du dich vor mir, Kleine?
Besenstielchen.

O nein, gar nicht!
Mordi.

Wenn ich aber
Dich mit meinen Feueraugen
Jetzt betrachte, wirst du zittern.
Besenstielchen.

Ei, warum nicht gar! – und wären
Deine Augen noch so feurig,
Sind sie doch nicht ganz so glühend,
Als auf unserm Heerd das Feuer,
Oder als die Abendsonne.
Da hinein kann ich gut sehen.
Was ist da sich denn zu fürchten?
Guck nur um, du sollst es sehen,
Daß ich mich nicht fürchten werde.
Mordi.

Aber meine langen Ohren.
[50] Besenstielchen.

Ach, die seh ich auch schon hinten.
Vaters Esel hat sie länger.
Mordi.

Aber meine krummen Zähne?
Besenstielchen.

Sind gewiß noch nicht so lange,
Als des Elephanten Zähne,
Den ich gestern sah im Kasten.

Mordi sieht sich um.

Du gefällst mir, Roselinde.
Besenstielchen.

Du mir aber nicht ein Bißchen.
Mordi.

Sei mir doch nicht gar so kindisch!
Besenstielchen.

Liebe Zeit, was hängt so lange
Roth aus deinem Maul da 'runter?
Hast du so 'ne große Zunge?
Mordi.

Das ist freilich meine Zunge. –
Aber komm, ich will den Garten
Dir jetzt zeigen und das Wohnhaus.

(Er will sie packen und führen.)
[51] Besenstielchen.

Nein, ich kann alleine gehen.
Bleib mir nur drei Schritt vom Leibe, –
Wenn ich mich schon gar nicht fürchte;
Bist doch aber gar zu garstig.
– Sind auch Kinder da zum Spielen?
Mordi.

Nein, sonst sollst du Alles finden,
Gutes Essen, gutes Trinken,
Schöne Kleider, schönes Spielwerk,
Schöne Blumen, schöne Früchte,
Schnelle Diener, schnelle Mägde –
Aber Menschen gibt's hier keine.
Besenstielchen.

Keine Menschen? – Deine Diener!
Deine Mägde sind doch Menschen?
Mordi.

Hast du es denn nicht gesehen?
Hattest du nicht Menschendiener?
Und wo sind sie hingekommen?

Besenstielchen sieht um nach dem Kätzchen.

Ja 's ist wahr! das war ein Mädchen,
Aber jetzt ist's gar ein Kätzchen.
[52] Mordi.

Alle sind zwar klug, wie Menschen,
Doch sie können gar nicht sprechen.
– Komm, wir wollen durch das Wäldchen,
Da ist schöner kühler Schatten.
Besenstielchen.

Ei, das sind ja lauter Birken!
Mordi.

Birken? nun, was ist's denn weiter?
Besenstielchen.

Ach, wenn die mein Vater hätte,
Da könnt' er recht Besen binden.
Mordi.

Besen binden? – Ei, ei! höre,
Ist er denn ein Besenbinder?

Besenstielchen für sich.

Ach, wie bin ich dumm gewesen!

(laut.)

Nein, ich mein nur, wenn er's wäre.
Mordi.

Wenn er's wäre? – Doch wie kommst du
Da gerad' auf's Besenbinden?
Bist du etwa Besenstielchen?
[53] Besenstielchen.

Ach, so giebt's ja, glaub ich gar keins.
Mordi.

Gar kein Besenstielchen gäb es?
Ei, wie heißt denn wohl das Mädchen
In dem kleinen Nebenhäuschen,
Das mit Roselinden gestern
Noch in Schira's Hause spielte,
Und die Kleider mit ihr tauschte?
Ich sah's wohl im Zauberspiegel. –
Warte, zeig mir deine Schuhe,
Ob sie roth sind!

(Sie zeigt ihre rothen Schuhe.)

Ei, ei, wirklich!
Bist du nicht das Besenstielchen?
Gibt es noch ein Besenstielchen?
Holla! Diener!

Ein Pudelhund kommt.
Mordi.

Schnell die Kutsche!

Der Pudelhund ab.
Mordi.

Hätte nur dran denken sollen.
Du hast ja auch nicht das Röslein,
[54] Das ihr Vater hier gebrochen;
Denn das welket nicht, wie andre,
Schon am ersten, zweiten Morgen.
Das bleibt frisch, so lang man lebet,
Und für wen man's hier gebrochen,
Der behälts, so lang er lebet.

(Der Wagen kommt, wie vorhin bespannt, und hält bei Mordi.)
Mordi.

Nehmet schnell das Besenstielchen,
Führt es hin, woher ihr's brachtet.
Nehmt den Zauberspiegel mit euch,
Haltet ihn vor Schiras Augen,
Daß er's deutlich darin lese,
Roselinden wollt' ihr holen,
Und daß ich mit seinen Kindern
Ihn verderbe, wenn er's waget,
Noch einmal mich zu betrügen.

( Besenstielchen wird in die Kutsche gehoben und fortgefahren.)
Mordi nachrufend.

Besenstielchen! Besenstielchen!
Laß es dir nicht mehr gelüsten,
Vor die Augen mir zu kommen;
Denn du wolltest mich belügen.
Schira hat mich auch betrogen,
[55] Muß mit schwerer Krankheit büßen.
Und du selbst wärst mit dem Leben
Dießmal nicht davon gekommen,
Hättest du es nicht aus Liebe
Nur gethan zu Roselinden.

(Er geht in's Schloß ab.)
2. Szene
Zweite Scene.

(In Schira's Kaufgewölbe.)


Es liegen große Päcke, Ballen und Kisten mit Waaren umher. Schira ist damit beschäftigt, sie zu ordnen und zu zeichnen.


Schira, Astralle und Hirlande zusehend.

Astralle.

Was ist denn in dieser Kiste?
Schira.

Das sind lauter Perlenschnüre,
Und zwar lauter Kirschenperlen,
Die man darum also nennet,
Weil sie groß sind, wie die Kirschen.
Hirlande.

Ei, wo gibt's die großen Perlen?
Schira.

Diese kommen aus dem Reiche
Ceilon, einem Insellande.
[56] Astralle.

Krieg' ich nicht auch drei, vier Schnüre
Von den schönen Kirschenperlen?
Meine Perlen, die ich habe,
Sind ja kaum so groß, als Erbsen;
Und die mag ich nun nicht tragen,
Seit ich weiß, daß es so große
Perlen gibt, als wie die Kirschen.
Schira.

Jede soll sechs Schnüre kriegen.
Hirlande.

Was ist in dem großen Packe?
Schira.

Das sind feine Wollenzeuge,
Die ich in dem Türkenlande
Zum Verkaufe mitgenommen.
Astralle.

Hast du denn auch Straußenfedern?
Schira.

Straußenfedern? Ei, ja freilich!
Daran läßt sich viel gewinnen.
Astralle.

Willst du nicht ein Paar mir schenken?
Sie sind gar zu schön zum Kopfschmuck.
[57] Schira.

Ja, sobald ich sie nur finde,
Leg ich dir davon bei Seite.
Hirlande.

Vater, gibst du mir denn keine?
Schira.

Ja, auch du sollst welche haben,
Und auch meine Roselinde.
Astralle.

Ach, was kann denn die mit machen?
Lieber gib uns mehr. Die Kleine
Braucht noch keine hohen Federn.

Roselinde kommt eilig.

Vater! Vater! Besenstielchen –
Eben kommt's daher gefahren!
Freu dich! 's ist ihm nichts geschehen,
's ist auch nicht gefressen worden.

Schira, Astralle und Hirlande.

Besenstielchen?
Roselinde.

Ei, ja freilich!
Guckt durch's Fenster da hinüber.
[58] Eben ist es ausgestiegen. –
Das ist aber schnell gefahren.

(Sie sehen zum Fenster hinaus.)
Sami kommt traurig.

Herr, es kommt von Mordi's Dienern
Eben einer nach dem Hause.
Schira.

Ha, was wird mir das bedeuten?
Roselinde.

Freust du dich denn nicht von Herzen?
Ach mein liebes Besenstielchen!
Ach, ich muß nur gleich hinüber.

(Sie springt hinaus.)

Ein Diener Mordi's.

Er ist sehr reich gekleidet. In der Hand trägt er einen kleinen Zauberspiegel, den er, indem er vor Schira tritt, demselben vorhält.


Schira erbleicht.


O, mein gutes Roselindchen,
Mußt du doch das Opfer werden?

Astralle sieht auch hinein.

Hirlande.

Ei, was sieht man in dem Spiegel?

Mordi's Diener mit Sami ab.
[59] Astralle gleichgültig.

Ach, die kleine Roselinde
Muß nun hin zu Mordi's Garten.

(zu Schira, der weinend die Hände ringt.)

Schäm dich, Vater, so zu weinen,
Wird ihr nicht gleich was geschehen.

Hirlande
die indeß zum Fenster hinausgesehen.

Eben wird sie fortgefahren.
Schira.

Fortgefahren? Roselinde?

(Er reißt das Fenster auf, und ruft:)

Roselinde! – Roselinde! –
Roselinde! –
Astralle.

Was die Pferde
Schnell hinflogen, wie die Pfeile.
Hirlande.

Möcht' wohl selbst einmal so fahren.
Schira.

Aber nicht nach Mordi's Garten.
– O, ihr, meine lieben Töchter!
Roselinde ist verloren!
Ihr verliert die beste Schwester,
Ich die beste, frömmste Tochter!
[60] Astralle.

Es geschieht ihr recht gerade!
Warum läuft sie denn auch immer
Auf der Gasse, wie ein Bettler?
Ich hab's ihr gar oft verwiesen.
Ist sie deine frömmste Tochter,
Warum will sie denn nicht folgen,
Wenn Verständige ihr rathen.
Schira.

Ja, sie war mein frömmstes Mädchen,
Hat mich mehr, als ihr, geliebet.
Hirlande.

Ei, du hast sie ja auch immer
Ueberall uns vorgezogen,
Hast ihr manchmal was gegeben,
Was wir selber noch entbehrten,
Und wir sind denn doch die ält'sten.
Schira.

Schweig, o schweig, ich weiß zu wohl nur,
Ihr verkaufet eure Liebe,
Liebet darum nur den Vater,
Weil er Putz und Schmuck euch schenkte;
Aber meine Roselinde
Hätte mich geehrt, geliebet,
[61] Wenn ich auch in Bettlerkleider,
Nur in Lumpen sie gekleidet.
Astralle.

O, du brauchst uns nicht zu schelten.
Hast dirs selbst ja zuzuschreiben,
Daß das Herzblatt nun dahin ist.
Hirlande.

Komm, Astralle, wollen gehen;
Er ist wieder ungeduldig.

(Sie gehen ab, und werfen die Thüre zu.)
Schira.

Was? und das sind meine Kinder?
Also lieben sie den Vater
Und die gute, fromme Schwester?
Roselinde, Roselinde!
Was magst du erlitten haben
Von dem Haß der eiteln Schwestern,
Seit ich ferne war vom Hause?
– O, du fromme Roselinde!
Mit dir ist mein Glück verloren,
Mit dir jede Lebensfreude.
Trüb und trüber wird mein Leben.
Einem Zauber preiß gegeben,
Häuft sich mir von Tag zu Tage
[62] Neuer Schmerz und neue Plage,
Bis die stille Todesnacht
Mir so Klag' als Thräne stillt
Und mir Rosalindens Bild
In den Himmelsgärten mild
Wieder einst entgegen lacht.

3. Akt

1. Szene
Erste Scene.

(Mordi's Schloß.)


In Roselindens Zimmer. Roselinde hat sich eben angekleidet; das graue Kätzchen hat ihr geholfen und ist eben mit der Aufräumung des Zimmers fertig.

Roselinde.

So, nun geh nur, Misekätzchen,
Keine Hilfe brauch' ich weiter.
Misekätzchen.

Miau! miau!

Roselinde lachend.

Ja, miau! miau! was heißt denn
Das Miau, lieb Misekätzchen?
Ich versteh nicht Katzensprache.

Misekätzchen sich an ihren Arm schmeichelnd.

Miau! miau!
[64] Roselinde.

's ist schon gut, geh nur hinunter.
Bring zum Frühstück Obst und Kuchen.
Du sollst auch vom Kuchen haben.

Misekätzchen abgehend.

Miau!
Roselinde.

Wenn das gute Miesekätzchen
Nur wie Menschen reden könnte.
Ach, wie wäre das so herrlich!
Dann wär's ganz so klug, wie Menschen. –
Ach, schon bin ich bald vier Jahre
Ganz entfernt von allen Menschen.
Hier ist zwar wie Menschen Alles
Klug, Herr Mordi und die Thiere,
Und was ich nur wünschen könnte,
Alles, alles hab ich reichlich.
Und Herr Mordi ist so freundlich,
Aber gar zu, gar zu garstig.
Fürchterlich ist er mir gar nicht,
Aber, ach, ihn nur zu sehen,
Eckelt mir schon oft gewaltig,
Und ihn gar dann anzurühren
Wäre mir nun ganz unmöglich.
[65] Und doch bittet er oft kindisch,
Daß ich ihn doch streicheln möchte.
Heiß ich ihn dann von mir gehen,
Dann entfernt er sich gehorsam.
Aber immer will mir's scheinen
Seine Augen würden trübe,
Als wenn Thränen kommen wollten,
Und ich fühle oft dann Mitleid,
Ordentlich, als wär's mein Bruder.
Wär er nur nicht gar so garstig,
Würd' ich ihn einmal doch streicheln,
Denn ich bin ihm gut von Herzen,
Wie ich gut war meinem Vater.
– – Meinem Vater! – ach, der Arme!
Wie's ihm gehn mag? wüßt ich das nur!
Wie er sich gegrämt mag haben?
Wüßt' er nur, daß ich noch lebe,
Daß es mir so gut ergangen!
– – O, wie schön wars doch zu Hause!
Und wie mag es jetzt dort gehen? –
Ach, vielleicht ist er gestorben
Gar vor Gram um meinetwillen.
Lieber Vater! – Armer Vater!

(Sie weint.)
[66] Mordi bringt ein Körbchen mit Obst.

Guten Morgen, Roselinde!
Sieh, da hab ich Pomeranzen
Und noch andre süße Früchte
In dem Garten dir gebrochen.
– – Wie? du weinst? was ist dir, Liebe?

Roselinde schweigt und weint.
Mordi.

Ist dir was zu Leid geschehen?
Roselinde.

Nein!
Mordi.

Was ist der Thränen Ursach?
Roselinde.

Ach! ich denk an meinen Vater, –
Könnt' ich sehn nur, daß er lebet.

Mordi ruft.

Holla! Diener!

Ein Pudelhund kommt.
Mordi.

Bring mir eilig
Meinen Spiegel doch herüber.

Pudelhund läuft, und kommt schnell mit dem Spiegel wieder.
[67] Mordi hält ihr den Spiegel vor.

Denke nur an deinen Vater,
Und du siehst ihn hier im Spiegel.

Roselinde lacht in Thränen.

Ach, da ist das Haus des Vaters!
Da der Hof, die Gartenthüre,
Und da liegt der treue Leo,
Unser Hofhund, an der Kette!
Ei, da bin ich ganz zu Hause.
Wer ist denn der fremde Mann dort,
Der im Garten traurig sitzet,
Und so bleich ist im Gesichte?

(fängt plötzlich an zu weinen.)

Ach, du Himmel, 's ist der Vater!
's ist mein guter, lieber Vater.
Ach, wie bist du krank und elend!
Nun, was machst du? Willst du aufstehn,
Und vermagst es nicht aus Schwäche?
Mußt die Krücke darzu brauchen?
– Ach wie wankst du mit der Krücke.
Und ist keine meiner Schwestern
Um dich, die dich pflegen könnte?
O, da kommt der alte Sami
Dir entgegen, dich zu stützen.

[68] (Sie weint.)

Ach, du Himmel! ach, du Himmel!
Muß sich selbst in seinem Zimmer
Seine Arzeneien holen. –
Ei, wo sind denn meine Schwestern?
Sollten die nicht, immer Eine,
Bei dir sein, und dich bedienen?
Und dich pflegen, armer Vater?
Mordi.

Willst du deine Schwestern sehen?
Roselinde.

Ja, da sind sie, da Hirlande
Und dort neben auch Astralle.
Ei, was thun sie da am Tische?
Ach, sie spielen. Da sind Karten.
Pfui! wer mag mit Karten spielen?
Ach, was liegt da auf dem Tische
Für ein Haufen Geld von Golde –
Und ringsum, was kleine Häufchen;
Warum sehen sie denn alle
Nach dem dicken Herrn dort oben?
Da! – Er zeigt jetzt seine Karte.
Ei, was ist das? – Wie sich alle
Die Gesichter jetzt verzerren.
[69] Ach, er hat es all gewonnen.
Denn er scharrt mit einer Harke
All die kleinen gold'nen Häufchen
Jetzt zu seinem großen Haufen. –
– Ei, Herr Mordi, sag, in welchem
Orte sind denn meine Schwestern?
Mordi.

Sind in's nächste Bad gefahren,
Sich Vergnügen da zu machen.
Roselinde.

Und der Vater sitzt zu Hause,
Ohne Pflege, ohne Wartung,
Nur von Fremden schlecht bedienet?
Und doch besser noch gepfleget,
Als von seinen eignen Kindern.
– O, du armer, armer Vater!
– Ach, da ist er ja schon wieder,
Seh' ihn wieder in dem Spiegel.
Horch! da sprach er eben seufzend.
Sprach vielleicht gar meinen Namen.
– Wenn ich doch nur bei dir säße,
Du mein lieber, guter Vater!
Bist du jetzt so ganz alleine?
Hast von deinen Mädchen keine,
[70] So dich in der Krankheit pflege,
Deine Arzenei dir gebe,
Und dich stütze, und dich führe.

(Sie weint bitterlich.)

Ach wenn ich nur bei dir wäre;
Ach, wie wollt' ich für dich sorgen!
Daß du unter meiner Pflege
Völlig bald genesen solltest,
Lieber, armer, kranker Vater!
Mordi.

Holla! Diener!

Pudelhunde kommen.

Wau! wau!
Mordi.

Bringt den Wagen.

Pudelhunde ab.
Mordi.

Wär ich krank, wie jetzt dein Vater,
Würdest du auch Mitleid fühlen?
Roselinde.

Würdest mich gewiß recht dauern. –
– Ei, was willst du mit dem Wagen?
[71] Willst du doch nicht gar verreisen,
Und mich ganz alleine lassen?

(Man hört unten den Wagen vorfahren und die Pudelhunde rufen: Wau, wau!)
Mordi.

Du kannst reisen, Roselinde.
Roselinde.

Ich darf reisen? ich? zum Vater?
Mordi.

Was du brauchst von schönen Kleidern,
Geld und Kleinod und dergleichen,
Auch Geschenke für die Heimath,
Findest du in deinem Wagen.
Auch ein Fläschlein Balsamthau,
Von dem Lebensbaum gesammelt,
Hab ich dir hinzugefügt,
Deinen Vater zu erretten
Von dem sichern nahen Tode.
– Hier, nimm aber diesen Spiegel.
Roselinde.

Ach, den kann ich dort nicht brauchen.
Mordi.

Nicht dort brauchen? Roselinde!
Willst du mich dort ganz vergessen?
[72] Roselinde.

Nein, o nein! du bist so gütig;
Nein, ich will dich nie vergessen.
Mordi.

Gut. So nimm auch diesen Spiegel,
Sieh an jedem dritten Abend,
Eh du dich zum Schlafe legest,
Drin nach mir, ob ich noch lebe,
Noch gesund bin, was ich mache.
Siehst du aber krank mich liegen,
Dann, o liebe Roselinde,
Komm mit deinem Balsamthaue
Schnell mit deinen Flügelpferden.
Nur der Balsam kann mich retten,
Der auch deinen Vater rettet.
Willst du thun, was ich dich bitte?
Sieh, so oft du unterläßt,
Nach mir in den Zauberspiegel
Einzusehn, muß ich in Schmerzen,
Stärker, als je Menschen fühlten,
Um ein Zwanzigtheil von meiner
Größe, Dick' und Schwer zusammen-
Runzeln, bis nach zwanzig Malen
[73] Gar nichts von mir übrig bleibet.
Gelt, du wirst mich nicht vergessen?
Roselinde.

Nein! – Gewiß, gewiß, Herr Mordi,
Werd' ich niemals dich vergessen.
Mordi.

Sechzig Tage darfst du bleiben,
Dann mußt du zurücke kehren.
Roselinde.

Ach, wie gut bist du, Herr Mordi.
Will auch sicher nie vergessen,
In den Spiegel einzusehen.
Mordi.

Holla! Diener!

Pudelhunde und Misekätzchen kommen.
Mordi.

Hebt die Jungfrau in den Wagen,
Fahret rasch mit ihr von dannen;
Wißt es ja, wohin sie reiset.

(zu Roselinde.)

Sieh, da ist auch Misekätzchen,
Nimms doch mit zu deinem Vater.
Lebe wohl!

[74] Roselinde bewegt.

Leb wohl, Herr Mordi.
Mordi.

So? du weinst?
Roselinde.

Ich dachte eben,
Wie die Zeit dir lang mag werden,
Wenn du niemand hast zu pflegen,
Niemand mehr, der mit dir redet.
Ach, wenn's nicht der Vater wäre,
Oder wär' er nicht erkranket,
Wüßt' ich wohl, daß ich dann bliebe.
Mordi.

Du bist fromm, lieb Roselinde.
Sei zufrieden. Schau nur fleißig
Nach mir in den Zauberspiegel,
Dann wird alles gut noch gehen.
Komm hinab in deinen Wagen.

(Sie gehen Alle ab.)
2. Szene
[75] Zweite Scene.

(In Schira's Hause)


Schira auf einem Ruhebette. Der Arzt bei ihm.

Schira.

Lieber Meister, wie ich sagte,
Jeden Tag geht's immer schlechter.
Arzt.

Macht Euch doch nicht solche Grillen.
Schira.

Keine Grillen! – Ach, ich fühl' es! –
Arzt.

Könnt Ihr denn nicht freier athmen!
Schira.

Wenig. Wohl gibt's Augenblicke,
Da die Brust mir freier dünket,
Da sie wieder leicht sich dehnet –
Doch im andern Augenblicke
Schnürt sie wieder sich zusammen,
Daß ich kaum zu Athem komme.
Arzt.

Leidet Ihr dann große Schmerzen?
Schira.

Körperlich nicht eben Schmerzen. –
Bange, – bang, so recht im Innern,
[76] In der Seele, möcht' ich sagen,
Fühl' ich mich alsdann beklommen.
Arzt.

Sind die Arzenein zu Ende?
Schira.

Hab sie pünktlich eingenommen.
Arzt.

Will Euch eine neu verschreiben,
Die gewiß Euch wohl bekommet.
Schira.

Ist sie blau?
Arzt.

Blau? Wie verstehet
Ihr denn das?
Schira.

Ei, blau von Farbe!
Seht, ich hab seit heute immer
Einen Balsam in dem Sinne,
Der allein mich heilen könnte:
Wüßt ich nur ihn zu bekommen!
Wenn ich nur daran gedenke,
Fühl' ich wunderbar mich stärker.
Wüßt' ich nur ihn zu beschreiben.
Er ist himmelblau von Farbe,
[77] Braußen muß er in der Schale,
Süß und bitter muß er schmecken,
Ach, und – o, ich fühl' es deutlich,
Wie er mir die Brust durchströmet,
Und die alten Schäden heilet,
Daß ich ganz mich neu verjünge.
Arzt.

Ja, ich weiß es, was Ihr meinet.
Habt Ihr denn in Euerm Leben
Je den blauen Trank gesehen?
Schira.

Niemals, nie in meinem Leben.
Arzt.

Wunderbar! – Es gibt solch einen
Trank, und ich erkenn' ihn deutlich:
's ist der Thau vom Lebensbaume,
Der im Paradies gewachsen,
Den Herrn Mordi's böse Mutter
Endlich nach gar mancher Erbschaft
Noch geerbt von einer Muhme,
Und der in Herrn Mordi's Garten
Nur allein noch steht auf Erden.
Wer ihn aber holt, den Balsam,
Setzt sein Leben auf die Waage,
[78] Ach, schon Tausend, über Tausend,
Büßten mit dem Tod das Wagniß.
Schira.

Und allein in Mordi's Garten?
Ach, nun schlagt Ihr meine Hoffnung
Ganz darnieder.
Arzt.

Habt Ihr keinen
Treuen Diener, der mit Freuden,
Euch das Leben zu erhalten,
Seines auf die Wage setzte?
Schira.

Keinen, keinen, der so Treue,
Als auch Muth in sich vereinigt.
Und dann möcht' ich auch den treuen
Diener nicht zum Tode senden.
Arzt.

Ihr seid immer nicht verloren,
Könnt noch sonst gerettet werden.
Darum seid nur gutes Muthes.
Aber dennoch hoff' ich immer,
Euch den Balsam noch zu schaffen.

(ab.)
[79] Schira allein.

Ach, wer wird sein Leben geben,
Um das meine zu erhalten?
– Nein, der gute Muth, der schwindet,
Nach und nach muß ich verschmachten.
Alle andern Arzeneien
Können mir ja doch nicht helfen.
Ach, wenn's Roselinde wüßte!
Doch! – die lebt schon lange nimmer, –
Ach, da will ich auch ja sterben!
Was hab' ich denn noch auf Erden?
Meine beiden andern Mädchen
Sind mir weder Trost noch Freude,
Fahren immer nach dem Hofe,
Denken nur an ihr Vergnügen,
Nur an Spiel und Putz und Mode! –
– und so gräm ich mich zu Tode.
3. Szene
[80] Dritte Scene.

(In Schiras Hofraum.)


Arzt, Sami, Guran, Lugar und viele andere Diener.

Arzt.

Seht, ich rief euch hier zusammen,
Aufs Gewissen euch zu fragen;
Ist denn Keiner unter Allen,
Der den Herrn liebt wie sein Leben?

Alle außer Sami.

Ich, Meister Arzt. Wir lassen alle unser Leben für ihn.

Einer.

Ich wollte gern mein Leben lassen, wenn ich nur wüßte, daß ich das Leben meines Herrn damit erkaufen könnte.


Zweiter.


Freilich, das geht in seinen jetzigen Umständen nicht. Die Krankheit sitzt in ihm, da können wir nichts helfen. Ja, wär er äußerlich in Lebensgefahr, so solltet Ihr schon Eure Freude an mir erleben, Meister, wie ich sein Leben mit meinem Blute erkaufen wollte.


Arzt.

Wollt' ihn Einer nun erstechen,
[81] Würdest du mit deinem Leibe
Deinem Herrn zum Schilde dienen,
Und den Stich für ihn empfangen,
Wenn du sonst nicht Waffen hättest,
Deinen Herrn damit zu schützen?
Zweiter.

Ja, Herr.

Dritter.

Wenn er im Walde von dreißig Räubern angefallen würde, und ich stünde allein an einem recht verborgenen, sichern Platz, so lief ich doch schnell darunter hinein, um ihn heraus zu hauen.


Arzt.

Das ist wahrlich schön und löblich.

Erster.

Nun, Sami, alter Haushofmeister! Du stehst allein still da? Sag doch auch, daß du deinen Herrn mehr liebst, als dein Leben.


Sami.

Ach, was hilft's wenn ich's auch sage!

Guran zu Lugar.

Ich möcht' aber doch wissen, warum der Meister uns das fragt. Zum Spaß hat er's doch wohl nicht gethan; er ist ja sonst ein ehrenfester Mann.


[82] Arzt.

Da ihr ihm so treu ergeben,
Wünscht ihr auch gesund ihn wieder?
Alle.

Ja, von ganzem Herzen, Meister.

Lugar.

Wir hofften dabei immer auf Euch, Herr. Aber es scheint, Ihr seid nicht gar zu wohl erfahren in Pflanzen und ihren Kräften, daß Ihr ihn nicht von seiner Krankheit heilen könnt.


Arzt.

Freund, hier fehlt's nicht an Erfahrung,
Nicht an Kunst und Wissenschaft
Von der Kräuter Werth und Kraft.
Hätten wir von einem Baume,
Den ich gar zu wohl nur kenne,
Nur den Thau, ihm wär geholfen.

Guran.

Ei, so sammelt von dem Baum den Thau, so habt Ihr ihn, oder steht der Baum zu weit von hier, so sagt's so kann's schon Einer für den Herrn thun, und ihn holen.


Zweiter.


Das ist wahr. Was fragt Ihr da so lang unter uns[83] herum, und sprecht von Leben auf's Spiel setzen, wo doch nur ein Gang zu thun ist.


Arzt.

Doch der Gang ist sehr gefährlich.
Da du aber, wie mir scheinet,
Selber Lust hast, diesen weiten
Gang zu machen, –

Zweiter ihm in's Wort fallend.

Ich? – Ei, behüte mich der Himmel! Ich kann gar nicht mit dem besten Willen. Es ist heute und morgen und die ganze Woche rein unmöglich; ich habe gar zu viel im Haus zu schaffen. Ich darf meinen Dienst nicht so vernachlässigen. Nein, von mir kann da gar nicht die Rede sein. Die Andern werden aber schon Zeit dazu haben. Ja, wenn's ein kurzer Gang von ein Paar Stunden wäre, so wollt ich's noch gerne thun, und wenn's auch noch so gefährlich wäre. Ihr sprecht aber von einem weiten Gange.


Alle außer Sami.


Ja, wir haben auch unsere Geschäfte. Zum Müßiggang hat uns der Herr nicht gedungen.


Arzt.

Einen Diener stell ich gerne
Von den meinen an desselben
[84] Stelle, der zu Mordis Garten
Gehn will, –

Viele durcheinander.

Was? – Zu Mordi's Garten? – Ja, prosit da wird nichts draus.

Erster.

Das wär mir gelegen, mich in jungen Jahren von einem Unthier fressen zu lassen bei lebendigem Leibe. Daß ich ein Narr wäre!


Dritter.

Das wär mir so! Ich bin meines Lebens noch nicht so satt, daß ich dem in den Rachen laufen möchte.

Zweiter.

Hört, Meister, wenn Ihr nichts Besseres wißt, als das, so hättet Ihr uns nicht zu rufen brauchen. Das könnt Ihr Euch denken, daß wir keine solchen Thoren sind. (Zu den Knechten:) Kommt laßt den Narren stehn. Wie kann man sich denn in aller Welt einbilden, daß es einen Menschen gibt, der so unsinnig sein wird, mit seinem eigenen Leben, das Leben eines andern zu erkaufen. Das Leben hat man nur einmal, und mit dem, was ich nur einmal habe, helf ich meinem Bruder nicht aus, und wenn's noch so gering wäre, denn wenn ich's weggebe, so [85] hab ich's gar nicht mehr – und auf jeden Fall bin ich, mir selbst der Nächste.


Guran.


Ei, so gebt nur selber Euer Leben hin, um den Herrn damit zu retten. Warum fragt Ihr da noch lang herum? Gelt, wir wären Euch gut genug, die Kastanien aus den Kohlen zu holen, und die Finger daran zu verbrennen, damit Ihr dann in Ruh die gebratenen Kastanien schälen und essen könntet! Ja? prosit! 's wird nichts gereicht.


Arzt.

Schlechtes Volk! Geht, packt euch! packt euch!
Mit dem Maule seid ihr fertig,
Mit dem Maule seid ihr Diener,
Daß man sie nicht besser wünschte,
Aber kommt es erst zum Handeln,
Zeigt ihr euch so niederträchtig,
Daß man euch nicht schlechter fände,
Wenn man euch aus allen Enden
Dieser Welt zusammen suchte.

Zweiter.

Seid still, und laßt das Schelten, sonst schlagen wir Euch noch am Ende die Knochen im Leibe zu Brei.


[86] Sami zu dem Knechte.


Gehst du schnell an deine Arbeit? – All an euer Geschäft, ihr groben Menschen!

Die Diener gehen murrend ab.


Sami zum Arzt.


Herr, sagt, wie sieht der Baum des Lebens aus!


Arzt.

Sami, wie? du wolltest gehen?
Und du sprachst vorhin kein Wörtchen.

Sami.

Ach, das sind lauter Maulmacher, die reden viel und thun nichts, und zu solchen mag ich auch scheinsweise nicht gerechnet werden. Darum schwieg ich ganz; denn ich wußte wohl, daß an mich noch die Reihe kommen würde, wenn es Ernst gilt mit der Sache.


Arzt.

Du, alter Mann, du wolltest?

Sami.

Nun, wundert Euch nur nicht. Eben weil ich alt bin, ist gar nichts Verwunderliches dabei. Noch ein Paar Jahre, so muß ich doch fort, – vielleicht! – wer weiß schon morgen. Sollt' ich da die Paar ungewissen Tage nicht mit Freuden hingeben, um meinem Herrn ein Paar gewisse Jahre dafür zu erkaufen?


[87] Arzt.

Nun gelobet sei der Himmel!
Ja, es gibt noch eine Treue,
Und die ist ein köstlich Kleinod.
Ja, auch unter Dienern gibt es
Hier und da noch treue Seelen.

Roselinde mit einer Dienerin und Diener, welche Koffer und allerlei Gepäcke hereintragen. Vorige.
Sami stürzt ihr entgegen auf die Kniee, und küßt weinend den Saum ihres Kleides.

Ach, du Himmel! ach, du Himmel.
Seid Ihr's wirklich! oder träum ich?
Ja, Ihr seid es, Roselinde.
Roselinde.

Ja, ich bin es lieber Sami,
Grüß dich herzlich, treuer Diener.

(Sie drückt ihm die Hand; er küßt ihr aufstehend die ihrige:)
Roselindens Diener zu Sami.

Sagt, wohin kommt das Gepäcke?

Sami in Freudenthränen.

Kommt nur mit, ich will euch zeigen,
Wo ihr alles niederstellet.

(ab mit Roselindens Dienern.)
[88] Roselindens Dienerin.

Herrin, diese kleine Flasche
Fand ich in der Kutschentasche.
Roselinde.

Gib sie. Das ist für den Vater.

(zum Arzt:)

Wißt Ihr, Meister, wo er sitzet?
Arzt.

Ja, ich weiß es, holde Jungfrau.
Seid Ihr aber Roselinde,
Dürft Ihr so unvorbereitet
Wahrlich! jetzt nicht vor ihn kommen.
Allzu unverhoffte Freude
Könnte leicht ihm schädlich werden.
– Auch vor Freude kann man sterben.

Schira kommt.

Ist es wahr, was Sami sagte?

(Er sieht seine Tochter, fängt an zu weinen und sinkt ihr in die Arme:)

Meine Tochter! meine Tochter!
Arzt.

Um des Himmels willen, Schira!
Mäßigt, mäßigt Eure Freude.
Roselinde.

Meister, helft! er sinkt in Ohnmacht.

[89] Arzt hilft ihn auf einen Sitz bringen.

Habt Ihr gar nichts schnell zu Handen,
Ihm die Schläfe einzureiben?
Roselinde.

Nichts als diese Balsamflasche,
Die Herr Mordi mir gegeben,
Aber dieser Balsam heilet
Nur bei innerem Gebrauche.

Arzt nimmt sie.

Ach, das ist er! Dank dem Himmel.

(Er öffnet die Flasche und netzt Schira die Lippen mit dem Balsam.)

Ich benetz' ihm nur die Lippen,
Und alsbald wird er erwachen.

Schira seufzt aus tiefer Brust.
Roselinde.

Ja er kommt schon wieder zu sich.
Dank dem Himmel! Dank, Herr Mordi!
Arzt.

Ja, das ist der Lebensbalsam,
Der vom Lebensbaume quillet,
Der nur einmal wächst auf Erden,
Fern von hier, in Mordi's Garten.

[90] Schira, die Augen aufschlagend.

Wie? wo bin ich? – Meine Tochter!
Meine fromme Roselinde!
Arzt.

Nun, wie ist Euch?
Schira.

So erträglich,
Aber immer etwas schwächlich.

Arzt reicht ihm von dem Balsam in einer Schaale.

Trinkt einmal das zur Erquickung.

Schira, indem er die Schaale abnimmt, Roselinden die Hand reichend.

Lebst du noch, lieb' Roselinde?

(Er setzt die Schaale an, und trinkt:)

Ach, was ist das? Süß und bitter.
Wie es mir die Brust durchströmet!
Ha, in allen Adern! Wahrlich,
Ja, das ist mein Trank, mein blauer!

(Er trinkt die Schaale leer:)

Ha, durch alle meine Glieder,
In das Mark der Knochen dringt es
Mir, wie neue Kraft des Lebens.

Roselinde, ihn selig küssend.

Wie die Wangen dir sich röthen!
Wie dein Auge fröhlich blicket!

[91] Schira, aufstehend.

Ja, ich fühl' es – alle Krankheit
Hat der Trank in mir geheilet,
Bin gesund jetzt und vergnüget.
Kommt, o kommt mit mir geschwinde,
Kommt hinauf in meine Zimmer,
Daß ich meine Diener finde,
Daß sie mir ein Fest bereiten,
Daß man noch in späten Zeiten
Stets davon erzählen soll.
Denn mein Herz schlägt freudevoll,
Meine Krankheit ist verschwunden,
Und ich bin wie neu geboren.
Und mein Kind, das mir verloren,
Wieder hab ich's ja gefunden.

(Sie gehen alle ab.)
4. Szene
Vierte Scene.

(Saal im königlichen Schloß.)


(Abendgesellschaft.)


Die drei Königstöchter Rauna, Billowa und Lodissa sitzen vorn mit Astralle und Hirlande an einem Spieltische, und spielen mit Karten. Hinten stehen noch mehrere besetzte und unbesetzte Spieltische, die Großen von des Königs Hofstaate stehen hinten in [92] einem Halbkreise. Der König, auf- und abgehend, spricht bald mit diesem bald mit jenem ein Paar Worte.

Astralle.

Dieser Stich ist mein, Prinzessin.
Lodissa.

Hast du denn das Aß?
Astralle.

Ja, freilich!
Und was sprechet Ihr zu dieser?
Rauna.

Aber ich hab diese besser.
Hirlande.

Wie verdrießlich!

Eine Kammerfrau kommt.

Ach! Astralle,
Denket nur einmal! Hirlande!
Astralle.

Nun, was ist's denn?
Hirlande.

Nun, so redet.
Kammerfrau.

Denkt Euch! denkt Euch! Euer Vater –

[93] Astralle, einfallend.

Ach, von dem? da ist's nicht nöthig,
Unser Spiel darum zu stören.
Hirlande.

Ei, was ist's denn?
Astralle.

Kanns mir denken:
Er war diesen Morgen übel,
Und ist jetzt vielleicht gestorben.
Billowa.

Und das wäre so gleichgültig?
Astralle.

Nun gleichgültig auch nicht eben.
Nein, man muß in solchen Fällen
Sich doch auch zu fassen wissen.
Er ist schon zu lange kränklich,
Und ihm war doch nicht zu helfen,
So hat er doch seine Schmerzen
Endlich einmal überstanden.
– Aber wir vergessen völlig
Unser Spiel. Wie stand's doch eben?
Kammerfrau.

Nein, Ihr irrt Euch. Es ist anders.
[94] Rauna.

So erzähle!
Hirlande.

Doch Prinzessin,
Liebt es denn nicht Eurer Hohheit,
Dieses Spiel erst zu beenden,
Sonst vergessen wir die Karten.
Kammerfrau.

Nein, gesund ist er geworden,
Euer Vater, nicht gestorben.
Eben wird es ausgerufen.
Darum will er Feste feiern,
Die zwei Monde dauern sollen.
Astralle.

Nimmermehr! Ich will's nicht hoffen!
Ganz gesund?
Bellowa.

Du willst's nicht hoffen?
Astralle.

Nein, ach nein, ich freu mich herzlich.
Aus Verwunderung sprach ich also.
Hirlande.

Ja, wir freuen uns von Herzen.
[95] Kammerfrau.

Und ich weiß auch noch was Neues.
Rauna.

Was denn? rede.
Kammerfrau.

Roselinde,
Ihre Schwester, ist gekommen.
Hirlande.

Roselinde?
Astralle.

Roselinde?
Nein, nicht möglich. Die hat Mordi
Vor vier Jahren schon gefressen.
Kammerfrau.

Und doch ist sie angekommen
In derselben schönen Kutsche,
Drin sie abgeholet wurde.
Und sie sei so schön geworden,
Daß sie in dem ganzen Lande
Weit und breit die Schönste wäre.

Hirlande aufstehend.

In dem ganzen Land die Schönste?
Nein, das ist doch übertrieben.

(Sie geht vor dem Spiegel:)

[96] Aber weit und breit die Schönste –
Ach, es gibt doch auch noch manche
Schöne Frauen in dem Lande.
Astralle.

Ja, das sollt' ich auch doch meinen.

Lodissa, aufstehend.

Nun, ihr eilt wohl jetzt nach Hause?
Thut euch weiter keinen Zwang an.
Hirlande.

Aber unser Spiel?
Rauna.

Ich bitt' euch!
Nein das wäre höchst unbillig.
Ihr habt Eure liebe Schwester
Seit vier Jahren nicht gesehen.
Astralle.

Bitt' Euch, Hoheit, wollt' erlauben,
Daß wir dieses Spiel erst enden.
Billowa.

Künftig spielen wir schon wieder.

Astralle wirft unwillig die Karten hin.

Wenn Ihr's denn nicht anders wollet –
Rauna.

Gehet heim zu euerm Vater,
[97] Grüßet mir auch eure Schwester,
Bringt sie auch einmal zu Hofe.
Lebet wohl!
Hirlande.

Lebet wohl! Behaltet
Ferner uns in Eurer Gnade.

Astralle neigt sich abgehend.

Eurer Hoheit mich empfehlend.

(Sie gehen ab.)

4. Akt

1. Szene
Erste Scene.

(Mordi's Garten.)


Mordi.

(Er ist von seiner ungeheuern Größe und Dicke ganz zusammen gerunzelt und bis auf die gewöhnliche Mannesgröße eingeschrumpft. Seine Schuppenhaut hängt ihm in Falten um den Leib, seine rothe Zunge ist ihm ganz schwarzbraun eingetrocknet, und seine Augen sind trübgelb und ohne Glanz. Er spricht langsam mit tiefer, aber schwacher Stimme:)


Ja, nun gehts mit mir zu Ende;
Meine Freundin Roselinde
Hat mich ganz und gar vergessen
In den Armen ihres Vaters,
In dem Land der lieben Heimath.
Ach, ich leide große Schmerzen,
[99] Schon so klein bin ich geworden,
Und so schwach bin ich und elend.
Bin zu schwach, vom Lebensbaume
Lebensbalsam mir zu holen,
Und von meinen vielen Dienern
Darf ich keinen darnach senden,
Soll er nicht die Kraft verlieren.
Nur in eines Menschen Händen,
Oder auch in meinen Krallen
Bleibt der Lebensbalsam kräftig;
Aber meine Diener alle
Sind ja Affen oder Hunde.
– Hat sie mich denn ganz vergessen?
Nun, so leg' ich hier mich nieder,
Hier in's hohe Gras, und sterbe.
Wär' ich nur als Mensch gestorben,
Dann, dann wäre meine Seele
In den Himmel doch gekommen.
Aber so wird auch die Seele
Mit dem Leib mir täglich kleiner,
Und nach sechzig vollen Tagen
Ist auch gar nichts von mir übrig,
Weder Körper mehr, noch Seele.
– Das ist schmerzlich! Nein, es ist nicht
[100] Solch ein Unglück zu ermessen.
– Ja, sie hat mich ganz vergessen.
2. Szene
Zweite Scene.

(Roselindens Zimmer in Schira's Hause.)


(Nacht.)


Roselinde, Miß Käthe, ihre Dienerin leuchtet ihr herein.

Roselinde.

Heute ist es spät geworden.
Miß Käthe.

Die Gesellschaft war recht fröhlich.
Roselinde.

Komm, entkleide mich jetzt eilig.
Miß Käthe.

Aber königliche Feste
Feiert Euer edler Vater.
Schon sind's heute vierzig Tage,
Seit sie angefangen haben.
Roselinde.

Vierzig Tage schon vorüber?
Miß Käthe.

Freilich, ach! ich rechne immer.
Bald, gar bald sind's sechzig Tage,
[101] Und dann müssen wir zurück
Zu Herrn Mordi's Frühlingsgarten,
Dann wird, leider! aus Miß Käthchen
Euer graues Misekätzchen,
Und dann muß ich wieder schnurren
Und miauen, statt zu reden.
Roselinde.

Ist es möglich? vierzig Tage!
Und was mag Herr Mordi machen?
Ach, den hätt' ich fast vergessen,
Hab' ihm Schmerzen viel verursacht.
Her, geschwind, geschwind den Spiegel!

Miß Käthchen hält ihr den Spiegel vor.

Nun? was seht Ihr?

Roselinde weinend.

Lieber Himmel!
Er ist krank. Da liegt er elend
In dem Garten.
Miß Käthchen.

Krank? unmöglich!
Ist ihm denn nicht mehr zu helfen?
Roselinde.

Hast doch von dem blauen Balsam
Jetzt noch etwas in der Flasche.
[102] Miß Käthchen.

Ihr habt viel davon verbrauchet,
Habet ja so viele Kranke,
Seit Ihr hier seid mit geheilet,
Heut erst noch den Besenbinder.
Doch 's ist noch ein wenig übrig.
Roselinde.

Doch noch etwas? nimm es zu dir.

(Sie ruft.)

Diener! Holla!

(Ein Diener kommt.)

Schnell den Wagen!
Diener.

Er ist unten, noch bespannet.

(ab.)
Roselinde zu Miß Käthchen.

Folge schnell mir mit dem Balsam.
Alle liegen jetzt im Schlafe.
Laß uns sachte, sachte schleichen.
Nein, der Abschied hält nur auf,
Und vielleicht an der Minute
Hängt des guten Mordi's Leben, –
Wenigstens sehr große Schmerzen.
– Ach, wie vieles, vieles Gute
[103] Hat er mir nicht schon erwiesen!
Hat er durch den Lebensbalsam
Meinen Vater nicht errettet?
Müßt' ich nicht undankbar heißen,
Zögert' ich jetzt eine Stunde
Ihm mit Gleichem zu vergelten?

(Sie geht ab, Miß Käthchen folgt ihr.)
Schira,
nach einer Weile kommend.

Wunderlich! sonst träumt' ich öfter,
Dachte nie daran, daß Wahrheit
Mir ein Traum verkünden könnte.
Aber dieser treibt mich heute
In der Nacht aus meinem Bette.
Und was seh ich? Ja, die Lichter
Brennen hier noch auf dem Tische.
Und wo sollte Roselinde
Denn noch sein? Es schläft schon Alles,
Sie allein ist nicht zu Bette.
Und ihr Bett noch unberühret.

(Er sieht umher.)

Aber ihre Sachen alle,
Ihre Kleider, ihre Schuhe
Sind noch da, all ihr Gepäcke.

(Er sieht den Zauberspiegel und nimmt ihn.)

[104] Ei, was ist das für ein Spiegel?
Welcher wunderliche Rahmen?

(Er sieht hinein.)

Muß doch auch einmal hinein sehn.
– Ei, da seh' ich sie im Spiegel!
Ei, da sitzt sie in der Kutsche!
Was ist das für eine Gegend,
Die mir so bekannt erscheinet? –
Ach, das geht nach Mordi's Garten. –
– So verließest du mich wieder,
Meine liebe Roselinde?
Und ich soll allein hier bleiben?

(Er besinnt sich.)

Nein! ich weiß jetzt was ich thue.
Kost' es mich auch was es wolle,
Kost' es mich auch selbst das Leben,
Hier verbleib' ich nicht mehr länger,
Reise nach zu Mordi's Garten,
Bleibe dort bei Roselinde.
– Meine beiden ältern Töchter
Lieben doch mich nicht von Herzen,
Werden sich zufrieden geben,
Wenn sie meine Schätze haben,
Daß sie reich sich kleiden können,
[105] Und um große Summen Geldes
Spielen mit den Königstöchtern.

(ruft:)

Heda! Sami! – Holla! Sami!

Sami kommt.

Was befehlt Ihr, mein Gebieter?
Schira.

Laß den Wagen schnell bespannen.
Sami.

Wollet Ihr so spät noch reisen?
Und alleine?
Schira.

Willst du mit mir?
Sami.

Wenn Ihr mich auch brauchen könnet.
Schira.

Doch wir kehren schwerlich wieder.
Sami.

Euer Schicksal will ich theilen.
Schira.

Doch du zitterst, wenn ich sage,
Wo ich hin zu reisen denke.
Sami.

Herr, und wenn's durchs Feuer ginge, –
[106] Ja, ging's hin zu Mordi's Garden,
Würd' ich doch Euch nicht verlassen.
Schira.

Ja, es geht zu Mordi's Garten,
Geht zu meiner Roselinde.
Sami.

Ist sie wieder dort? – Mit Freuden
Folg' ich Euch und ohne Zittern.
Schira.

Bist ein treuer Diener! – Sorge,
Daß man uns die schnellsten Rosse
Jetzt an unsern Wagen gebe.
Sami.

Folgt nur bald hinab zum Wagen,
Denn geschirrt sind bald die Pferde.

(ab.)
Schira.

Ei, mit wem spricht denn der Alte?
Wer ist noch so spät da draussen?

(Es pocht an der Thüre.)

Nur herein!

Besenstielchen kommt schüchtern.
Schira.

Ei, Besenstielchen,
Was führt dich so spät herüber?
[107] Besenstielchen.

Danken wollt' ich Roselinden,
Denn am Tag hab' ich zu schaffen;
Abends aber sind die Feste,
Da ich auch nicht kommen konnte.
Schira.

Danken?
Besenstielchen.

Ja, ich wollt' ihr danken.
Ach, sie ist so gut und freundlich.
Seit sie hier ist, kam sie immer
Schon zu mir am frühen Morgen.
Manches that sie mir zu Liebe.
Doch vor Allen hat sie heute,
Da ich draussen war im Walde,
Besenreiser dort zu holen –
Denn, Ihr wißt, der Vater kann nicht,
Hält die Besen auf dem Markte
Immer nur noch zum Verkaufe,
Weil er gar zu schwächlich worden,
Da hat sie ihm heut am Tage
Ganz geheilt mit einem Balsam,
Als sie ihn am Markt gesehen.
Dafür wollt ich ihr nun danken.
[108] Schira.

Kannst ihr aber jetzt nicht danken,
Sie ist fort, nach Mordi's Garten.
Besenstielchen.

Ist sie fort nach Mordi's Garten?
Schira.

Und ich reis' ihr nach so eben.
Besenstielchen.

Ach! dürft' ich doch auch mitreisen.
Schira.

Willst du mit? – Sags deinem Vater,
Mit mir nehm' ich dich recht gern.
Besenstielchen.

Wollt Ihr? – O, da reis' ich mit Euch.
Vater wird es gern erlauben.
Will ihn gleich darum befragen.

(schnell ab.)
Schira setzt sich und schreibt.

Daß Hirlande und Astralle
Wissen, wo ich hingekommen
Will ich schriftlich Abschied nehmen.

(Er schreibt einige Zeilen, steht auf.)

So, nun hab' ich aufgeschrieben,
Daß ich weit von hier verreise,
[109] Daß ich nimmer wieder komme,
Daß Hirlande und Astralle
Sich in meine Schätze theilen,
Und für todt mich ansehn sollen.
– – Leb denn wohl, du alte Heimath!
Oft bin ich hier ausgezogen,
Aber immer wieder kommen.
Heute zieh' ich denn von dannen,
Kehre nimmermehr zurück.
Lebt hier niemand, der mich liebet,
Als der alte, treue Sami,
Als das gute Besenstielchen,
Und die nehm' ich mit von dannen.
Lebe wohl, du alte Heimath!
Keine Heimath bist du ferner,
Denn wo keine Liebe wohnet,
Ist ein jedes Land uns Fremde.

(ab.)
3. Szene
[110] Dritte Scene.

(Mordi's Garten.)


Mordi im Grase liegend, Roselinde ihn suchend, Misekätzchen hinter ihr.

Roselinde.

Wo er ist, der arme Mordi?

(ruft.)

Mordi! – Bin den ganzen Garten
Jetzt schon nach ihm durchgelaufen,
Habe laut und oft gerufen.

(ruft wieder:)

Mordi! Mordi! lieber Mordi!
– Ei, was liegt denn da im Grase?
Ist er das? – Ach, ja! das ist er.
Ach, wie klein ist er geworden!
Oder ist er gar gestorben?

(sie geht hin.)

Nein er lebt, denn sichtbar dehnet
Sich der Leib – das kommt vom Athmen.
Aber, ach, wie muß er krank sein!
Denn er ist so abgezehret,
Eingeschrumpft fast bis zur Hälfte.

(Sie kniet nieder zu ihm.)

Wie er jetzt die Augen wendet,
Und mich ansieht! Armer Mordi!
[111] Ach, wie trüb sind deine Augen!
Sag, was fehlt dir?

Mordi gibt einige schwache Laute von sich.
Roselinde.

Wie, du kannst auch nicht mehr sprechen?
Ach, du wirst mir doch nicht sterben?
Soll ich dir vom Balsam geben?

(Indem sie das sagt, streichelt sie ihm mit der Hand über den Kopf und weint.)
Mordi
wird in diesem Augenblick in einen Menschen verwandelt, und liegt in prächtigen Königskleidern
aber eben so schwach und krank vor ihr. Misekätzchen wird Miß Käthchen.
Roselinde.

Ei, was war das? Wo ist Mordi?
Wie ist das denn zugegangen?
Mordi ist ja ganz verschwunden,
Und da liegt ein Mensch im Grase!
Miß Käthchen.

Das ist unser König, Herrin.
Roselinde.

Ei, wer spricht da? du, Miß Käthchen?
Und ist dieser Prinz Herr Mordi?

Mordi schwach.

Ja!
[112] Roselinde.

Bist Du wirklich mein Herr Mordi?
Mordi.

Gib mir schnell vom Lebensbalsam,
An dem Herzen sitzt der Tod mir.

Roselinde hält ihm die Balsamflasche an die Lippen.

Da! da! trinke!

Mordi trinkt.

Ach, wie heilsam!

(Er trinkt mehr, steht auf.)

Liebe, liebe Roselinde,
Sieh schon bin ich ganz genesen.
Roselinde.

Ach, wie bin ich nun so glücklich,
Daß Du jetzt ein Mensch geworden,
Aber wirst Du auch nicht wieder
In ein Ungeheu'r verwandelt?
Mordi.

Sei nicht bange, Roselinde.
Du hast mir mit Deinen Händen
Freundlich meinen Kopf gestreichelt,
Der so furchtbar häßlich aussah,
Und das lös'te allen Zauber.
[113] Roselinde.

Dürfen jetzt auch Menschen kommen?
Mordi.

Alles, Alles ist nun anders.
Ich bin kein verwünschter Prinz mehr,
Meine Diener sind nun Menschen,
Und so dürfen denn auch künftig
Menschen ohne Furcht sich nahen.
– Aber wie kann ich Dir's danken!
Sieh, in Zukunft bin ich König,
Herrsche über all die Länder,
Welche hier uns rings umgeben,
Und durch Dich bin ich so glücklich
– Bleibe bei mir Roselinde,
Sei die Königin des Landes.
Roselinde.

Ei, das will ich herzlich gern.
Mordi.

Willst Du? liebe Roselinde?
O, dann komm, dann komm geschwind.
Laß uns zu dem Schlosse eilen,
Daß man schnell ein Fest bereite,
Unsre Hochzeit bald zu feiern;
Daß ich schnell an Deinen Vater
[114] Einen meiner Diener sende,
Der ihn zu uns her geleite,
Daß ich all den bittern Kummer,
Den ich ihm gemacht, vergüte,
Daß er jetzt in seinem Alter
Frohe Tage bei uns lebe.
Roselinde.

Ach, Du bist so gut, Herr Mordi!
Komm, ja, komm denn schnell zum Schlosse. –
Aber laß auch Besenstielchen
Mit dem Vater zu mir kommen,
Daß ich ihre treue Liebe,
Die sie mir als Kind bewiesen,
Wie es billig ist, vergelte.
Mordi.

Ja, sie soll als Deine Freundin
Künftig immer um Dich bleiben,
Und soll die Gemahlin eines
Meiner ersten Räthe werden –
Komm, laß uns das all bestellen.

(Er bietet ihr den Arm, sie gehn ab.)
Miß Käthchen folgt.
Diener, Läufer, Kutscher, Koch und viele andere Hofbedienten kommen.
[115] Läufer tanzt herum.

Heisa, lustig! heisa, lustig!
Meine langen Storchenbeine
Sind doch wieder menschlich worden.
Diener.

Und die langen Zottelhaare
Sind mir auch doch abgefallen.
Andrer Diener.

Was warst du denn für ein Thierchen?
Diener.

Ich? ein Pudelhund.
Andrer.

– Ich aber
War ein Affe.
Koch.

Dank dem Himmel!
Ich muß jetzt doch nicht mehr bellen,
Und kann wieder deutlich reden.
Kutscher.

Unser Herr ist auch ein Mensch.
Koch.

Der war noch am allerschlimmsten
Dran, der war verzweifelt garstig.
[116] Diener.

Dem wirds auch ganz wohl sein endlich.
Wie ist's aber zugegangen?
Andrer Diener.

Wau! wau! – Ach, wie dumm! ich meinte
Ich sei noch ein Hund, und müßte
Auch, wie sonst, noch immer bellen.
Läufer.

Juchhe! meinetwegen sei es
Zugegangen, wie es wolle! –
Diener.

Kommt! der Herr wird auf uns warten,
Eben ging er aus dem Garten.

Alle springend.

Juchhe! Kommt! Juchheisasa!

Mordi ruft.

Diener!
Alle.

Herr, wir kommen! ja!
4. Szene
[117] Vierte Scene.

(In Schira's Hofe.)


Guran

sitzt, und sieht hinauf unter das Dach.


Hm! hm! – Was das bedeuten mag.

Ein Knecht kommt.


Was guckst du denn so hinauf unter das Dach?

Guran.


Siehst du nichts?

Knecht.


Die Schwalbennester.

Guran.


Und die Schwalben reißen sie selber ab. Ich seh schon lang zu. Sonst ziehen sie immer wohl um diese Zeit bald fort, aber die Nester lassen sie doch, daß sie eine Unterkommen haben, wenn sie zurückkehren.


Knecht.


Das bedeutet Unfriede in dem Haus.

Guran.


Geh! das werden die Vögel wissen? Das Vieh[118] kümmert sich nichts drum, ob Fried' oder Unfried' im Hause ist, wo sie ihr Nest ankleben, wenn's nur brav Ungeziefer gibt, von dem sie leben.


Knecht.


Das gilt nicht von den Schwalben.

Guran.


Ach, geh mit deinem Aberglauben.

Knecht abgebend.


Wunder über Wunder! Der Herr ist fort, kommt gar nicht wieder.

Guran.


Fort?

Lugar.


Ja, fort! und ich geh auch. (Zeigt einen Beutel mit Geld:) Sieh, das ist mein Lohn. Den hab ich mir gleich auszahlen lassen. Denn jetzt mag ich nicht hier bleiben. Die beiden Töchter des Herrn sind gar wunderlich und immer verdrießlich, wenn sie zu Hause sind. Ich glaube, die können nur am Spieltisch fröhlich sein.


Guran.


Wahr ists! Da wirds eine schöne Wirthschaft geben. [119] Aber wie ist es denn zugegangen? Warum ist der Herr denn fortgereißt.


Lugar.


Ja, warum? das kann ich nicht sagen. Sieh, ich war eben oben, da hör' ich die Beiden zanken und schelten, und als ich in das Zimmer ging – du hättest den Spektakel sehn sollen! – Da zankten sie sich um Roselindens Kleider. Die ist auch fort, und hat alle ihre kostbaren Sachen im Stich gelassen.


Guran.


Ei, ei! was man nicht alles erlebt!

Lugar.


Und wie sie so die Kleider herum rissen, und sich schier darüber schlugen, und sie einander aus den Händen zerrten, da sagt' ich so in aller Unschuld vor mich hin: »Nun, ja! wenn das der Herr wüßte!« Da fuhren sie aber alle Beide auf mich her, und schrieen durcheinander: »Was willst du? Jetzt sind wir Herrn! Jetzt haben wir zu befehlen!« Und die Eine hielt mir ein Blatt, von unserm Herrn geschrieben, vor die Augen, und stieß mir's fast unter die Nase, und rief: »Da, lies, und lerne Respekt haben!« Da las ich denn klar in drei, vier Zeilen, daß [120] er fort sei, und nicht mehr wieder käme, und daß seine zwei ältesten Töchter alle seine Güter und Schätze theilen sollten.


Guran.


Hm! hm. Was das für Sachen sind! Die Schwalben haben da doch Recht, da war ja Zank und Streit.

Lugar.


Er ist mit der frommen Roselinde fortgefahren, und da geht's ihm gewiß gut. – Aber ich forderte gleich meinen Lohn, und gehe jetzt, den Herrn wieder aufzusuchen, oder doch in einen andern Dienst zu kommen. Denn in dem Hause wird kein Diener mehr lange bleiben.


Guran.


Ja, ja! da zieh' ich auch davon.

Ein Knecht kommt.


Jetzt reißt auch der Storch sein Nest vom Dach. Das beweißt, daß jetzt nur Gottlosigkeit in dem Hause wohnt.


Lugar.


Was? das bedeutet schnell Verderben!

Ein Diener kommt.


Welch ein Unglück?

[121] Alle.


Nun, was gibt es denn schon wieder?

Diener.


Zwei Leichen auf einmal.

Guran.


Was?

Diener.


Unsers Herrn Töchter zankten sich über ihrer Schwester goldgesticktes Kleid, jede hielt es, und keine wollte es lassen, und zerrten so daran, und kamen bis an die Treppe, und eine riß mit aller Macht, da riß das Kleid entzwei, und beide stürzten die Treppe von oben bis unten herab, und liegen nun da, und keine rührt ein Glied. Sie haben beide den Hals gebrochen. Aber jede hält noch das Stück Kleid in den Händen.


Guran.


So sind sie todt?

Diener.


Freilich, freilich! maustodt.

Knecht.


Das haben die Schwalben wohl gewußt, daß es Todtschlag in dem Hause geben wird. Gelt, Guran, du wolltest nicht glauben!


[122] Lugar.


Und der Storch. Drum hat er sein Nest heruntergeworfen.

Guran.


Das haben die beiden Mädchen wohl an ihrem Vater verdient, den sie hätten verschmachten lassen, als er krank lag.


Lugar.


Sie hätten gern schon früher mit seinem Vermögen geschaltet und gewaltet nach Gefallen. Darum wars ihnen leid, daß er wieder gesund ward.


Einige Diener.


Kommt, laßt uns das Unglückshaus verlassen.

Alle.


Ja, wir wollen alle gehen.

(Sie gehen ab, indem schlagen die Flammen an allen Enden aus dem Hause.)

5. Szene
[123] Fünfte Scene.

(In dem Hofe von Mordi's Schloß.)


Sami mit vielen andern Dienern von Mordi's Hofgesinde.

Sami.

Stellet hier euch in zwei Reihen;
Lange können sie nicht bleiben.
Wenn sie von dem Tempel kommen,
Wo die Trauung jetzt geschiehet,
Laßt uns laut ein Vivat rufen.
Alle.

Ja, gewiß von ganzem Herzen.
Das versteht sich ja von selber.

Der Zug kommt aus dem Tempel.

Voraus geht eine vollständige Musik. Die Musikanten sind in himmelblauen Sammt gekleidet. Darauf folgen zwölf Knaben und zwölf Mädchen in weißen Flügelkleidchen mit silberdurchwirkten

himmelblauen Binden um den Leib. Dann folgt das Brautpaar, der König mit Roselinden, hinter ihnen geht Schira. Hinter Schira kommen wieder sechs Knaben und Mädchen in hellgrünen Flügelkleidern, nach ihnen kommt Besenstielchen als Braut gekleidet, und neben ihr geht des Königs erster Rath, ihr Bräutigam. Den Zug schließen lange Reihen von des Königs Räthen, Hofbedienten und Volk.


Einer der Diener zu Sami.


Wer ist der denn hinterm Brautpaar?

[124] Sami.

Das ist Schira ja, der Vater.
Und dort geht noch eine Jungfrau,
Die aus unserm Land gekommen.
Andere Diener.

Welche?
Sami.

Dort, die Braut vom zweiten Brautpaar;
Dort die Braut des ersten Rathes.
Die hieß bei uns Besenstielchen,
Aber ist die treuste Seele,
Die man weit und breit kann finden.

(Der Zug nahet sich.)
Sami.

So, jetzt ruft das Vivat,
Aber recht aus voller Kehle.
Alle.

Vivat Mordi! vivat Braut.
Vivant alle Hochzeitsgäste!

Mordi und Roselinde.

Kommt und nehmet Theil am Feste.
[125] Alle.

Vivat Bräutigam und Braut!
Vivant alle Hochzeitsgäste!
Indem der Zug mit Musik vorüberzieht, fällt der Vorhang.

[126] [128]2. Ein lustiges Mährlein vom kleinen Frieder mit seiner Geige.

Klein Friederlein mit seiner Geige (Albert Ludewig Grimm: Lina's Mährchenbuch)

[128] Es war einmal ein Bürschlein, das war im Wuchse nicht gar wohl gerathen, denn es war viel kleiner geblieben, als es für sein Alter hätte sein können; auch standen ihm die Beine gar schief unter dem Leibe. Dabei war es aber immer muntern, aufgeweckten Sinnes, und der Kopf stak ihm voller Schalkheit.

Seine Aeltern waren ihm aber früh gestorben, und hatten ihm gar nichts zum Erbe hinterlassen. Darum hatte er sich zu einem Bauer als Knecht verdingt. Als er aber drei Jahre in diesem Dienste gestanden, trat er eines Tages vor seinen Herrn, den Bauer, und sagte: »Sehet, ich hab Euch nun drei Jahre redlich gedient nach allen meinen Kräften, und gedenke nun weiter in die Welt zu gehen, und mein Glück zu machen. Darum seid so gut, und gebt mir meinen verdienten Lohn, und lasset mich ziehen.«

Da ging der Bauer an seinen Wandschrank, und schloß selbigen auf, und suchte lang unter seinem Gelde, [129] und brachte endlich drei Hellerlein hervor, und gab ihm solche und sprach: »Sieh, hier hast du deinen Lohn, für jedes Jahr ein Hellerlein. Ich denke, ein so klein Bürschlein wie du kann gar wohl damit zufrieden sein. Und wenn du sie gut anlegst, so kannst du schon damit dein Glück machen. Wer aber den Heller nicht ehrt, der ist des Thalers nicht werth. Ich wünsch dir viel Glück auf den Weg.«

Da nahm der kleine Frieder die drei Hellerlein, steckte sie freudig in einen ledernen Beutel, den er sich aus einer Maushaut gemacht hatte, und verbarg ihn in seiner Tasche. Darauf nahm er von der Frau und den Kindern des Bauern Abschied, und zog fort in die Welt. Wo er sich setzte, um auszuruhen, oder wo er zu Nacht unter einem Baume sein Nachtlager nahm, oder bei guten Leuten in einer Scheune Obdach fand, da zog er auch sein maushaaren Beutelein heraus, und zählte seine drei Hellerlein, ob er sie auch noch alle habe, und ob ihm keiner davon verloren gegangen wäre.

So war er etliche Tage in die Welt hinein gelaufen, und noch war ihm keine Gelegenheit aufgestoßen, sein Geld gut anzulegen. Da kam er eines Abends an ein großes felsiges Gebirge, das war an vielen Orten so felsig, daß kaum ein wenig Moos da wuchs. Aber die Felsen waren so steil [130] daß man sich auf dem Wege nur mühsam zwischen durch hinaufwinden konnte. Wo sich aber zwischen den Felsen ein wenig Erde angeschwemmt hatte, da wuchsen hier und da hohe Schwarztannen empor, die machten zwischen den nackten, grauen Felsen dem Berg ein recht unfreundliches Ansehen. Und zwischen den Tannen hörte man nichts, als das Gekrächze der Raben und das Brausen wild herabschäumender Felsenbäche, so daß es Einem in dieser Umgebung, bei der eben einbrechenden Dämmerung, recht unheimlich und ängstlich hatte zu Muth werden können.

Den kleinen Frieder kümmerte aber das alles nicht. Er stieg gutes Muthes den Felsenpfad hinan, und pfiff sich dabei ein lustiges Lied. Als er aber auf dem Gipfel des Berges ankam, war es Nacht worden, und er hätte schon längst den Pfad nicht mehr gesehen, wenn ihm nicht der Mond über die Tannengipfel und Felszacken herein geschienen hätte. Denn es war gerade Vollmond. Und oben sah er sich nun um, wohin er seinen Weg zu nehmen habe, um ein Dorf oder eine Mühle zu erreichen, wo er übernachten könnte. So weit ihm aber das Mondlicht zu sehen verstattete, sah er jenseits nichts als Wald und Waldgebirge. Darum beschloß er zu bleiben, wo er war, und suchte sich einen Platz, der mit weichem Moose bewachsen war, und legte sich auf selbigem zurecht, um da die Nacht[131] zu schlafen. Ehe er aber einschlief, zog er wieder sein mausledernes Beutelein hervor, zu sehen, ob ihm keiner von seinen Hellerlein verloren sei. –

Wie er sie aber auf seiner Hand im Mondschein zählte, fiel ihm auf einmal ein sonderbarer neblichter Schatten auf die Hand. Da schaute er in die Höhe, und sah vor sich stehn einen Mann, dessen Gesicht war ganz bedeckt mit einem grauen Barte, der ihm bis auf die Füße herunter wallte; und sein Gewand hing ihm in vielen Falten weit um den Leib, und ein Stück davon hatte er sich über den Kopf geschlagen, daß man nur sein Gesicht sah. Und obgleich der Mann ruhig stehen blieb, so schien doch sein Kleid in einem fort rings um ihn, und auf und ab an ihm, in immerwährender Bewegung zu sein. Diese Bewegung und die graue Rauchfarbe des Gewandes und des Bartes gaben dem Manne ein gespenstisches Aussehen. Denn er schien eben so wohl eine aus der Erde gerade aufsteigende Rauchsäule zu sein, als ein Mensch. Er war aber auch kein Mensch. Denn als unser lustig klein Bürschlein so aufschaute, und nicht recht klug aus ihm werden konnte, und ihn bald für einen Menschen, bald wieder für eine Rauchsäule hielt, kam ihm doch am Ende ein gewaltiges Grauen an, und all sein froher und beherzter Muth schien ihn verlassen zu haben. Er steckte eilig seine drei Hellerlein [132] in seinen Beutel, und raffte sich von der Erde auf, und wollte von dannen fliehen.

Als er sich aber im Aufstehen eben schon zum ersten Schritte anschickte, um davon zu laufen, fühlte er sich von hinten an den Haaren fest gehalten, und ob er sich gleich vor der Erscheinung fürchtete, mußte er doch wieder zurücksehen. Und nun schien ihm die Figur wieder ein alter Mann in einem grauen Regenmantel. Aber der Mann merkte seine Furcht, und redete ihn gutmüthig an: »Fürchte dich nicht, Frieder, ich thue dir nichts!«

Da athmete klein Friederlein wieder leichter, und sagte: »Nun, das ist doch schön von dir, daß du endlich einmal sprichst, daß ich doch einmal weiß, daß du ein Mensch bist. Noch schöner ists aber, daß du mir nichts thun willst. Willst du mir auch meine drei Hellerlein nicht nehmen, die ich in drei Jahren verdient habe?«

»Wofern du mir sie nicht am Ende gutwillig gibst,« antwortete der Graue, »sollst du sie alle drei wieder mit dir von hinnen nehmen.«

»Nun,« sagte klein Friederlein, »dann hat's gute Wege; dann sollst du mir ein willkommener Schlafgeselle sein.«

»Ich will dein Schlafgeselle nicht sein,« brummte der Graue unwillig in den Bart. »Aber,« fuhr er fort, »um [133] mein Geschäft gleich mit dir abzuthun (denn ich muß diese Nacht noch eine Reise von hundert Meilen machen) so sag mir, was willst du für deine drei Heller haben?«

Da merkte klein Friederlein aber wohl, daß er's weder mit einem Menschen, noch mit einem Dampfe zu thun habe, sondern daß es wohl ein starker Berggeist sein müsse, der seine drei Hellerlein darum haben wollte, weil sie aus dem Kupfer geprägt seien, das aus der Tiefe dieser Berge vielleicht gegraben wäre. Denn er war gar listig und klug. Deßwegen antwortete er auch zu ihm, und sprach: »Ja, einen meiner drei Hellerlein wollt ich dir wohl geben, wenn du mir ein Vogelrohr geben wolltest, mit dem ich jeden Vogel erlegen kann, auf dem ich daraus schieße.«

Da reichte ihm der Graue schnell, und ehe Frieder nur sehen konnte, woher er es nahm, ein schönes Vogelrohr dar, das war bald noch einmal so lang als klein Friederlein selbst. Aber Frieder sprach: »Ja, vorher muß ich's auch erproben, ob's gut ist, eh' ich dir's bezahle!« und merkte sich ein Blatt an einem fernstehenden Baume, und schoß darnach, und das Blatt flog weg, als ob es nie dagewesen wäre. Da reichte ihm Frieder fröhlich den Heller. Aber der Graue sagte: »Du hast dir eben nichts Besonderes gefordert. Nimm dich nun mehr in Acht bei dem zweiten Heller, und fordere dir etwas Besseres.«

[134] »Ja, ja! lachte klein Friederlein. Sieh, ich kann freilich selbst nicht tanzen, weil mir die Beine zu schief gewachsen sind; aber doch hab ich gar gewaltige Lust am Tanzen, und es ergötzt mich über die Maßen, wenn ich Andere so recht in toller Lust herumspringen sehe. Darum begehre ich für meinen zweiten Heller nichts, als eine Geige, nach der Alles tanzen muß, wenn ich darauf siedle, es mag nun tanzlustig sein, oder nicht.«

Da gab ihm der Graue auch die Fiedel, die er sich gewünscht hatte, sammt dem Fiedelbogen darzu. Und Frieder hatte wieder nicht gesehen, woher er es genommen hatte. Indem er sie ihm aber gab, sagte er zu ihm: »Das war auch wieder ein recht alberner Wunsch, Frieder! Nun kommt der letzte Heller; nun wünsche dir etwas Gescheiteres!«

Da gab ihm Frieder den zweiten Heller, und sagte: »Nun, so wünsch ich dann, daß mir niemand die erste Bitte abschlagen kann, die ich an ihn thue.«

»Nun, das ist einmal doch etwas Gescheites!« sagte der Graue. »Diesen Wunsch erfüll' ich dir mit Freuden. Geh nur hin, es ist so.« Und Frieder gab ihm auch den dritten Heller. Indem wehte aber ein lindes Lüftchen über die Berggipfel hin, und es schien unserm kleinen Bürschlein nun ganz, indem der Graue von ihm ging, als [135] sei er wieder nur ein neblichter Dunst, der von den Winden weggeweht werde. Denn als der Wind nun stärker hinter ihm herwehte, so schien er auch viel schneller von dannen zu eilen, und bald vermischte er sich ganz mit den fernen Nebeldünsten der Nacht.

Aber Friederlein lachte in sein Fäustchen, und freute sich von Herzen über seine köstlichen Geschenke, und hüpfte herum auf einem Beine, und hielt in der einen Hand sein Vogelrohr, in der andern seine Fiedel, und rief ein mal über das andre mal: »Das war ein närrischer Kerl in seinem Nebelkleide! Das war ein närrischer Kerl!« Und schlafen konnte er jetzt nicht die ganze Nacht hindurch. Denn er fürchtete, wenn er nun einschliefe, so möcht' er morgen früh erwachen, und alles möchte dann nur geträumt gewesen sein. Aber ruhen mußte er doch, denn er war den ganzen Tag über weit hergewandert. Darum setzte er sich nieder, und erwartete wachend den Morgen.

Als aber die Sterne jetzt bleichten, und die Lüftchen frischer über den Bergrücken herweheten, und der Morgen den Himmel mit einem rothen Streifen übergoß, da stand unser klein Bürschlein auf von seinem Sitz, und wanderte bergabwärts auf der andern Seite nach einer Stadt zu, die es von ferne in der Ebene liegen sah, und freute sich schon zum Voraus, wie es die Leute nach seiner Geige [136] wollte tanzen machen, wo es hinkäme, und lachte schon für sich selbst.

Es war aber schon eine gute Strecke gegangen, und war den hohen Felsberg schon herunter gestiegen, und hatte jetzt nur noch die vorderen, niedrigen Bergabsprünge zurückzulegen, da gesellte sich ein Mönch zu ihm, der von einem Dorfe im Gebirge kam, wo er für sein Kloster gesammelt hatte; und auf seiner Schulter trug er den Terminirsack, gefüllt mit Dürrfleisch und Eiern und andern Gaben, die ihm wohlthätige, fromme Hausmütter für sein Kloster geschenkt hatten. Als der Mönch aber zu ihm kam, grüßte ihn das kleine Bürschlein, und fragte: »Wo kommt Ihr denn her, so früh schon?«

»Ich komme dort vom nächsten Dorfe,« sagte der Mönch, »und habe da für mein Kloster gesammelt, und jetzt geh' ich nach der Stadt da unten, und will sehen, was mir dort gute Leute mittheilen werden.«

»Ei,« sagte Friederlein, »da gehn wir ja mit einander! Ich geh' auch dahin.«

»Ja?« sagte der Mönch, und stöhnte dabei. »Es ist heut Jahrmarkt dort. Da willst du gewiß mit deiner Geige Eins aufspielen, und dir was verdienen?«

»Ja, ja,« antwortete Friederlein, »das hab ich im Sinne!« und ging weiter mit ihm, und lachte für sich;[137] denn es dachte schon auf einen Possen, den es dem Mönch spielen wollte. Und als sie so weiter gingen, sah der Mönch auf einem Baum, etwas vom Weg ab, eine wilde Taube sitzen, und sagte zu Frieder, ehe sie noch dort waren: »Sieh, mein Sohn, was für ein fettes Täubchen dort sitzt!«

»Ja, das ist ein schön Täublein!« sagte Frieder. »Ich hab die Tauben gar gern; sie sind so ein sanftmüthiges Vieh, und thun niemand etwas zu leid.«

»Ach! und sie schmecken so gut!« sagte der Mönch, und blieb stehn, und sah hinüber. »Ja, ja!« fuhr er fort, »die ist recht fett! das müßt' ein gar gut Leckerbißlein sein, wenn die gebraten wär' und hübsch gefüllt! Ach, mein Sohn, du hast da ein langes Vogelrohr! Komm, schieß mir das fette Täubchen herunter, wenn du kannst.«

»Warum das nicht!« sagte Frieder. »Aber Ihr müßt sie selbst holen; denn sie fällt gerad in die Hecken, und über die kann ich nicht hinaussteigen mit meinen kurzen Beinen. Ich fürcht' mich auch gar für den Dornen, die würden mich gewaltig zerkratzen.«

»Ei, liegt sie nur einmal da drinne, so will ich sie schon kriegen!« sage der Mönch. »Meine Kutte ist dick; da stechen die Dornen nicht durch.«

»Aber es ist ja jetzt in der Fastenzeit, da dürft Ihr[138] ja kein Fleisch essen,« erwiederte Frieder. »Geht, laßt das arme Thierlein leben. Aufbewahren könnt Ihrs ja doch nicht, bis Ihr wieder Fleisch essen dürft.«

»Ei,« antwortete der Mönch, »du wirst mich nicht verrathen, und wenn's sonst niemand sieht, so ess' ich auch Fleisch in der Fasten. Da ist's keine Sünde.«

»So?« sagte Frieder, »was niemand sieht, ist also keine Sünde?«

»Nein, nein, mein Sohn!« antwortete der Mönch.

Da verdroß klein Friederlein des Mönchs Lüsternheit und seine Gewissenlosigkeit, und dachte für sich: »Nun, warte nur, du sollst mir dafür büßen!« und wandte sich wieder zu ihm und sagte: »Nun ja, wenn Ihr sie holen wollt, so schieß' ich sie herunter,« und schoß sie herunter. Und sie fiel recht mitten in die Dornbüsche. Da machte sich der Mönch schnell hin, und stieg über die vorderen Dornenbüsche, und hob die Taube auf. Aber klein Friederlein hatte indeß seine Geige zur Hand genommen, und fing an mit dem Fiedelbogen drauf auf und ab zu spielen, und sprach: »Ich muß doch sehen, ob meine Fiedel auch gut ist.« Und indem er mit dem Fiedelbogen drauf auf und ab strich, gabs doch einen recht lustigen Tanz, ob er gleich in seinem Leben nie geigen gelernt hatte.

Als aber der Mönch den lustigen Tanz hörte, da fing [139] er in seinem Dornbusche an zu tanzen, so sauer es ihm auch ankam, denn er war sehr dick und wohlgenährt. Und er hob bald den rechten Fuß und hüpfte auf dem linken, und bald den linken und hüpfte auf dem rechten hoch in die Höhe; und tanzte, daß ihm die Eier alle in seinem Terminirsack zerbrachen, und die gelbe Brühe herabträufte auf seine Kutte; und er hüpfte, daß ihm die dicken Backen wackelten und sein fetter Bauch, daß er keuchte und darzwischen schrie: »Hör auf, mein Sohn! hör auf, mein Sohn! sonst ist's mein letztes End! sonst tanz ich mich zu todt!«

»Nein,« sagte Frieder, »gebt Acht, jetzt gibt's erst den Hupfauf, da ist ein noch lustigerer Tanz!« und siedelte von Neuem, und der Mönch mußte von Neuem tanzen, daß er fast den Athem verlor. Das ergötzte das kleine Bürschlein gar sehr, besonders weil die Hecken und Dornen sich dabei immer an der Kutte des Mönches anhängten und ihn festhielten, daß er im Tanzen sich immer losreißen mußte, und die Stücke seiner Kutte am Dornbusche hängen blieben. Und der Mönch mochte bitten und flehen so viel er wollte, das schalkhafte Bürschlein fiedelte immer darauf los.

Da schrie der Mönch endlich: »Ich will dir auch all mein Geld geben, das ich zusammen terminirt habe, wenn [140] du aufhörst. Um Gottes Willen, so hör nur auf; ich bin sonst des Todes!«

Da hörte klein Friederlein endlich auf, und ließ ihn ausschnaufen. Er wischte sich aber den Schweiß von dem Gesichte, und athmete tief, und wickelte seine Kutte los aus den Dornen, und kam heraus. Als aber klein Friederlein ihm sein Geld abforderte, wollte er's ihm nicht geben, und schalt ihn noch aus dazu, daß er ihn mit seiner verzauberten Geige zum Tanzen gezwungen, da er doch Ehrfurcht vor ihm hätte haben sollen.

Aber Friederlein drohte, ihm noch einmal den Hupfauf zu spielen, wenn er nicht gleich das Geld herausgebe, wie er versprochen. Da bat ihn der dicke Mönch, er möge doch das nicht thun, er wolle ihm Alles geben, was er verlange. Und damit nahm er sei nen Terminirsack herunter. Als er aber sah, wie all seine Eier zerbrochen und herausgeflossen seien, da seufzt' er tief, und sprach: »Ach, die gute Gottesgabe ist so verdorben! Wie manch ein gutes Fastenessen hätte man davon bereiten können! und jetzt kommt's keinem Menschen gut!«

Klein Friederlein lachte aber und sprach: »Ei, laßt Euch die Eier nicht reuen, Herr Pater! Habt Ihr ja doch einen lustigen Eiertanz dafür gehalten. Greift nur hinein in die gelbe Brühe, und fischt Euern Geldbeutel heraus, [141] und besinnt Euch nicht lang, sonst laß ich Euch vorher noch Eins tanzen.«

Da seufzte der Mönch: »Daß Gott sich's erbarme! in welches gottlosen Schelmen Gewalt bin ich kommen!« und griff in den Terminirsack hinein, und zog sein Geldsäcklein hervor. Und klein Friederlein nahm sein roth Käpplein ab, und hielt's ihm dar, und der Mönch leerte ihm das Geld da hinein. Unser schelmisches Bürschlein steckte aber das Geld in seine Tasche, und sprach zu dem Mönch: »Nun, ich dank Euch, daß Ihr mich so gut bezahlet für meine geringe Mühe!« »Ja,« sagte der Mönch, »ich wollt' ein Andrer müßte dich noch bezahlen, der dich bezahlte, wie du's verdienst.«

Klein Friederlein lachte aber, und antwortete ihm nicht, und ging nun fröhlich weiter, und der Mönch ging unmuthig neben ihm auf der andern Seite des Weges. Als sie aber drauf in die Stadt kamen, und am Wirthshaus zum Schwanen vorbeigingen, da sagte das Bürschlein: »Nun, lebt wohl, Herr Pater! laßt Euch zu Mittag das fette Täublein recht wohl schmecken, und sammelt recht viel für Euer Kloster, daß Ihr Euers Verlustes wieder beikommt! Ich will nun da hinein, und will mich da einmal hören lassen, und den Leuten Eins aufspielen, daß sie auch fröhlich werden und tanzen.« Und somit ließ er [142] den Mönch weiter gehen, und ging die Treppe hinauf, und setzte sich hinter den Tisch in der Stube, und forderte sich ein Schöpplein. Und als er nun eine Weile da gesessen fing er an zu geigen, und alle Gäste fingen mit großer Lust an zu tanzen, und der Wirth tanzte unter den Gästen herum mit den Aufwärtern.

Es gefiel aber Allen wohl, denn es waren lauter lustige Gesellen. Und sie bezahlten reichlich, und wenn er aufhörte, so ließen sie sich immer wieder ein Neues von ihm aufspielen, und die Leute, so auf der Gasse vorbeigingen, tanzten auch, wenn sie die Geige hörten.

Der Mönch war aber gar böse auf den kleinen Frieder, daß er ihm sein Geld all genommen, und ging hin vor den Richter des Städtleins, und verklagte ihn bei demselben. Da sprach der Richter: »Ja, wenn wir wüßten, wo der Schalk sitzt, so wollten wir ihn schon strafen für seine Possen.«

»Ei,« antwortete der Mönch, »da schickt nur den Haltfest, Euern Büttel, nach ihm aus, er soll sehn, ob nicht im Wirthshaus zum Schwanen ein klein Bürschlein sitzt mit krummen Beinen, das eine Geige bei sich hat, und ein lang Vogelrohr.«

Da schickte der Richter seinen Büttel nach ihm aus. Als der aber hinkam nach dem Wirthshaus zum Schwan, [143] war da ein gewaltig Gelärme. Vor dem Hause tanzten die Leute herum auf der Gasse, und drinnen im Hausgang und in der Stube. Und Friederlein stand auf dem Tisch, und fiedelte mit schalkhaften Mienen, und ergötzte sich an den Tanzenden um ihn her. Als aber der Büttel Haltfest die Geige hörte, kam ihm auch beinahe die Lust zu tanzen in die Füße. Und ein Glück war's, daß Friederlein gerade ausruhte, und dem Tanz ein Ende machte, sonst hätte der Haltfest auch mit herumtanzen müssen.

Er ging aber jetzt hin zu ihm, und kriegt ihm beim Aermel, und sagte: »He, guter Freund! treff ich dich hier an? Komm einmal mit mir.« Klein Friederlein war aber begierig, was er wollte, und ging gutwillig mit ihm. Denn er dachte: »Ich kann ihm ja am Ende immer noch bitten, daß er mich frei gehen läßt; die erste Bitte muß mir ja jedermann erfüllen.«

Da ihn der Büttel aber vor den Richter führte, bei dem der Mönch saß, merkte er wohl, daß ihn der Mönch verklagt habe. Und als ihn der Richter fragte: »Gesteh nur aufrichtig, du Schalk! hast du gethan, wie der ehrwürdige Herr da sagt? hast du deine Schalkspossen mit ihm getrieben, und hast ihm sein Geld noch oben drein abgenommen?«

[144] »Ja, Herr Richter,« sagte da unser Friederlein, »ich kann's nicht leugnen, ich hab' es gethan.«

Da fuhr ihn der Richter an, und rief zornig: »du Schalksknecht! kannst du nicht Possen treiben mit deinesgleichen? Mußt du denn den ehrwürdigen Mann da zu deinem Spiel brauchen? Weißt du auch nicht was im letzten Gebot enthalten ist, daß du dich nicht sollst gelüsten lassen nach Allem, was deines Nächsten ist? – Wart', ich will dir lohnen, wie du verdienet! Aufhängen will ich dich lassen am lichten Galgen, allen Schalksnarren und Dieben zum Exempel!« Und damit ließ er den Henker zu sich rufen, und übergab ihm unser klein Bürschlein, daß er ihn auf der Stelle hinausführe zum Galgen, und allda aufhänge.

Da nahm ihn der Henker und band ihm einen Strick um den Leib, und führte ihn mit sich. Und der Richter ging mit hinaus, zu sehn, ob der Henker sein Geschäft auch recht mache; und der Mönch ging auch mit, daß er ihn auf dem Wege vermahnete, und draussen unterm Galgen noch einmal beten lasse. Aber hinten drein lief vieles Volks, Männer, Weiber und Kinder, die sehn wollten, wie das arme Spielmännlein gehängt würde.

Als ihm aber der Mönch Trost zusprechen wollte, sagte klein Friederlein: »Ach, laßt mich nur gehn, ehrwürdiger [145] Herr! ich hab's ja verdient; mir geschieht schon recht. Freilich hab' ich's nicht so böse gemeint; ich seh' nur gern, wenn die Leute recht lustig tanzen, und ergötze mich daran, und hätt' nicht geglaubt, daß das eine so große Sünde wäre. Könntet Ihr Fleisch in den Fasten essen, dacht' ich, was Euch verboten ist, so könntet Ihr ja auch einmal tanzen.«

Indem kamen sie an den Galgen. Da stellten sich die Leute in einem weiten Kreise um ihn her. Dann ward die Galgenleiter angestellt, und der Henker machte dem armen Friederlein den Strick los vom Leib, und legte ihm denselben um den Hals, und stieg ein Paar Sprossen an der Leiter hinauf, und sagte zu ihm: »Komm, steig mir nach, mein Sohn!« Und Friederlein stieg ihm ein Paar Sprossen nach auf der langen Galgenleiter. Da dacht' er aber, es sei doch jetzt Zeit, seinen ersten Wunsch an den Richter zu thun, sonst möchte es ihm doch zu spät werden, wenn er noch ein Paar Sprossen höher droben wäre. Darum wandte er sich zu dem Richter und sprach: »Ach, Herr Richter, ich hab' eine gar große Bitte noch an Euch, eh' ich vollends da hinauf steige, die Ihr mir wohl gewähren könnt.«

»Die soll dir nicht abgeschlagen werden, mein[146] Sohn, wofern ich sie dir gewähren kann, antwortete der Richter.«

»Ach,« sagte Friederlein, »ich hab' meine Geige so lieb, und kann mich nicht von ihr trennen, eh' ich noch einmal Eins darauf gefiedelt habe. Darum bitt' ich, erlaubt mir, daß ich vor meinem Ende mich noch einmal mit ihr vergnüge, und mir und Euch zur Lust noch ein's drauf fiedle.«

Da wandte sich aber auch der Mönch zu dem Richter, und sprach: »Herr Richter lasset ihm das nicht zu. Es ist sonst unser Aller letztes End, wenn er seine Geige spielet.« Aber der Richter sprach: »Eine billige Sache darf man solch einem armen Schlucker nicht abschlagen, wenn er schon auf der Galgenleiter steht.« Darauf wandte er sich zum Büttel, dem Haltfest, und befahl ihm, dem Kleinen seine Geige zu geben. Und Friederlein empfing sie mit Freuden, und fing an darauf zu fiedeln mit dem Fiedelbogen. Da fingen auch schon ringsum die Kinder an zu tanzen. Und Fiederlein fiedelte frisch drauf los. Da sprach der Henker: »Ich muß erst Eins tanzen, ich kann's nicht lassen!« und stieg hinunter, und tanzte unter dem Galgen herum. Und als der Richter noch ein wenig zusah, und sah wie auch der Haltfest, der Büttel, Friederleins Vogelrohr an die Leiter lehnte, um desto besser herum [147] zu tanzen, und wie alle rings um ihn her tanzten, rief er: »Ei, wenn Alle tanzen, warum soll ich denn allein dastehn?« Und tanzte auch drunter hinein. Als aber der Mönch das sah, rief er: »Ich muß tanzen mit allen Freuden!« und tanzte auch in der Menge herum. Es ward ihm aber bald wieder sauer, weil er so wohl beleibt war. Darum schrie er zum Richter: »Ach, lieber Herr Richter! laßt ihn doch aufhören. Es ist ja eine Schande, daß wir da herumtanzen vor all den Leuten! Gelt, ich warnt Euch wohl? ich wußte wohl, wie es gehn würde.«

Aber der Richter war während des Tanzens ganz fröhlich worden, und rief ihm im Tanzen zu: »Ei, tanzt nur, Herr Pater, tanzt nur! Ich mag noch nicht aufhören; der Tanz klingt gar zu lustig.«

»Ja,« sagte klein Friederlein, »gebt Acht, jetzt spiel' ich Euch den Hupfauf. Ihr kennt ihn ja, Herr Pater! Nicht wahr, der geht erst recht lustig?« und spielte nun aufs Neue; und das Volk umher, und der Büttel und der Richter tanzten mit einander herum, und Weiber, und Kinder, und Alles bunt durcheinander, daß es ein recht Gewimmel war unter dem Galgen und drum herum; und hüpften Alle in dem Tanz in die Höhe, und rief Mancher dabei: »Juchhe! so lustig ging's sonst noch nie her, wenn Einer gehängt wurde!«

[148] Da stieg aber klein Friederlein von seiner Leiter herab, und geigte aber immer dabei, und nahm sein Vogelrohr unter den Arm, und lief geigend durch das tanzende Volk, und lief auf und davon. Aber die Leute tanzten ihm all nach, und tanzten ihm so lange nach, bis sie sich so müde getanzt hatten, daß sie auf die Erde niederfielen an dem Wege. Da fiel zuerst der dicke Mönch, und keuchte, so hatte er sich außer Athem getanzt, und dann fiel der Richter, dann der Henker und der Haltfest, und bald da ein Paar, und bald dort eines. Und Friederlein lief und fiedelte immerfort, bis sie alle vor Müdigkeit hingefallen waren.

Als aber nun Alle da lagen, da lachte Friederlein von Herzen in's Fäustchen, daß er sich so durch sein Geigen vom Galgen errettet hatte, und zog fort in andre Gegenden und andre Städte, und erwarb sich dort mit seiner Geige viel Geld, und riß mancherlei Possen, daß man bald überall sprach von dem kleinen Frieder mit seiner Geige. Und er lebte so, lustig und in Freuden viele Jahre bis er ein alt Männlein war.

Als er aber starb, da sprangen all die Saiten von seiner Geige entzwei; und viele versuchtens, und zogen neue Saiten darauf. Wer aber nicht geigen gelernt hatte, [149] konnte da auch nicht darauf geigen, wie auf jeder andern Geige; und wenn ein Tanz darauf gespielt ward, so mußt' auch Niemand darnach tanzen, als wer eben sonst gerade Lust hatte zum Tanzen – und es war eben eine Geige wie jede andre Geige sonst auch.

[150] [152]3. Ein Mährchen von dem Knüppel aus dem Sacke.

»Esel schlag aus!«⋼(Das Mährchen vom Knüppel aus dem Sacke.) (Albert Ludewig Grimm: Lina's Mährchenbuch)

[152] In einem kleinen Dorfe wohnte ein Bauer, der hatte Haus und Hof und Scheune und Ställe, und drei Söhne. Diesen erzählte er aber so oft von andern Dörfern und Städten und ganz andern Ländern, die er in früheren Jahren gesehen hatte, daß sie alle eine Sehnsucht fühlten, auch einmal diese fremden Länder zu sehen. Da trat denn erst der älteste der drei Söhne vor den Vater, und sprach: »Vater, gib mir mein Erbgut; ich will einmal hinaus in die Welt, von der Du so viel zu erzählen weißt, und will sehn, daß ich mein Glück mache.«

Da ging aber der Vater zu seinem Gevattermann, der ihm den ältesten Sohn über die Taufe gehoben hatte, und rathschlagete mit ihm was er thun sollte. Aber der Gevatter sprach: »Lasset ihn ziehen in Gottes Namen! er ist groß, und klug kann er auch sein nach seinem Alter. Vielleicht macht er sein Glück, und bringt Euch großen Reichthum mit.«

[153] Da gab ihm der Vater sein Erbtheil in Geld, und ließ ihn ziehen, wohin er wolle. Und Hanns zog aus von dannen, weit, weit, wie er meinte, über Flur und Feld, bis er am Abende in einen dichten Wald kam. Aber die Sonne neigte sich schon zum Untergange. Da trat zu ihm ein klein eisgrau Männlein, dem der Bart herab ging bis an den Gürtel, und sprach zu ihm: »Guten Abend, Hanns! Wo gehst Du hin?«

»In die Welt!« sprach Hanns, »ich will mein Glück machen, und hab' darum mein Erbtheil mitgenommen.«

»Ei, gib mir das!« sagte das eisgraue Männlein. »Ich gebe Dir dafür ein Tischlein deck' dich, das sich von selbst deckt mit Speis und Trank, was das Herz begehrt.«

Das gefiel Hanns; denn er war träg, und dachte, er dürfe alsdann gar nicht mehr arbeiten, und es wäre sehr köstlich, wenn er immer einen wohlgedeckten Tisch habe, und trinken könnte, was er wollte. Denn er aß auch gern was Gutes. Darum sprach er zu dem Männlein: »Gibst Du mir das Tischlein, so sollst Du mein ganz Erbtheil haben.«

Da führte ihn das eisgraue Männlein auf einem Seitenweg ein wenig in den Wald hinein, bis sie an eine Hütte kamen, die erbaut war von Moos und Rinden der [154] Bäume. Als sie aber durch die Thüre hinein traten, erstaunte Hanns, denn so was hatte er in seinem Leben noch nie gesehen. Das eisgraue Männlein stieß einen Laden auf, da fiel das Tageslicht in hundert Farben durch die farbigen Steine, woraus die Scheiben zusammengesetzt waren. Auf dem Boden lag ein Teppich von schwarzem Sammt mit wunderbaren goldenen Linien und Winkeln durchwirkt; die Wände waren jede nur ein großer Spiegel, darin aber Alles golden schimmerte, was man darin erblickte. Und Hanns erschrak, als er sich darin sah, denn er meinte, er sehe jetzt so golden aus. Die Decke schien so hoch, als der Himmel, obgleich das Hüttlein von außen nur ganz niedrig erschien. Und die Farbe der Decke war tiefblau, und schimmerte hier und da röthliche und gelbe Funken daran, wie die Sterne. Auf dem Boden lagen zwei schwarze Polster zum Sitzen, und darzwischen stand ein alt einfach Tischchen von schlechtem Tannenholze, das gar wundersam zu der übrigen Pracht abstach.

»Sieh,« sprach das Männlein, »das ist Dein Tisch. Gib mir Dein Geld, und nimm ihn dafür mit Dir. Wenn Du Essen und Wein haben willst aller Art, so sag' nur zu ihm: Tischlein deck' dich! Jetzt geh, und versuch's draußen selber. Wenn Dich der Handel reut, so komm nur [155] gleich wieder, Du sollst Dein Geld dann ohne Widerrede zurück bekommen.«

Da ging Hanns hinaus auf den breiten Weg, und stellte dort sein Tischlein unter eine große Eiche, und sprach: »Tischlein deck' dich!« und alsbald war das Tischlein gedeckt, und standen darauf sechs Platten und Schüsseln voller köstlichen Speisen, wie sie Hanns noch nie gesehen hatte, und von welchen er gar nicht wußte, ob man sie mit der Gabel oder mit dem Löffel ißt. Und auf jeder Ecke stand eine Flasche Wein.

Da setzte sich Hanns ins Gras unter das Tischlein, und ließ sich's schmecken, wie es ihm vorher noch nie geschmeckt hatte. Wenn aber ein müder Wandersmann oder ein Paar Handwerkbursche des Weges kamen, so winkte er sie zu sich, und zeigte ihnen das Weinglas von ferne, und hieß sie mit sich essen und trinken. Und so ließ er das Tischlein sich etlichemal rüsten, bis es ganz Abend war. Dann packte er es auf seine Schultern, und wanderte zurück, und kehrte im nächsten Wirthshause ein, um da zu übernachten.

Als ihm der Wirth aber hinauf leuchten wollte in seine Kammer, packte er sein Tischlein auch auf, um es mitzunehmen. Da fragte ihm der Wirth: »Nein, sagt mir doch, warum haltet Ihr Euer alt schlecht Tischlein so [156] werth, daß Ihr's mit Euch schleppet? Wenn Ihr glaubt, es könne Euch gestohlen werden, so irrt Ihr sehr. Ich hab' gerade so eins, und schenk's Euch auf der Stelle noch dazu, wenn Ihr es haben wollt.«

Da lachte Hanns recht herzlich, und sprach: »Ja, ja, Ihr meints vielleicht; doch so ein Tischlein habt Ihr nicht, zu dem man nur zu sagen braucht, Tischchen deck' dich! wenn man essen will, und das sich von selber mit Speis und Trank versieht.«

Als der Wirth das hörte, macht' er ein Paar große Augen vor Verwunderung, und sprach: »Ja, wenn es freilich so ist, dann nehm' ich's Euch nicht übel, daß Ihr so große Stücke darauf haltet.« Darauf wünschte er ihm eine ruhsame Nacht, und ging hinab. Hanns war aber müde von seiner Wanderschaft, und legte sich nieder und schlief fest ein.

Aber dem Wirthe ging's gewaltig im Kopfe herum, was Hanns gesagt hatte von seinem Tischchen; und er erzählte es drunten seiner Frau, daß der Gast ein Tischlein habe, das sich von selbst decke, wenn man daran essen wolle. »Frau!« sprach er, »so ein Tischlein sollten wir haben. Wie oft kommt uns ein Gast, wenn gerade nichts zu essen im Hause ist. Dann hätt's keine Noth mehr mit unserer Wirthschaft.«

[157] »Ei,« sprach die Frau, »wer hindert uns? Komm, laß uns hinauf gehn, und ihm sein Tischlein nehmen und unseres dafür hinstellen. Denn beide Tischlein sind eins, wie das andere.«

Aber der Wirth wollte doch nicht recht daran; denn er sagte, es sei unrecht, einem Andern das Seinige zu nehmen. Da ward seine Frau aber böse, und sprach: »Was, Unrecht hin! Unrecht her! Du bleibst doch dumm Dein Leben lang! – Wenn Dir auch das Glück einmal eine gebratene Wurst unter die Nase hält, hast Du nicht einmal das Herz, darein zu beißen.« Und so schalt sie fort, bis er sein alt Tischlein nahm, und mit ihr hinauf ging. Sie klopfte erst an die Thüre ganz sacht an, zu hören, ob Hanns nicht wache. Aber Hanns schlief so fest, daß er schnarchte.

Da traten die beiden hinein, und die Wirthin nahm Hannsens Tischchen, und der Wirth stellte das seinige auf die Stelle, und schlich sich wieder hinaus. Als er aber hinab kam, saß seine Frau schon hinter dem gedeckten Tischchen, und versuchte die Speisen. Er setzte sich aber auch zu ihr, und aß jetzt noch einmal mit ihr zu Nacht, und ließ sich besonders den Wein schmecken, denn er war viel besser, als der beste, den er im Keller hatte, und den er um zehn Kreuzer verzapfte. Als sie aber bald darauf [158] zu Bette gingen, trugen sie das Tischchen deck' dich in ihre Schlafkammer.

Des andern Morgens stand Hanns vor Tage auf, und nachdem er dem Wirthe sein Schlafgeld bezahlt hatte, machte er sich auf den Weg nach seinem Dorfe.

Aber er lief ohne auszuruhen, und ohne zu essen bis nach Hause. Da verwunderte sich sein Vater, als er ihn schon wieder kommen sah, und sprach: »Nun, was gibt's, Hanns? Hast Du Dein Glück schon gemacht?«

»Ja, Vater! ja, Vater!« antwortete Hanns.

Da fragte ihn der Vater: »Aber warum bringst Du denn den alten zerbrechlichen Tisch mit Dir?«

»Der ist eben mein Glück!« antwortete Hanns.

Da schalt ihn der Vater, und fragte ihn, wo er mit seinem Gelde denn hingekommen sei. Hanns antwortete ihm aber, er habe Alles für das Tischlein gegeben. Aber das sei auch ein Tischlein, so gebe es keines mehr in der ganzen Welt. Als sein Vater ihn darauf wieder schelten wollte, sagte er: »Seid nur ruhig Vater, und wartet noch mit Euerm Schelten. Ihr werdet mich noch loben, gebt nur Acht. Jetzt geht, und ladet alle Eure Verwandte, Freunde und Gevatterleute im ganzen Dorfe zum Nachtessen ein. Sagt ihnen, daß ich wieder heim gekommen sei, und sie diesen Abend gastiren wolle. Und das [159] sag' ich Euch, die Sanne soll gar nichts kochen, kein Spahn Holz soll auf dem Heerde verbrannt werden. Und ich mach' Euch doch satt, alle mit einander.«

Da wurde der Vater neugierig, und lief herum im Dorfe, und lud zusammen seine Gevatterleute, seine Verwandten und Freunde. Und als sie zusammen kamen, da guckten alle erst in die Küche, zu sehen, ob's auch wahr wäre, was sie von Hannsens Vater gehört hatten, daß sie satt werden sollten, obgleich kein Spahn Holz auf seinem Heerde verbrannt würde. Als nun aber der Gevatter Oelmüller zuletzt kam, sagte Hanns: »Jetzt stellt Euch alle um mein klein Tischlein da herum, das ich mit von meiner Reise gebracht habe, und gebt recht Acht, was es geben wird.«

Es gab aber nichts, als ein Gelächter unter den Gästen. Denn Hanns schrie wohl vierzig mal: »Tischlein deck' dich!« das Tischchen deckte sich aber nicht; sondern blieb da stehn, ungedeckt, ohne Speise und ohne Wein; und die geladenen Gäste mußten hungrig nach Hause gehn.

Aber von Stunde hieß Hanns im ganzen Dorfe derGroßhanns, darum, daß er sich etwas vermessen, was er nicht leisten konnte. Des andern Tages packte er nun sein Tischchen wieder auf, und wollte es dem eisgrauen Männlein wieder bringen, und sagen, der Kauf reue ihn. [160] Er fand das Männlein aber nirgend, und selbst seine Hütte war verschwunden, und jeden, den er nach ihn fragte, lachte ihn aus, und sagte. »Vom eisgrauen Männlein weiß man hier herum nichts, und so ein Hütte hat nie in dem Walde gestanden.«

Da zog er denn wieder traurig nach Hause, und arbeitete bei seinem Vater als Knecht, und ihn reuete herzlich, daß er sein Glück zu machen ausgezogen war, und ein Unglück gemacht hatte.

Jetzt fiel es aber den zweiten Bruder ein, er wolle die Welt sehen und sein Glück machen, aber besser als Hanns; denn er dünkte sich klüger. Darum trat er vor seinen Vater und sprach: »Vater, gebt mir mein Erbtheil, ich will die Welt sehen, und mein Glück aufsuchen.«

»Gelt!« sagte der Vater »wie der Hanns? Nein, Stoffel sei gescheidt, und bleib daheim.«

Stoffel wollte aber nicht bleiben, und hatte Tag und Nacht keine Ruhe, und ließ auch dem Vater keine Ruhe, bis er ihm sein Erbtheil auszahlte, und ihn ziehen ließ. Aber alle Bauern im Dorfe lachten darüber, daß wieder einer von des alten Xaviers Söhnen ausgezogen sei, sein Glück zu machen.

Stoffel war kaum einen Tag gegangen, so kam er gegen Abend in einen dichten Wald, und auf einmal trat das [161] eisgraue Männlein mit dem langen Barte zu ihm, und fragte ihn: »Wohin, Stoffel?«

Stoffel verwunderte sich, daß er ihn kenne, und antwortete: »Ich hab' mein Erbtheil vom Vater bekommen, und will mein Glück in der Welt machen.«

»Da hättest Du zu niemand besser kommen können, als zu mir!« sagte das Männlein. »Gib mir Dein Erbtheil, und ich gebe Dir einen Goldesel dafür, der nicht mit Geld zu bezahlen ist. Sagst Du zu ihm:Esel, schlag aus! so schlägt er Dir aus mit allen vier Füßen, und aus jeder Hufe fliegen allemal die Goldstücke zu Haufen heraus als wären's vier Kästlein, die ausgeschüttet werden, daß Du nur auflesen darfst.«

Das gefiel Stoffeln, und er versprach, wenn es so wäre, sei er den Handel zufrieden.

Da führte ihn das eisgraue Männlein ein wenig vom Wege ab in den Wald, und zeigte ihm den Stall, darin das Eselein stand. Aber Stoffel erstaunte, als er hinein trat. Der Stall war schöner, als er je eine Stube gesehen, und die Grippe war von Silber, der Trog war von Golde, und statt des Strohes waren ihm lauter ungesponnene Seidenfäden gestreuet, darauf das Eselein lag, zwar kleiner, aber sonst völlig wie andere Esel auch. Denn es [162] fraß auch Disteln und Kleie besonders gern, und hatte noch davon in der Grippe und im Trog.

Aber das eisgraue Männlein jagte das Eselein auf, und sagte: »Nun, Stoffel versuch's einmal, ob's auch wahr ist, was ich Dir davon gesagt habe.« Und Stoffel rief: »Esel schlag aus!« da schlug es aus, und die Goldstücke flogen im Stalle umher. Darob freute sich Stoffel über die Maßen, gab dem eisgrauen Männlein sein Erbtheil, und führte den Esel mit sich heimwärts.

Die Nacht überfiel ihn aber bald. Da kehrte er im nächsten Wirthshause ein, und das war dasselbe Wirthshaus, wo sein Bruder Hanns auch schon einmal mit seinem Tischlein über Nacht Herberge genommen hatte. Als ihm aber der Wirth das Eselein in den Stall führte, sagte Stoffel zu ihm: »Herr Wirth, haltet mir nur das Thierlein gut und in Ehren; legt ihm statt der Streu ein gutes Federbett unter; ich will's Euch morgen reichlich bezahlen. Denn so gibt's nur einen Esel in der Welt. Sagt aber ja nicht zu ihm: Esel schlag aus! sonst könnt's ein Unglück geben, für das ich nicht stehn mag.« So sagte er, damit er dem Wirthe Angst machte, und hoffte jetzt gewiß zu sein, daß ihm der Esel nicht veruntreut würde. Denn nun glaubte er gewiß, werde es dem Wirthe nicht einfallen, zu dem Esel zu sagen: Esel schlag aus! [163] und werde es so auch nicht merken, daß der Esel mit jedem Schlage seiner Hufe Gold von sich werfe.

Aber gerade umgekehrt. Als unser guter Stoffel nun schlief, ging der Wirth mit seiner Frau in die Scheune, wo er durch eine Ritze in der Thür in den Stall sehen konnte, darin das Goldeselein lag. »Da kanns doch kein Unglück geben,« sagte er zu seiner Frau, »er mag ausschlagen, wie er will. Wenn ich hinter der breternen Thüre stehe, so kann er mich doch nicht treffen.«

»Ach, was wird er Dich treffen!« antwortete die Frau. »›Sag's nur, ich bin recht begierig, was es geben wird.‹« »Wenn's aber doch ein Unglück gäbe?« sagte der Wirth. Da schalt ihn die Wirthin einen alten furchtsamen Hasenfuß, und er schämte sich, und rief schnell durch's Astloch in der Stallthüre: »Esel schlag aus!« und lief schnell weg hinaus in den Hof.

Aber die Frau war begierig zu sehn, was es geben werde, als daß sie weglaufen konnte. Sie war an der Ritze stehen geblieben, und hatte zugesehen, was das Eselein machte. Und jetzt kam sie schnell in den Hof gelaufen, und rief lachend, aber doch ganz heimlich, mehr mit Winken als mit Worten, ihren Mann in die Scheune, und sagte: »Hab ich's nicht gesagt? da sieh einmal in den Stall, und sieh, was hinter dem Esel liegt.« Und als er [164] hineinging, und verwundert eine Hand voll, von den glänzenden Goldstücken aufhob, rief sie ihm zu: »Gelt, was ein Unglück? wenn nur alle Tage so eines über uns verhängt wäre.«

Da zog der Wirth seine weiße baumwollene Mütze ab, und warf sie in die Höhe, daß sie an der Decke des Stalles abfuhr, und drehte sich auf einem Beine herum; und rief: »Juchhei! nun sind wir reiche Leute! nun will ich ein anderes Wirthshaus bauen, als das eins ist, und der Esel darf mir nicht mehr aus dem Stalle!«

»Ja,« sagte die Frau, »das ist alles recht gut; aber der Fremde wird seinen Esel morgen früh wollen, und was willst Du da machen? Du mußt ihn doch hergeben.«

»Nein, nein! ich geb ihn nicht mehr her!« rief der Wirth ganz eifrig: »Laß mich nur machen, ich will ihn schon kriegen. O, du liebes Goldeselein, – nein, von dir kann ich mich nicht mehr trennen. – Weißt Du was, Frau! hat nicht der Mühlhannes drunten im Thale gerade so ein klein Eselein, wie das? – Ich laufe geschwind hinunter, und kauf's ihm ab, und sage, es sei ein Gast bei mir, der es durchaus haben wollte, und gut bezahle, und wenn ich ihm vier von den Goldstücken dafür biete, so gibt er mir's mit Freuden.« Und als er das sagte, lief er schon zur Thüre hinaus über den Hof. Und schnell rannte [165] er den Hügel hinab bis an die Mühle. Da machte er mit dem Müller den Kauf sogleich richtig, und brachte fröhlich den Grauen hinauf; und als er kam, suchte seine Frau noch mit der Laterne im Strohe herum; denn sie hatte das Goldeselein gar manchmal ausschlagen lassen, bis es ganz matt auf sein Federbett hingesunken war. Die Goldstücke sammelte sie aber alle gar sorgfältig, damit man am andern Morgen keines finden sollte, was bei dem Fremden leicht Verdacht erweckt haben würde.

Als ihr Mann aber jetzt des Mühlhannes Mühleselein brachte, da ward erst ihre Freude recht groß; denn nun sah sie, daß es dem Goldeselein völlig ähnlich war, wie ein Ei dem andern. Da banden sie denn das Goldeselein ab, und versteckten es im Keller unter der Scheune, wo sie im Herbste ihre Kartoffeln und ihren Rosmarinstock aufhoben. Aber an seine Stelle banden sie das Mühleselein, und gingen dann schlafen. Doch einschlafen konnte sie lange nicht vor Freuden über ihr Glück. Und als die Frau eingeschlafen war, träumte ihr sogar von dem Goldesel, und rief einmal über das andere mal: »Esel schlag aus!« Und als es Tag wurde, weckte sie sogar auch ihren Mann mit den Worten: »Esel wach auf!« denn sie konnte an gar nichts anderes mehr denken, als an den Esel.

Unser guter Stoffel war aber auch bald aufgewacht; [166] denn auch er konnte nicht ruhig schlafen vor Freude über das Goldeselein. Und wenn er sich dachte, in welches Ansehn er kommen würde in seinem Dorfe, bei seinem Vater und dessen Nachbarn, wenn er ein solch Wunderthier mit sich brächte, so wußte er sich gar nicht mehr zu lassen vor Freude. Darum kleidete er sich schnell an, und ging hinunter, und bezahlte sein Schlafgeld, und nahm den Esel, und ward nicht gewahr, daß er ihm vertauscht worden, und zog mit ihm von dannen in sein Dorf.

Und er kam an, noch ehe zu Abend die Betglocke geläutet war. Sein Vater hatte aber eben die Kühe gefüttert, und wollte die Treppe hinauf gehen, da sah er seinen Stoffel durch's Unterdorf herauf ziehen, und den Grauen mit den langen Ohren vor ihm her. Und als er näher kam, rief er ihm entgegen: »Nun, woher so bald? und Du kommst gar zu zweien? Hast Du schon Dein Glück gemacht?«

»Ja, Vater!« anwortete Stoffel, und trieb seinen Langohr vor sich her in den Hof. Da ward der Vater unwillig, und rief:»Am Ende hast Du Dein Erbgut all für den krüpplichten Esel hingegeben und hältst nun den für Dein Glück?«

»Ja, Vater, er ist's auch!« antwortete Stoffel, und band seinen Esel dabei an's Staffelgeländer. »Seid aber [167] nur nicht böse. Gebt Acht, ich hab's klüger gemacht, als der Bruder Hanns. Jetzt geht nur, und ladet alle Eure Gevatterleute und Freunde und Nachbarn zusammen, dann soll mein Esel sein Kunststück machen, daß Ihr Euch verwundern sollt.«

»Ja, ja,« sagte der Vater, »ich kann mir's schon denken, was das für ein Kunststück sein wird. Daß Dich auch das ganze Dorf auslacht, wie es Deinem Bruder Hanns erging, der jetzt überall nur der Großhanns heißt.«

»Vater,« antwortete Stoffel, »seid nur ruhig, und thut, wie ich Euch sagte. Ihr werdet mich gewiß loben, wenn Ihr sehet, welch einen guten Kauf ich gemacht habe. Wir sind reich, reicher als der Schulz, und reicher als der gnädige Herr selbst, der droben im Schloß wohnt. Denn das ist kein gemeiner Esel, den ich da habe, das ist ein Goldesel.«

»Ein Goldesel?« fragte der Vater verwundert, und schüttelte den Kopf, aber nicht mehr so ganz ungläubig; denn er ging hinab, und betrachtete das Wunderthierlein hinten und vorn, und von den Seiten, und ging dann, und lud seine Freunde und Gevatterleute und Nachbarn zusammen, und führte sie mit sich heim, und erzählte ihnen unterweges, daß sein Sohn Stoffel einen Goldesel mitgebracht habe von seiner Wanderschaft, der ihn so reich [168] mache, wie den gnädigen Herrn selber, und noch reiche sogar.

Als er aber mit seinen geladenen Gästen heim kam, war der Esel nicht mehr im Hofe; und als er die Treppe hinauf kam und in die Stube, da hatte Stoffel den Esel schon in die Stube geführt und eine Lampe angezündet. Denn es war in der Zeit dunkel worden, und Stoffel fürchtete, man möchte in dem Hofe die Goldstücke nicht so leicht finden.

Als sie nun Alle in der Stube waren, hieß sie Stoffel sich in einen Kreis herumsetzen, und er stellte sich mit dem Grauen in die Mitte der Stube, und sagte: »Jetzt gebt Acht!« Darauf wandte er sich zu dem Esel und rief: »Esel schlag aus!« Aber der Esel schlug nicht aus. Und er rief wieder: »Esel schlag aus!« Aber der Esel blieb stehen, nach wie vor, und senkte die Ohren, und rührte sich nicht. Da fingen schon die Nachbarn an ins geheim zu lachen, und der Vater fing an in sich zu brummen, und Stoffeln ward's bange, er möchte in Schimpf und Schande bestehen, wie sein Bruder Hanns. Und er schlug nun mit seiner Faust dem Esel ein Tüchtiges hinten auf, und schrie lauter: »Esel schlag aus!« Das verstand das [169] Mühleselein endlich unrecht. Es stellte sich auf seine Vorderfüße, und schlug mit seinen Hinterfüßen hinten hinaus, so weit es konnte, und schrie: »Iha! iha! iha!«

Stoffel war aber gerade hinter ihm gestanden, und bekam darum von den Hufen des Esels einen so gewaltigen Schlag an die Beine, daß er umpurzelte. Da lachten die Freunde und Nachbarn und Gevatterleute aus vollem Halse, und gingen und bedankten sich im Fortgehen, daß er ihnen den schönen Spaß gemacht habe. Und von der Stunde an hieß Stoffel im ganzen Dorfe der Eselsstoffel; und wo er sich nun sehen ließ, riefen ihm die Kinder nach: »Esel, iha! Esel, schlag aus!« und je böser er drüber ward, desto mehr neckten sie ihn.

Stoffel ging aber auch wieder von dannen, und wollte dem eisgrauen Männlein im Walde sein Eselein wieder bringen; allein er fand weder das Männlein, noch sein Haus, noch den Stall, und mußte betrübt wieder nach seinem Dorfe zurückkehren. Und von nun an arbeitete er als Knecht bei seinem Vater.

Nun war die Reihe an dem jüngsten Bruder, der Thomas hieß. Dem fiel es jetzt auch ein, er wolle die Welt sehen, und vielleicht sein Glück besser machen, als seine [170] beiden ältern Brüder. Darum ging er zu seinem Vater und begehrte sein Erbtheil. Der Vater hatte aber nicht Lust dazu, und sagte: »Thoms, du warst von Kindheit an folgsamer als deine Brüder; sei mir nun auch in dem Stücke folgsam, und bleib im Lande und nähre dich redlich, daß ich nicht auch an dir Schimpf und Schande erleben muß, wenn die Kinder auf der Gasse dich zum Gespötte machen.«

Thomas antwortete aber seinem Vater bittend: »Laß mich nur ziehen, Vater. Und wenn mir's auch so geht, wie meinen beiden Brüdern, so ist's ja auch gut; das soll mir eben so lieb sein, als wenn ich mein Glück gemacht hätte. – Seht, Vater, ich kann's so nicht mehr länger aushalten. Ihr haltet mich als Euern Sohn, und meine Brüder seht Ihr als Knechte an, und sie sind doch eben so gut Eure Söhne, als ich. – Hab' ich aber mein mütterlich Erbtheil auch verschleudert, wie meine Brüder, so sind wir wieder gleich, dann könnt Ihr uns wieder alle als Söhne annehmen, oder ich werde auch Euer Knecht, wie meine Brüder, und habe keinen Vorzug mehr vor ihnen, wie es recht ist.«

Das gefiel dem Vater, und er umhalsete seinen Sohn, und sagte: »Ja, du hast Recht. Komm, du sollst dein [171] Erbtheil auch haben und in die Welt gehen.« Mit diesen Worten schloß er die Kiste auf, und gab ihm aus der Nebentruhe sein Erbtheil in Geld, und ließ ihn ziehen.

Als die Leute im Dorfe aber hörten, daß jetzt auch der dritte Sohn des alten Xaviers ausgezogen sei in die Welt, um sein Glück zu machen, sagten sie unter einander, der alte Mann müßte selbst am Verstand schwach sein, daß er in die Thorheit seiner Söhne so einwilligen könnte.

Der kleine Thoms war aber weit hinausgezogen an selbem Tage, und kam gegen Abend auch in den dichten, dunkeln Wald, der gar kein Ende nehmen wollte. Da trat ihm auf einmal, wo der Weg am schmälsten war, das eisgraue Männlein mit dem langen weißen Barte entgegen, und sagte: »Guten Abend, Thoms!«

»Ei, woher kennst Du mich denn?« fragte Thomas. Da sagte das Männlein: »Ach, ich kenne Dich schon lange, und weiß Alles von Dir. Ich weiß, daß Du Dein Erbtheil bei Dir trägst, und daß es Dir eins ist, ob Du Dein Glück machst, oder ob Du es auch verlierst, wie Deine Brüder, weil Du Deine Brüder lieb hast, und nicht besser gehalten sein willst von Deinem Vater, als sie auch gehalten werden. Willst Du nun mir Dein Vertrauen schenken, so gib mir [172] Dein Erbtheil, und ich will Dir dafür etwas geben, was Dir zwar nicht viel werth scheinen wird, was Dir aber doch in der Welt noch gar gute Dienste leisten kann.«

»Wenn ich das wüßte,« sagte Thomas, »so wollte ich Dir mein Erbtheil schon geben. Aber was ist es denn, das Du mir dafür geben willst.«

»Ich gebe Dir den Knüppel aus dem Sack,« antwortete das Männlein. »Wenn Du den in der Tasche trägst, und Du oder ein Anderer sagt: Knüppel aus dem Sack! so fährt er aus der Tasche heraus, und prügelt die gar wacker durch, die es nicht gut mit Dir meinen, bis Du selbst sagst: ›Knüppel in den Sack.‹«

Das gefiel dem kleinen Thomas. Er gab dem Männlein sein Geld, und bekam dafür den Knüppel aus dem Sack, den er sorgfältig in seiner Tasche verwahrte. Und dann kehrte er um, nach Hause zu gehen. Da rief ihm das Männlein noch nach: »Kehre nur im nächsten Wirthshause vor der Waldhöhe ein, dort findest Du gute Herberge.«

Und Thomas kam im Wirthshause an, als es eben Nacht wurde. Weil er aber nur ein Paar Groschen in der Tasche hatte, ließ er sich nur ein Stück trockenes Brod [173] und ein Glas Bier zum Abendbrod geben, und ging damit schlafen. Als er aber zur Thüre hinaus ging, sagte er zu dem Wirthe und seiner Frau: »daß nur diese Nacht niemand in meine Schlafkammer geht, und ruft: Knüppel aus dem Sack! Es möchte ihm sonst übel bekommen.« Damit ging er hinauf, und legte sich schlafen.

Als er aber fort war, sagte die Wirthin; »Hast Du's gemerkt, Mann? Da läßt sich wieder etwas fischen. Das hat der Fremde nicht umsonst gesagt.«

»Ja,« antwortete der Wirth, »ich hätte beinahe Lust, es doch zu versuchen. Aber freilich! so ein Knüppel könnte keinen Spaß verstehen. Es lautet gar zu verdächtig.«

»Ach, was! verdächtig!« antwortete die Wirthin. »Gelt, das Esel schlag aus lautete auch verdächtig, und doch ist Dir's gar wohl bekommen. Wer weiß? der Knüppel bringt uns wohl gar noch größeres Gut, als der Esel. Vielleicht wird man recht gesund oder gar wieder jung, wie man dergleichen ja schon in den alten Mährlein gehört hat.«

»Du kannst wohl Recht haben,« versetzte der Wirth. »Wir wollen's gleich einmal versuchen.« Und bald darauf schlichen sie hinauf in die Stube, wo Thomas schlief, [174] und als sie ihn schlafend fanden, traten sie näher, und sagten voller Erwartung: »Knüppel aus dem Sack!« Da fuhr der Knüppel aus Thomsens Tasche, und schlug tüchtig bald auf den Rücken des Wirthes, bald auf den Rücken der Wirthin, daß sie jämmerlich zusammen schrieen, und daß Thoms davon erwachte.

Thomas freuete sich aber herzlich, daß die Wirthsleute für ihre betrügerische Neugierde so schön bestraft wurden, und rief selbst noch einmal: »Knüppel, aus dem Sack!« Da fuhr der Knüppel mit doppelter Stärke auf den Rücken der Wirthsleute herum, und sie liefen schreiend zur Thüre hinaus, und die Treppe hinunter. Aber der Knüppel fuhr ihnen immer nach, und verfolgte sie durch's ganze Haus und wohin sie nur gingen, und tanzte ihnen weidlich auf dem Rücken. Und so kamen sie wieder herauf zu Thomas, und baten ihn mit Thränen und Jammergeschrei, er möge doch seinem Knüppel befehlen, daß er aufhöre; sie wollten ihm auch das Tischchen deck' dich und den Goldesel geben, er möge nur den Knüppel einmal wieder in seine Tasche bringen. Da sagte Thomas »Knüppel in den Sack!« und der Knüppel fuhr den Augenblick in seine Tasche.

Da mußte Thomas lachen, aber die Wirthsleute gingen [175] weinend hinunter, und legten sich zu Bette. Sie konnten aber gar nicht schlafen, nicht vor Freude, wie bei dem Tischchen deck' dich und bei dem Goldesel, sondern vor Aerger, daß sie sich damit nicht begnügt hatten, und durch ihre habsüchtige Neugier um das Alles gekommen waren.

Am andern Morgen kam Thoms frühe herunter, und verlangte gleich das Tischchen deck' dich und den Goldesel. Da weigerten sich der Wirth und die Wirthin. Aber Thoms fragte: »Soll ich meinen Knüppel heraus lassen?«

Da schrien sie aber beide: »Nein, lieber, goldner Herr! laßt nur den Knüppel weg; wir haben noch genug von der Nacht her!« und holten gutwillig das Tischlein, und der Mann brachte auch den Esel aus dem Stalle. Thomas war aber nicht so dumm; er versuchte erst das Tischchen, und sagte: »Tischchen deck' dich!« Da deckte es sich und war versehen mit allerlei Speisen. Die ließ er sich wohl behagen. Dann mußte auch der Esel sein Probestücklein machen, und als er rief: »Esel schlag aus!« da schlug der Esel aus, und die Goldstücke flogen in dem Hofe herum. Da sagte Thomas zu dem Wirthe: »Nehmt das Gold für mein Nachtlager,« und packte das Tischlein deck' dich dem Goldeselein auf dem Rücken, und zog freudig [176] von dannen. Aber die Wirthsleute sahen ihm traurig nach.

Als aber am andern Abende nach Thomsens Abreise der alte Vater Xavier wieder auf seiner Treppe vor der Hausthüre stand, und hinaus auf die Landstraße sah, zog ein junger Bursche daher, der einen beladenen Esel vor sich her trieb. Und als er näher kam, dachte er: »der sieht gerade aus, wie mein Thomas.« Und als Thomas in's Unterdorf kam, erkannte er ihn. Aber dießmal durfte der Vater nicht erst seine Freunde und Gevatterleute und Nachbarn zusammen laden. Das ganze Dorf, Jung und Alt lief Thomsen von selber nach; und die Kinder schrieen und schalten, und die Alten freuten sich schon wieder auf den Spaß, den es wieder in Xaviers Hause geben würde, da wieder einer von seinen Söhnen von der Wanderschaft zurück gekommen sei.

Thomas trug Alles ganz geduldig, und sagte nichts, die Leute mochten spotten und schelten, so viel sie wollten. Und als er nun vor seines Vaters Haus ankam, stellte er schweigend sein Tischlein von des Esels Rücken, und rief dann seinen Vater und seine Brüder. Die kamen zwar, waren aber ganz verlegen, denn sie fürchteten, es gehe wieder wie vorher immer. Als sie aber bei ihm waren, sagte [177] Thomas: »Tischchen deck' dich!« und das Tischchen war mit den köstlichsten Speisen versehen. Dann sagte Thomas: »Esel schlag aus!« und der Esel schlug aus, und die Goldstücke flogen umher, und manche von den Kindern, die seiner vorher gespottet hatten und gescholten, bückten sich jetzt darnach, und wollten sich auch von den glänzenden Goldstücken etliche aufnehmen.

Da sagte er aber: »Knüppel aus dem Sack!« und der Knüppel fuhr aus seiner Tasche, und schlug unter die Menge, und traf recht tüchtig auf alle die, die seiner vorher gespottet und ihn gescholten hatten. Und als sie davon laufen wollten, flog ihnen der Knüppel nach durch's ganze Dorf, und erregte viel Gelächter und Geschrei und Lärmen, aber machte auch manchem einen blauen Rücken, ehe Thoms sagte: »Knüppel in den Sack.«

Und als die Spötter nun alle fort waren, da gab Thoms seinem Bruder Hanns sein Tischchen deck' dich, und seinem Bruder Stoffel den Goldesel, und sagte: »Was Euch gehört, soll Euer sein, und ich will's Euch nicht vorenthalten.« Da fielen ihm der Vater und die Brüder um den Hals, und dankten ihm herzlich, und führte jeder seine Gabe mit sich. Dann setzten sie sich fröhlich zusammen, und das Tischlein deck' dich mußte sich gar manchmal decken, [178] und lebten fortan in treuer brüderlicher Eintracht beisammen.

Aber als sie durch den Goldesel immer reicher wurden, und auch manchem ihrer Nachbarn aus der Noth halfen, da verlor Hanns nach und nach seinen Spottnamen, Großhanns; und von dem Esel Iha sprachen alle Leute im Dorfe mit großer Ehrerbietigkeit, und hieß niemand mehr den guten Stoffel, wie vorhin, Esels-Stoffel. Wenn aber Thoms durch die Gasse ging, zogen alle, die ihm begegneten, den Hut ab, und wenn er vorbei war, zeigten sie ihn ihren Kindern, und sagten ihnen dabei: »Seht, der hat das Tischchen deck' dich und den Esel schlag aus seinen Brüdern gebracht; er selbst aber hat denKnüppel aus dem Sack in der Tasche. Seid brav und hütet euch, sonst läßt er ihn heraus, und dann gibt's tüchtige Schläge!«

Und als das Tischchen deck' dich schon lange zerbrochen, und der Esel schlag aus schon lange gestorben, und Thomas schon lange begraben, und auch der Knüppel aus dem Sack schon lange zerschlagen war, da warnte man die Kinder im Dorfe noch immer vor ihm; und alle Kinder, welche die Geschichte davon erfuhren, hatten Furcht vor ihm, und wurden um seinetwillen alle brav.

[179] Heut zu Tage ist aber die Geschichte beinahe ganz vergessen; darum gibt's auch so viele böse Kinder. Hütet euch aber, und spottet Niemand, der ruhig seiner Wege hin geht. Wer weiß? am Ende ist's sonst vielleicht gar so ein Thoms mit einem Knüppel in dem Sacke.

[180] [182]4. Von seltsamer Freundschaft zwischen einer Katze, einem Kaninchen und einem Perlhuhn.

[182] Es war einmal ein gar muntres Kätzchen, das Mimi hieß, und von einem frommen Mägdlein gut gepflegt und genährt wurde. Und weil es so gar gespielsam war und gut, durft' es oft bei dem frommen Mädchen in der Stube sein und mit ihr spielen. Das verdroß aber den Jagdhund, der Ryno hieß, und den großen Hofhund Kalif. Denn die durften nicht so viel in der Stube sein, weil sie groß waren, und nicht so artig, als das kleine Mimikätzchen.

Darum sagte eines Morgens der Jagdhund Ryno zu dem großen Kalif: »Höre, lieber Freund, ich muß dir nur sagen, ich bin recht böse über die garstige Schmeichlerin, die graue Katze; die hat sich gar gewaltig eingeschmeichelt bei unserer kleinen Herrin, und wir kriegen kein gutes Wort mehr. Die kriegt alle gute Bissen, und wird oft gar auf dem Schooße gehalten, und gestreichelt und geschmeichelt, daß ich verbersten möchte vor Neid, wenn ich's gerade mit ansehen muß. Aber wir müssen uns Alles gefallen [183] lassen. Wenn sie gute Bissen kriegt von dem Teller der Herrin, so müssen wir oft noch lange warten, und dann kriegen wir erst nur eine schlechte Suppe von trockenem Brot und Wasser, an der Salz und Schmalz gespart ist. Und doch müssen wir für das ganze Haus arbeiten. Du bewachst es vor Dieben, und ich gehe mit auf die Jagd, daß der Jäger die Hasen und Feldhühner schießen kann, die ich ihm aufspüre. Und die Katze sitzt ruhig zu Hause, und leckt sich die Pfoten, und putzt sich den ganzen Tag, und hat das beste Leben. Denn arbeiten kann sie gar nichts. Wenn sie auch einmal ein Mäuschen fängt, so thut sie das aus Leckerei, weil es sie gern frißt, und nicht darum, daß sie die Mäuse im Hause vertilgen will. Denn das wär' ihr ja gar ungelegen, wenn es einmal keine Mäuse mehr gäbe.«

»Ja,« antwortete der Kalif, »ich hab's auch schon lange gedacht; sie ist eine rechte Faullenzerin, und frißt ihr Brot in Sünden. Ich bin ihr ja auch so feind, wie du, und hätte sie gern schon manchmal oben am Halse gepackt mit den Zähnen, und sie tüchtig herumgeschüttelt. Aber die Katzen trauen uns Hunden nicht, und sind immer vor uns auf der Flucht. Und wenn ich sie auch erwischen könnte, so fürchte ich mich doch immer vor ihren langen Nägeln, womit sie einem immer nach den Augen hauen.«

[184] »Ei,« sagte der Jagdhund, »wir müssen ihr einmal nachspüren, wo sie Nachts schläft, und sie da im Schlafe überfallen.«

»Ich weiß das wohl, wo sie schläft,« sagte der Haushund, »aber was nützt uns das? Sie wird jeden Abend in das kleine Stübchen neben der Waschküche gesperrt, weil es da oft von dem Kessel warm ist, der neben an der der Wand steht. Denn das wissen unsere Herrschaften wohl, daß die Katzen gern im Warmen liegen. Da dürfen wir auch nicht hinein, als nur bei Tage, wenn es einmal offen steht.«

»Und wenn wir auch hinein dürften, und wenn wir sie auch kriegen könnten,« sagte Ryno, »so dürfen wir ihr öffentlich nichts thun; denn wenn es herauskäme, daß wir es gethan haben, so sind wir nur übler dran, und werden desto schlimmer gehalten, oder werden vielleicht gar vom Jäger todt geschossen.«

»So müssen wir sie denn ganz gehen lassen?« fragte der Haushund Kalif, »das ist doch ärgerlich! Ich möchte gar zu gern hinter sie.«

»Sei nur ruhig,« antwortete Ryno. »Ich weiß was. Wir müssen sie durch List um die Gunst ihrer Herrin bringen. Das wird am besten helfen.«

[185] »Ja, durch List?« sagte Kalif. »Wie sollen wir aber das anfangen?«

»Das weiß ich selbst noch nicht,« antwortete Ryno, »aber mit der Zeit wird's schon eine Gelegenheit geben. Hab nur Geduld, und gib du nur Acht, was im Hause vorgeht, wenn ich auf der Jagd bin. Wenn ich dann am Abend nach Hause komme, dann erzählst du mir Alles. Vielleicht find' ich dann leicht etwas, wodurch wir der grauen Schmeichlerin einen rechten Possen spielen können!«

Damit gingen die zwei neidischen Hunde auseinander. Ryno mußte mit dem Jäger auf die Jagd, und der große Kalif wurde wieder am Thore an die Kette gelegt, wo er immer den Tag über liegen mußte.

Als der Jagdhund aber nach Hause kam, und der Haushund am Abend auch wieder von seiner Kette gelöst war, daß er die Nacht im Hofe herumlaufen konnte, fragte Ryno den großen Kalif: »Nun erzähle! was hat es Neues gegeben den Tag über?«

»Ach,« sagte der Hofhund, »nicht viel. Ich weiß eigentlich gar nichts, als daß des Herrn Schulmeisters Wilhelm unsrer kleinen Herrin einen Hasen geschenkt hat, den sie ein Seidenkaninchen nannten. Und der ist jetzt auch daneben in das kleine Stübchen eingesperrt. Sie hat eine gewaltige Freude an ihm, wie es scheint; denn sie ist gleich [186] in den Garten gesprungen, und hat ihm Krautblätter und Klee geholt.«

»Ei,« fragte der Jagdhund begierig, »wo schläft denn da heute die garstige Katze?«

»Wo wird sie schlafen?« brummte da der große Kalif, »das Stüblein ist groß genug, sie haben alle Beide Platz genug darin.«

»O, das ist gar gut,« sagte Ryno, »da wird unsere Feindin, die Katze, gewiß bald um die Gunst unserer Herrin kommen. Denn die Katzen und die Kaninchen leben mit einander in Feindschaft, und die Katzen sind stärker, als die Kaninchen. Wenn sie nun diese Nacht das Kaninchen todt beißt und auffrißt, wie das die Katzen so gern thun, dann kriegt sie morgen gewiß tüchtige Schläge, und wird in Zukunft gewiß nicht geschmeichelt. Wenn sie es aber nicht frißt, so sehen doch die Leute morgen, wie sich das Seidenhäschen vor ihr fürchtet, und dann ist's eben so gut, als ob sie es gefressen hätte, und noch besser!«

»Ei, wie kann denn das eben so gut sein?« fragte der Haushund Kalif.

»Ja!« antwortete Ryno, der Jagdhund, »es ist eben so gut und noch besser. Denn wenn hernach einmal niemand im Hofe ist, und das Kaninchen da herumspringt, dann fang ich's, und fresse es selbst auf. Aber den Kopf [187] und die Haut schleppe ich in den Heukorb in der kleinen Stube, wo die Katze immer liegt, und dann wird unsre Herrin und Jedermann glauben, sie habe das Kaninchen gefressen, weil man gesehen hat, wie sich das Kaninchen vor ihr fürchtete, und daß sie eine Feindschaft gegen einander tragen.«

»Das ist wahr!« sagte Kalif. »So verliert sie auf jeden Fall die Gunst unserer Herrin. Ach, das ist recht gut, daß du das so ausgedacht hast.« – »Aber,« fragte er weiter, »wenn sie nun morgen recht freundlich zusammen wären, und das Kaninchen sich nicht vor der Katze fürchtete?«

»Ei, wo denkst du hin?« rief da der Jagdhund lachend. »Das müssen wir Jäger verstehn, das geschieht meine Lebtage nicht.« Und damit gingen sie beide von dannen, und warteten, bis der Tag anbrach.

Aber die Katzen haben feine Ohren, die hörens ja, wenn ein Mäuslein ganz sacht aus seinem Loche hervorschleicht. Darum hörte auch das graue Kätzchen in der kleinen Stube gar deutlich, was die beiden Hunde miteinander sprachen, und war traurig und dachte für sich: »O weh, jetzt bin ich übel dran, jetzt bin ich verloren, ich mag's machen, wie ich will. Ja, ein Ausweg wäre freilich da, wenn ich Freundschaft mit dem Kaninchen machte, und [188] morgen, wenn wir herausgelassen werden, recht freundlich mit ihm wäre, und es freundlich mit mir wäre, und sich nicht vor mir fürchtete, und nicht scheu vor mir davon liefe. Dann dürfte der Jagdhund nicht trauen, ihm etwas zu thun, weil die Leute dann nicht glauben würden, daß ich meinen Freund umgebracht hätte.«

Indem es so dachte, sah es hin nach dem Seidenkaninchen. Das saß traurig hinter einem Siebe in einer Ecke des kleinen Stübleins, und das Herz klopfte ihm, und es mußte sehr hart schnaufen vor Angst.

Da rief ihm das Kätzchen zu: »Lieb Seidenhäschen, warum bist du so bange? Ich thu dir ja nichts.«

»Ach,« sagte das Kaninchen, »du hast mir freilich noch nichts gethan, aber ich fürchte mich doch gar sehr. Denn ich weiß ja wohl von meiner Mutter, die hat mir gesagt, daß ihr Katzen den Kaninchen nachstellet und uns umbringet und freßt. Und wenn du mich auch nicht umbringst, so weiß ich doch, daß ich noch einen Feind hier habe, der nach meinem Fleisch trachtet, so wird der große Jagdhund mich fressen.«

»Hast du denn auch gehört, was die zwei garstigen Hunde eben mit einander sprachen?« fragte da fröhlich das Mimikätzchen.

»Freilich!« antwortete das Seidenkaninchen. »Wir[189] Thiere vom Hasengeschlechte haben gar große, lange Ohren, damit wir Alles besser hören können, was uns Gefahr droht, weil wir wehrlos sind, und uns nicht vertheidigen können. Ach, ich hab' alle Worte verstanden.«

»Ei, das ist dann ja gar gut,« sagte das Kätzchen, »da hast du ja selbst gehört, was es mir schadet, wenn ich dich fresse, oder dir irgend ein Leid zufüge. Da wird meine Herrin böse auf mich, und jagt mich von sich, und läßt mich nicht mehr in die Stube zu sich, und füttert mich nicht mehr, und streichelt mich nicht mehr. Ach, und das wäre mir ja so gar leid, denn sie ist so lieb und gut, und spielt so schön mit mir, und streichelt mich so sanft, denn sie hat gar ein weiches Händchen, das thut mir gar zu wohl, wenn sie mir damit über den Rücken streicht. – Sieh, darum wollt' ich dir nichts thun, wenn ich auch drei Tage Hunger gelitten hätte. Drum sei nur fröhlich, du gutes Thierchen, und fürchte dich nicht, so thut dir auch der garstige Hund nichts. Denn wenn er sieht, daß wir freundlich zusammen sind, so darf er dir ja nichts thun, sonst merkens gleich die Leute, daß er's gethan hat, und dann kriegt er Schläge vom Jäger. Darum komm nur hinter deinem Siebe hervor, und sei ohne Furcht! Komm, wir wollen Freundschaft schließen mit einander.«

Als sie das gesagt hatte, kam sie unter dem Ofen hervor, [190] und das Seidenkaninchen ging auch hinter seinem Siebe hervor, und schmeichelten einander, und versprachen sich Treue und Freundschaft so lange sie lebten.

Und als nun am andern Morgen die Hunde angebunden waren, kam das fromme Mädchen, die Herrin der Thiere, und machte das kleine Stübchen auf, und rief der Katze: »Mimi, Mimi, Mimikätzchen, komm!« und dem Kaninchen rief sie: »Hänschen, Hänschen, komm.« Da sprang das Kätzchen und das Kaninchen aus dem Stübchen heraus in den Hof, und schmeichelten ihr, und waren gar freundlich mit einander, und spielten mit einander, und sprangen einander nach, und purzelten über einander herum, und zogen sich im Spiel einander an den Ohren, die Katze das Kaninchen, und das Kaninchen die Katze, daß das Mädchen sich sehr darüber freute, und seiner Mutter hinauf rief: »Mutter, liebe Mutter! komm doch, und sieh mein Mimikätzchen und mein Hänschen mit einander spielen!«

Da kam ihre Mutter herab, und brachte einen Teller mit Milch, und stellte ihn hin, und lockte den beiden freundlichen Thieren, und ließ sie die Milch trinken. Da setzten sie sich recht einträglich zusammen hin, und schlappten mit ihren Zünglein die Milch, und das Kätzchen knurrte nicht, wie es sonst die Katzen thun, wenn andere Thiere [191] mit ihnen fressen wollen. Und als sie fertig waren, spielten sie wieder einträchtig zusammen.

Aber als die beiden Hunde das sahen, ärgerten sie sich gewaltig an ihren Ketten, und Ryno sprach zu Kalif: »Das ist was Unerhörtes, das ist noch nie geschehn, seit es Katzen und Kaninchen in der Welt gibt, daß sie einträchtig bei einander waren oder gar mit einander spielten. Davon hab ich noch kein Beispiel gehört.« Und als sie am Abend von ihren Ketten gelassen wurden und zusammen kamen, sagten sie zu einander, daß nun ihr Anschlag vereitelt sei, und daß sie auf eine bessere Gelegenheit warten müßten.

Das hörten aber die Katze und das Kaninchen auch wieder, und freuten sich darüber, und spielten am andern Tage wieder untereinander, und gefielen dadurch ihrer Herrin immer mehr, und wurden von ihr recht wohl gehalten.

So ging es etliche Tage. Da bekam das gute Mädchen auch einmal aus der Stadt von einem vornehmen Herrn ein Perlhuhn geschickt. Denn die Leute wußten wohl, daß sie die Thiere so lieb hatte und gut pflegte. Weil es aber keinen andern Stall für das Perlhuhn hatte, ward dieß auch am Abend in die kleine Stube neben der Waschküche gesperrt, zu der Katze und zu dem Kaninchen. [192] Aber das Perlhuhn war beim Abschied von seiner Mutter, die es aus einem Ei gebrütet hatte, gewarnt worden, es sollte sich vor den Katzen hüten, die stellten den jungen Hühnern gar gerne nach. Darum flog es gleich auf den Ofen, und dachte: »Hier kann sie mich nicht so leicht kriegen. Und wenn sie auch herauf springt, so kann ich ihr doch noch entwischen; so flieg ich nur in die Höhe, und fliege oben herum an der Decke; und wenn sie wieder vom Ofen hinunter springt, so setz' ich mich wieder darauf, und ruh aus, bis sie wieder kommt. Und so soll sie mich schon nicht kriegen.«

Aber die Katze saß mit dem Kaninchen unter dem Ofen, und sagte zu dem Kaninchen ganz heimlich: »Hast du den Vogel gesehen auf dem Ofen?«

»Ja,« sagte das Kaninchen, »er wird uns doch nichts thun?«

»Nein!« antwortete die Katze. »Aber ich will ihm was thun. Ich will die Nacht, wenn er schläft, hinaufspringen und will ihn würgen und rupfen und fressen. Jetzt, gute Nacht! jetzt will ich erst noch ein Stündchen schlafen.« Und damit machte [193] sie die Augen zu, und fing an zu schnurren und schlief ein.

Aber die beiden Hunde liefen wieder im Hofe herum. Da sagte der Haushund Kalif zu dem Jagdhund Ryno: »Potz, ich hätte beinahe vergessen dir's zu erzählen! es ist heute ein gar garstiger Vogel gebracht worden, der ganz buckelicht aussieht. Ich weiß nicht, sind's blos die Federn, die ihm so buckelicht auf dem Rücken stehen, ober ist's wirklich ein Buckel. Die Menschen haben ihn ein Perlhuhn genannt. Es ist aber kein Huhn, wie unsere Hühner, die da im Hofe gewöhnlich herum laufen.«

»Ja, ja,« sagte der Jagdhund, »ich kenne die Perlhühner wohl.«

»Und das ist auch in der kleinen Stube eingesperrt worden;« fuhr Kalif fort.

»Auch?« fragte Ryno. »Nun, das wird die Katze diese Nacht schon fressen, oder ich freß' es, sobald es in den Hof kommt, und trage seine Federn in den Korb hinter dem Ofen. Dann kommt der Verdacht auf die Katze, und sie wird von unsrer Herrin dann gewiß gejagt. Denn die [194] Perlhühner sind ausländische Vögel, und werden von den Menschen gar hoch gehalten.«

»Ja,« sagte Kalif, »wenn sie aber morgen früh auch freundlich zusammen spielen?«

»Das wäre freilich nicht gut. Dann dürft' ich ihm auch nichts thun,« sagte Ryno, »denn alsdann käm' auch der Verdacht nicht auf die Katze, und man würde gleich vermuthen, daß ich's gethan hätte, und ich bekäme vom Jäger gar jämmerlich Schläge. Aber das geschieht nicht. Das ist nicht möglich, daß ein Vogel seine angeborne Furcht vor der räuberischen Katze ablegen kann, besonders wenn er noch jung ist. Die Alten können sich schon manchmal gegen die Katzen wehren.«

Das Kaninchen hatte aber die Augen noch auf, und wachte noch, und hatte zugehört, was die beiden Hunde mit einander sprachen. Da schüttelte es die Katze, daß sie aufwachte, und erzählte ihr Alles, und sagte: »Du darfst nun dem Perlhuhn nichts thun; es möchte dir Schaden daraus entstehen.«

»Ja, es ist wahr!« antwortete die Katze. »Aber wie mach ich's, daß das Perlhuhn seine Furcht vor mir verliert. Denn wenn man morgen diese Furcht vor mir sieht, und [195] der garstige Jagdhund das Perlhuhn frißt und die Federn in meinen Korb trägt, so wird unsere Herrin gewiß glauben, ich hätte es gewürgt, was ich aber jetzt nicht thue, so gern ich möchte. Ich hatt' es vorhin nicht so recht überlegt.«

»Ei,« antwortete das Kaninchen, »das Perlhuhn schläft jetzt recht fest. Steige nun recht sachte hinauf, daß es dich nicht merkt, und setze dich neben es hin, und stell' dich, gleich als ob du schliefest. Wenn du es aufweckst, so erschreckt es, und fliegt gleich weg, und glaubt, du wolltest es fressen. Wenn es aber dann von selbst erwacht, und dich neben sich schlafen sieht, so merkt es doch, daß du es nicht umbringen wolltest. Und wenn es dann auch erschrickt, und herunter fliegt, so stell dich nur, als ob du fortschliefst. Dann will ich ihm schon Alles erzählen, was die Hunde für Anschläge wider uns haben.«

Dieser Vorschlag gefiel der Katze aber sehr wohl, und sie dankte dem Kaninchen, ihrem Freunde, recht herzlich, und stieg ganz still und unbemerkt auf den Ofen, und setzte sich neben das Perlhuhn, und schlief ein. Und als das Perlhuhn aufwachte, und etwas neben sich schnurren hörte, und sich umsah, da sah es die Katze neben sich sitzen, und erschrack sehr. Als es aber herunter fliegen wollte, sah es [196] sich noch einmal um, und merkte, daß die Katze schlief. Da dachte es: »Die Katze muß doch nicht so böse seyn, als mir meine Mutter gesagt hat. Denn diese hätte mich nun im Schlafe erwürgen können, wenn sie gewollt hätte, und sie hat's doch nicht gethan. Aber ich will doch hinunter fliegen, es ist doch besser!« und flog von dem Ofen herunter. Aber die Katze schlief fort.

Da rief das Kaninchen aus seinem Korbe hervor: »Guten Morgen, Perlhuhn! Ei, du hast ja gar früh ausgeschlafen?«

»Ja,« sagte das Perlhuhn, »ich wäre vielleicht wieder eingeschlafen; aber da sitzt eine Katze oben auf dem Ofen, und der trau ich doch nur halb.«

»O,« sagte das Seidenhäschen, »der darfst du auch ganz trauen. Die thut dir gewiß nichts. Sieh, ich bin ja auch wehrlos, und die Katzen stellen uns Thieren vom Hasengeschlechte eben so sehr nach, als euch Vögeln, und doch schlafe ich ganz sicher. Und wir liegen dazu noch meistens zusammen in einem Korbe.«

Da fragte das Perlhuhn: »Wie kommt das, daß ihr so vertraut zusammen worden seid?« Und das Kaninchen erzählte ihm die Geschichte, wie die beiden Hunde der Katze feind wären, und sie gern um die Gunst der Herrin bringen [197] möchten, und erzählte ihm auch, was sie gestern Abend schon wieder gegen das Perlhuhn beschlossen hatten.

Aber das Perlhuhn fürchtete sich doch immer noch, und sagte: »Darf ich dir denn auch glauben? oder hast du vielleicht mit der Katze einen Anschlag gegen mich gemacht, wie ihr mich nur sichrer umbringen mögt!«

»Nein, nein, gewiß nicht!« sagte das Kaninchen. »Sieh, die Katze hätte dich ja am sichersten im Schlafe umbringen können, wenn sie gewollt hätte. Denn gesehen hat sie dich gar wohl, die Katzen sehen ja auch im Dunkeln. Was sollten wir da noch weiter für einen Anschlag gegen dich gemacht haben? Wenn du mir aber nicht glaubst, so komm nur her, und sieh mir in die Augen. Ich kann dir offen und ehrlich in's Gesicht sehen, und das könnt' ich nicht, wenn ich gelogen hätte.«

»Nein, ihr seid aufrichtige Thiere!« sagte das Perlhuhn. »Aber ich will doch noch eine Probe machen, und will hinauf fliegen und die Katze wecken, und schnell wieder fort fliegen. Wenn sie im Aufwachen gleich mit den Krallen nach mir hackt, so glaub' ich dir nicht, und werde mich in Zukunft vor dir und deiner Freundin zu hüten wissen. Bleibt sie aber gutmüthig liegen, und streckt sich blos, so [198] will ich dir glauben, und will auch Freundschaft mit dir und der Katze schließen.«

Und damit flog das Perlhuhn auf den Ofen, und schlug die Flügel auseinander, damit es schnell fortfliegen könnte, und pickte der Katze auf die Stirn, und als es sah, daß die Katze die Augen aufschlug, flog es fort. Die Katze hatte aber schon lange gewacht, und hatte Alles mit angehört. Darum stellte sie sich nur, als ob sie eben aufwachte, und stellte sich auf, und stellte die Füße ganz nahe zusammen, und machte einen Buckel, und streckte die Vorderfüße darauf aus, und bog den Leib vorn bis auf den Ofen nieder, und streckte auch ihre Krallen weit aus; und sperrte ihr Maul auf und gähnte, und sagte dabei: »Guten Morgen, liebes Kaninchen! guten Morgen liebes Perlhuhn! Ei, du brauchst dich nicht zu fürchten, denn ich thue dir nichts. Komm, laß uns recht gute Freunde seyn, denn wenn du dich heute im Hofe vor mir fürchtest, so hat der Jagdhund Ryno beschlossen, dich zu fressen, um mich in den Verdacht zu bringen, als hätte ich's gethan.« Und als sie das gesagt hatte, sprang sie hinunter in den Korb, und spielte mit dem Kaninchen. Da kam auch das Perlhuhn gelaufen, und sagte: »Ich will dir's glauben. Kommt, laßt mich auch Freundschaft mit euch machen!«

[199] Und es sprang auch in den Korb. Und sie wälzten sich alle drei auf dem Heu herum, und zuweilen ging eines von ihnen hinaus, und die Andern spielten, als wollten sie es nicht mehr herein lassen, und liefen sie dann wieder einander nach, und spielten so lange, bis die Thüre geöffnet wurde.

Aber das Mädchen hatte die Thüre aufgethan, und hatte grüne Krautblätter für ihr liebes Kaninchen mitgebracht, und warf sie gleich vor die Thüre in den Hof. Und das Kaninchen fing gleich an zu fressen. Da kam aber die Katze, und spielte mit ihm, und das Perlhuhn kam auch, und faßte das Blatt, woran das Kaninchen nagte, mit seinem Schnabel und zerrte daran, als wollte es ihm dasselbe nehmen, und spielten hernach mit einander, und liefen einander nach, und purzelten über einander. Und das Perlhuhn pickte dem Kaninchen in's Ohr, aber so, daß es ihm nicht wehe that, und zog es daran, und die Katze rannte nun das Perlhuhn wieder um, und das Perlhuhn lief der Katze wieder nach, und die Katze legte sich, als ob sie sich fürchte. Da stellte sich das Perlhuhn auf sie, und pickte sie zum Scherz, und dann wälzte sich die Katze, und warf das Perlhuhn herunter, und so machten sie hunderterlei Späße, woran sich das Mädchen gar sehr [200] ergötzte, und ihre Mutter wieder rief, die sich auch darüber freute und wunderte. Und als der Vater aus der Stadt kam, wo er immer viel Geschäfte hatte, da zeigte ihm das Mädchen auch ihre Thiere und deren possirliches Spiel. Und der Vater freute sich auch darüber. Und wer kam, und die drei Thiere mit einander spielen sah, wunderte sich, daß so fremdartige Thiere so vertraulich und freundlich zusammen seyn konnten, und ergötzte sich über sie. Und so wurden sie ihrer Herrin immer lieber, und wurden von ihr gar sorgsam gepflegt.

Aber die Hunde ärgerten sich und gaben es auf, der Katze zu schaden, und ließen die Thiere in Friede zusammen leben. Ja, am Ende ergötzte ihr Spiel sogar den alten Kalif, den Haushund, so sehr, daß er sich selbst in ihr Spiel mit einmischte. Und besonders ward er dem guten Hännschen, dem Kaninchen gar hold. Er nahm es oft zwischen seine Pfoten, und ließ sich von ihm necken auf allerlei Weise, und sich sonst manche Kinderei von dem lustigen Hännschen gefallen. Aber Ryno, der Jagdhund, blieb den Thieren immer noch innerlich böse, und hätte sie gern zerrissen, wenn er nur gedurft hätte. Er wurde aber gar sorgfältig gehütet, daß er's nicht konnte, und durfte nie allein bei den Thieren seyn. Deßwegen war ihm auch [201] das fromme Mädchen nie mehr so gut, als dem ehrlichen Haushund Kalif, und den andern frommen Thierchen, die sich durch ihre Freundschaft so vor den bösen Anschlägen der Hunde geschützt hatten.

[202] 5. Laß dem Thoren seine Thorheit.

Laß dem Thoren seine Thorheit (Albert Ludewig Grimm: Lina's Mährchenbuch)

[203] Einst saßen etliche Affen in einer kühlen Frühlingsnacht in dem Garten eines Königs, und froren gewaltig; denn sie waren aus einem heißen Lande dahin gebracht, und waren der kühlen Witterung nicht gewohnt. Da fand einer ein Johanneswürmchen im Grase, und glaubte, weil es so hellen Schein gab, er könne damit ein Feuer anzünden. Darum zeigt' er's fröhlich den andern Affen, und sie sprangen vor Freuden in die Höhe, und jauchzten, und liefen herum, und sammelten dürre Blätter und dürre Reiser, und legten sie über das leuchtende Würmlein und bliesen aus vollen Backen, und meinten, es solle bald eine helle Flamme daraus in die Höhe flackern, daran sie sich wärmen möchten nach aller Lust. Die dürren Blätter wollten aber nicht Feuer fangen, wie lang sie auch darein bliesen. Da glaubten sie, es sey das Laub etwas feucht, und gingen hin, und sammelten trockene Grashalme, und legten derselben eine Hand voll über das Würmlein, und bliesen von Neuen mit großem Eifer. Aber auch die trocknen [204] Grashalme wollten nicht auflodern in wärmender Flamme. Sie glaubten aber noch nicht, daß die Schuld an dem leuchtenden Funken liege, denn sie dachten, sonst könne er nicht so hell schimmern, und glaubten, es fehle nur am stärkeren Blasen, und bliesen bald zusammen bald abwechselnd in Einem fort, und schrieen viel dazwischen, und verwunderten sich laut, daß das Feuer gar nicht brennen wolle.

Da weckten sie durch ihr Geschrei eine Nachtigall auf, die in einem nahen Busche schlief, und diese bemerkte das unnütze Geschäft der thörichten Affen. Und als sie es so lange fort trieben, da rief sie ihnen zu: »Was mühet ihr euch denn so vergeblich und unnütz? Ihr habt ja gar kein Feuer, und blaset doch als hättet ihr eine Kohle da drinnen. Der arme Wurm da drinnen wird nun und nimmermehr euer Feuer entzünden.«

Aber die Affen verhöhnten sie, und ließen sich nicht irren in ihrer Thorheit und bliesen von Neuem.

Da schalt sie die Nachtigall und sprach: »Ei, ihr thörichten Geschöpfe, so hört doch auf vernünftigen Rath. Setzet euch lieber in einer Ecke recht nahe zusammen, und wärmet euch einander mit eurer eigenen Wärme. Das arme Würmlein, das ihr zu Tode ängstet mit euerm Blasen, kann euch nicht wärmen.«

Aber die Affen bliesen fort und achteten nicht auf die [205] Nachtigall. Da ärgerte sie sich über die hartnäckige Thorheit, und hüpfte von ihren Zweigen herunter und näher zu den Affen, und sprach in nicht kleiner Erbitterung: »O, ihr thörichtesten aller Thoren, die ihr nicht hört, was man euch gutmeinend räth, so hört doch auf. Seid ihr denn nicht alberner, als das albernste Geschöpf. Man schilt den Esel seiner Dummheit halber, aber ihr verdientet noch eher gescholten zu werden, denn ihr seid thöricht und albern und dumm, und noch eigensinnig und hartnäckig dazu.«

Das verdroß aber die Affen, und sie hatte es noch nicht ausgesagt, so griff schon einer hin, und faßte sie, und erwürgte sie mit seinen Fingern.

Aber die andern Affen freueten sich dessen, und sprachen: »das war Recht. Was geht es dich einfältige Nachtigall an? Wir haben ja für uns geblasen, und haben noch nicht verlangt, daß sie uns helfen sollte.« Und darauf bliesen sie wieder von Neuem, und wenn es nicht Tag geworden und die Sonnne hervorgekommen wäre, da es denn wieder warm ward, so hätten sie fortgeblasen, und bliesen noch bis auf diese Stunde.

[206]

[1] Zweiter Band.
Mit vier colorirten Kupfern.

[1]

I. Das Mährchen von Brunnenhold und Brunnenstark.

Brunnenholdt und Brunnenstark I. (Albert Ludewig Grimm: Lina's Mährchenbuch)

Brunnenholdt und Brunnenstark II. (Albert Ludewig Grimm: Lina's Mährchenbuch)

1.

[2] Brunnenhold und Brunnenstark.
1.

Es lebte einmal in einem fernen, fernen Lande ein König, dessen Gemahlin war todt krank, und er mit seiner Tochter Armina waren um sie Tag und Nacht, und pflegten sie mit Treue. Als es aber in den letzten Tagen ihres Lebens war, und Armina, ihre Tochter, einmal das Zimmer verließ, da winkte sie ihren Gemahl zu sich an's Bett, und sagte zu ihm: »Lieber Gemahl und Herr, ich fühle wohl, daß es mit mir sich zu Ende neigt; der Tod nagt mir schon am Herzen, und es wird kurze Zeit vergehn, so bricht mein Herz, und brechen meine Augen. Nun hab' ich vor meinem Hinscheiden aber noch eine große Bitte an Euch, die wolltet Ihr mir nicht versagen.«

Darauf sagte der König: »O sprich nur, liebes Weib! und wenn es mein Königreich kosten sollte, so will ich Deinen letzten Wunsch erfüllen mit tausend Freuden.«

[3] Da richtete sich die todtkranke Königin noch einmal auf in ihrer letzten Kraft, und faßte ihres Gemahls beide Hände mit ihren Händen, und sprach: »Seht, ich weiß, daß Ihr mich werthgehalten habt vor Allem in der Welt um meiner Schönheit willen, und daß Ihr mich oft genannt habt die schönste Perle Eurer Krone. Ich mahne Euch daran nicht aus Eitelkeit, denn dies verschwindet gewiß, wenn man schon mit dem einen Fuße im Grabe steht, wie ich. Nein, ich wollt' Euch nur daran erinnern, wie Ihr Euch selbst oft glücklich gepriesen, um Eurer schönen und tugendhaften Gemahlin willen. Nun möcht' ich Euch aber auch nach meinem Tode noch eben so glücklich wissen, als Ihr bei meinem Leben gewesen. Darum bitt' und beschwör' ich Euch, mein Gemahl, wenn ich zu Grabe gebracht bin, und die Trauerzeit um ist, so laßt mein Bildniß hundertmal abkonterfeien, und schickt es umher in Euerm Lande, bis Ihr ein Mädchen findet, das meinem Bilde ganz ähnlich ist an körperlicher Schönheit. Und die mir ganz ähnlich ist an körperlicher Schönheit, die wird mir auch ähnlich seyn an Tugend, und ähnlich werden an Liebe zu Euch, daß Ihr mit ihr glücklich leben werdet, wie Ihr mit mir gelebt habt. Und habt Ihr ein solches Mädchen funden, so setzet ihm Eure Krone auf das Haupt, und nehmt sie an meiner Statt zu Eurer Königin und Gemahlin, daß sie Euch, wie ich oft gethan, durch ihre [4] Theilnahme an Euern Sorgen für Euer Reich tröste, und durch freundliches Gespräch Eure trüben Stunden Euch erheitere.«

Während solcher Rede liefen aber dem König die Thränen über die Wangen, und er sagte ganz bewegt: »O, meine Gemahlin, was verlangst Du von mir? Wie kann ich Dich vergessen, und eine andere Gemahlin nehmen? Denn wo lebt eine Seele noch wie du, so fromm, so gut?«

»Du sollst mich auch nicht vergessen, und wirst es nicht,« sagte darauf die Königin mit Rührung. »In Deiner künftigen Gemahlin sollst du mich noch ehren und lieben. Denn, wenn sie mir ähnlich sieht am Leibe, so ist sie mir auch ähnlich an Güte und Frömmigkeit; und ist sie mir auch darin ähnlich, so ist sie ja Eines mit mir, und ich lebe Dir in ihr, wenn ich gleich gestorben bin. O, versprich mir, meine Bitte zu erfüllen! Sieh, ich werde immer schwächer. Laß mich diesen Trost mit mir nehmen in das Grab.«

Mit diesen Worten sank sie nieder auf ihr Hauptkissen, und war ganz ermattet. Da versprach ihr der König mit einer von Thränen fast unterdrückten Stimme, ihr Begehren zu erfüllen. »Dank, Dank,« sprach sie, »nun bin ich ruhig.« Darauf lag sie noch etliche Tage, und segnete ihre Tochter am letzten, und starb.

Als sie aber todt war, ließ der König sie begraben mit allem Aufwande, und errichtete ihr ein kostbares Denkmal [5] aus weißem und schwarzem Marmor auf ihrem Grabe in dem Garten seines Schlosses, und legte sich Trauerkleider an, lange, lange Zeit, und saß oft ganze Nächte auf ihrem Grabe und weinte. Und so vergingen ein Paar Jahre unter beständiger Trauer.

Armina, des Königs Töchterlein aber, wuchs in der Zeit heran zu einer Jungfrau, und ward ganz der Mutter Ebenbild an Schönheit und Tugend. Aber der König ließ nicht nach mit seiner Trauer, und verzehrte sich selbst durch seinen Gram, daß er nach und nach ganz abnahm an Kraft, und seine Gestalt verfiel, und seine Wangen wurden blaß.

Das machte seinen Großen und Räthen viel Kummer und Sorgen. Denn sie sagten unter einander: »Unser König ist ein guter König, der sein ganzes Land beglücket, und Recht und Gerechtigkeit handhabt nach bestem Willen und Gewissen. Darum ist es nicht gut, daß er sich also abzehrt, und seinem Gram nachhänget, der ihn bald unter die Erde bringen muß. Dann stünde unser Land verlassen und verwaiset. Denn er hat nicht einmal einen Sohn, der uns nach ihm regieren könnte. Da würden sich die Nachbarskönige um die Herrschaft und um die Hand der schönen Prinzessin Armina schlagen, und am Ende würde unser glückliches Land vom Kriege verheert und vielleicht einem strengen Könige zu Theil werden, der nur immer an seinen Ruhm [6] und seine Eroberungen dächte, und nicht Rücksicht nähme auf das Glück seiner Unterthanen.«

Indem die Großen und Räthe so sprachen, wurden sie einig mit einander, und gingen zu dem Könige, und stellten ihm die Sache vor, und baten ihn, sich doch nicht ferner mehr also zu grämen; und er möchte seinen Gram zu zerstreuen suchen und für seine Gesundheit und für sein Leben sorgen um des Landes willen, das so glücklich sei unter seiner Regierung, und nach ihm nur schlimmeren Zeiten entgegen sehe. Sie baten ihn auch, er möge doch dem Lande wieder eine Königin schenken, die ihm durch freundlichen Umgang seine Traurigkeit verscheuchen, und vielleicht die Mutter eines Kronprinzen werden könnte, der das Land dereinst nach seinem Tode wieder eben so glücklich regieren werde, wie er.

Der König wollte aber lange nichts von diesen Vorschlägen hören, und die Großen und Räthe lagen ihm von nun an täglich mehr an, und sprachen ihm so oft davon, und legten es ihm an das Herz, es sei seine Pflicht, so für sich und sein Land zu sorgen, bis er endlich des vielen Zuredens müde ward, und zu ihnen sagte; »Nun wohlan! ich will euer Verlangen und den Wunsch meiner Unterthanen erfüllen. Aber ich habe meiner verstorbenen Gemahlin auf dem Sterbebette versprochen, nur eine Gemahlin zu nehmen, die [7] ihr vollkommen ähnlich ist an Schönheit. Muß man den Lebenden Wort halten, so muß man es noch mehr den Gestorbenen. Nehmt also das Bildniß meiner Gemahlin, laßt es hundertmal abkonterfeien, und schicket es umher im ganzen Lande. Findet ihr ein Mädchen, das dem Bilde vollkommen gleich ist, so soll sie meine Gemahlin werden, und wenn sie eine Bettlerin ist.« Aber der König dachte bei sich, sie könnten lange suchen, bis sie ein Mädchen fänden, das dem Bilde ganz ähnlich wäre.

Und so war's auch. Die Großen und Räthe nahmen das Bild der verstorbenen Königin, und ließen es abkonterfeien hundert- und zweihundertmal, und schickten es herum im Lande an alle Fürsten und Grafen des Königreiches, zu sehen, ob nicht eine der Töchter derselben dem Bilde vollkommen ähnlich wäre. Aber von allen Enden kamen die Boten und hatten nicht funden, wornach sie geschickt waren.

Darüber freuete sich der König. Aber die Großen und Räthe gingen wieder zusammen, und berathschlagten sich, und ließen das Bild abkonterfeien noch zwei- und dreihundertmal, und sandten es an alle Ritter und Edeln im Lande zu sehen, ob nicht eine der Töchter derselben dem Bilde vollkommen ähnlich wäre. Aber von allen Enden kamen die [8] Boten und Diener wieder zurück, und brachten nicht mit sich, wornach sie geschickt waren.

Deß freuete sich abermals der König. Aber seine Großen und Räthe kamen wieder zusammen, und berathschlagten mit einander. Da ließen sie das Bild abmahlen viele tausendmal, und schickten es in alle Städte und Dörfer des Reiches, und ließen es anschlagen an allen Märkten und freien Plätzen, und trugen es zur Schau hoch herum, und ließen ausrufen in allen Städten, auf allen Dörfern, das Mädchen, so dem Bilde ähnlich sei, sollte Königin werden, wenn es sich zeige.

Aber so zogen sie durch alle Städte, durch alle Dörfer des Königreiches, und ließen nachfragen in allen Mühlen, in allen Hütten, und kamen heim, und hatten des Bildes Ebenbild noch nicht gefunden.

Da war der König abermal froh, und dachte bei sich, seine Großen und Räthe würden ihn jetzt einmal in Ruhe lassen. Sie thaten sich aber zusammen, und berathschlagten abermals. Und jetzt schickten sie das Bild in alle benachbarte Königreiche, und ließen auch dort des Bildes Ebenbild suchen bei allen Ständen in allen Städten und Dörfern. Aber von allen Enden kamen die Botschafter und brachten die Nachricht, daß nicht zu finden sei, was sie suchten.

[9] Darüber waren denn etliche Jahre vergangen, und des Königs Schmerz war linder worden in der Zeit. Da traten eines Tages seine Großen und Räthe vor ihn, und fragten ihn, ob er noch sein Versprechen erfüllen wolle, wenn sie ihm eine Jungfrau nennten, die ganz das Ebenbild der vorigen Königin sei. Da schwur der König einen heiligen Eid, daß er sein gegebenes Wort halten wollte, und wann er es nicht in jedem Falle erfülle, so sollten sie ihn aus seinem eigenen Lande verbannen.

Da sagten die Großen und Räthe: »Wohl, wir haben nun das Wort. Unser Vaterland wird nun bald wieder eine Königin haben, denn Armina ist ganz das Ebenbild ihrer verstorbenen Mutter.«

Da entsetzte sich der König, und ihm fiel schwer auf's Herz, daß er seinen Eidschwur unbedacht abgelegt, und stellte es ihnen vor, wie das eine Sünde sei vor den Menschen und im Himmel, denn noch nie sei das in der Welt geschehen, daß ein Vater seine eigene Tochter zur Gemahlin gehabt habe, und er dürfe nichts thun, wenn er schon König wäre, was noch kein Mensch in der Welt gethan habe. Aber die Großen und Räthe bestanden darauf, er habe geschworen, sein Wort in jedem Falle zu halten, und seinen Schwur dürfe er jetzt nicht brechen; es müßte so geschehen.

Da wollte der König läugnen, daß Armina das Ebenbild [10] bild ihrer Mutter sei. Aber sie bestanden darauf, und ließen alle Maler im Königreiche zusammen kommen, die sollten den Ausspruch thun, ob sie Recht oder Unrecht hätten. Und die Maler kamen zusammen von nah und fern, und verglichen die Schönheit der Tochter mit dem Bilde der Mutter, und alle stimmten darin überein, daß sie die größte Aehnlichkeit mit dem Bilde habe, so das man das Bild füglich für das Bild der Tochter ausgeben könne; denn ähnlicher sei kein Wassertropfen dem andern.

Da läugnete der König abermal, und sagte, sie könnten nicht richten in ihrer eigenen Sache; denn sie seien Kinder seines Landes, und wünschten, wie alle seine Unterthanen, daß er dem Lande wieder eine Königin gebe, und darum sprächen sie ein unwahres Urtheil; man müßte aus fremden Landen ein Gericht berufen, das nicht partheiisch wäre. Und der König schrieb selbst an alle Nachbarskönige, an alle Nachbarsfürsten, und sie schickten ihm jeder die geschicktesten Maler aus seinem Lande. So kam ein großes Gericht von fremden Malern zusammen. Aber alle sprachen einstimmig, daß auf der ganzen Erde noch kein Bild ähnlicher gemalt worden sei, als das Bild der Königin ihrer Tochter Armina ähnlich wäre.

Das schlug dem Könige schwer aufs Herz. Denn jetzt hatte er keine Ausrede mehr, und mußte sein gegebenes Wort [11] halten. Und als Armina das hörte, ging sie zu ihrer alten getreuen Amme, und fragte sie um ihren Rath. Diese rieth ihr was sie thun sollte. Denn als am andern Morgen ihr Vater und seine Großen und Räthe zu ihr kamen, um ihr die köstlichen Brautgeschenke an reichen Stoffen und glänzendem Geschmeide und Kleinodien zu bringen, da sprach sie zu ihnen: »Nicht also, lieber Vater! Nicht also, ihr Großen und Räthe! Diese Geschenke sind zwar sehr kostbar; allein ich verlange nichts von diesen Perlen und Edelsteinen, nichts von allen diesen Seiden- und Sammtstoffen. Der Braut des Königs geziemt es, andere Brautgeschenke zu erhalten, als ihr sie mir bietet. Drei Wünsche trage ich bei mir, erfüllet ihr diese, so will ich gleichwohl eure Königin werden; erfüllet ihr sie mir aber nicht, oder nicht alle, so schwör ich hier, daß ich nie, weder jetzt, noch nach meinem Vater, Königin in diesem Lande sein will.«

Als sie aber das gesprochen, war ihr Vater froh und hoffte, sie würde drei Wünsche nennen, die zu erfüllen nicht in Menschenmacht stände, und gab es gern zu, daß sie den ersten ihrer Wünsche nenne. Da verlangte sie, man sollte ihr ein Kleid machen von purem Golde, das glänzen müßte, wie die Sonne, und doch so leicht wäre, als sei es von Flor. Und der König frohlockte in seinem Herzen; denn er hoffte, daß kein Mensch das zu machen im Stande sei. Aber die [12] Großen seines Hofes und seine Räthe schickten aus nach den Künstlern in allen Reichen und Ländern, und beriefen sie zusammen, und versprachen demjenigen von ihnen hundert Pfunde Goldes, der das Kleid in einem Monate zu Stande brächte. Aber die meisten derselben läugneten, daß eine solche Arbeit von Menschenhänden könne hervorgebracht werden. Und nur dreie traten hervor aus ihrer Mitte, aber sie verlangten ein ganzes Jahr, weil die Arbeit so schwierig sei. Endlich trat aber einer der ältesten Künstler hervor, und versprach die Arbeit zu liefern im nächsten Vollmond. Da traten die andern Künstler zurück und sagten: »Mit Zauberkräften sind wir nicht begabt, und stehen nicht im Bunde mit Feen und Kobolden, daß wir solches uns zu leisten vermessen dürften, als du dich zu leisten vermessen hast.« Und alle zogen von dannen.

Als aber am nächsten Tage der Vollmond hinter des Königs Garten über die hohen Bäume herauf kommen sollte, erschien der Künstler schon mit seinem sonnenglänzenden, goldenen Kleide. Aber alle, die es sahen, glaubten, es müsse schwerer sein, denn ein Centner Gewichts. Und da er es vor den König und die Großen seines Hofes und seine Räthe brachte, ließ er sich eine Waage bringen, und legte das Kleid in eine der Waagschalen, und in die andere Waagschale ließ er die Prinzessin Armina einen Pomeranzenkern legen,[13] – und siehe! der Pomeranzenkern zog die Schale, darin er lag, tief, tief herunter, und die Schale, darin das Kleid lag stieg hoch, hoch in die Höhe, als sei gar nichts darinnen.

Darob erstaunten und freueten sich die Großen des Hofes und die Räthe, und überhäuften den Künstler mit Lob und Ehre, und ließen ihm auf der Stelle aus der Schatzkammer des Reiches vorwägen ein hundert Pfund Goldes. Aber Armina und der König erstaunten zwar auch, doch sie erblaßten dabei vor Schrecken, als sie sahen, daß der Wunsch erfüllt war, den die Königstochter darum gethan hatte, weil er ihr unerfüllbar geschienen.

Des andern Tages sollte Armina nun ihren zweiten Wunsch nennen. Da ging sie gegen Abend wieder mit ihrer treuen Amme im stillen Kämmerlein zu Rath. Und als sie am andern Tage vor den Großen des Hofes und Räthen ihres Vaters um ihren zweiten Wunsch befragt wurde, verlangte sie ein Bild, nicht größer als die kleinste Geldmünze, darauf abgebildet wäre, ihres Vaters Schloß und ihr Vater selbst, heraussehend aus dem Fenster des Schlosses einem, und doch alles erkennbar, besonders das Bild ihres Vaters getroffen. So fein und doch so treffend zu mahlen, hielten zwar alle für unmöglich, aber die Großen vom Hofe und [14] die Räthe beriefen wieder aus allen Ländern und Reichen in der Nähe und Ferne alle Mahler zusammen, und versprachen demjenigen zwei hundert Pfund Goldes, der in Monatsfrist das Gemählde abliefern würde.

Da traten nur zwei der jüngsten Mahlerkünstler hervor und versprachen die Arbeit zu liefern, wenn man ihnen ein Jahr vergönnen wollte zur Arbeit. Endlich versprach aber der jüngste von ihnen, bis nächsten Vollmond das Gemählde zu liefern. Und als der Tag angebrochen war, da am Abende der Vollmond scheinen sollte, erschien er vor dem König und den Großen seines Hofes und seinen Räthen, und brachte sein Bild. Und siehe! es war eine Kapsel darüber von Golde, nicht größer denn die kleinste Goldmünze, die im Reiche geprägt wurde, und als er diese geöffnet hatte, sah man das kleine Gemählde darin, das aber so klein war, daß man es erst durch ein Vergrößerungsglas beträchten mußte, wenn man die Gegenstände alle unterscheiden wollte. Und wer es betrachtete, mußte erstaunen; denn des Königs Bild war so klein darauf, daß man es kaum für ein kleines Pünktchen erkannte. Wenn man es aber durch ein Vergrößerungsglas betrachtete, so erkannte man alle Züge so genau daran, daß man selbst die drei Sommerfleckchen auf des Königs Nase deutlich sah.

Darüber freueten sich denn abermals die Großen des Hofes [15] und Räthe des Königs, und hofften nun um so sicherer, daß sie auch den dritten Wunsch Armina's würden erfüllen können. Darum erwiesen sie dem Künstler alle Ehre, wie sie auch dem alten gethan hatten, und gaben ihm nicht nur gern die zwei hundert Pfund Goldes, die sie ihm versprochen hatten, sondern machten ihm auch noch außerdem aus der Schatzkammer des Reiches ein gutes Geschenk.

Aber der König ward wieder traurig darüber, denn er hatte nicht geglaubt, daß dieser Wunsch erfüllt werden könnte. Aber Armina war noch trauriger darüber. Und als es Abend war, ging sie wieder mit ihrer getreuen Amme zu Rath. Als sie nun am andern Morgen auch ihren dritten Wunsch nennen sollte, so begehrte sie ein Schifflein von getriebenem Silber, mit Golde verziert, in Gestalt eines fliegenden Drachen, das versehen wäre auf dreißig Jahre mit hinreichenden Lebensmitteln, und die Eigenschaft besitze, daß es in einem Augenblicke jeden, der darin sitze, durch die Luft dahin trage, wohin er sich wünsche. Da ließen die Großen vom Hofe und die Räthe des Königs wieder aus allen Reichen und Ländern alle Künstler und Magier zusammen kommen, und versprachen drei hundert Pfund Goldes dem, der in Monatsfrist ein solches Schifflein liefern wollte. Aber die Künstler sprachen, wenn sie Silbers und Goldes genug hätten, so wollten sie wohl ein solches Schiff daraus [16] bilden; allein es mit Lebensmitteln auf so lange zu versehen, oder ihm gar die Kraft zu verleihen, durch die Luft dahin zu fliegen, wohin man sich wünsche, das gehe über menschliche Macht, und sie vermöchten das nicht. Aber zwei Magier traten hervor, und versprachen, wenn man ihnen das Schifflein liefere, so wollten sie ihm in einem Augenblicke Vorrath auf dreißig Jahre verschaffen, und die Kraft ertheilen, sich nach dem Wunsche Armina's frei durch die Luft zu bewegen, und in einem Augenblicke in den fernsten Gegenden zu sein.

Als die Großen vom Hofe und Räthe des Königs das hörten, ließen sie die Künstler sogleich anfangen, und mußten alle zusammen helfen, und bekamen dazu aus des Reiches Schatzkammer des Goldes und Silbers so viel sie verlangten. Und siehe! ehe der dritte Morgen anbrach, sprachen schon die Magier ihren Zaubersegen darüber, und am dritten Tage wurde es schon vor den König und die Prinzessin Armina gebracht. Und es sprachen nun die Großen und Räthe zu ihr, es seien jetzt alle ihre Wünsche erfüllt, sie dürfe jetzt länger nicht zögern, und heute müsse noch das Fest ihrer Vermählung gefeiert werden. Da sah der König keine Ausrede mehr, und gab traurig Befehl, die Anstalten zum Feste zu machen.

Aber Armina stand auf, und sprach zu den Umstehenden: [17] »Lasset noch beruhen die Anstalten zum Feste. Denn ich sehe zwar vor mir das Drachenschiff, allein ich zweifle noch an seiner Kraft, sich nach meinem Willen zu bewegen. Darum thut es Noth, daß ich es vorher selber erprobe.«

Solches billigte auch ihr Vater, und billigten selbst die Großen und Räthe. Sie ging darum hinein, und legte an ihr goldenes, sonnenglänzendes Kleid, und nahm zu sich das kleine Bild von ihres Vaters Schloß, und weinte noch einmal bitterlich in den Zimmern, und ging und rief ihre Amme, und fiel noch einmal ihrem Vater weinend um den Hals, und nahm von ihm Abschied, als wollte sie ihn auf immer verlassen. Als das aber die Räthe des Königs sahen, murmelten sie untereinander und sprachen: »Was soll das? scheint es doch, als nähme sie auf immer Abschied von ihrem Vater!«

Das hörte Jungfrau Armina beiseit, und wandte sich zu ihnen, also sprechend: »Was murmelt ihr untereinander, daß ich also Abschied nehme von meinem Vater? Ists denn nicht so, daß ich mich nun ewig trennen muß von ihm? Denn beweißt das Schifflein die verheißene Kraft, so hab' ich ja keinen Vater mehr; so kehre ich zurück, und finde in ihm nur meinen Gemahl.«

Als sie das zu ihnen gesprochen, wurden sie ruhig, und sie schlang abermal ihre Arme um den Vater und weinte [18] und halsete, herzte und küßte ihn. Darauf stieg sie mit ihrer Amme in das Wunderschiff, und wünschte sich fern, fern im großen Meere auf einer stillen friedlichen Insel zu sein. Da erhob sich mit einemmale das Drachenschiff hoch, hoch in die Luft und schoß pfeilschnell von dannen, und ehe man sich nur darauf besinnen konnte, wars aus dem Gesichte Aller verschwunden.

Aber der König und die Großen vom Hofe und seine Räthe und das Volk standen da, und harrten von Stunde zu Stunde, und erwarteten jeden Augenblick, daß es wieder erscheinen würde. Aber es erschien nicht. Und sie harrten vom Mittage zum Abend, und vom Abende zur Nacht und zur Mitternacht, aber Armina in dem Wunderschiffe kam nicht. Und sie hofften zum Morgen und wieder zum Abend, und wieder zum Morgen, aber – vergebens und immer vergebens.

Da warf der König seine Krone zur Erde, trat sie mit Füßen, und zerraufte sein Haar und rief: »O, daß ich doch kein König wäre, so hätt' ich doch meine fromme Tochter noch. Aber mir geschieht, wie ich verdient habe; ich habe mich zwingen lassen, daß ich Sünde hätte begehn müssen vor dem Himmel. Und sie hat Recht gethan, daß sie von dannen gezogen.« Und damit ging er weg, und schloß sich in sein einsamstes Gemach, und grämte sich, und starb in [19] wenig Monden. Aber in sein Reich theilten sich die Nachbarsfürsten, und regierten dann fortan.

2.

Aber Armina und ihre Amme waren in ihrem Drachenschiff auf eine glückliche friedliche Insel getragen worden, und lebten daselbst etliche Monde in stiller Trauer, darum daß sie ihren geliebten Vater also hatte verlassen müssen, und verlassen ihr schönes Vaterland, ihre schönen Gärten, ihre schönen Blumen, ihre frommen Tauben und schneeweißen Lämmlein, die sie jeden Tag vordem mit eigenen Händen gepflegt und gefüttert. Und ihre Amme trat oft zu ihr, und sprach ihr Trost ins Herz. Doch sie konnte nicht zufrieden und ruhig werden. Da schlug ihr die Amme vor, sie wollten sich wieder in das Wünschschifflein setzen, und bald da und bald dorthin ziehen, und alle Völker und alle Gegenden der Erde betrachten.

Und sie war es zufrieden, und setzten sich beide ein, und wünschten sich dahin und dorthin, und besahen die Länder und Städte und Menschen im Morgen-und Mittag- und Abendlande und besuchten auch die kalten, mitternächtlichen Gegenden.

[20] So zogen sie hin und her in der Welt wohl manches Jahr, und gewöhnten sich ganz daran, jede Woche an einem andern Orte zu leben. Und Armina vergaß nach und nach ihres Schmerzes, um den Tod ihres Vaters. Denn sie hatte es bald in einem fremden Lande erfahren, daß er gestorben. Als sie nun aber dachte, daß sie ganz vergessen wäre in ihrem Lande und in ihrer Heimath, wünschte sie sich wieder einmal hin an ihr liebstes Plätzchen im Schloßgarten, und ward sogleich hingetragen von ihrem Drachenschiff. Und sie sahe sich um in dem Garten, da und dort, und freute sich, daß noch alles war, wie ehedem. Als sie aber kam, Wasser zu schöpfen an der Felsenquelle, da sie sonst ihre Lämmer gepflegt zu tränken, siehe! so lagen da im frischen Grase am Rande der Quelle zwei wunderliebliche ganz kleine nackende Knäblein, und schauten sie an mit ihren Augen, groß und hell, und streckten nach ihr die Aermlein.

Und Armina sprach zu ihrer Amme: »Komm, und siehe die zwei schönen Knäblein, die da verlassen liegen im Grase. Ich will sie mit mir nehmen, und ihre Mutter sein von nun an.« Da sprach aber die Amme zu ihr: »Mit nichten, Herrin! Wollt Ihr ihrer Mutter solchen Schmerz machen? Sie hat die Knäblein vielleicht hierher gelegt, und gedenkt sie in kurzer Frist wieder abzuholen.« »Nein!« sprach Armina, »sich, wie sie mich anlächeln mit ihren [21] Aeuglein, als wollten sie mir sagen, wir sind hilflos; nimm dich unser an.«

Da antwortete ihr die Amme: »Wenn Ihr also meinet, so laßt uns hier am Wasserquell warten, und sehen, ob ihre Mutter nicht nahet, sie zu holen. Lasset uns harren bis zu Sonnenuntergang, denn so lange lässet keine Mutter ihr Kindlein hilflos allein.« Und sie stellten sich hinter die Bäume, und harrten, ob niemand sich nahe, nach den Knaben zu sehen. Aber es ward Abend, und niemand war gekommen. Da traten sie hinzu, und Armina nahm die frommen Kleinen auf ihren Arm, und stieg mit ihnen in ihr Schifflein, und die Amme folgte ihr, und wünschte sich wieder weg, weit weg auf ihre friedliche Insel im großen Meere, und beschlossen jetzt hier zu bleiben, bis die Knäblein etwas heran gewachsen wären, damit sie nicht krank würden von dem beständigen Wechsel der Lust. Und Armina pflegte sie als Mutter, und sorgte für sie.

Da trat eines Tages die Amme zu ihr und sprach: »Ihr habt die Knaben jetzt schon ein Paar Monate, und noch habt Ihr ihnen keinen Namen gegeben. Wie denket Ihr sie denn zu nennen?«

Da besann sich Prinzessinn Armina einen Augenblick, und dann sprach sie: »Es ist wahr, sie müssen jeder einen Namen haben, damit man sie rufen könne, wenn sie größer [22] worden sind, und dahin und dorthinlaufen. So decke sie auf, damit wir sehen, wie wir jeden nennen wollen.« Und die Amme zog den Schleier weg, der über ihre Bettlein gespannt war. Da sprach Armina: »Sie sollen beide ihren Namen vom Wasser haben; darum, daß ich sie am Wasser funden habe. Und diesen mit den blauen Augen und den blonden Löckchen laß uns nennen Brunnen hold, darum, daß er freundlicher und holder ist, als der andere; den mit den dunkeln Augen und den braunen Löckchen laß uns nennen Brunnenstark, darum, daß er stärker ist, als Brunnenhold.« Und sie nannten sie fortan Brunnenhold und Brunnenstark, einen jeden wie ihm Armina den Namen gegeben hatte.

Aber die beiden Knäblein wuchsen heran zu fröhlicher Jugend, und koseten manch ein Stündlein mit ihrer Mutter Armina, und Armina wachte über ihre Kindlein mit mütterlicher Treue und Liebe. Und als sie größer wurden, zogen sie mit ihrer Mutter und der Amme ihrer Mutter wieder umher und blieben da, und blieben dort, bald länger, bald kürzer, je nach ihrem Gefallen.

So verging die Zeit mit Schnelle, und Brunnenhold und Brunnenstark wurden zwölf Jahre alt. Da berieth sich eines Tages Armina mit ihrer Amme, und sprach zu ihr: »Meine Knaben sind jetzt schon über zwölf Jahre, [23] und es ist Zeit, sie an einen Ort zu bringen, da sie ein Geschäft erlernen, das sie dereinst ernähre. Zu welchem Geschäft denkst du, daß ich sie thun soll?«

Da antwortete ihr die Amme: »Glückselig seid Ihr, daß Ihr selbst daran denket. Ich befürchtete, Ihr möchtet Euch nicht trennen können von Euern Knaben.«

»Wohl kann ich mich trennen von ihnen!« sprach Armina. »Konnte ich mich ja auch von meinem Vater trennen! – Was sein muß, das muß man nicht unterlassen, ob es gleich schwer dünken mag. – Die Knaben können nicht leben, wie ich lebe. Auch hatte mein Schifflein nur Vorrath auf dreißig Jahre, und die Hälfte davon muß bald vorüber sein. Was hälf's, wenn sie auch jetzt noch etliche Jahre sorgenlos lebten und dann auf einmal nichts hätten und nichts erwerben könnten, davon sie sich das Leben fristeten. Darum ist's nothwendig, daß ich mich von ihnen trenne. Sprich nur, welch ein Gewerbe ich sie soll erlernen lassen.«

»Laßt sie denn selbst wählen!« antwortete die Amme. »Seht, wir sind hier nahe einer volkreichen Stadt, und heute wir dort gefeiert ein großes Fest, dazu die Leute sich hineingezogen aus allen Gegenden umher. Laßt mich auch hingehn mit den Knaben, daß ich sie führe unter die Menschen [24] alle, und sie sich auswählen den, dessen Geschäft sie erlernen wollen.«

Das gefiel ihr, und sie herzte ihre Knaben Brunnenhold und Brunnenstark nochmals, und ließ sie ziehen mit der Amme nach der Stadt unter die Menschen. Und die Amme führte sie hin an das Hauptthor eines großen Tempels, und sprach zu ihnen: »Sehet an die Leute, wenn sie herausgehn, und zeiget mir den, der Euch am besten gefällt von allen.«

Deß freueten sich die Knaben, daß sie jetzt sollten unter den Menschen leben, und nicht mehr allein mit ihrer Mutter und der Amme, und ihre Gesichter glüheten vor Freude, und sie harreten mit Ungeduld, bis die Leute herauskämen.

Als die Feier aber im Tempel vorüber war, und die Leute herauskamen, da sahen sie alle an, und schüttelten aber bei allen die Köpfe; denn keiner gefiel ihnen von allen, welche kamen. Und schon waren die letzten herausgegangen, und die Amme hatte wohl schon hundertmal geforscht, welcher ihnen am besten gefiel, und immer war noch keiner gekommen, der ihnen gefallen. Und eben wollte sie scheltend mit ihnen von dannen gehen, da trat noch ein Mann heraus in grünem Kleide mit einem kurzen Schwert an der Seite.

[25] Da riefen die Knaben beide schnell: »Sieh das ist er! führe uns mit ihm! Der gefällt uns vor allen, die wir heute gesehen, und wenn auch noch Tausende kämen, es würde uns keiner gefallen, als dieser.« Darob freuete sich die Amme, und führte sie hin zu dem Manne, und sprach zu ihm: »Seht, ich bin hergeschickt von meiner Herrin, Euch zu fragen, ob Ihr nicht zu Euch nehmen wollt ihre beiden Söhne, die Ihr hier vor Euch sehet, und wollet sie erziehen zu allem Guten, und unterweisen in Euerm Geschäfte, was Ihr treibet. Ihr gefallt ihnen, und sie werden Euch gewiß folgsam sein in allen Stücken, und Euch Freude machen.«

Und die Knaben sahen den Mann im grünen Kleide treuherzig an, und sagten: »Ja! nimm uns zu Dir, grüner Mann! wir wollen Dir gewiß folgsam sein in allen Stücken.«

»Und meine Herrinn wird Euch Eure Sorge vergelten königlich!« setzte die Amme hinzu. Aber der Mann im grünen Kleide sah sie seitwärts an, und sagte halb unwillig: »Ei, was! seh ich denn darnach aus, als ob ich nach dem Lohn gleich fragte. Damit laßt's nur immerhin gut sein. Was ich für mich nicht thue, das thue ich auch nicht um den Lohn, und wenn er auch königlich ist.« Darauf wandte er sich zu den Knaben und lachte, und sah sie liebreich an, [26] und reichte ihnen die Hände dar, also sprechend: »Kommt, kommt, ihr frischen Bursche! ich nehme euch mit mir. Seht ich bin ein Mann, der das Waidwerk treibt draußen im grünen Forst, und ein Waidmann muß frischen Muth haben; so seht ihr mir aus. Darum seid mir willkommen. Ich habe keine Kinder, und habe mir doch schon so oft Kinder gewünscht, und meine Frau auch. Sich jetzt hab ich ja zwei Knaben auf einmal, und gerade so, wie ich mir sie gewünscht habe.«

Darauf wandte er sich zur Amme, und sprach; »Geht nur zu Eurer Herrin, und sagt ihr, ihre Knaben seien wohl aufgehoben bei mir. Ich will sie halten, wie ich meine eigenen Kinder halten würde. Und ein alter Knab bin ich. Sterbe ich, so sollen die beiden meine Erben werden, und meine Jagd unter sich theilen. So lang hoff ich ja noch zu leben, bis sie zwei tüchtige Waidmänner geworden sind.«

Darauf schieden sie von einander. Die Knaben gingen mit dem Waidmann, und die Amme ging zurück zu ihrer Herrin, und erzählte ihr, wie die Sache sich verlaufen. Dann setzten sie sich wieder in ihr Drachenschiff, und wünschten sich hierher und dahin, und beschlossen in etlichen Jahren wieder einmal zurück zu kehren, um nach Brunnenhold und Brunnenstark zu sehen.

[27] Aber die Knaben fanden sich wohl in des Waidmanns Haus und in sein Waidwerk, und waren ihm gehorsam in allen Stücken, und halfen ihm in Forst und Wald, und scheueten weder Regen noch Sturm, erlegten Thiere und hegten das Wild, und pflanzten mitunter im Garten, und leisteten auch der freundlichen Alten, des Waidmanns Frau, in ihren häuslichen Geschäften mitunter hilfreichen Beistand, und gewannen so die Herzen der beiden Alten, daß sie sie so sehr und fast mehr liebten, als Aeltern ihre Kinder lieben.

Das ging so fort vier volle Jahre. Da hatte Brunnenhold und Brunnenstark das Waidwerk vollkommen erlernt, und sehnten sich, weiter ihr Glück draußen zu suchen in der Welt. Aber die Alten wollten sie ums Leben nicht von sich lassen. Als sie aber jetzt achtzehn Jahre zählten, verlangten sie abermal, von dannen zu ziehen, und ließen sich nicht mehr zurückhalten, durch das freundliche Zureden und die Thränen der Alten. Und als sie sahen, daß sie sich nicht mehr länger halten ließen, da gaben sie einem jeden ein neues Jagdkleid, und die Alte ging hinauf auf den obersten Boden, und brachte zwei Jagdmesser herab, daran an der Seite Messer und Gabel eingesteckt waren, und reichte einem jeden eines derselben, und sprach: »Seht, die zwei Jagdmesser nehmt, und traget sie zur Erinnerung an eure alte Pflegemutter. Ich hab sie an meinem Brauttage von [28] einer fremden alten Frau bekommen, die jetzt wohl schon lang in der Erde ruht. Sie sagte mir dabei, ich sollte sie dereinst meinen Söhnen geben, und wenn die einmal von einander schieden, so sollten sie an dem Kreuzwege, da sie schieden, die kleinen Messerlein neben in den Stamm eines Baumes stecken. Wer dann von den Brüdern zuerst wieder an jenen Baum komme, sollte des andern Messer herausziehen. Sei es noch blank, so sei das ein Zeichen, daß sein Bruder noch lebe, und daß es ihm wohl gehe; sei es aber rostig, so sei das ein Zeichen, daß er todt sei oder doch in Lebensgefahr schwebe. – Seht,« sagte sie weiter, »der Himmel hat mich nicht mit Kindern gesegnet, und darum lagen die beiden Jagdmesser bis jetzt immer oben. Jetzt seid ihr meine Söhne, und könnt sie vielleicht brauchen. – Aber, ach, mir ist, als säh ich euch nie wieder.« Als sie das gesagt, barg sie ihr Gesicht in ihre Schürze, und ließ ihren Thränen den Lauf.

Darauf wandte sich der Alte zu ihnen, und sprach: »Seht, ich weiß wie's junge Blut ist. Ich war ja selbst einmal jung. Da denkt man hinter den Bergen seien lauter Paradiesgärten, und die gebratenen Tauben fliegen Einem von selbst in das Maul. Aber ja prosit! man muß sie dort auch erst erlegen und rupfen und braten, wie hier. Und manchmal gehts noch schlimmer; man sieht gar keine [29] die man erlegen könnte und geht leer aus. Das sag' ich euch aber: wenn's euch einmal schlecht gehn sollte, so wißt ihr, wo ihr daheim seid. Das müßt ihr mir aber versprechen, wenn's euch nirgend besser geht, oder wohl gar schlimmer, als hier, so kommt ihr zu mir. Ihr braucht euch nicht zu schämen. Ich weiß das ja wohl, wie es geht.«

Solches versprachen sie beide mit Hand und Mund, und darauf schieden alle unter Thränen von einander. Brunnenhold und Brunnenstark gingen hinaus in die Welt. Aber die beiden Alten konnten sich gar nicht mehr gewöhnen, so allein zu leben. Der Frau fehlten sie überall, im Hause, und im Hofe, und im Garten. Und ihr Mann mochte gar nicht mehr hinaus gehen in den Forst, und sein Waidwerk treiben, wie vordem. Und sie starben bald beide vor Alter, und hatten keinen Wunsch mehr übrig gehabt, als daß sie ihre Pflegesöhne noch einmal sehn möchten vor ihrem Hinscheiden. Aber der Wunsch konnte ihnen nicht mehr erfüllt werden, denn diese irrten draußen herum in der Welt, und hatte jeder seine eigenen Abentheuer zu bestehen.

Und als Armina, ihre Mutter, darauf einmal hinkam, ihre Söhne zu sehen, wohnte ein fremder Waidmann dort in dem Forst, der ihnen kaum Kunde geben konnte von seinem Vorfahr, dem alten Waidmann. Aber von Brunnenhold und Brunnenstark wußte er gar nichts, denn er war [30] selbst erst aus einem fremden Lande gekommen, und hatte sich in dem verlassenen Forsthause niedergelassen.

3.

Brunnenhold und Brunnenstark zogen aber fort und immer weiter fort, und kamen endlich an einen dichten Wald, der so verwachsen war, daß die Sonne mit ihrem Scheine gar nicht durchdringen konnte, daß es fast nie recht Tag drin ward. Der Weg ward eng, auf dem sie gingen, und hatten kaum Raum, neben einander darauf zu gehen. Und wie sie recht in der Mitte des dichten Waldes waren, da hörten sie plötzlich ein Gebrülle, das war stärker, als sie je noch eins vernommen. Und ihnen grausete halb, als sie es vernahmen, und halb freuten sie sich; denn sie dachten, es gäbe nun ein Abentheuer zu bestehen. Da kam das Gebrülle immer näher und immer näher, und sie hörten's jetzt ganz dicht am Wege, und hörten's rauschen durch den Wald. Siehe da trat eine Löwin in die Mitte des Weges, und schaute sie ruhig an, und brüllte laut, und ging zurück in den dichten Wald.

Da sprach Brunnenhold zu Brunnenstark: »War's mir doch gerade, als ob sie brüllend zu uns gesagt, wir sollten hier warten.«

[31] »Wars denn nicht so?« fragte Brunnenstark. Und sie standen noch und sprachen davon, da rauscht' es wieder nahe vor ihnen, und heraus trat die Löwin, und in ihrem Rachen trug sie zwei junge Löwen, und warf sie nieder vor ihnen, und brüllte. Und sie verstanden deutlich die Worte. »Da nehmt sie; ihr werdet sie brauchen können.« Darauf verschwand die Löwin, und ließ die jungen Löwen vor ihnen. Aber Brunnenhold und Brunnenstark machten Ketten für sie von gewundenen Weiden, und führten die jungen Löwen daran nach sich, und sprachen davon, wie wunderbar es doch sei, was ihnen begegnet mit dieser Löwin.

Aber sie hatten noch nicht davon ausgeredet, da brummte und brummte etwas durch den Wald, und rauschte vor ihnen durch die Büsche, und eine Bärin trat heraus, und sah sie an, und brummte laut, und ging zurück in den Wald. Es verging eine kurze Zeit; da kam sie wieder heraus, und schleppte zwei junge Bären mit sich, und warf sie vor sie hin auf den Weg, und brummte deutlich: »Nehmt sie, ihr werdet sie brauchen können.«

Und sie erstaunten noch mehr darüber, daß dies das zweite unbändige Thier war, das ihnen die eigenen Jungen hingab. Aber sie wandten sich wieder Gerten zu einer Kette, und banden die jungen Bären daran, und führten sie nach sich.

So gingen sie weiter. Da hörten sie plötzlich ein fürchterliches [32] Geheule um sich. Und es kam näher und immer näher, und eine Wölfin trat heulend hervor aus den Gebüschen, und schaute sie an, und lief wieder zurück. Und sie harreten erstaunt, zu sehen, ob denn die Wölfin ein Gleiches thun werde, wie die Löwin und Bärin. Aber sie standen nicht lange, da kam sie, und brachte ihnen zwei junge Wölfe, warf sie ihnen vor die Füße, und sie hörten sie in ihrer Sprache und Stimme sagen: »Nehmet sie; ihr werdet sie brauchen können!« Und sie machten jeder auch für die jungen Wölfe eine Kette von gewundenen Gerten, und führten sie daran.

Dann sprach endlich Brunnenhold zu Brunnenstark: »Es ist recht schön, daß uns jedem das Gleiche begegnet. Aber doch dünkte mir schöner, wir schieden, und bestimmten uns einen Ort, wo wir wieder zusammen treffen wollten. So würde jedem ein ander Abentheuer begegnen, und wenn wir uns dann wieder einmal fänden in der Welt, so könnte einer dem andern erzählen, wie es ihm gegangen, und wir würden ein doppelt Leben voll Abentheuer führen.«

Diese Rede gefiel Brunnenstark, denn er hatte dasselbe auch schon bei sich gedacht, und nur darum nicht seinem Bruder gesagt, weil er fürchtete, dieser möcht's nicht gerne thun. Denn er meinte, sie könnten auch so über kurz oder über lang, der Eine oder der Andere ihre Mutter antreffen in [33] der Welt. So wurden sie denn eins, am ersten Scheideweg sich zu trennen, und einer rechts, der Andere links zu ziehen.

Als sie aber an den ersten Scheideweg kamen, blieb Brunnenhold stehn, und zog sein Messerlein neben dem Jagdmesser hervor, und steckts bis an das Heft in einen starken Eichenstamm, der an der Scheide des Weges stand, und sagte: »Thue Du auch so, auf daß jeder ein Zeichen habe, wenn er zurückkommt, ob der Andere noch am Leben ist.« Und Brunnenstark zog auch sein Messerlein, und steckts in den Eichenstamm bis an das Heft. Dann umarmten sie sich, und schieden von einander, und versprachen, nach etlichen Jahren wieder zu kommen, und zu sehen nach den Messern, ob sie nicht rosteten. Und sie zogen ein jeder sekne Straße, einer rechts, der andere links.

Brunnenhold war aber die Straße rechts gezogen vom Kreuzweg, und zog weiter und immer weiter durch Feld und Flur, über Berg und Thal, und trieb sein Waidwerk nach Lust und Gefallen, heute hier, morgen dort. Und so kam er eines Tages an eine große Stadt. Als er aber eintrat ins Thor, war Alles an den Häusern behangen mit schwarzen Tüchern, und statt der Fahnen weheten vom Rathhause lange Trauerflöre. Auf den Straßen herrschte überall eine Todtenstille, und kein Mensch ließ sich sehen.

Da trat er in eine Herberge und forderte sich beim[34] Wirthe einen frischen Trunk. Aber der Wirth ging, und holte ihm einen frischen Trunk, und stellte ihm selbigen vor auf den Tisch, und redete nicht, und sagte nicht einmal: »Wohlbekomm's.«

Da ward Brunnenhold neugierig, zu hören, warum die ganze Stadt also traurig wäre, und wandte sich zu dem Wirthe, und sprach: »Ei, sagt mir doch, mein Freund, was ist Euch denn begegnet und Eurer Stadt? Ihr geht in schwarzen Kleidern, und überall seh ich schwarze Tücher ausgehängt und Trauerflöre wehen. Wer ist Euch denn gestorben?«

Aber der Wirth seufzte schwer, und sprach: »Ach, Herr, wir haben ein groß Unglück! Seht, stellt Euch da her an das Fenster, und schaut da hinüber! Was seht Ihr drüben auf dem Berge?«

»Ich sehe nichts,« sprach Brunnenhold, »als einen großen viereckigen Fels.«

»Nun ja!« sagte der Wirth, »so seht Ihr unser ganz Unglück vor Augen.«

Da verwunderte sich Brunnenhold und sprach: »Wie kann aber der Stein Euer ganzes Unglück seyn? das begreif' ich nicht! Er liegt ja recht fest auf dem Rücken jenes Berges, und mag da noch lange liegen, ehe er herunterfällt und Euer Haus zusammenschlägt.«

[35] »Ja,« sagte der Wirth, »da hat's freilich keine Noth. Seht, der Stein heißt aber der Drachenstein, und da müssen wir alle Neumond die Jungfrau darauf stellen, die zuletzt in der Zeit von Neumond zu Neumond in der Stadt sechzehn Jahre alt worden ist. Die wird dann von einem fürchterlichen, siebenköpfigen Drachen mit Haut und Haaren verschlungen. Thun wir es aber nicht, so hat der Drache gedroht, über unsere Stadt und alle Städte und Dörfer des Reiches zu kommen, und aus seinen sieben Köpfen Feuer zu speien, und alles zu verschlingen, was ihm unter seine vierzehn Feueraugen kommt. Darum werden allemal am ersten Tage nach dem Neumond schon wieder für's nächstemal die Register von den Jungfrauen durchsehen, die in der Zeit ihr sechzehntes Jahr erreichen. Und die Jüngste kommt dann auf den Drachenstein. Seht, nun ist aber in den letzten vier Wochen gerade allein des Königs einzige Tochter sechzehn Jahre alt worden, und so muß diese heute Mittag hinausgeführt werden. Und die solltet Ihr erst sehen. Sie ist ein wahres Muster aller Jungfrauen an Schönheit und Tugend.«

Darob verwunderte sich Brunnenhold, und sprach: »Jetzt begreife ich, warum solche Trauer herrscht in Eurer Stadt. Aber sprecht, war denn noch kein Mann in Eurem Lande so beherzt, der es wagte, den Drachen zu erlegen?«

»Ja, erlegt Ihr!« antwortete der Wirth, »das ist [36] kein Kerlchen, wie Ihr, so ein Drache, mit rothwangigem, glattem Gesicht und sanften blauen Aeuglein. Nein, der hat Schuppen auf sich, wie von Stahl, und um den ganzen Leib Schuppen. Nur um seine gefräßigen Hälse hat er schmale Ringe, wo er zu verwunden ist. Aber da mag der Henker drein hauen.«

»Warum denn?« fragte Brunnenhold.

»Warum denn?« antwortete der Wirth. »Weil's dem Lasterthiere von Drachen gerade recht ist, wenn man ihm einen von den sieben Köpfen abhackt. Denn auf der Stelle wachsen ihm aus dem hervorquellenden Blute zwei neue Köpfe heraus. Meint Ihr, es hätt's noch keiner gewagt mit ihm? Er hatte im Anfang auch nicht mehr Köpfe, als ich auch. Da haben's schon sechse mit ihm gewagt, aber allemal ist der Drache um einen Kopf reicher worden, und die Wagehälse um ihren einzigen Kopf ärmer. Der Drache hat sie allemal rein aufgefressen.«

Als sie aber noch so zusammen sprachen, kam ein Herold durch die Straße gezogen, der ließ vor sich her posaunen, und rief mit lauter Stimme: »Der König hat bei seinem Haupte geschworen, der solle sein Eidam werden, der heute den siebenköpfigen Drachen erlegt, und so die Königstochter vom Drachenstein erlöset.« Darauf zog er weiter durch die Straßen. Und der Wirth sagte: »Ja, ruf' du, so lang du [37] willst. Es wird Keiner ein Narr sein, und den Hals dran wagen.«

Aber Brunnenhold schwieg still, trank seinen Becher leer, und stand auf und fragte den Wirth, was er schuldig wäre, und bezahlte seinen Trunk, und wollte weiter gehen. Da sah ihm der Wirth in's Gesicht, schüttelte den Kopf, und sprach: »Hört, junger Herr, was habt Ihr im Sinne? Ich seh's Euch an, Ihr führt was im Schilde. Warum wollt Ihr so schnell wieder fort? Ihr werdet's Euch doch nicht gelüsten lassen nach dem Drachen?«

Da sprach Brunnenhold: »Nun, und wenn auch, was wär's denn?«

Aber der Wirth schrie: »Was? Ihr wollt Euer junges Leben auf's Spiel setzen? Denn verloren seid Ihr mit sammt Euerm glatten Gesicht und Euern blonden Löcklein, und Euern blauen Augen, wenn Euch der Drache ansieht mit seinen Feueraugen. Das ist kein Spaß, Herr, so ein Drache. Ihr mögt ein guter Waidmann sein; aber so ein Drache gehört nicht in's Waidwerk. Das ist ein gar erschreckliches Wildbret. An den haben sich schon Ritter und Helden gemacht, und haben nichts ausgerichtet. Nein, folgt meinem Rathe, und bleibt hübsch hier, und wohnt den Trauerfesten mit bei. Es wird einen gewaltigen Zug heut geben nach dem Drachenstein. Der König, hab' ich gehört, will selbst [38] mitziehen. Und sie müssen gerade vor meinem Hause vorbei; da könnt Ihr's am besten sehen.«

Aber Brunnenhold antwortete dem geschwätzigen Wirthe nicht, und ging hinaus, und nahm vor dem Hofthore seine Thiere mit sich und ging nach dem Drachensteine.

Und als er nun am Drachensteine war, ließ er seine Thiere los von ihren Ketten, und stellte sich hin mit ihnen in's nahe Gebüsch. Da war es Mittag. Und es kam ein großer Trauerzug aus der Stadt. Voraus ging der König mit Thränen, und seine Tochter, die eingehüllt war in einen langen schwarzen Schleier, so daß man kaum ihre Gestalt erkennen mochte, ward hinter ihm getragen in einer schwarzen Sänfte. Nach ihr gingen die Großen des Reiches; dann folgten über hundert junge Mädchen, die trugen jede einen Todtenkranz von Rosmarin und weißen Rosen, und eben so viel junge Knaben mit Cypressenzweigen. Und hinter ihnen kam noch ein unabsehbar langer Zug von Bürgern aus der Stadt und von den Einwohnern des Landes.

Als der Zug aber nun ankam auf dem Drachensteine, hoben sie die Königstochter aus ihrer Sänfte, und ihr Vater fiel ihr nochmals um den Hals, und nahm weinend von ihr den letzten Abschied. Dann wurden ihr die Augen verbunden und der Schleier abgenommen, und die acht Männer, die sie getragen hatten in der Sänfte, führten sie nun die Stufen [39] hinan auf den Drachenstein. Die Knaben pflanzten aber rings um den Drachenstein ihre Cypressenzweige, und die Mädchen schwangen ihre Todtenkränze, und warfen sie im Kreise umher um die jammernde Jungfrau.

Als das aber geschehen, eilten sie alle, schnell wieder herab zu kommen. Und der Zug eilte zur Stadt zurück, und Keiner von Allen sah mehr um nach der zitternden Königstochter. Nur ihr Vater wendete sich oft um, und Thränen flossen ihm über die Wangen. Aber seine Räthe führten ihn eilend weiter, und ließen ihm nicht Zeit, lange hin zu sehen.

Und bald war der Zug wieder in der Stadt, und es ward still um den Drachenstein. Nur die zarte Königstochter stand oben und bebte, und wimmerte hinaus in die stille Oede, die den Drachenberg umwohnete. Da kam Brunnenhold hervor, und stieg den Drachenstein stille hinan mit seinen Thieren, mit dem Löwen, dem Bären und dem Wolfe, die jetzt kaum ein Jahr alt waren, aber doch größer und stärker, als die ältesten und größten ihrer Art.

Und als er oben war, blieb er stehen vor der Jungfrau und staunte sie an. Denn er hatte noch keine gesehen von größerer Anmuth und Schönheit. Dann faßte er sie bei ihrer Hand. Da schrie sie laut, denn sie glaubte, der Drache [40] wär's, der sich ihr nahe. Er aber sprach: »Fürchtet Euch nicht, hochedle Jungfrau, denn sehet, ich bin kommen, Euch zu erretten von dem Drachen.« Und damit knüpfte er ihr das Tuch ab von den Augen, und sprach ihr Trost ein, und führte sie herab von dem Drachensteine.

Als er aber wieder hinaufsteigen wollte auf den Drachenstein, und die Königstochter ihn ansah, und bedachte, wie er so schöne blonde Locken habe, und wie ein mildes Licht aus seinen blauen Augen leuchte, und wie er ein so edler Jüngling sein müsse, daß er also kühnes Wagniß unternehme, da wollte sie wieder an seiner Statt hinaufsteigen, und wollte nicht gestatten, daß er sich dem Drachen darstellte. Er aber beruhigte sie durch muthiges Zureden, und stieg hinauf, und zog sein Jagdmesser, und um ihn stand der Leu und der Bär und der Wolf. Und den Thieren leuchtete ein kampflustiges Feuer in den Augen, daß man glauben mochte, sie wüßten schon, was ihrer jetzt warte.

Da verfinsterte sich der Tag, und der Drache erschien ferne am Abendhimmel, und verfinsterte die Sonne, wie eine Wolke. Und er kam immer näher und immer näher, und stand jetzt auf dem Steine, und riß den Rachen seines mittelsten Kopfes weit auf gegen Brunnenhold, ihn zu verschlingen. Aber Brunnenhold faßte einen gewaltigen Zug [41] mit seinem Jagdmesser, und schlug ihm das Haupt ab gerade am Halsringe. Und der Löwe hängte sich mit seinen gewaltigen Vordertatzen an den Halsstumpf, und sog das hervorquellende Blut ein, also daß keine neuen Köpfe hervor wachsen konnten. Da sperrte aber der Drache den zweiten Rachen auf nach ihm, und spie Feuer gegen ihn. Aber ehe die Flamme ihn noch erreichte, hieb ihm Brunnenhold auch den zweiten Kopf von dem Halse, und so auch den dritten, und den vierten, und fünften, und sechsten, und den siebenten Kopf. Und seine Thiere sogen das hervorquellende Blut ein, und wurden so stark davon, daß sie den ungeheuern Drachenleib herunter schleppten vom Drachensteine, und in tausend Stücke zerrissen.

Aber die schöne Königstochter stand mit abgewandtem Gesichte, denn sie litt große Angst, der heldenmüthige Jüngling möchte unterliegen dem ungeheuern Drachen. Als er ihr aber jetzt zurief, und herabstieg vom Drachensteine und vor sie trat, sie hinzuführen, und ihr den erlegten Drachen zu zeigen, an dem seine Thiere noch rissen und zerrten, da liefen ihr die Thränen der Freude über die Wangen, und fiel ihrem Retter um den Hals, und dankte ihm mit stummer Rührung, und ein himmlisches Lächeln ergoß sich darauf über ihr Angesicht, und nannte ihn ihren Bräutigam, darum daß ihr Vater versprochen und geschworen habe, sie [42] demjenigen zur Gemahlin zu geben, und ihm dereinst das Reich zu hinterlassen, der sie von dem Drachen errette.

Dessen freuete sich Brunnenhold von Herzen, und nannte sie seine schöne fromme Braut, und sprach zu ihr: »Gehet jetzt hinunter, edle Jungfrau, in die Stadt, und stellet Euch Eurem Vater dar, und sagt ihm, wer Euch errettet, und daß ich heute über Jahr und Tag erscheinen würde, das Fest der Trauung mit Euch zu feiern. Ich möchte wohl gerne gleich mit Euch ziehen, doch weiß ich, daß mich Euer Vater nicht mehr von hinnen ließe. Nun hab' ich aber auch noch eine Mutter, die ich vorher noch aufsuchen möchte, daß sie auch mir ihren Segen gebe. Denn man sagt ja auf der Ehe ruhe doppeltes Glück, die man anfange mit Vater- und Muttersegen. Jahr und Tag will ich sie suchen in der Welt umher. Finde ich sie früher auf meinen Wegen, so komm ich auch früher zurück. Find' ich sie aber nicht in Jahresfrist, so will ich's ansehen als eine Fügung des Himmels, und will ohne ihren Segen zurückkehren.«

Damit sie ihn aber sicher erkenne, wenn er wieder käme, schlug er die äußerste Spitze seines Jagdmessers ab, und gab sie der Jungfrau. Und sie machte sich auf zur Stadt zurück zu gehen. Brunnenhold aber blieb auf dem Drachensteine zurück, und nahm die Zähne aus den Drachenköpfen [43] heraus, und steckte sie zu sich. Dann ging er jenseits den Drachenstein hinab, und irrte herum ein ganzes Jahr, und suchte seine Mutter da und dort, und fand sie nirgend.

4.

Als die Königstochter aber hinabging von dem Drachenberge nach der Stadt, noch voll Freude über ihre Erlösung vom Tode durch den schönen, fremden Jüngling und dabei voll Trauer, daß er nicht gleich mit ihr hatte gehen können, mußte sie eine Strecke durch den Wald, vorbei an der Wohnung eines Kohlenbrenners. Und als sie vorbei ging an den Meilern des Köhlers, stürzte er hervor mit einer Keule, die er hoch in der Luft schwang und drohte sie zu erschlagen, wenn sie nicht gleich ihm zuschwören würde mit dem heiligsten Eide, ihrem Vater, dem König, und Allen zu sagen, daß er, der Köhler, ihr Erretter vom Drachen sei. Und die Königstochter fiel weinend vor ihm auf die Kniee, und bat ihn, sie doch zu verschonen, und versprach ihm zuzuschwören, ihm Geld und Haus und Feld zu verschaffen, so viel er verlangte. Er bestand aber auf seiner Forderung, und drohete, sogleich den Schlag zu thun mit seiner schweren Keule, wenn sie nicht augenblicklich den Schwur ablege.

[44] Da schwur sie ihm zu mit einem heiligen Eide zu sagen, daß er ihr Erretter sei, und seine Gemahlin zu werden. Und als sie den Schwur abgelegt, ließ der Köhler sie ihre Straße ziehen. Er ging aber sogleich hinauf auf den Drachenstein, und schlug den Drachenköpfen die Schädel ein, und nahm sie also in einem Sacke mit sich in seine Wohnung, damit er doch ein Zeichen habe, womit er bewiese, daß er den Drachen erlegt.

Er war aber kaum bei seinen Meiler angekommen, so erschien schon ein prächtiger Wagen, der geschickt war, ihn abzuholen zum Könige. Und er setzte sich darein mit seiner rußigen Kleidung, und nahm die Drachenköpfe mit sich und die Keule.

Aber der König empfing ihn mit großen Ehren, und ließ ihm sogleich ein reiches Kleid anlegen und ihn waschen, und von seinem rußigen Gesichte reinigen. Und die Drachenköpfe ließ er ausbeinen, und stellte die Schädel in seine Schatzkammer, darum daß ihm sein kostbarster Schatz, sein liebes Töchterlein war erhalten worden durch den Tod des Drachen. Und dazu ließ er aufbewahren die Keule des Kohlenbrenners, denn er glaubte der Drache sei damit erschlagen worden. –

Als aber nun etliche Tage um waren, da machte der [45] König Anstalten zur Vermählung seiner Tochter mit dem Kohlenbrenner. Da fiel ihm aber die edle Jungfrau vor die Füße, und bat ihn um Aufschub auf drei Jahre. Da sprach aber der König: »Sieh, mein liebes Kind, ich wollte dir wohl dein Begehren erfüllen. Allein was geschehn muß, thut man leichter gleich frisch. Und du mußt nun einmal die Gemahlin des Kohlenbrenners werden, denn er ist dein Retter, und dem hab ich dich mit meinem königlichen Worte zugesagt, und hab einen heiligen Eid darauf geschworen, den ich nicht brechen darf, wenn es auch dein Retter selbst zufrieden wäre.«

Da zerfloß sie aber in Thränen, und bat nur um ein Jahr wenigstens Aufschub. Und der König ließ den Köhler rufen, und stellte ihm die Sache vor, und fragte ihn, ob er noch mit dem Vermählungsfeste warten wollte ein Jahr. Und der Kohlenbrenner gab noch Raum, bis es Jahr und Tag sei nach der Erlegung des Drachen. Darob erfreute sich die Jungfrau und hoffte mit Zuversicht früher auf die Rückkunft ihres freundlichen Erretters mit den sanften blauen Augen und mit den schönen blonden Locken. Aber es verging ein Tag um den andern, und es verging eine Woche um die andere, und es verging ein Monat um den andern, und es war der Morgen angebrochen des Tages da die Königstochter sollte vermählt werden mit dem Kohlenbrenner, [46] und sie hatte den sehnlich Erharrten noch nicht wieder gesehen.

Aber vor ihren Vater hatte sie sich nieder geworfen, als er wieder Anstalten machen ließ zum Feste, und hatte mit Thränen zu ihm gefleht um längern Aufschub. Aber sie wollte ihren Eid nicht brechen, und gestehn, warum sie darum bäte, und so hatte sie ihr Vater zornig von ihm gewiesen, und sie eine Thörin geheißen, weil sie nicht wüßte, warum sie es wollte. Und er ließ fortfahren in seinen Zurüstungen, und hieß sie ihm selbst ein Leibgericht bereiten in der Küche, wie sie wohl sonst an Festtagen gepflegt.

Da kam Brunnenhold aber zurück in die Stadt, und hörte überall Musik ertönen, und sah allenthalben rothe Freudenfahnen wehen, und sah alle Häuser geschmückt mit Blumenkränzen, und alle Leute in ihren Feierkleidern. Und er trat wieder bei seinem alten gesprächigen Wirthe ein, und ließ sich einen frischen Trunk geben. Da erkannte ihn der Wirth, denn er sah seine Thiere um ihn her auf dem Boden liegen, und rief ihm lachend zu: »Ei, ei! ich meine, ich hätte die Ehre schon einmal gehabt von dem Herrn. Ja, ja, nicht wahr, es war gerade vor Jahr und Tag. Ihr wolltet mir damals glauben machen, Ihr ginget gerade nach dem Drachenstein hinauf. Ich hab' Euch damals ernstlich abgerathen, denn ich glaubte, es sei Euch Ernst. Ei,[47] nun, ein Wirth muß sich schon in die Laune seiner Gäste zu finden wissen.«

Da ward Brunnenhold aufmerksam, und fragte ihn: »Ei, lebt der Drache denn noch?«

»Bewahre! bewahre nein! der ist todt. Es gibt gottlob! jetzt keinen Trauerzug mehr da hinauf!« antwortete der Wirth. Und als Brunnenhold weiter fragte, wie das komme, sagte er: »Seht, es haben's zwar schon Etliche versucht gehabt, den Drachen zu erlegen, aber noch Keiner war so klug, ihm seine Köpfe am Hals zu lassen, und ihm auf eine Art das Leben zu nehmen. Da kam der Kohlenbrenner auf den Gedanken, und schlug ihm an jedem Kopfe den Hirnkasten ein mit einer Keule, so konnte kein einziger Kopf mehr nachwachsen, geschweige zwei.«

Da lachte Brunnenhold, und sagte zum Wirth: »Ihr seid doch ein lustiger Kammerad. Warum stellt Ihr Euch denn so gar unwissend?«

Aber der Wirth sah ihn befremdet an, und wußte nicht, was er sagen sollte, und erstaunte noch mehr, als er merkte, daß Brunnenhold den Drachen erlegt haben wollte, und wußte nicht, ob er's glauben sollte, oder nicht. Und als Brunnenhold merkte, daß er zweifelte, sagte er ihm: »Seht, ich schicke meinen Löwen hinauf in des Königs Schloß, und der muß den Halsschmuck der Königstochter herunter bringen, [48] zum Beweise, daß sie mich noch kennt, und sich noch meiner erinnert, wenn sie den Löwen erblickt.«

Das wollte aber der Wirth nicht glauben, und wettete hundert Goldstücke gegen eines, daß dies nicht geschehen könne. Denn er meinte, die Wachen um's Schloß würden den Löwen gar nicht hineinkommen lassen zur Prinzessin. Aber Brunnenhold wettete mit ihm; denn er wußte, daß seine Thiere Klugheit besaßen, mehr als mancher Mensch, und gab dem Löwen sein Jagdmesser in das Maul, und sagte zu ihm: »Geh hin ins königliche Schloß, und bring mir den Halsschmuck der Prinzessin.« Da ging der Löwe hinaus, und der Wirth sah ihm nach, und erstaunte, als er sah, daß er den rechten Weg eingeschlagen zum Schloß.

Aber der Löwe ging schnell durch die Straßen den Weg zum Schlosse des Königs, und wo er ging wichen ihm die Leute aus, und es lief ein Schrecken durch die Stadt, ein ungebundener Löwe laufe umher. Als er aber an die Thorwache des Schlosses kam, ging er mitten durch, und die Soldaten getrauten sich nicht, ihm zu widerstehen, und flüchteten sich ins Wachthaus, denn der Löwe war um Vieles größer als ein gewöhnlicher Löwe. Und er ging so durch alle Wachen, die Treppe hinauf, die Gänge hindurch, die Thüren vorbei, ungehindert. Und als er kam an die Küche, wo die Bratenwender gingen, die Mörser klangen, die Flammen [49] knisterten, und Köche und Küchenmägde und Küchenjungen hin und her liefen, und in den Töpfen rührten, und da Salz und dort Gewürze einstreuten, und da Kohlen zuschütteten, dort Holz zulegten, da trat er hinein. Und die Küchenjungen, die ihn sahen, sprangen in die Speisekammer und verschlossen sich dort, und der Koch mit seinen Gehülfen sprang auf den Heerd und stieg von da auf den Schornstein.

Aber Helgrita, des Königs Tochter, stand da, und bereitete ihrem Vater ein Leibgericht. Als sie aber die Küchenjungen so laufen sah, blickte sie auf, und sah auch den Löwen hereintreten in die Küche. Und sogleich fiel ihr ein, ob es nicht Brunnenholds, ihres Erretters, Löwe sein möchte. Da trat sie näher hin, und sah das Jagdmesser und erkannte es. Denn Brunnenhold hatte die äußerste Spitze abgeschlagen, und hatte sie ihr gegeben, daß sie ihn daran erkennen sollte. Und Freudenthränen traten ihr in die Augen, denn sie hoffte jetzt, daß auch Brunnenhold in der Nähe sein müßte. Und in ihrer Freude umschlang sie den Hals des Löwen mit ihren Händen. Aber der Löwe blickte sie immer still an, und kehrte seine Augen nach ihrem Halsschmucke, und wenn er darauf sah, so glänzten ihm seine Augen freudiger. Das bemerkte Jungfrau Helgrita, und sprach zu ihm, indem sie ihm liebkosete: »Gelt, mein Halsschmuck gefällt dir, du liebes Thier?« Da nickte der Löwe [50] mit dem Kopfe. Aber der Küchenmeister guckte aus dem Schornstein herab, und verwunderte sich, daß der Löwe so zahm war, und sprach: »Ja, ja, das Halsband mag ihm gefallen, aber ich möcht's doch nicht anhaben; mir wäre bang um meinen Hals dabei. Hochedle Jungfrau, traut dem Thiere nicht, und speis't ihn mit dem besten Braten ab, wenn Ihr könnt, sonst gehts doch noch an Euch selbst.«

Jungfrau Helgrita hatte aber nicht bang, und wollte ihm nur ein gutes Futter geben, und bot ihm eine große Kalbskeule dar; aber der Löwe schüttelte mit dem Kopfe und blickte wieder mit hellglänzenden Augen auf den Halsschmuck der Prinzessin. Da zog Jungfrau Helgrita das kostbare Halsband ab, und ließ die edeln Steine spielen in dem Glanze des Heerdfeuers, daß es der Löwe sehen sollte. Der Löwe stellte sich aber mit seinen Vorderfüßen neben der Prinzessin auf die Heerdplatte und bot ihr seinen Hals dar. Und Jungfrau Helgrita sprach lächelnd: »Was ist? soll ich dir mein Halsband umhängen, närrisches Thier?« Da nickte der Löwe mit dem Kopfe, und Helgrita knüpfte ihm spielend das Band um. Aber kaum hatte er es am Halse, so lief er schnellen Schrittes zur Küche hinaus durch den Schloßhof, nach der Straße zu, woher er gekommen war.

Als aber der Löwe weg war, kamen die Küchenjungen wieder aus den Speisekammern, denn sie hatten's durch die [51] Ritzen gesehen, als er fortging. Und die Köche und der Küchenmeister stiegen wieder aus dem Schornstein herab, und wischten sich den Ruß von den Kleidern und den Rauch aus den Augen, und waren alle erstaunt über den Vorfall. Aber Helgrita lächelte sanft, und war gutes Muthes, denn sie hatte jetzt neue Hoffnung, daß ihr wahrer Erretter sich ihrem Vater darstellen würde.

Aber Brunnenhold hatte indessen bei seinem frischen Trunke gesessen, und der Wirth hatte hinaus gesehn nach der Straße, wo der Löwe herkommen mußte. Als er ihn aber von ferne kommen sah, und die blitzenden Steine sogleich an seinem Halse erkannte, da setzte er sich auf den nächsten Stuhl, sich von seinem Schrecken zu erholen, und schrie: »Ach, meine hundert Goldstücke! meine hundert Goldstücke!«

Aber Brunnenhold freuete sich, als ihm der Löwe das Halsband brachte, denn er erkannte daraus, daß Helgrita noch seiner gedenke. Und als der Wirth sogleich seufzend ging, und mit Thränen wieder kam, und im die hundert Goldstücke darzählte, sagte er lachend: »Nun, wie siehts? wollt Ihr noch einmal mit mir wetten, Herr Wirth?«

»Nein, nein« antworte der Wirth, »Ich hab' genug an dem einen Male!« und betrachtete sein Geld noch einmal, und seufzte: »Das schöne Gold!«

[52] Aber Brunnenhold that nicht, als ob er's merkte, und sprach: »Sonst hätte ich den Löwen noch einmal hinaufgeschickt, und er hätte die Prinzessin selbst herunter bringen müssen.«

»Und das hätte er hübsch bleiben lassen,« sagte der Wirth. »Nein, nein, so klug Eure Bestie auch sein mag, darauf hätte ich Lust mit Euch zu wetten, was Ihr wollt. Darauf wette ich mein Haus und Hof, und mein ganzes Vermögen gegen die hundert Goldstücke; das läßt Euer Löwe hübsch bleiben. Denn das ist einmal so herkömmlich bei uns! eine Prinzessin darf nicht allein, ohne Begleitung, sich aus dem Schlosse entfernen.«

»Wollt Ihr wetten, so schlagt ein!« sagte Brunnenhold, und hielt ihm die Hand dar, und der Wirth schlug ein, und sprach: »Ja, mein Haus und Hof und Alles, was ich vermag, setz' ich daran. Nackend sollt Ihr mich aus meinem eignen Hause hinaus jagen, wenn Eure Bestie die Königstochter hierher bringt.«

Da knöpfte Brunnenhold dem Löwen das Halsband ab, und gab's ihm an einem Ende ins Maul, und sprach: »Geh hin, und bringe die Königstochter mit dir hierher!«

Und der Löwe rannte wieder hinauf, durch alle Wachen hindurch, an allen Thüren vorbei, bis in die Küche.

[53] Da liefen wohl einige Küchenjungen von dannen, aber doch nicht alle, denn sie hatten ja gesehn, wie zahm der Löwe war. Und als der Löwe zu Helgrita kam, legte er ihr das Halsband in die Hand, und faßte ganz sacht ihre Schürze, die sie vorgebunden hatte, und führte sie davon, erst an die Küchenthüre; dann bot er ihr den Rücken dar, und blickte sie an, daß sie wohl verstand, sie sollte sich darauf setzen. Aber sie hatte es kaum gethan, so lief er so schnell er konnte, von dannen. Und wie sehr sie auch schrie, man sollte ihn anhalten, so getraute es sich doch Niemand. Denn Alle fürchteten die Größe und Stärke des Thieres. Und als es die letzte Wache vom Schloßthore wagte, sich ihm entgegen zu stellen, so riß sie der Löwe am Kleide um im Vorüberrennen, und rannte ferner unaufgehalten bis an das Haus, da Brunnenhold innen war. Aber wer den Löwen springen sah, und die schöne Jungfrau auf seinem Rücken erkannte, erstaunte darüber. Und die Kinder, so auf den Straßen spielten, liefen mit Geschrei hinterdrein und Gelächter, denn sie erfreute die schöne Löwenritterin.

Brunnenhold lief ihr aber sogleich entgegen, und hob sie herab, und sie sank ihm in die Arme, und vergoß Zähren der Freude, daß ihr Erretter noch gekommen war zu rechter Zeit, und erzählte ihm die Bosheit des Köhlers. Da begehrte Brunnenhold von ihr, daß sie ihm heute noch [54] vor der Trauung Audienz verschaffe vor ihrem Vater, dem Könige, und seinem ganzen versammelten Rathe, damit er den Betrug des Kohlenbrenners entdecke.

Darauf geleitete sie Brunnenhold bis zu dem Eingang des Schloßhofes, und ging wieder zurück, um bei seinem Wirthe zu harren, bis daß ihm Botschaft käme, daß ihm der König Gehör verstatte vor seinen versammelten Räthen. Und als er zurück kam, lag der erschrockene Wirth noch bewegungslos auf einem Stuhle, denn er fürchtete, Brunnenhold möchte jetzt sein ganzes Vermögen von ihm begehren, wie er ihm in der Wette versprochen, die er verloren.

Doch Brunnenhold tröstete ihn, und sprach: »Seid nur gutes Muthes, ich bedarf nicht Eures Goldes, und mit der Wette war es nur Scherz. Und auch die hundert Goldstücke nehmt nur wieder, und verwahrt sie in Eure Kisten, und hütet sie fleißig. Ich will Euch nicht nehmen, was Euch so sehr am Herzen liegt.« Da ward er wieder fröhlich und guter Dinge, und dankte ihm mit hundert demüthigen Bücklingen, und nannte ihn einmal ums andere einen edlen jungen Herrn, und wünschte ihm tausend Glück und Segen.

Da aber Jungfrau Helgrita in ihres Vaters Schloß kam, trat sie alsbald vor ihren Vater, und bat ihn fußfällig, er möge ihr doch noch eine Gnade erweisen vor ihrer Trauung. Der König ward aber fast unwillig, und wollte [55] sie von sich weisen. Denn er glaubte sie verlange noch einmal Aufschub der Trauung. Da zerraufte sie ihre Haare und jammerte also, daß der König sich ihrer erbarmte, und fragte: »Was verlangst du?« Und sie brachte ihr Anliegen vor, und begehrte von ihm, er möge doch einem Fremdling, der in der Stadt angekommen sei, noch am Morgen Audienz gewähren, vor seinem versammelten Rathe.

»Was kann das sein?« fragte der König, »daß du dich also eifrig für einen Fremdling verwendest.« Sie aber antwortete: »Er wird's schon sagen, mein geliebter Vater. Ich darf's nicht sagen, was mich schon Jahr und Tag drückt; denn mir bindet die Zunge ein schwerer Eid.«

Da ward der König neugierig, was das sein möchte, und versprach ihr zu willfahren, und befahl seinem Rathe, sich schnell zu versammeln. Und Helgrita schickte hinab, und ließ Brunnenhold rufen.

Und der König saß auf seinem Throne, und hielt seinen Königsstab in der Rechten, und zu seiner Rechten und Linken standen seine Räthe und die Großen seines Reiches. Da trat Brunnenhold herein mit seinen drei Thieren, die er hinter sich führte mit silbernen Ketten. Da fragte der König ernst: »Was ist dein Begehren, Fremdling? und wer bist du?«

[56] Und Brunnenhold ließ sich nieder auf ein Knie, und verehrte den König nach Landessitte. Darauf stand er auf, und sprach mit Bescheidenheit: »Verzeiht, großer König, daß ich Euch heute bemühe um eine Sache, die Euch eine Kleinigkeit bedünken mag. Ich bin ein junger Waidmann, wie Ihr an meiner Tracht wohl ersehen möget. Nun hörte ich in der Ferne von der That, die Euer künftiger Eidam verrichtet haben soll, und bin hier, Euch zu bitten, ihn dahin zu vermögen, daß er mir vor Euch und Euern Räthen auf einige Fragen freundlich Bescheid geben möge, in Betreff des greulichen Thieres, das er vor Jahr und Tag erleget. Schlaget mir meine Bitte nicht ab, und wundert Euch nicht, bevor Ihr mich ganz gehöret habt.«

Dem Könige gefiel aber der edle Anstand des jungen Waidmanns, und willfahrte ihm und ließ den Kohlenbrenner, seinen künftigen Eidam, zu sich entbieten. Und derselbige trat murrend herein. Aber der König gebot ihm, um seinetwillen möge er dem Fremdling Bescheid geben auf seine Fragen.

Da neigte sich Brunnenhold gegen ihn, und sprach: »Verzeihet meiner Wißbegier. Ich bin ein junger Waidmann, und möchte gern Kenntniß haben von allem Thierreich, was da kreucht und fleugt auf und über dem Erdboden. Darum seid so gut, und sagt mir doch, wie der Drache [57] gestaltet war, den Ihr erlegtet, und gebt mir Kunde von seiner Natur und seinem Wesen.«

Da schaute der Kohlenbrenner unwillig verlegen vor sich nieder, und ihm ahnte gleich nicht viel Gutes. Denn er hatte den Drachen gar nicht gesehen, sondern nur noch einzelne Stücke von seinem Leichnam gefunden. Der König redete ihm aber gutmeinend zu, und begehrte auch für sich eine Beschreibung des Drachen von seiner Gestalt und Natur. Und der Kohlenbrenner machte nun eine kurze Beschreibung davon, wie sie jeder zu machen vermag, der auch nie einen Drachen gesehen. Er konnte aber dabei seine Verlegenheit und seine Erröthung kaum bergen.

»Nun erlaubt mir die zweite Frage,« sprach Brunnenhold, »und sagt mir, wo Ihr das Gebein des Drachen begraben habt? Der König, in dessen Lande ich diene, wünscht so sehr eine Rippe des Drachen zu besitzen. Vielleicht würde mir vergönnet, eine der Rippen wieder auszugraben, und sie meinem König zu bringen.«

Darauf konnte der Köhler abermal nicht schnelle Antwort geben. Endlich sprach er ganz stotternd, er habe den Leichnam des Drachen am Drachensteine liegen lassen, und wüßte nun nicht wo er weiter hingekommen wäre.

Hierauf wandte sich Brunnenhold zum drittenmal an ihn, und sprach: »Erlaubt mir nur noch eine Frage: haben [58] die Drachen auch Zähne.« Da sagte der Kohlenbrenner ganz ungeduldig: »Ich weiß nicht, ob sie Zähne haben oder nicht. Ich habe den Drachen todt geschlagen, aber mich nicht viel um seine Natur und Wesen bekümmert. Dergleichen Kleinigkeiten überlaß ich Euresgleichen, die fertiger mit dem Maule sind, als ich, und über die Dinge plappern mögen, die andere thun. Ihr fragt mich ja, wie man die Schulkinder nach ihrer Lection fragt. Geht in die Schatzkammer, und seht die Köpfe selbst. Dort stehn sie mit oder ohne Zähne, wie ich sie hergebracht habe.«

Brunnenhold lachte aber, und sprach ganz ruhig: »Ihr müßt nicht ungeduldig werden, daß ich Euch so nach Allem Frage!« und wandte sich nun zu dem König und seinen Räthen und sprach: »Dürfte ich nun auch eine Frage an Euch wagen?« Und der König antwortete ihm: »Du bist ein sonderbarer Mensch; aber du gefällst mir, frage nur!«

Da sprach Brunnenhold: »So Einer eine Nuß fände, würde er die Schale behalten, und den Kern wegwerfen? Würde er den Kern behalten und die Schale wegwerfen?« »Ei,« sprach der König lachend, »er wird doch kein Thor sein, und den Kern wegwerfen, den er erst noch mit mühe herausklauben müßte. Lieber behielt er die ganze [59] Nuß. So ihm aber diese zu schwer oder zu groß wäre, würde er doch lieber den Kern behalten, als die Schale!«

»So aber einer,« sprach Brunnenhold ferner, »den Kern der Nuß besäße, und ein Andrer die Schale, welcher müßte die ganze Nuß wohl eher besessen haben? Der mit dem Kern, oder der mit der Schale?«

»Ei, der den Kern hat, doch gewiß, oder es müßte denn Einer grade ein Thor gewesen sein, daß er den Kern weggeworfen,« sagte da der König mit lachendem Munde.

»So mein' ich's auch, mein großer und weiser König!« sprach Brunnenhold. »Nun erweiset mir noch eine Gnade, und wollet mir die Drachenköpfe hierher bringen lassen.« Und der König ließ sie herbei bringen. Aber Brunnenhold setzte zur Verwundrung Aller, die gegenwärtig waren, und zum Schrecken des Kohlenbrenners, jedem der Drachenköpfe die Zähne ein, die er ihnen ausgenommen, und mit sich gebracht hatte. Und als sie alle eingesetzt waren, und einpaßten, wie eingegossen, fragte er: »Wer hat die Köpfe wohl eher gehabt? ich oder der Betrüger dort, den Ihr zu Euerm Eidam machen wollet? – Sehet, die Köpfe sind die Schalen, die mir zu schwer waren und zu groß, mit mir zu tragen, und die Zähne sind die Kerne.«

Darauf wandte er sich zu dem Kohlenbrenner, und sagte: »Gestehe nun selbst, was du gethan!« Und der König [60] wandte sich zu ihm, und sprach: »Gestehe, denn du bist des Betruges überwiesen. Nur so du aufrichtig gestehest, kann dir dein Leben geschenkt werden, das du durch deinen Betrug verwirkt hast.«

Da warf sich der Kohlenbrenner vor dem Könige nieder, und bat ihn im Staube, daß er ihn so hart nicht strafen möge in seinem Zorn, und gestand Alles, wie er die fromme Königstochter Helgrita zu einem Eide gezwungen habe, daß sie ihn für ihren Retter erkenne, wie er die Köpfe des Drachen oben auf dem Drachensteine gefunden.

Aber der König ergrimmte über ihn, und ließ ihn werfen in ein Gefängniß, und befahl, daß er darin bleiben solle die ganze Zeit seines Lebens. Und Brunnenhold schloß er fröhlich in seine Arme, und ließ zu sich rufen seine Tochter Helgrita, und verordnete, daß heute sein sollte der Tag ihrer Vermählung. Da wurde Brunnenhold gesetzt auf einen Thron von Sammt mit Gold durchwirkt, und Helgrita neben ihm, und wurden getragen von acht weißen Rossen mit schwarzen Hufen durch die ganze Stadt. Und vor ihnen her ritten zwölf Herolde in scharlachrothen Kleidern mit goldener Stickerei und hohen Schwungfedern auf ihren sammtenen Baretten, und riefen aus, daß Brunnenhold des Königs Eidam heute würde, und daß allem Volk ein Fest gegeben werde, das sich zusammen fände in dem Hofe [61] des Schlosses, darum, weil der König entdeckt habe, daß Brunnenhold Helgrita's Retter sei, und nicht der Kohlenbrenner. Hinter ihnen ließ sich der alte König tragen in einer Sänfte von Ebenholz und Elfenbein mit Gold verziert, und grüßte alles Volk freundlich, und war milder, als er je gepflegt, und warf der goldenen und silbernen Schaumünzen ganze Hände voll unter das Volk aus.

Als sie aber im Schlosse wieder angelangt waren, da war auch schon der Tempel geschmückt mit Blumen und Kränzen, und warteten hundert Mädchen, in Weiß gekleidet, und hundert Knaben, in Rosenfarbe gekleidet, die empfingen die Braut und den Bräutigam, und führten sie in den Tempel zu dem Altare, wo der Priester den Trausegen über sie sprach. Und die Mädchen streueten ihnen im Zuge Rosen auf den Weg, und die Knaben streueten Myrthenzweige darunter. Als aber der Trausegen gesprochen war, ging der Zug wieder zurück in den prachtvollen Speisesaal, dessen lasurblaue Decke getragen ward, abwechselnd, von vierundzwanzig weißen und vierundzwanzig schwarzen Marmorsäulen mit goldenem Laubwerk umrankt. Und alle Thore des Schlosses und des Saales waren geöffnet, daß man hinaus sähe auf den Platz des Schlosses, und sehe, wie das Volk sich vergnügte, dem Wein und Speise gereicht wurde in Ueberfluß. Aber durch das hinterste Thor, das in [62] den schattigen Garten des Schlosses führte, klang eine liebliche Hörnermusik herein, und vermehrte die Freuden des Mahles. Und sie saßen und schmauseten bis spät in die Nacht, und der Becher der Freude machte oft die Runde an der festlich erleuchteten Tafel. Und der alte König trank oft auf das Wohlsein des Brautpaars aus seinem goldenen Becher, denn ihm gefiel sein neuer Eidam über die Maßen, und rühmte sich oft als den glücklichsten Menschen unter dem weiten Himmel.

5.

Aber die Freude des alten Königs währte nicht lange. Denn Brunnenhold half ihm zwar in seinen Regierungsgeschäften, wo er konnte, und zeigte sich so mild gegen die Unterthanen, daß alles Volk ihn lieb gewann. Aber als ein guter Waidmann trieb er auch gern bisweilen das Waidwerk, und jagte mit seinen treuen Thieren in den herrlichen Forsten des Reiches, und kehrte oft erst des andern Tages zurück zu seiner Gemahlin. So geschah es auch eines Tages, daß er Abschied nahm von ihr, und versprach, noch desselbigen Tages wieder zu kommen. Er jagte aber lange, und schickte seine Thiere aus nach allen Richtungen. Aber [63] wie oft er sie auch von sich schickte rechts und links, und dahin und dorthin, so kehrten sie doch diesmal immer wieder, und brachten nichts mit sich. Endlich geschahs, als er schon heimkehren wollte, und sich umschaute, wohin er seinen Weg nehmen müsse, daß er durchs Gebüsch eine Hirschkuh erblickte, die war weiß, wie der Schnee. Da verlangte ihn, diese Seltenheit zu erlegen, und schickte seinen Löwen nach ihr, und ging selbst nach ihr. Aber der Löwe konnte sie nicht erreichen, und er selbst mühete sich vergebens. Wenn er sie auch erreicht zu haben meinte, so war sie wieder auf einmal ferne von ihm, daß er sie kaum noch erblickte. Und wenn er sie oft ganz aus den Augen verloren hatte, und sich eben zur Heimkehr anschickte, so erschien sie ihm wieder ganz in der Nähe. Und so verlockte sie ihn weit ab, weit ab, bis er gar nicht mehr die Gegend kannte, da er war, und bis die Sonne sank und ihm hinter fernen unbekannten Bergen unterging.

Da sah er sie auf einmal mitten im Walde auf einem weiten Platze, drauf viele frische Kräuter wuchsen, und den ein klarer Quell durchfloß. Und er sah um sich, und bemerkte, daß es schon spät sei, denn der Mond stand schon hoch am Himmel, und er beschloß die Nacht auf dem schönen Platze hin zu bringen. Darum machte er sich ein Feuer an, und steckte zu beiden Seiten einen Ast in den Rasen, [64] der sich oben in zwei Aestlein theilte, und legte oben drüber einen Stock, als einen Bratspieß. Dann schickte er seinen Löwen aus, und der Löwe brachte ihm alsbald einen Hasen zurück, den er abstreifte und an seinen Bratspieß steckte. Dann setzte er sich zu ihm, und schürte das Feuer, und drehte den Braten, und pfiff ein Jagdliedlein nach Waidmanns Gebrauch auf einem Blatte; und um ihn lagen seine Thiere, sein Löwe, sein Bär und sein Wolf, und ruheten und schmeichelten bisweilen ihrem Herrn.

Aber er saß nicht lange, und sein Hase war noch nicht gebraten, und sein Liedlein war noch nicht ausgepfiffen, – da kam ein altes, eisgraues Mütterlein aus dem Walde, das ging ganz vorwärtsgebückt, und stützte sich auf einen Dornstock, und hauchte in die dürren Hände, und sagte immer laut für sich mit zitternder Stimme: Schuck, schuck, wie friert michs! »Schuck, schuck, wie friert michs!«

Sie ging aber nicht näher hinzu an das Feuer, sondern ging in weiten Kreisen um Brunnenhold und seine Thiere, die um das Feuer herlagen, und sagte mit immer lauterer Stimme: »Schuck, schuck, wie friert michs! Schuck, schuck, wie friert michs!« Da fing Brunnenhold an zu lachen, und rief ihr zu: »Ei, närrisches Mütterlein! warum gehst du nicht her an's Feuer, wenn dich friert? Da kannst du dich ja wärmen.«

[65] Aber das alte Mütterlein mit dem krummen Rücken und den dürren Händen wollte nicht hingehn zum Feuer, sondern sprach: »Nein, junger Herr, ich will lieber erfrieren in der kalten Nacht, als mich zwischen Euch und Eure Thiere setzen.«

Brunnenhold zeigte ihr aber, daß seine Thiere zahm wären, und sprach: »Setz dich nur her, sie thun dir nichts.«

»Ja,« sagte das Mütterlein, »ich wollt' es wohl wagen, aber zuvor müßt Ihr mir erlauben, daß ich Eure Thiere mit Einem Rüthlein schlage, sonst möcht' mich eins von ihnen beißen.«

Da ward Brunnenhold ungeduldig, und sagte: »Was! meine Thiere brauchen nicht geschlagen zu werden! sie thun dir nichts, setz' dich nur her.«

»Ach ja, Herr!« sprach das Mütterlein. »Laßt mich nur einen Streich jedwedem geben. Ich kann mich sonst nicht setzen; ich fürchte mich zu Tode. Laßt mich nur jedes mit der Ruthe sanft berühren.« Und indem sie das sprach, trat sie näher hinzu, und zog ein dünnes Rüthlein aus ihrem weiten Mantel, und sprach zu Brunnenhold: »Seht, das kann ja nicht weh thun. Ich will Eure Thiere auch nur damit berühren. Erbarmet Euch doch mein! Ich kann mich sonst nicht setzen, und erfriere dann in dieser kalten Nacht. Schuck, schuck, schuck, schuck! wie friert mich's!«

[66] Da erbarmte sich Brunnenhold ihrer, und dachte, er müsse ihrer Schwachheit nachsehen, weil sie sonst erfrieren möchte. Denn ihm dünkte selbst die Nacht sehr kühl, und sprach zu ihr: »Nun thöricht altes Weib! so rühr' sie an mit deiner Ruthe. Doch hüte dich, das sag' ich dir, – du darfst sie nur anrühren. Thust du einem weh, so jag' ich dich davon, und wenn du auch erfrieren mußt.«

»Ach nein!« antwortete die Alte ganz erfreut: »Du sollst es sehen, ich rühre sie nur an.« Und als sie das gesagt, ging sie um Brunnenhold und seine Thiere herum, und berührte die Thiere mit ihrem Rüthlein, und murmelte etliche Worte dabei. Aber als sie so jedes berührt hatte, berührte sie auch Brunnenhold. Da sank er mit seinen Thieren zusammen, und wurden alle, jedes ein glatter viereckschter Stein.

Da aber Brunnenhold am andern Abend nicht nach Hause kam, ward seine Gemahlin Helgrita sehr traurig. Und da er am dritten und vierten Abend noch nicht kam, so sandte sie Boten aus nach allen Forsten, in alle Gehege des Reiches, ihn zu suchen. Als aber die Boten nach zwei Tagen wieder kamen, und ihn nicht funden hatten, da sandte sie abermals Boten aus, im ganzen Lande umher. Aber sie kamen nach drei Monaten wieder, und hatten ihn alle nicht funden.

[67] Da beweinte sie ihren theuern Gemahl für todt, und legte Trauerkleider an, und trauerte um ihn in ihrem Herzen, und vergoß viele Thränen um ihn, und gab alle Hoffnung auf, ihn je wieder zu sehn. Denn sie glaubte seine Thiere möchten ihn selbst zerrissen haben oder er möchte in einem einsamen dichten Walde vom Felsen gestürzt sein, und hülflos seinen Geist aufgegeben haben.

Aber sie ließ fort und fort noch nach ihm suchen; denn sie hoffte, doch seine Gebeine noch zu finden, um ihnen ein ehrlich Begräbniß geben zu können.

Und der alte König trauerte mit ihr um seinen Eidam, als um einen gestorbenen Sohn.

6.

Brunnenstark war aber die Straße rechts gezogen, als er von seinem Bruder Brunnenhold sich schied am Kreuzwege. Und er war weit umhergezogen im Lande; und zog weiter, und weiter durch fremde Länder, und ward allem Volk wohlthätig, durch das er zog. Denn wo er hinkam, reinigte er das Land von Drachen und Lindwürmern, an die sich zuvor niemand getraut, daß der Hirte hinfort ruhig sein Vieh zur Weide führte, und der Landmann sorglos sein[68] Land bestellte. Aber nirgendwo hatte er Dank angenommen von den Königen und Fürsten, deren Reichen er wohlthätig war, und wiewohl ihm mancher König seine Tochter zur Gemahlin und sein Land zum Erbe geben wollte, so hatte er's doch nicht angenommen. Denn er sprach: »Ich werde Brunnenstark genannt, darum, daß ich stärker bin, als die übrigen Männer alle. So muß ich denn auch überall helfen allem Volke, wo die andern Menschen nicht zu helfen vermögen.«

Und so zog er umher fünf Jahre. Da lebten alle Völker fern und nah in guter Ruhe; denn alle Ungeheuer hatte er schon vertilgt allenthalben. Da dacht' er eines Tages bei sich selbst mit Verdruß daran, daß er nun nirgend mehr Arbeit fände, wohin er komme, und beschloß, jetzt doch einmal nachzusehen an jenem Scheidewege, da er von Brunnenhold gegangen war, ob die Messerlein noch in dem Stamme der Eiche steckten, und ob sein Bruder noch am Leben sei, und ob es ihm wohlgehe.

Und des andern Tages machte er sich auf von dannen, weit zurück, von wannen er gekommen war; und kam wieder an den Scheideweg, da er sich geschieden hatte von seinem Bruder. Als er aber von ferne kam, sah er schon hoch wehen den Wipfel der alten Eiche.

[69] Doch es überlief ihn kalt, als er sie betrachtete. Denn das Laub der einen Seite des Baumes war nicht mehr frischgrün, wie ehemals, sondern schien gelblich, als wollt' es ersterben. Und als er nun mit bangem Herzen hintrat, und seines Bruders Messerlein auszog aus dem Stamme, da traten ihm Thränen in die Augen, und kalt fiel's ihm auf's Herz, und warm lief's ihm wieder vom Herzen, denn das Messer war rostig über und über.

Da setzte er sich nieder in den Schatten der alten Eiche, und ihm war's trübe in seiner Seele, und war ihm leid, daß er nicht singen konnte, sonst hätt' er ein Lied gesungen, ein traurig Lied von dem Tode seines Bruders. Und er blieb da sitzen, bis es Abend ward und die Sonne unterging. Da seufzte er tief auf, und es fiel ihm eine Thräne aus jedem Auge, denn er gedachte bei sich: »So sanft und heiter, wie die Sonne, des Himmels Auge, eben so sanft und heiter waren auch die Augen meines geschiedenen Bruders, und sind jetzt geschlossen in Todesnacht.«

Und er blieb sitzen bis es Nacht war, und alles Leben entschlafen war, und starrte hinaus in die Dunkelheit des Nachthimmels, und dachte bei sich: »So still, wie die Nacht, ist's jetzt um Brunnenhold, und ist ewig still um ihn; und er hört nie mehr das muntre Leben sich um ihn regen.«

[70] Und er blieb sitzen bis am Morgen, bis die Sonne wieder herauf kam über die Berge. Da dachte er bei sich: »Der Himmel schließt sein fröhliches Auge wieder auf, aber Brunnenhold schlägt seine Augen nicht mehr auf am Morgen.«

Als aber seine Thiere erwacht waren, die er bei sich hatte, stellten sie sich auf und recketen sich aus. Und Brunnenstark stand auf mit ihnen unter der Eiche. Da kamen seine Thiere und schmiegten sich an ihn, mehr als sie sonst pflegten, und lenkten nach und nach in die Straße rechts von dem Scheideweg, und er folgete ihnen nach, denn er dachte nicht daran, was er that. Aber fortan zog er die Straße immer weiter und weiter, und immer weiter durch Feld und Flur, über Berg und Thal, und trieb das Jagdwesen heute hier, morgen dort. So kam er eines Tages in einen schönen Forst, und gewahrte durchs Gebüsch eine weiße Hirschin. Und er zog ihr nach mit seinen Thieren hierhin und dahin, und konnte sie nicht erlegen. Und verfolgte sie bis spät an dem Abend, bis die Sonne unterging, und die Sterne am Himmel hervortraten. Da gewahrte er sie zuletzt, daß sie zwischen zwei hohen Stämmen sich verlor. Und folgte ihr nach hinter die Stämme, und meinte sie da zu erlegen. Doch als er hineintrat zwischen die Stämme, – siehe! da lag vor ihm ein schöner grasiger Platz, rings vom Walde [71] umgeben. Aber die weiße Hirschin war schon verschwunden, ob er ihr gleich auf den Fersen gefolgt war. Da gab er's denn auch auf, sie zu erlegen, und beschloß, die Nacht hier zu bleiben unter freiem Himmel.

Darum sandte er jetzt seine Thiere aus, daß sie sich Futter suchten, und ihm auch etwas zum Abendmahl mitbrächten. Und als er jetzt hintrat, sich einen Ort auszusuchen, wo er ein Feuer anzünden könnte, sah er da liegen vier schöne, glatte, viereckichte Steine, und darzwischen sah er noch aufgestellt einen Waidmanns-Bratspieß, wie ihn der alte Waidmannn, sein Pflegvater und Lehrherr zu machen gepflegt, und daran hing noch ein ganzes Gerippe von einem Hasen, das war abgewaschen vom Regen und weiß gebleicht von dem Sonnenschein. Und er dachte daran, daß hier auch wohl ein Waidmann müßte gehauset haben. Aber der Ort gefiel ihm über die Maßen, und setzte sich auf einen der vier Steine, und zündete sich ein Feuer an. Und als seine Thiere wie der kamen, legte ihm der Löwe einen Hasen vor die Füße, dem streifte er den Balg ab, und machte ihn zurecht und steckte ihn an den Spieß, von dem er zuvor das weißgebleichte Gerippe abgeworfen.

So saß er denn, und harrete bis sein Hase gebraten wäre, und drehte den Bratspieß, und die Flammen leckten hinauf, [72] und flackerten fröhlich, und rings saßen die Thiere, und die nächsten schmeichelten bisweilen ihrem Herrn.

Er saß aber nicht sehr lang, da kam ein altes Mütterlein aus dem Walde, das ging ganz krummgebückt an seinem Stabe, und hauchte in die dürren Hände, und sagte immer: »Schuck, schuck wie friert mich's! Schuck, schuck, wie friert mich's.« Als sie aber näher kam, und Brunnenstark hörte, daß sie sagte: »Schuck, schuck, wie friert mich's!« da rief er ihr zu: »Ei, bist du denn blind, daß du nicht siehst, daß hier ein helles Feuer brennt? Wenn dich friert, so komm her, und setz' dich ans Feuer, und wärme dich!«

Aber das alte Mütterlein sagte: »Ach nein, das thue ich nicht, denn ich fürchte mich vor Euerm Gethier, das Ihr um Euch liegen habt.«

»Ach, setz dich nur!« sagte Brunnenstark, »die Thiere thun dir nichts, sie sind zahm.«

Da sing die Alte wieder an: »Schuck, schuck, wie friert mich's!« und zog ihr Rüthlein hervor, und trat etwas näher hinzu, und sprach: »Ach, edler junger Herr, erlaubt mir doch, daß ich jedem Eurer Thiere einen Streich gebe mit meinem Rüthlein, daß ich mich nicht ferner vor ihnen fürchten muß, und mich zu Euch setze zum Feuer, um mich zu wärmen.« Aber Brunnenstark ward unwillig, [73] und sprach: »Wenn du willst, so magst du gehen. Schlagen laß ich meine Thiere nicht.«

Da sprach das gebückte Mütterlein: »Ich will sie nur berühren, ich thue keinem weh.« Und eben wollte sie den Löwen mit dem Rüthlein schon berühren, da sprang Brunnenstark von seinem Sitze auf, und sprach: »Bleib' mir vom Leibe und meinen Thieren auch mit deiner Ruthe. Mir wird ganz unheimlich zu Muthe, seit du nahe bist. Was haben dir die Thiere denn gethan?«

Da sagte sie wieder mit zitternder Stimme: »Schuck, schuck, schuck, schuck, wie friert mich's!« und das Kinn wackelte ihr dabei. »Ach Herr, erbarmt Euch mein, ich erfriere ja.«

Brunnenstark aber ward böse, und trat zu ihr und sprach: »Ja, ich will mich dein erbarmen; du sollst nicht mehr lange frieren!« Und er packte sie bei diesen Worten, und setzte sie auf einen der Steine, und nahm die Ketten seiner Thiere, und umschlang sie mit denselben, und band sie so an dem Steine fest, und sagte: »Jetzt bist du am Feuer, jetzt wärme dich. Aber rede mir kein Wort mehr von meinen Thieren, sonst setzt es künftig Schläge.«

Da schwieg sie still, und wärmte ihre Hände an den aufflackernden Flammen, und murmelte für sich ein Paar Worte über ihr Räthlein. Dann bot sie es Brunnenstark [74] dar, und sprach: »Ich dank' Euch, Herr, daß Ihr die Barmherzigkeit mit mir gehabt habt, und mich wärmen lasset. Ich möcht' Euch auch gar gern einen Gefallen dagegen thun. Da nehmt das Rüthlein, und berührt jeden der vier Steine damit, und Ihr werdet mir's danken, daß ich zu Euch gekommen bin.«

Aber Brunnenstark wollte das Rüthlein nicht annehmen, sondern sprach: »Du bist eine alte Thörin mit deiner Ruthe.« Sie ließ aber nicht ab zu bitten, bis er die Ruthe nahm, und jeden der Steine damit berührte.

Als er aber der Alten die Ruthe wieder gegeben hatte, fühlte er's unter sich regen. Er sprang auf, und siehe, der Stein, darauf er gesessen, dehnte sich, und gestaltete sich, und es ward ein Löwe daraus, gleich dem seinigen. Und jetzt dehnte sich der andere Stein, und es ward ein Bär daraus, welcher dem seinigen gleich. Und jetzt dehnte sich der dritte Stein, und es ward ein Wolf daraus, gleich seinem Wolfe. Und jetzt dehnte sich noch der vierte Stein, darauf die Alte saß. Da machte Brunnenstark sie schnell los und wand ihr die Ketten ab vom Leibe, womit er sie umschlungen. Und sie stand auf. Siehe! da gestaltete sich dieser vierte Stein nach und nach zur menschlichen Gestalt, und es ward ein Mensch, der sich aufrichtete und die Augen ausrieb, als stünd' er vom Schlafe auf. Und da Brunnenstark ihn ansah, erkannte [75] er ihn, und fiel ihm in die Arme, um den Hals, und bewillkommte ihn, und rief: »Brunnenhold, lieber Bruder, wie kommst du hierher?« Aber Brunnenhold sagte: »Brunnenstark, lieber Bruder, wie kommst du hierher, und triffst mich schlafend? Ich bin eben ein wenig eingeschlummert. Sieh da bratet mein Hase noch, der muß jetzt fertig sein, den sollst du nun mit mir essen. Dann gehn wir sogleich mit Sonnenaufgang in mein Schloß zurück.« Und er erzählte ihm Alles, wie er eines Königs Eidam worden sei, und eine schöne tugendsame Gemahlin besitze, die Helgrita genannt sei.

Darob erstaunte Brunnenstark, und erzählte ihm, wie er nicht geschlafen habe, sondern ein Stein gewesen sei, sammt seinen Thieren. Aber Brunnenhold wollte es nicht glauben, und sprach: »Siehe, da steht die Alte ja noch, die sich bei meinem Feuer wärmen wollte, und das Feuer brennt ja noch, und mein Hase ist noch nicht einmal gar gebraten.«

Da fiel aber die Alte nieder vor ihnen auf ihre Kniee, und gestand, wie sie Brunnenhold und seine Thiere verzaubert habe in Stein, und wie sie es habe thun müssen, weil er sich zu sanft gegen sie gezeigt, und sie nicht strenge von sich gewiesen habe. Und dann wandte sie sich an Brunnenstark, und bat ihn, er möge ihr jetzt doch einen Gefallen thun, [76] der werde ihn nicht reuen. Brunnenstark aber sagte: »Wenn's etwas ist, so in meinen Kräften steht, so verspreche ich dir zu thun, was du verlangen magst.«

Aber die Alte streichelte ihm mit ihren dürren Händen die Wangen, und sagte: »Komm, Lieber, zieh Dein Waidmesser, und schlag mir damit den Kopf ab, und laß ihn im Feuer ganz zu Asche verglimmen. Dann nimm von der warmen Asche, und stell Dich gegen Morgen mit Deinem Antlitz, und wirf dreimal eine Hand voll über Dein Haupt weg gegen Abend, und Du wirst Dein Wunder sehen, was für ein gut Werk Du Dir und mir gestiftet hast.«

Aber Brunnenstark wandte sich von ihr, und sprach: »Gehe hin, ich kann nicht thun was du begehret; denn es ist Unrecht, Menschenblut zu vergießen.« Sie ließ aber nicht ab, zu bitten, und sagte, er thue nicht Sünde, wenn er ihr das Haupt abschlage, denn sie sterbe doch nicht, wenn er gleich ihr Blut vergieße; und drang so lange in ihn, bis er ihr versprach zu thun nach ihrem Begehren.

Und er ließ sie niederknieen, und schlug ihr das Haupt ab, und warf es in das Feuer. Aber ihr Leib versank alsbald unter die Erde und wuchs grüner Rasen drüber hin, wie zuvor. Brunnenstark setzte sich aber jetzt mit Brunnenhold nieder, und verzehrte mit ihm seinen Hasen, und redeten mit einander von ihren Thaten und Schicksalen, und [77] sprachen mitunter auch von ihrer Mutter, wie sie seitdem gar nichts mehr vor ihr vernommen, seit sie bei dem alten Waidmann, ihrem Lehrherrn, gewesen.

Als aber jetzt das Feuer erloschen, und das Haupt der Alten ganz zu Asche verglommen war, stellte sich Brunnenhold mit dem Antlitz gegen Morgen, und fassete eine Hand voll Asche, und warf dieselbe über sein Haupt weg gegen Abend. Darauf fassete er noch eine Hand voll, und that mit ihr, wie mit der ersten. Und so auch mit der dritten Hand voll Asche.

Doch er hatte kaum die dritte Hand voll geworfen, so that es drei gewaltige Donnerschläge, und der Boden erbebte, als hätte sich die Erde hinter ihm gespalten. Und als er und Brunnenhold umschauten, siehe! so war der Wald gegen Abend hin verschwunden, und es stand dort ein prachtvolles Schloß, daran alle Fenster von den Lichtern innen erleuchtet waren. Und als sie umher sahen, standen sie im Garten des prächtigen Schlosses, und sahen zunächst am Schlosse, als sie näher hinzutraten, einen schönen spiegelglatten See, darauf zahme Schwäne hin und her schwammen. Aber aus den mittelsten Fenstern des Schlosses tönte ein festlicher Reigen herunter.

Da beschlossen Brunnenstark und Brunnenhold hinauf zu gehn, und Theil zu nehmen an dem Feste bis an den Morgen. [78] Als sie aber in die Gänge eintraten, erstaunten sie über die Pracht, die ihnen allenthalben entgegen leuchtete. Und als sie die Marmorstufen hinaufstiegen, kam ihnen eine königlich geschmückte Jungfrau entgegen, und hinter ihr viele reichgekleidete Frauen und Herren. Aber die Jungfrau warf sich vor Allen in Brunnenstarks Arme, und sagte: »Sehet, der ist mein Retter, der mich von der Verzauberung erlöset, in der ich schon tausend Jahre gebannt lag. Darum ist es billig, daß ich ihm alles zu eigen gebe, was ich besitze. Er soll mein Gemahl werden, und fortan bei mir wohnen, und mein Land beherrschen, als sein Eigenthum.« Darauf wandte sie sich zu Brunnenstark, und sprach: »Dafern Ihr anders wollt, so kommt, und laßt uns alsogleich den Brauttanz halten.«

Da eilte Brunnenstark mit ihr alsobald in den festlich erleuchteten Tanzsaal, und tanzeten voraus, und ihnen nach tanzeten hundert Paare Frauen und Ritter, und hatten alle Raum, so groß war der prächtige Tanzsaal.

Indessen liefen aber die Diener, und bestellten die köstliche Tafel im Nebensaale, und riefen sich's durch die Gänge nach, Einer dem Andern, und fragten sich: »Weißt du, was es gibt? der Prinzessin Bräutigam ist kommen, und halten eben den Brauttanz zusammen im Saale.«

Als aber der Tanz jetzt geendet war, traten alle in den [79] Speisesaal, und hielten daselbst ein prächtiges Mahl. Aber Brunnenstark und Albruna, die Prinzessin saßen oben an, an der Tafel auf Purpurkissen mit Gold durchwirkt, und neben ihnen saß Brunnenhold. Da fragte die Prinzessin Braut mit Holdseligkeit ihren Bräutigam: »Als ich an meinem Stabe zu Euch trat, und Euch mit den dürren Fingern die Backen streichelte, da hättet Ihr wohl nicht mit mir getanzt im Walde? Seht, daß Ihr mir und Euch ein gut Werk gestiftet habt, daß Ihr mir den alten Wackelkopf abschluget mit Euerm Waidmesser. Denn ich war jenes alte Mütterlein. Gelt, mein neuer Kopf gefällt Euch doch besser, als der alte Euch gefiel.«

So scherzte sie viel, und Brunnenstark und Brunnenhold scherzeten mit ihr über ihr hohes Alter von tausend Jahren und ihre jugendliche Gestalt, als die einer sechzehnjährigen Jungfrau, und waren sehr vergnügt zusammen. Da trat auf einmal ein Diener herein, und erzählte, wie eben durch die Luft ein Drachenschiff gekommen, und sich im Garten des Schlosses niedergelassen habe. Da eilten Brunnenstark und Brunnenhold an's Fenster, und erkannten das Drachenschiff, und sahen zwei Frauen aus demselben aussteigen. Da eilten sie alsbald die Stufen hinab, und führten die Frauen herauf mit Freudengeschrei. Denn es war ihre Mutter Armina, die gekommen war mit ihrer Amme.

Und jetzt war Freude und Jubel an allen Enden.

[80] Des Morgens darauf machte sich aber Brunnenhold sogleich auf mit seinen Thieren, und setzte sich in das Drachenschiff seiner Mutter, und wünschte sich von dannen, seine betrübte Gemahlin zu trösten. Da ließ sich das Schiff nieder in dem Garten seines Schlosses. Und als er in den Schloßhof trat, saß Helgrita, seine Gemahlin, eben im Erker ihres Gemaches und weinte wieder um ihren verlorenen Gemahl. Als sie ihn aber ersah, und an seinen Thieren zuerst erkannte, wollte sie ihren Augen nicht trauen. Aber er eilte hinauf zu ihr, und bewillkommte sie, und ihre Trauerthränen wurden zu Freudenthränen.

Und das Volk drängte sich nach in den Schloßhof, und verlangte ihn zu sehen. Denn die Mähre von seiner Ankunft hatte sich schnell durch die Stadt verbreitet. Und als er hinaustrat auf die Stufen des Schlosses, scholl ihm ein tausendstimmiges Freudengeschrei entgegen. Und die Aeltesten kamen, und huldigten ihm. Denn der alte König, der Vater seiner Gemahlin war seitdem gestorben.

Darauf zog er mit seiner Gemahlin auf etliche Tage hinüber zu Brunnenstark, und stellte sie seiner Mutter Armina vor. Diese ließ aber auch vor sich treten Albruna, ihres Brunnenstarks Gemahlin, und legte beiden die Hände auf's Haupt, und küssete beiden die Stirne, und gab ihnen ihren mütterlichen Segen.

[81] Dann wurden Feste gefeiert an beiden Hofhaltungen bei Brunnenstark und bei Brunnenhold, immer eins köstlicher und prachtvoller, als das andere. Und darauf zog jeder nach seinem Schlosse, und lebten beide glücklich und vergnügt, und beherrschten ihre Länder mit Milde, und machten ihre Unterthanen glücklich. Aber Armina, ihre Mutter lebte fortan bei ihnen, bald bei Brunnenhold, bald bei Brunnenstark.

Noch lange nach ihrem Leben wurden ihre Länder von milden weisen Königen regiert, die ihre Ur-ur-Enkel waren. Aber wenn man in späten Zeiten den jüngsten Enkel ihrer Unterthanen noch den Namen Brunnenhold oder Brunnenstark nannte, so glänzten ihre Augen froher, und jedes Kind wußte die wundervolle Mähre von ihrem Leben zu sagen.

Jetzt weiß man nicht mehr, wo die Länder lagen, darin sie ehemals geherrscht. Vielleicht sind sie im Meere versunken. Denn ein alter Steuermann sagte, ihm hätten die Meerweiblein in einer Nacht, da er am Steuerruder eines Meerschiffes gestanden, das Lied von Brunnenhold und Brunnenstark gesungen. Und derselbige Steuermann hat auch die Geschichte weit über's Meer her zu uns gebracht.

[82] II. Die schwarze Zither, ein Mährchen.

Die schwarze Zither I. (Albert Ludewig Grimm: Lina's Mährchenbuch)

Die schwarze Zither II. (Albert Ludewig Grimm: Lina's Mährchenbuch)

Erstes Kapitel

[83] [85]Erstes Kapitel.

Es war einmal ein Ritter, der hieß Arbogast, und wohnte auf einer einsamen Burg im dichten Walde, die lag ferne von den Städten, und unten bei der Burg hatten sich nur einige Hirten angesiedelt, und ihre Hütten erbaut, und ihr Vieh weideten sie auf den Waldwiesen umher. Die Burg war aber oben fast ganz umwachsen von hochstämmigen Eichen mit weit ausgebreiteten Aesten, von laubigen Buchen, und dunkeln Föhrenbäumen, die sie ganz in ihrem Schatten versteckten, und ihr ein so finstres Ansehen gaben, daß sie von den wenigen Menschen, die sie jemals gesehen, nur die Finsterburg genannt wurde. Aber auch im Innern der Burg sah es nicht heiterer aus; denn Ritter Arbogast ward nicht umsonst von seinen Knappen und Dienern der finstre Ritter geheißen. Seit er seine Gemahlin, Frau Gertrud, mit seinem Liebling, ihrem kleinen Töchterlein, an einem Tage verloren, ohne daß Knappen und Diener erfahren hatten, [85] wohin sie beide entschwunden, war seine frühere laute, lärmende Strenge zu finsterm, stummem Ernste verwandelt.

Im Anfang nach dem Verschwinden der frommen Frau Gertrud hatte Ritter Arbogast wohl gepflegt, in jedem Frühlinge hinauszuziehen, und nach weiten Fahrten erst im Spätherbste wieder mit seinen Knappen und reisigen Knechten nach Hause zu kehren. Den Winter brachte er auf gefahrvollen Wolfs- und wilden Eberjagden zu, bis er mit dem ersten Hervorsprossen der Birkenknospen wieder hinauszog in die Ferne. Aber selbst die Knappen und Reisigen, so ihn auf diesen Fahrten begleiteten, wußten nicht, warum er sie jedesmal unternahm, und trugen sich nur mit der Vermuthung, er suche die verlorene fromme Frau Gertrud mit ihrem holden Töchterlein. Seit etlichen Jahren hatte Ritter Arbogast aber diese Fahrten unterlassen, und selbst auf die Jagd pflegte er nur dann zu ziehen, wenn er einige Wochen recht in Hinbrüten mit herabgezogenen Augenbraunen und starren Augen hingebracht hatte. Dann fuhr er auf einmal rasselnd in seinem Harnisch auf, und stürmte hinaus, und schweigend zogen ihm seine Knappen nach, und sagten oft untereinander: »Es muß ein böser Geist sein, der Macht hat über unsern Herrn, und ihm die Ruhe der Seele stört.« Und Andere sprachen wohl noch härtere Worte und sagten: »Ja, der böse Geist, der in ihm wohnt, mag [86] wohl sein Gewissen sein, das ihn drückt, um schwerer Verbrechen willen; denn er war früher ein rascher, schnellfertiger und jähzorniger Mann.« –

Wenn Herr Arbogast aber wieder heimkam von seinem Jagdzuge, so saß er wieder stumm in der Halle, und mußt' Alles still um ihn sein, gleich ihm selber. Ja es war ihm recht zuwider, wenn sogar sein eigener, einziger Sohn, der Zwillingbruder seines verlorenen Lieblings, in kindlicher Unschuld um ihn spielte, oder ein kindisches Wort zu ihm sprach. Selbst sehen mochte er ihn nicht einmal um sich, und schien ihm ordentlich gram zu sein. Darum hatte er ihn auch schon als kaum lallendes Kind der Pflege des altenLeuthold übergeben, der mit recht väterlicher Sorgfalt über seine Jugend wachte.

Adelbert aber, das war der Knabe des Ritters, wuchs in fröhlicher Unschuld heran, und ward ein schönes Bild der blühendsten Anmuth. Nach dem Willen seines Vaters lernte er zwar von dem Leuthold bei heranwachsenden Jahren die Armbrust spannen, Schwerdt und Rosse lenken, und Speere und Streitaxt führen. Wenn aber die Uebungsstunden vorbei waren, dann schnallte er Schwertgehäng und Sporen fröhlich ab, und hängte die Armbrust an ihren Nagel; und dann gings hinaus zu den Kindern der Hirten im Thale, und da lebte er erst recht auf bei alten Mährchen, [87] die ihm die Knaben erzählten. Die allergrößte Lust gewährte es ihm aber, wenn ihm ein alter einsiedelnder frommer Mann, den man insgemein nur Großvater hieß, mit zitternder Stimme ein Lied sang und auf einer alten zersprungenen Zither die Töne begleitete, da er ihm denn wohl nach dem Liede auch manchmal die Zither selbst in die Hand gab, und ihn in dem Saitenspiel unterwies. Wenn ihm dann der alte Großvater erzählte, daß es auch viele Rittersöhne gäbe, die nicht ihr ganzes Leben dem Kampf und der Jagd geweiht hätten, die vielmehr mit dem fröhlichen Saitenspiel als hochverehrte Sänger von Land zu Land reisten, und Aller Herz erfreueten, wohin sie kämen, und hochgeehrt würden von Königen und edlen Frauen, da schwoll Adelberten immer das Herz in heißer Sehnsucht auf, und gewiß lag er dann jedesmal in der folgenden Nacht meistens schlaflos auf seiner Ruhestätte, und betete zu Gott recht inbrünstig: »O gib, daß ich doch auch einmal so ein Sänger werde, aber der besten einer, dessen Namen man nennt von Lande zu Lande!« Und in dieser Sehnsucht stieg er oft und öfter hinab zu dem alten Großvater, und lernte bald selbst kleine Weisen den Saiten der Zither entlocken, und ein selbst erdachtes Lied dazu singen. Wenn er aber sang, so horchten die Hirten begierig, jung und alt, und erhoben sein Lied, wenn sie es gleich nicht immer verstanden. Denn in jedem sprach [88] er von seiner Sehnsucht nach dem Stande des Sängers. Der alte Großvater aber verstand sein Inneres wohl, und rieth ihm eines Tages: »Gehet hin, und bittet Euern Herrn Vater, lieber Jungherr, wornach Eure Sehnsucht stehet. Ich meine, ich würd's einem Sohne nicht abschlagen.«

Da machte sich Adelbert auf, und stieg eilig den Berg hinan, und trat noch außer Athem vor seinen Vater, und sprach: »Ich bitt' Euch, lieber Vater, wolltet mir die erste Bitte nicht abschlagen, so ich jetzt an Euch thue, und scheltet mich nicht ein Kind, so Euch auch meine Bitte kindisch bedünken mag; denn sie entspringt nicht aus kindischem Trachten nach einem eiteln Spielzeug, die ganze Freudigkeit meines künftigen Lebens hängt davon ab.«

Herr Arbogast war aber in der Halle gesessen, und hatte wieder vor sich hingestarrt, als sein Sohn Adelbert so hastig hereingetreten war. Da er aber also gesprochen, schaute der Ritter verwundert und mit fragendem Blicke auf den zu den Jünglingsjahren herangewachsenen Knaben, und winkte ihm, seine Bitte vorzutragen.

Da fuhr Adelbert fort: »Schickt einen Knappen und laßt mir eine Zither holen; denn ich will kein Ritter werden.« – Aber er hatte noch kaum so weit gesprochen, da rasselte sein Vater in seinem Harnisch auf, und faßte sein Schwert, so neben ihm stand, und schlug mit dem Griffe [89] desselben auf den steinernen Tisch, daß die Platte zersprang, und stampfte mit dem Fuße, daß die Halle erdröhnte, und Funken aus dem Estrich stoben, und rief mit donnernder Stimme: »Zur Hölle! wer hat dich das Wort gelehrt, Knabe? das Wort, das ich über Alles hasse auf Erden! das ich nie mehr hören wollte! Wer hat dir das Wort genannt? und hat er dir auch schon am Ende gar von derschwarzen Zither vorgeredet? Sprich! hat er? hat er?« Da antwortete der Knabe etwas erschrocken: »Nein, Vater, von der schwarzen Zither weiß ich nichts! Aber sollte der Name des freundlichen Saitenspiels denn so böse sein, da das Ding selbst so gut ist, und eine Gabe des Himmels sein muß mit seinen holden Klängen?«

»Fort! fort, aus meinem Angesicht!« donnerte da des Vaters Stimme, »und komm' mir so bald nicht wieder unter die Augen.«

Da verließ er betrübt und traurig die Halle, und hinter ihm schlug der erzürnte Arbogast heftig die schweren Thürflügel zu.

Zweites Kapitel

[90] Zweites Kapitel.

Es war aber in der nächsten Nacht, da lag der fromme Knabe Adelbert einsam in seiner Kammer, und konnte nicht schlafen. Ihm stand immer noch das Bild seines erzürnten Vaters vor den Augen, und noch sann er darüber nach, warum wohl das Wort, so ihm vor allen das Liebste war, seinem Vater so verhaßt sein möchte. Aber durch solches Sinnen klang ihm auch immer noch die Frage nach der schwarzen Zither voll Ahnung durch die Seele. – Er lag noch nicht so lange, und es war eben Alles stille geworden in der Burg und in dem Burghofe, da wendete der Mond seine Strahlen durch die runden Scheiben seines Gemaches, und zugleich war es ihm, als zöge ein wundersüßes Klingen draußen durch die Luft, einstimmend in seine halbträumerischen Phantasien von der schwarzen Zither. Es war aber das Klingen ihm ganz unbekannt und lockend. Darum sprang er auf von seinem Lager, und schaute zum Fenster hinaus, zu hören, was der Klang bedeute, und von wannen er komme.

Hinaussehend in den stillen Burghof gewahrte er aber nichts, als das Schnauben der Rosse unten im Stalle und [91] zuweilen einen einzelnen Huftritt derselben. Und er wollte eben wieder hereinsehen, da schwebte der Klang abermals zu ihm herüber. Doch er konnte nicht unterscheiden, kam er als schönster Gesang aus einer Menschenbrust, oder kam er von den reinsten bebenden Saiten. Das gewahrte er aber wohl, daß die Töne von dem einsamen Thurm bei der Kapelle herüber schwebten. Da fiel ihm zugleich ein, wie er schon oft gefragt, warum die Thüre an dem Thurme vermauert und noch mit Schutt und Steinen verschüttet wäre, wie ihm aber Niemand noch bestimmte Antwort darauf gab, und wie ihn selbst sein Vater schon in früher Kindheit mit dieser neugierigen Frage einmal von ihm gewiesen habe mit scheltenden Worten über seinen Vorwitz, daß er sich seitdem nie mehr getraut, nach der Ursache zu fragen, warum der schöne, hohe Thurm gar nicht benutzt würde, da man doch von ihm allein vielleicht über die Waldgipfel hinüberschauen könnte. Zugleich erinnerte er sich auch, wie er oft gesehen, daß die Knappen und Knechte sich jedesmal sehr furchtsam gebährdeten, und eilig wieder zurückliefen, wenn sie ein Geschäft im Hofe noch spät am Abend in die Nähe des Thurmes oder der nahen Kapelle rief. Und ihm fiel ein, wie ihm die Hirtenknaben erzählt, daß sie oft, wenn sie im hohen Sommer mit ihrem Vieh die ganze Nacht im Walde gewesen, von dem Thurme herüber ein gar süßes Tönen [92] vernommen hätten, aber dazwischen auch ein leises Wimmern und Hilferufen. Indem diese Erinnerungen alle durch seine Seele zogen, zog auch der wundersüße Klang gar lockend wieder herüber aus der Höhe des Thurms. Und er konnte nicht länger mehr dem geheimen Zuge, noch seiner Neugierde widerstehn. Es war ihm, als enthalte der Thurm ein großes, kaum zu fassendes Glück, das er nur jetzt erwerben könne, oder nie. Darum machte er sich auf, und warf sich in seine Kleider, und eilte hinaus, die Wendeltreppe hinab und durch das offene Thor in den Burghof der Kapelle zu und dem Thurme. Aber da stand er, und schaute hinauf, und suchte hier und suchte dort, und da war kein Eingang, als der fest vermauerte und mit Steinen verschüttete. Da fiel ihm endlich ein, ob nicht vielleicht jenseits der Mauer, die zwischen dem Thurme und der Kapelle hinzog, eine zugängliche Thür zu finden sei. Darum kletterte er schnell die Mauer hinan, und in einem kühnen Sprung schwang er sich jenseits hinab. Die Höhe war aber allzubeträchtlich gewesen; er lag jenseits ohne Bewußtsein auf dem Rasen.

Wieder aus einer ohnmächtigen Betäubung aufwachend, fand er sich in einem von der Mauer, dem Thurme und der Kapellenwand umschlossenen Winkel, und neben sich gewahrte er einen Grabhügel, darauf steckte ein hölzernes Kreuz. Aber die Hollunderbüsche bei der Kapellenwand neigten sich [93] darüber her und streuten ihr weißes Blümlein auf des Hügels moosigen Rasen.

Als er nun aber schaute nach einem der Gitterfenster des Thurms, da gewahrte er in der Mitte des Thurmes ein blasses, seltsames Licht, so das Innere desselben mit ungewissem Scheine erhellte. Aber die wundersamen Töne, die er zuvor von ferne gehört, klangen ihm nun ganz in der Nähe vom Thurme hernieder; und immer süßer, und immer linder, und immer bezaubernder ward das fremde Klingen, daß der Knabe bei sich dachte: »Hab ich doch, seit ich lebe, nie solche Töne gehört, und ich möcht' wohl glauben, das sei Gesang von seligen Geistern, wie sie im Paradiese wohl singen, wie mich der fromme Großvater unten im Thale gelehrt.«

Indem er aber noch so dachte, da verstand er die Töne, als seien es Worte, die also klangen:


Ungesehn, ungesehn,

Geister wehn! Geister wehn

Durch des Thurmes Gitter.

Da erklang, da erklang

Geistersang, Geistersang

Von der schwarzen Zither.


»Ja, ja,« sprach Adelbert vor sich, »das ist die schwarze Zither! das wußt' ich wohl!« Und der Klang schwebte einwiegend in sanften Schlummer herab:


Knabe mein, Knabe mein

Schlummre ein, schlummre ein!

[94]

Säußelt, Fliederbäume!

Steigt im Grab das empor

Mütterlein, haucht ins Ohr

Ihm gar seltne Träume.


Der Sang ging darauf noch weiter fort. Aber da fielen Adelberten die Augen im Schlummer zu. Und ein seltsamer Traum bewegte sich in seiner Seele vorüber. In diesem Traume sah er den moosigen Grabhügel sich aufthun, und aus dem Schooße des Rasens, der sich gleich einem Hügel von leichten Laubblättern von einander that, hob sich ein wunderschönes Frauenbild herauf, in einem Kleide, das war weiß, wie die Hollunderblümlein; aber um ihre Schulter wallten ihr die blonden Haare in reichen Flechten, und ihre Augen lachten so mildblau, als die kleinen Vergißmeinnichtblümlein, so Adelbert oft mit den Hirtenknaben unten am Quellenrande zu pflücken gepflegt. Und Adelbert glaubte in seinem Traume, sie sei ein Engel. Ueber die Stirne hing ihr aber ein voller Strauß von rothen Blutnelken herein, der ihr in die Haare des Scheitels verflochten war.

Als sie aber halb aus dem Grabe sich empor gehoben hatte, da schwiegen die Töne, und durch die Luft kam ferne herüber ein wunderlich Sausen, als wie von dem Flügelschlage der großen Nachteulen, wenn sie im Dämmerlichte auf Raub ausziehen. Und als Adelbert aufsah, da gewahrte er hochschwebend über die äußerste Mauer des Burgwalls [95] einen Reiter auf einem schwarzen geflügelten Rosse. Aber auch der Ritter war in schwarzem Harnische. Nur die langen Schwungfedern seines Helms leuchteten feuerfarben über der mitternächtlichen Gestalt. Als der schauerliche Zug aber nun über den Raum schwebte, da Adelbert träumte, da schwang das Schwarzroß seine ungeheuern Fittige langsamer, und langsamer schwebte die Gestalt vorüber. Da gewahrte Adelbert, daß der schwarze Ritter vor sich auf dem Sattel mit dem einen Arme ein zartes Mägdlein umschlungen hielt, das ihm widerstrebend sich von ihm neigte. Als es aber über dem Frauenbild im Grabe vorüber schwebte, da neigte es sich tiefer über das Pferd hinab, und die Frauengestalt hob hoch die Arme empor, und rief: »Verlornes Kind! mein verlornes Kind!« Aber die Erscheinung zog ganz über sie weg, und im Verschwinden hörte Adelbert noch das Mägdlein klagend rufen: »Meine Mutter! meine Mutter!« Als sie aber vorüber waren, rang die Frauengestalt im Grabe die Hände über dem Haupte, und erhob ein klägliches Gewimmer, und rief mit jammernder Stimme nach Hilfe.

Aber Adelbert hatte in seinem Traume recht inniges Mitleid mit der holden Frauengestalt, und trat zu ihr, sie zu trösten. Und sie faßte ihn in ihre Arme, und nannte ihn ihren Sohn. Da wußte Adelbert, warum sie ihm so [96] hold erschienen war, denn sie war seine früh verlorene Mutter. Aber ihm dünkte in ihren Armen, er sei wieder ein kleines Kindlein, und sie wiege ihn auf ihrem Schoose, und erzähle ihm ein Mährlein.

Das Mährlein, so sie ihm aber im Traume erzählte, lautete also:

Es war einmal ein Ritter, der hatte ein treues Weib, die pflegte ihm seine zwei Kindlein, ein Knäblein und ein Mägdlein. Aber das Mägdlein war des Ritters Liebling. Da geschah es, daß der Ritter einmal hinausziehen mußte auf eine weite Fahrt, und mit sich nehmen mußte alle seine Mannen und Knappen. Und scheidend reichte er seinem treuen Weibe eine Zither, die war schwarz und eingelegt mit köstlichen Perlen, und als er ihr selbe reichte, sprach er zu ihr: »Wahre mir meine Kindlein wohl, und hüte sie vor allem Ungethüm. Ich habe einen starken Feind, der nach ihnen strebt. Darum nimm die Zither, und so du vor der Burg mit den Kindern dich ergehen willst in freier Luft, vergiß sie nie mit dir zu nehmen. Drohet dir dann aber Gefahr oder den Kindlein, so greife nur getrost in die Saiten, und du bedarfst keines andern Schutzes. Denn die Zither hat für jedes sinnige, stille Gemüth, wie das deinige ist, gefeierte schirmende Kraft.« Und damit zog der Ritter von dannen. Aber sie pflegte ihrer Kindlein mit Treue. An einem [97] schönen Herbstabende war sie aber mit ihren Kindlein hinausgegangen vor die Burg, und saß da auf der Steinbank unter den Linden, ihren Eheherrn erwartend. Ihre Kindlein aber, beide erst zweijährig, spielten um sie kriechend in dem hohen Grase, und sorglos hatte sie ihrem Spiele die schwarze Zither überlassen, die der Knabe an dem breiten Goldbande, wie einen Wagen, umher zog. Da geschah es, als eben das Knäblein die Zither hinter eine fernstehende Rosenhecke gezogen, daß der Feind des Ritters hinter den Bäumen hervorkam. Und er faßte das spielende Mägdein, und schwang sich auf sein schwarzes Roß, und ritt mit ihm fliegend von dannen. Aber die Mutter eilte zu spät nach der Zither, und jammerte vergebens ihm nach.

Und selbigen Abend kniete sie betend im einsamsten Winkel des Burghofes bei der Kapelle; da war ihr Gemahl seinen Knappen lange voraus zurückgekommen, und trat vor sie und sprach: »Hast mir meinen Liebling verloren an meinen Feind; – mußt drum hier sterben im grünen Grase.« Da hieb er ihr mit seinem breiten Schwerte eine tiefe Wunde in den Scheitel bis herein in die Stirne, und sie sank sterbend zu Boden. Als sie aber todt war, begrub er sie an selbiger Stätte neben der Kapellenwand, und schloß den Winkel, da ihr Grab war, mit einer sehr hohen Mauer vom Burghofe ab, noch ehe seine Knappen [98] ihm nachkamen; und die Zither hängte er hoch auf in dem runden Thurme, und vermauerte die Eingänge und verschüttete sie mit den Steinen.

Aber die arme Mutter hat keine Ruhe im Grabe, bis ihr Mägdlein dem finstern Feinde wieder entrissen ist, und der Ritter hat keine Ruhe in seinem Herzen, bis er seinen Liebling wieder sieht, und hat auch dereinst keine Vergebung zu hoffen, bis er auch seinen Knaben für verloren beweint.

Als die Frauengestalt im Grabe diese Mähr geendet hatte, schloß sie ihren Knaben Adelbert an sich, und drückte ihm ihre Lippen auf seinen Mund, und sprach: »Ich weihe dich!« und als sie Solches gesprochen, versank sie. Aber ihre Lippen waren kalt gewesen, und von ihren Blutnelken war ihm die unterste auf seine Stirne gefallen. Davon erwachte er, und fand sich auf dem Grabhügel. Aber droben im Thurme klangen die Töne noch fort in ihrer seltsamen Weise, und er verstand in ihnen wieder folgende Worte:


Wach, mein Knabe,

Bei dem Grabe:

Klimme zu des Thurmes Gitter,

Nimm die wundervolle Zither!

Knabe mein,

Kannst allein

Dir im Leben,

Mir im Grabe

Süße Gabe,

Kannst allein den ew'gen Frieden geben;

[99]

Kannst allein,

Knabe mein

Von dem Bösen

Deines Vaters Seele lösen.


Da erschrak Adelbert recht in der Tiefe seines Herzens, denn ihm war es klar, daß er in der Mitte des geträumten Mährleins lebe, und daß er allein nur das Mährlein zu Ende zu führen vermöge. Und es fiel ihm schwer auf das Herz, daß er, obgleich unschuldig, durch sein kindisches Spiel Schuld sei, daß seine Mutter schirmlos, sein holdes Zwillingsschwesterlein verloren, und darum den bittern Tod habe erleiden müssen.

Und er stand auf, und versuchte es, an dem äußern Gestein des Thurmes emporzusteigen nach dem Gitterfenster. Aber es gelang ihm ohne Mühe, denn das Gestein war rauh, und bildete sich unter seinen Händen, wie er es faßte, zu völligen Stufen. Und als er die Oeffnung des Gitterfensters erreicht hatte, da sah er an selbem die schwarze Zither hängen an dem Goldbande, und reichte hinein durch die Stäbe. Aber, wehe! – die Stäbe waren zu enge, um den Schrein herdurch zu ziehen. Und er versuchte es, und wandte die Zither aufwärts und wandte sie abwärts, – aber immer vergebens! Da geschah es, daß er mit seinen Fingern die Goldsaiten berührte. Und, siehe! kaum waren sie in hellem Tone erklungen, da öffneten sich die Gitterstäbe, und [100] er zog sie ohne Mühe heraus, und hängte sie an dem Goldbande sich um die Schulter, und kletterte wieder hinab.

Als er aber wieder hinaussteigen wollte über die Mauer nach dem Burghofe, da wandte er sich noch einmal zu dem Grabhügel und sang zu den Tönen der Zither:


Leb' wohl, du Mütterlein,

Im grünen Hügelein!

Dein Knabe zieht von hinnen,

Dir Ruhe zu gewinnen.

Sollst fürder nicht aus Grabes Ruh

Erwachen, holde Mutter du!

Und bis der Herr die Seinen ruft,

Daß sie ersteh'n aus dunkler Gruft,

Schlaf süß! schlaf süß,

Und träume dich ins Paradies.


Und als er diese Worte gesungen, schwang er sich die hohe Mauer hinauf und hinüber in den Burghof. Dann schlich er sich stille in seine Kammer, und schnallte Sporn und Schwert um. Als er aber hinausgehen wollte, sah er den alten Leuthold in der Vorhalle liegen, und der Mond beschien ihm seine ehrwürdigen Locken, und erleuchtete ihm sein mildes Gesicht. Da gedachte er bei sich: »Der Vater muß dich nun wohl beweinen, als verloren, das ist zu seiner Seele Nutz und Frommen. Aber der alte Mann, der deine zarte Jugend beschützt, und dich getragen und gepflegt mit mehr Liebe, als ein leiblicher Vater thut, der müßte ja trostlos vertrauern, wenn du von hinnen zögest, ohne[101] daß er darum wüßte. Oder wie schön wär es gar, wenn er dich geleitete auf deinen verworrenen Fahrten.« Darum ließ er sich nieder auf ein Knie vor dem Alten, und rührte die Saiten seiner Zither, und sang dazu:


»Wohlauf, du Alter! die Rößlein gezäumt

Hinab, ungesäumt!

Dein Junkherr ist erwacht,

Will reiten, will reiten zu Nacht!

Will reiten, dein Junkherr, ganz insgeheim,

Und ziehst du nicht mit ihm, er kehrt dir wohl

nimmermehr heim.«


Da richtete sich der Alte nachtwandelnd auf, und stieg leise hinab, und schirrte schlafend die beiden Schimmel, und saß mit seinem Junkherr auf, und ritten beide durch die leise geöffnete Burg von dannen in die weite Welt, hinaus aus den engen Thalwindungen. Und als das erwachte Leben sich auf der Finsterburg wieder regte, waren beide schon weit von hinnen gezogen.

Drittes Kapitel

Drittes Kapitel.

Wohl saß der finstre Ritter nach etlichen Tagen noch finsterer in der Halle der Finsterburg vor seinem zerschlagenen Steintische, als er endlich durch seine Knappen erfahren, sein Sohn Adelbert sei mit Leuthold verschwunden, und ihre Spur nicht zu finden in den Forsten der Nähe und Ferne. [102] Und von nun an kam noch ein finsterer Geist über ihn, so daß er auch nicht mehr hinaus stürmte in die Nacht des Forstes auf die Jagd der wilden Thiere, wie er doch vorher noch zuweilen gepflegt. Und da saß er in seinen noch kräftigen Mannesjahren schon wie ein sehr schwacher Greis, und kam nicht mehr vor die Burg, und führte ein einsames freud- und thatenleeres trauriges Leben. Da wuchs bald das Gras auf dem Burgwege und unter dem Burgthore, und die Thüren bewegten sich nur schwer in ihren Angeln.


Adelbert und Leuthold saßen aber am dritten Morgen, nachdem sie ausgezogen waren, in dem Schatten eines Buchwaldes, um da zu ruhen. Da sah Leuthold auf einmal aufmerksam seinem Junkherrn ins Gesicht, und sprach: »Ei, Junkherr, was habt Ihr da für einen Fleck auf der Stirne?« Und Adelbert fuhr sich mit der Hand über die Stirne, vermeinend, er wolle den Fleck wegwischen. Aber Leuthold sprach: »Nein, nein, der Fleck ist nicht weg! Und es ist ja gar ein Blutfleck. Habt Ihr denn Jemanden erschlagen?« Da ward Adelbert zumal traurig, und sprach: »Ja, es ist fast so. Mein Mütterlein ist meinetwegen gestorben, und ließ mir da auf die Stirne eine Blutnelke fallen aus ihrem Strauß in den Haaren – und den Blutfleck werd' [103] ich wohl tragen müssen, bis sie ruhig schläft in ihrem Grabe, und bis meine Schuld einst völlig gebüßt ist und gesühnt. – Frage mich aber nicht weiter, treuer Leuthold, denn Alles kannst du nicht wissen.«

Da schwieg der alte, treue Diener, und sie saßen bald wieder zu Pferde, und zogen von dannen. Und sie zogen immer nach der Gegend hin, wo die Sonne untergeht. Da geschah es, daß sie eines Tages an einem steilen Felsenhange ankamen, auf dessen Gipfel lag eine große Stadt. Leuthold ging aber auf dem nächsten Fußpfade hinauf, um für seinen Junkherrn eine Herberge zu suchen in der Stadt. Sein Pferd hatte er unten bei Adelbert gelassen am Fuße der Felswand, und Adelbert war auch von seinem müden Rößlein gestiegen, und hatte sich auf der Wiese gelagert im Herbstgrase unweit dem Eingange einer weiten Felsenhöhle, die sich hinter hohem Schilfgrase öffnete. Und wie er gewohnt war, so that er auch jetzt. Er nahm sein süßes Saitenspiel, dem er von Tag zu Tag schönere Lieder und sanftere Töne abzulocken lernte, von dem Rücken, und spielte manch schönes Liedlein im lauen Scheine der Herbstsonne.

Aber er spielte noch nicht lange, da kamen die Rosse schnaubend herbei gelaufen mit gesträubten Mähnen und scheuen Blicken, und bäumten sich, und nur als er ihnen entgegen sang, wurden sie ruhiger und lagerten sich hinter [104] seinem Rücken. Da merkte er wohl, daß ihm ein Ungethüm nahe sein müßte, vor dem die edeln Thiere sich also entsetzten. Und als er umher sah, hörte er es dumpf rauschen in der Felsenhöhle, und sah es sich hervorwälzen in riesengroßer knäuelförmiger Gestalt, und ihm nach wälzten sich noch mehrere kleinere Ungestalten. Als aber der riesengroße Knäuel sich jetzt herausgewälzt hatte an das Tageslicht, da war es ein großer Lindwurm, und die kleinen Ungestalten, so sich ihm nachwälzten, waren die sieben jungen Lindwürmer desselben. Und im Glanze der Abendsonne entwirrte sich ihre ungestalte Bildung. Da gewahrte Adelbert an ihrem ungeheuern Schlangenleibe harte glänzende Schuppen, und ihre Füße waren mit scharfen und langen stahlharten Krallen bewaffnet, und ihr Schwanz endigte in eine pfeilförmige Spitze mit Widerhaken. Aber an des Leibes Seite trugen sie zwei ungeheure Fledermausflügel. Ihre Köpfe waren blau und gelb von Farbe, und glichen von Ansehen einem ungestalten verzerrten Menschengesichte, mit weit vorliegenden Feueraugen. Und wenn sie athmeten, drang aus den weiten Nasenlöchern ein schwarzer Qualm.

Und als sich so die Lindwürmer entwirrt hatten, lagerten sie sich im Halbkreise um Adelbert her, und starrten ihn an mit ihren weit vorliegenden Feueraugen und mit aufgähnenden Rachen voll scharfer spitziger Zähne. Da sah Adelbert, [105] wie die Arbeiter auf den fernen Feldern ihre Geräthe weggeworfen, und in weiten Umkreisen den Felsenhang erstiegen, und den Eingang der Stadt zu erreichen suchten, und wie selbst die Ochsen und Schafe von der Weide liefen, und sich scheu in die Wälder und Ställe flüchteten. Da ward ihm doch auch ein wenig bang um das Herz. Aber er getrauete sich nicht aufzustehen, und von dannen zu fliehen, weil er dann um so gewisser eine Beute der greuelerregenden Brut zu werden befürchtete. Und halb in Angst, halb in Ungewißheit, was er thun solle, spielte er immer noch über die Saiten seiner Zither hin, aber seiner Seele war nicht bewußt, was seine Finger thaten. Da er aber sah, daß die Würmer sich also ruhig um ihn gelagert hatten, und auf die Töne zu horchen schienen, griff er wieder beherzter in die Saiten; und immer aufmerksamer wurden die Würmer. Da faßte Adelbert noch kühneren Muth, und sang zu den Tönen folgendes Lied.


»Saß ein Knab' am Felsenhange,

Schlug der Saiten Gold;

Kommt aus dunkelm Grottengange

Lindwurm hergerollt.

Hinter ihm die Lindwurmsbrut.

Und dem Knaben sinkt der Muth.

Aber von den gold'nen Saiten

Hört man noch die Töne gleiten,

Und den Zauber ungekannt,

Lockt hervor des Knaben Hand.«


[106] Als er so weit in seinem Liede kam, da sah er die Würmer gähnend ihre Rachen aufreißen, und dann schlossen sie noch horchend die Augen. Während dem sang Adelbert aber weiter:


»Und der Lindwurm liegt im Kreise,

Um ihn her mit seiner Brut,

Horcht begierig seiner Weise,

Und dem Knaben schwillt der Muth,

Singt sein Lied aus voller Brust. –

Das Gewürm in sel'ger Lust

Schließt der grellen Augen Lieder,

Sinket schnarchend vor ihm nieder –

Zither, klinge fort und fort!

Sei fortan sein Zauberwort!«


Und als er das Lied ausgesungen, da war's auch so, wie es im Lied heißt. Die Lindwürmer lagen hingesunken in tiefem Schlafe, und schnarchten, und der Giftqualm stieg zuweilen in blauen Flämmchen aus ihren Nasenlöchern empor.

Da kam Leuthold wieder von der Stadt herunter; denn er hatte von den flüchtigen Arbeitern und Hirten gehört, der Lindwurm sei mit seiner Brut aus der Höhle hervorgebrochen, und gewiß habe er schon den fremden Junkherrn mit der Zither verschlungen, der unten ganz nahe an seiner Höhle gesessen. Als aber Leuthold näher herab kam und sah, wie sein Junkherr ruhig und singend in Mitte des giftigen Gewürms saß, und rüstig die Saiten rührte, da rief er ihm in entsetztem Erstaunen zu: »Was, Junkherr? mein [107] Junkherr! was für Gesellen habt Ihr um Euch gesammelt?« Adelbert aber winkte ihn stille zu sich, und sprach: »Bring Ketten, daß wir die Unholde fesseln im Schlafe!« Und Leuthold ging hinauf in die Stadt, und brachte der Ketten so viele, als er nur aufzutreiben vermochte. Und während Adelbert von dem Einen der Lindwürmer zum Andern ging, ihm zu seinem tiefen Geschnarche in leisen Tönen ein Schlaflied spielend auf seiner Zither, fesselte Leuthold die Lindwürmer, zuerst den alten Lindwurm, und nach ihm seine Brut.

Und als sie nun alle gefesselt lagen in schweren Eisenketten und noch schwererem Schlafe, sprach Adelbert: »Gehe hinauf zur Stadt, und laß von den Bürgern Holz zusammen bringen, daß wir rings um die Würmer einen Scheiterhaufen bauen, und sie also verbrennen, daß das Land hinfort gesäubert sei von solchem Verderben.« Und Leuthold ging hinauf in die Stadt. Doch als er Kunde brachte von dem, was er mit seinem Junkherrn gethan, und wie sein Junkherr gedenke, die Würmer nun im Feuer zu tödten, da war ein Jubel unter dem Volke über die Maßen. Denn der Wurm hatte schon vielen Schaden gethan mit seinen Jungen, an Menschen und Heerden, und sie brachten eilig des Holzes eine große Menge zusammen, und bauten einen Scheiterhaufen um die Lindwürmer, und zündeten denselben [108] an, an allen Enden zugleich. Aber die Würmer erwachten erst vom tiefen Schlafe, als die Flammen schon hoch aufschlugen, und über ihnen zusammenflackerten, und versuchten aufzustehen und von dannen zu fliehen. Ehe sie sich aber der Fesseln zu entledigen vermochten, hatten sie schon die Flammen ergriffen, und sie brannten unter heftigem Gebrülle und lautem Schlangengezische, und das Drachenfett schmorete aus ihren Leibern heraus, und floß in einem Strom unter dem Scheiterhaufen hervor.

Da stand Adelbert und sprach: »Nun könnte man ja wohl thun, wie der hörnerne Siegfried, und sich baden in dem Fette, daß man auch hörnern würde, gleich ihm. Ich mag aber kein starker Kriegsheld sein auf Erden, und was ich nicht blos mit dem Saitenspiel und Gesang mir erwerbe, das will ich mit roher Kraft nicht erzwingen!« Und damit wandte er sich ab zur Stadt, und sein alter Knappe Leuthold mit ihm, daß er ihm die Herberge zeige.

Aber das Volk hatte sich um sie gesammelt, und begleitete sie mit Frohlocken hinauf, und führte sie vor den König des Landes, der in selbiger Stadt seinen Hof hielt. Der König empfing aber den Junkherr mit großen Holden und Ehren, und bot Adelberten mit Leuthold Herberge an in seinem Schlosse, und bat ihn, bei ihm zu bleiben etliche [109] Zeit, daß er ihm für die Wohlthat, die er ihm und dem Lande erwiesen, gebührende Ehre bezeigen möchte.

Solche freundliche, ehrende Ladung nahm Adelbert an, und wohnte fortan in dem Schlosse des Königs.

Viertes Kapitel

Viertes Kapitel.

Aber Adelbert und Leuthold waren noch wenige Wochen an dem Hofe des Königs, da waren schon die Blätter von den Bäumen geschüttelt, und die Herbstwinde saußten durch die kahlen Aeste; und noch etliche Wochen, und es war auch schon der Winter da mit seinen kalten Regengüssen, mit Schneegestöber unterbrochen. Da saß Adelbert die trüben Tage mit dem König und seinen Großen und Rathgebern manch schönes Stündlein in der hohen Königshalle mit den Marmorsäulen an dem wärmenden Kamin, und ließ aus seiner Laute einen frühlingshellen Liederstrauß herausblühen, daß Allen, so ihn hörten, das Herz aufschlug, als ob der Frühling mit seinen Blumen und seinen frischen Zweigen und mit seinen Nachtigallen schon hereingekommen wäre in das Land. Und wenn der König sich so recht ergötzt hatte an seinem Saitenspiel, da wandte er sich oft zu Adelbert, und sprach: »O begehrt nur, was Euch auf Erden gefallen mag, Ihr lieblicher Sänger. Ich will es Euch geben, so [110] fern es in meiner Macht steht; aber versprecht mir dagegen bei mir zu bleiben, so lang' mein schwaches Leben noch währen mag, und erheitert mir mit Euerm Gesange die wenigen übrigen Tage meines Greisenalters.«

So hatte der alte König auch eines Tages zu ihm gesprochen, da antwortete Adelbert: »Wie gerne wollt ich thun, wie Ihr begehret, mein edler königlicher Wirth, sofern es mir nicht eine höhere Pflicht verböte. Von meinem fernern Zuge hängt es ab, meiner Mutter im Grabe Ruhe zu geben, und meines Vaters Seele vom Bösen zu lösen. Darum wäre es Verrath an der Seligkeit der beiden mir so werthen Angehörigen, wenn ich in Eure Forderung willigte. Ja, ich bin daher gesonnen, in nächsten Tagen von hinnen zu ziehen, da die Regen und Schneeschauer des Winters vorüber zu sein scheinen, und die Sonne schon hie und da ein grünes Blättlein aus den Knospen Eurer Gartenbäume hervorlockt.«

Als der König solches vernommen, da drang er nicht ferner mehr in ihn. Aber ihn bei seinem Abschied noch zu ehren, versammelte er alsbald die Ritter seines Landes bei sich an seinem Hofe zu einem feierlichen Waffenspiele. Da war am Eingange des Gartens ein weiter Kampfplatz abgesteckt, an dessen Schranken die Ritter sich versammelten in ihren Waffen. Aber rings an den Stämmen der Lindenbäume, [111] so den Platz umfasseten, hingen die reichen Wappen der Ritter und Kämpfer, das Alter und den edeln Stamm, aus dem sie entsprossen, bezeugend.

Da gedachte der König seinen jungen Sänger zu ehren, und führte ihn hinaus auf den Balkon des Schlosses, der über den Kampfplatz als Schaubühne herüberhing, von den Säulen des Garteneingangs getragen. Und als sie hervortraten, neigten alle die Ritter ihre Lanzen, den König zu begrüßen. Aber der König zeigte auf Adelbert, und sprach zu den Rittern: »Seht hier, Ihr Ritter und Edelknechte! Dieser Jüngling hat Euch alle übertroffen mit all Eurer Ritterherrlichkeit. Er hat allein vollbracht, was Ihr schon zu Hunderten versucht, und doch nicht zu vollbringen vermochtet; er hat den Lindwurm getödtet mit seiner Brut, der dem ganzen Lande verderblich war. Darum ist es billig, daß Ihr ihn auch ehret, als Euern Meister. Und jeder, der solches will, der neige vorüberreitend vor dem Jüngling die Lanze.«

Da ritten Viele vor dem König und vor Adelberten vorüber, und wenn sie vor Adelbert kamen, neigten sie tief ihre Lanzen, und Adelbert erröthete bescheiden bei jedem Gruß der Ritter. Aber Einer kam, das war ein hoher, stattlicher Ritter in schwarzem Harnische, auf schwarzem Schlachtrosse, der ritt vorüber, und sah Adelberten verachtend ins Gesicht, [112] und ritt vorüber ohne zu grüßen. Und der König rief ihm zu: »Ehrest Du so wenig meinen Gast, daß Du ihn nicht Deines Grußes würdigest?«

Aber der Ritter entgegnete trotzig: »Es spreche mein König, ich soll seinen Gast ehren, und wenn's schon nur ein Knabe, so will ich's gleich wohl. Doch spricht mein König, ich soll meinen Meister ehren in dem Knaben, so reite ich abermals ohne Grüßen vorüber. Wenn der Knabe ein Mann sein will, und von Männern und Rittern geehrt, so verdiene er das erst im ritterlichen Kampfe, und thu es kund an Männern, was er durch die Kraft seines Saitenspiels vermag gegen die Kraft eines Heldenarms, und nicht an unvernünftigen Bestien, die er in Schlaf singt, und im Schlafe ermordet.«

Da nickte ihm Adelbert freundlich bejahend zu, und die blonden Locken spielten ihm vorn auf der Stirne; und er rief dem trotzigen Ritter hinunter: »Gut, gut! Es geschehe, wie Ihr begehret. Laßt nur das Kampfspiel zu Ende gehn, und mit dem Sieger tret' ich noch zuletzt in die Schranken.«

Und das Kampfspiel begann, und es ward gehalten mit vieler Pracht in dem Garten des Königs. Und die Helden rannten mit Lanzen und fochten mit Streithämmern, und kämpften mit Schwertern. Aber der trotzige [113] Ritter war immer der Erste in jeder Gattung des Waffenspiels. Und es säumte schon der Abend die Wolken mit röthlichem Scheine und vergoldete die knospenden Zweige der Bäume mit warmem Lichte; da hielt der trotzige Sieger in Mitten der Kampfbahn, und winkte mit der Lanze hinauf und rief: »Nun Junkherrlein, so es dir gefällt, so setze dich auf dein Rößlein, und reite herein in die Schranken. Gib aber hübsch Achtung, daß du vor Angst nicht vom Sattel fallest, ehe ich dich mit der Lanze herabhebe, und über das Geländer hinausschleudere. Aber mich jammert doch dein, ich will den ungleichen Kampf dir meinetwegen erlassen, wenn du es geduldig erträgst, daß ich ohne Grüßen vor dir vorbeireite.«

Darauf sprach Adelbert in seiner Seele: »O, lieb Mütterlein, laß an diesem die Macht deines Saitenspiels kund werden, und meines Gesanges,« und wollte hinabsteigen. Aber der König sprach zu ihm: »Bleibt hier, lieber Junkherr! bleibt hier. Der trotzige Mann macht mirs selbst ja nicht besser, und ich bin doch sein König. Aber er ist der kundigste und stärkste Fechter meines Landes.«

»Ei,« sprach Adelbert, »um so eher verdient er, daß ich hinabsteige, und die störrige Kraft zu bezähmen suche, und ihn lehre, daß es noch etwas Höheres gibt, als das rohe Dreinschlagen, vor dem die leibliche Kraft sich in Demuth [114] zu neigen verbunden ist. Wie kann er denn sonst Euer Unterthan sein? Wenn er die Stärke für das Herrlichste hält in dem Menschen, so ist König wer der Stärkste ist, so ist er Euer König, oder dünkt es sich mindestens würdig zu sein.«

Und mit solchen Worten schritt er den Balkon hinab, und stieg auf sein Rößlein, und nahm die Zither in seinen Arm, und ritt in die Schranken. Als er aber in die Schranken kam, ritt er auf den trotzigen Ritter zu, und seine Zither mit einigen Griffen versuchend, sprach er zu ihm: »Ihr werdet mir in unserm Kampfe wohl den Vorrang lassen müssen, erst mir den Schlag, und dann ihn selbst erst führen. Denn wenn Ihr mir mein Saitenspiel zerschlagt, so ist's mit meinem Spiel dahin, und wenn Ihr meinen Leib zerschlagt, so ist's auch mit meinem Gesange vorbei. So Ihr mich aber beginnen laßt, will ich's versuchen, ob ich mit meinen Waffen die Euern zu zerbrechen vermag.«

»Ja, ja, singt nur und spielt,« sagte der Ritter, »für meine Waffen ist mir eben nicht groß bange.«

Und Adelbert hielt ihm gegenüber, und sang erst mit sanfter. Stimme ein Gebetlied zu seiner holden Mutter, dann griff er die Saiten Anfangs mit rascher Kraft, und es schien die Begleitung eines Kriegsliedes, das er in Gedanken sang. Aber sein Gegner hielt mit erhöhetem Kriegsmuthe [115] ihm gegenüber, und blickte ihm kampflustig und schlagfertig entgegen. Da bebte der König, und beklagten die Zuschauer den sanften Jüngling. Auch Adelbert griff wieder sanfter und linder in die Saiten, und besänftigte den durch sein voriges Spiel aufgeregten Kriegsmuth in Aller Herzen, selbst in dem Herzen seines trotzigen Gegners. Aber bei seinem Spiel schien er sich nach und nach zu verklären, und seine Locken umwallten ihm im Schimmer der Abendsonne das Haupt rings wie ein goldener Heiligenschein, und ein wunderbares Licht entwallte mit den Tönen den glänzenden Saiten seiner Zither, und umgab ihn mit wunderbarem Glanze, so daß er endlich einer verklärten Engelserscheinung gleich, nur noch über seinem Weißrößlein zu schweben schien. Da sang er zu seinem wunderbaren Spiele endlich folgende einfache Worte:


»Am Quellenrand

Ein Blümlein stand;

Das Blümlein lacht

In Frühlingpracht.

Und groß und schwer

Von Alters her

Ein Felsenstein

Von oben herein

Hoch über die Quelle da hing,

Der achtet das stille Blümlein gering.


Ho, Blümlein, ho!

Was lachst du so?

[116]

Wer achtet dein?

Bist schwach und klein;

Man pflückt dich ab,

Welkst gleich hinab.

Auch ich, auch ich

Zerschmettre wohl dich.

Denn fall ich jetzt auf dich hinab,

Ich tödte dich, schlag dich zumal ins Grab!«


»Du Felsstein, du,

Fall immer zu,

Fall auf mich ab,

Mich schlag ins Grab.

Verweht mein Licht,

Auch dir strahlt's nicht.

Der Farbe Pracht

An dir drum nicht lacht,

Verderben wohl kannst mich; – doch mein

Bleibt eigen allein der liebliche Schein.«


Adelbert hatte zu diesem unbedeutenden Fabelliede die schönsten Töne hervorgelockt, die in seiner Zither schliefen, und als er geendet hatte, wiederholte er nochmals die ersten Worte des letzten Verses:


»Nun, Felsstein, du!

Fall immer zu!«


Doch der trotzige Ritter gab seinem Pferde die Spornen, und legte seine Lanze ein, und sprengte sein Schwarzroß gegen Adelberten, lenkte aber an ihm vorüber, und seine Lanze splitterte an der Säule des Garteneingangs in Stücke, und die Splitter flogen weit umher. Dann wandte er sich langsam um, [117] und sprach zu Adelberten: »Mein Junkherr, gegen Euch kann ich nicht kämpfen, und vor Euch neigt' ich gern die Lanze, aber Ihr habt mir sie zersplittert mit Euren Waffen. Nein solch Wunderblümlein, als Ihr seid, will ich großer Fels nicht erdrücken mit meiner rohen Last.« Und damit sprang er ab von seinem Schlachtroß, und schritt schnell hin, und hielt Adelberten den Bügel, und Adelbert schwang sich fröhlich herab, und die beiden Feinde lagen einander in den Armen.

Da erscholl der lang zurückgehaltene Freudenruf des Königs von dem Balkon, und in tausend Jubelstimmen wiederhallte der Ruf von den Schranken zu dem Könige hinauf. Aber der König kam herab, und führte den Sänger an seiner Rechten, den starken Ritter an seiner Linken hinein, und die übrigen Kampfgenossen folgten ihnen nach in den hohen Saal, wo der festlich geschmückte Abendtisch die Gäste des Königs erwartete.

Fünftes Kapitel

Fünftes Kapitel.

Als das Mahl aber bald vorüber war, erhob sich Adelbert von seinem Sitze zur Seite des Königs, und ging hinaus in den Garten, und ihm folgte sein vormals trotziger Gegner. Und sie schritten die Gänge von knospenden Bäumen [118] entlang, und setzten sich am Ende des Gartens auf eine steinerne Bank. Der Vollmond leuchtete aber mit klarem Schein auf sie nieder, und der trotzige Ritter sahe Adelberten lange aufmerksam ins Gesicht. Da fragte ihn Adelbert: »Sagt mir lieber Ritter, so ferne es Euch gefällt, vorerst Euern Stamm, und dann auch die Ursache, warum Ihr mich schon etlichemal so genau betrachtet?«

»Mein Name Junkherr,« antwortete der Ritter, »ist Otto, und um meiner Leibesgröße und Stärke willen, werde ich nur der Groß Ott genannt. Warum ich Euch aber so oft ins Angesicht schauen muß, und meine Augen von Euch kaum abzuwenden vermag, seht! das hat seine eigene Bewandtniß, und daferne Euch eine kurze Mähr, die vielleicht gar ein erdichtetes Mährlein ist, nicht Langeweile macht, so will ich Euch das wohl sagen.«

»Nein mein lieber Groß Ott, erzählt mir immer Eure Mähr,« sagte Adelbert. »Wo habt Ihr je gehört, daß ein rechter Sänger nicht gerne einer guten Mähr sein Ohr geboten, daferne er nur ein Sänger war recht mit ganzem Gemüthe?«

Da hob Groß Ott an: »Seht man hat bei uns eine Sage von einem starken Ritter, der ein arger Zauberer sein soll, und jetzt tief in Afrika wohnet. Der Zauberer wohnte früher aber hier im Lande, und hatte unter andern wunderbaren [119] Geräthen auch ein gar mächtiges Saitenspiel. Das hatte er auf einem Zuge durch Deutschland mit sich gebracht, und die Leute wollten behaupten, er besitze es auf keine gar rühmliche Weise, indem er es einer edlen Frau dort heimlich entwendet habe, weil er gesehen, welche Wunder sie mit Hülfe der Zither verrichtet, und weil er sich in Besitz dieser Wundermacht zu setzen gedachte. Aber er hatte sich doch betrogen, denn die Zither gewährte ihre Macht nur dann, wenn ihre Saiten von den Fingern eines Menschen berührt wurden, dessen Gemüth sanft und mild, sich keiner vorsetzlichen Uebelthat bewußt war. Daher kam es, daß sie dem bösen Zauberer nie zu Willen war, ja, daß immer sogar das Gegentheil von dem sich ereignete, was er durch sein Spiel und seinen Gesang zu bewirken gehofft. Darum hatte er endlich das Saitenspiel unwillig hingeworfen, und nimmer beachtet. Aber der Sohn der edlen Frau, der er das Kleinod gestohlen, hatte sich aufgemacht, und war ihm nachgezogen, und hatte seine Burg erforscht, und hielt nun vor den hohen Mauern seiner Veste, und forderte ihn auf zum ritterlichen Zweikampf um den Besitz der Wunderzither. Da sandte ihn der Zauberer zuerst allerlei kleine Spuckereien entgegen, und hoffte sie würden den Gegner verschüchtern. Doch der starke Ritter widerstand Allem durch seinen reinen festen Willen, und zerstreute allen Spuck. Da mußte [120] der Ritter endlich selber herauskommen, und zwang ihn die Zither herauszugeben, mit welcher er fröhlich nach Hause zog. Der arge Zauberer suchte noch Rache an ihm zu nehmen, und raubte ihm sein liebstes Kind, das die Mutter nicht sorgsam bewachte, und nahm es mit sich ins Innere von Afrika hinein, wo er nun seine Zaubereien ins Große treibt. Doch, lieber Jungherr, das müßt Ihr wohl wissen, denn Ihr seid ja aus deutschen Landen, und die Geschichte ist von dorther zu uns gekommen. Nur das füge ich noch hinzu, daß der Zauberer nun alle Vollmondsnächte aus seiner fernen Heimath eine Spukgestalt herüber schickt, die die Mutter im Grabe stört und sie verhöhnt. Das, sagt man wenigstens bei uns, sei der schwarze Ritter auf dem Flügelrosse mit der zarten, blassen Jungfrau in dem Arme, der jede Vollmondsnacht auch über unserer Gegend nach Deutschland hinüber zieht. – Nun aber sollt Ihr wissen, edler Junkherr, daß die blasse Jungfrau, die ich selber schon oftmals gesehen, mir so ins Herz geschrieben ist, daß ich ihre liebliche Anmuth gar nicht vergessen kann, und darum entschlossen bin, hinauszuziehen, und sie wo möglich dem schwarzen Zauberritter abzugewinnen, oder in dem Kampfe um sie zu sterben. Denn nur dann hat das Leben noch eine Freude für mich, wenn die blasse Jungfrau meine Hauswirthin ist. Aber warum ich Euch mit solcher Lust und solchem Schmerz schon den [121] ganzen Abend her betrachte, das geschieht darum, weil Ihr ganz das Ebenbild der blassen Jungfrau seid, nur daß Eure Wangen von etwas frischerer Farbe fröhlicher leuchten.«

Adelbert hatte aufmerksam zugehört, und wußte nun wohl, daß Herr Groß Ott ihm die Geschichte seines Vaters und seiner Zither erzählte. Als die Mähr aber zu Ende war, da sprach er: »Ihr habt mir eine theure Kunde gegeben, und ich dank' Euch herzlich dafür. Ohne Euch wär' ich vielleicht noch lange zwecklos herumgezogen; nun aber weiß ich, daß ich mich gerade nach Afrika wenden muß, um das Ziel meiner Reise zu erlangen. Denn eben der schwarze Zauberritter mit dem feuerfarbenen Helm ist es, den ich aufsuche, und von dem ich bisher noch keine Spur gefunden.«

»Ja, ja, feuerfarbene Helmfedern trägt er auch in der Spukgestalt auf dem Flügelrosse,« antwortete Groß Ott. »So kennt Ihr ihn auch schon? so habt Ihr ihn auch schon gesehen?«

»Wohl hab' ich das!« erwiderte der Junkherr. »Und die blasse Jungfrau ist mein Zwillingsschwesterlein, die er meiner Mutter geraubt, und meine Zither ist wohl auch die Wunderzither, die mein Vater dem Feinde wieder abgewonnen. Aber ich ziehe jetzt nach ihm, und gedenk ihm auch mein holdes Schwesterlein abzugewinnen, und dann [122] soll sie sofern sie selbst es will, Eure treue Hauswirthin werden, mein edler Kämpfer.«

»O,« sagte Groß Ott, »da nehmt mich doch mit Euch; wir besiegen den Feind um so eher« »Es sei so!« antwortete Adelbert, und schlug seine Hand in Groß Otts dargebotene Rechte.

Sie standen aber noch so, da hörten sie es rauschen durch die Luft, und sagten beide zugleich: »Da kommt das schwarze Flügelroß.« Und als sie aufschauten, schwebte der Spuk über den Garten daher. Adelbert ergriff aber seine Zither, die noch auf der Steinbank lag, und sang mit lauter Stimme:


O, traure nicht,

Du holdes Licht

Mit deiner Wangen blassem Schein!

Ich komme, holdes Schwesterlein,

Ich löse bald

Dich aus des schwarzen Zauberers Gewalt.

Und mit noch lauterer Stimme sang er weiter:

Zieh aus, zieh ein

Im Mondenschein,

Du schwarzer Zauberritter!

Zieh heim, zieh hinaus

Ich find' dich aus! –

Und hab ich funden dein Zauberschloß.

Ich nehme dir wohl dein Flügelroß.

Bald läßt in Ruh

Die Todten du; –

Ich zwinge dich mit der Wunderzither.


[123] Da beflügelte das Flügelroß noch mehr seinen Flug, und zog vollends vorüber. Aber die blasse Jungfrau neigte sich weit herab nach ihnen, und warf vorüberziehend etwas herab. Adelbert neigte sich, und hob einen goldenen Schlüssel auf, und zeigte ihn seinem Freunde, und beide freueten sich des freundlichen siegverheißenden Zeichens.

Sechstes Kapitel

Sechstes Kapitel.

Als am andern Morgen die Lerchen sich in die Lüfte schwangen, ihr Morgenlied zu singen, hatte Adelbert das seinige schon längst erschallen lassen durch Flur und Wald, und ritt nun schon ferne von der Stadt mit seinem Freunde, Herrn Groß Ott, der Küste des Meeres zu. Dort angelangt, bestiegen sie noch selbigen Tages ein segelfertiges Schiff, das bestimmt war nach Aegypten zu segeln, um eine Ladung Waaren aus jenem Lande zu holen. Ein günstiger Wind blähete die Segel, und man lichtete fröhlich die Anker und stach in die hohe See. Da glitt der Kiel des Schiffs leicht über die Fläche des Wasserspiegels hin, und Adelbert saß mit Herrn Groß Ott auf dem Verdeck, und sah von Tage zu Tage die Küsten des Landes, an denen sie längs hinsegelten, ferner und ferner verschwinden, und bald sahen sie nichts mehr als Wasser und Himmel. Da geschah es eines Morgens, [124] daß sie aufgeweckt wurden von dem lauten Getümmel der Ruderknechte auf dem Verdecke, und als sie hinauftraten, sahen sie den Himmel in Westen von dunkeln Wolken verdeckt, und der Steuermann rief ihnen zu, ein fürchterlicher Sturm sei im Anzuge. Zugleich kräuselten sich auch die Häupter der hohen angeschwollenen Wogen, und fern grollte ein weithin hallender Donner. Da erhob auch der Wind seine Macht und blies in die Wogen, daß sie höher und immer höher heranrauschten mit schäumenden, überschlagenden Häuptern, und an das Schiff anschlugen mit zerstörender Gewalt. Und der Donner rollte näher und näher. Da sank allen den Ruderknechten und Steuerkundigen vollends der Muth. Und als Adelbert sie schmählte um ihrer Ruchlosigkeit willen, da sprach der alte wegkundige Steuermann: »Junkherr, Euer Muth machte mich lachen, wenn man in solcher Lage zu lachen vermöchte. Ich hab' mein halbes Leben wohl schon auf dem Meere hingebracht, und manchen Sturm schon bestanden, doch hier ist's heute ein Anderes. Euer Muth kommt von Unkunde der Gefahr, in der wir jeden Augenblick schweben. Denn Ihr wißt wohl nicht, daß wir hier an der Stelle des Meeres sind voller Untiefen und Sandbänke; und so uns nicht Gottes sichtbare Führung leitet, muß unser Schiff zerschellen an irgend einer der Bänke, an welche der Sturm und die Wogen uns schleudern.«

[125] Da antwortete Adelbert: »Ei so muß man denn auch auf Gottes sichtbare Fügung bauen, wenn sie allein nur zu retten vermag. Ohne Vertrauen wird Niemandem geholfen.«

Aber von Minute zu Minute verstärkte sich die Macht des aufgeregten Elementes. Der Himmel war dunkel schwarz umzogen, und die Blitzschlangen fuhren in grellerhellendem Zickzack durch das Dunkel des Gewölbes hernieder auf das durcheinander gerührte brausende Wellenheer. Und der Donner schlug mit fürchterlich lautem Halle nach, von Wolke zu Wolke forthallend durch das weite Gewölbe, und tausendfach gebrochen im dumpfen Wiederhall, fortrollend und in der Ferne nach und nach sich verlierend. Und schneller und immer schneller kehrten die Blitzschläge wieder, und lauter und immer lauter krachte der Donner, und wilder und immer wilder tobte und schäumte die Meeresfluth. Da stieg das Schiff, zur Bergeshöhe von den Wellen gehoben; da sank das Schiff, in Abgrundstiefe von dem Sturme geschleudert, und selbst der Angstruf der Ruderknechte schwieg verstummend in dem gräßlichen Aufruhr. Aber Adelbert hatte sein Saitenspiel gefaßt, und weil er nicht zu stehen vermochte in dem Schwanken, hatte er sich niedergesetzt an dem Hauptmaste des Schiffes, und hatte den Mast mit seinen Füßen umfaßt, und lehnte sich an denselben mit seiner Schulter, ihn mit dem linken Arme umfassend. Und so fing er an in das Krachen [126] des Donners, in das Sturmgebrause, in das Wellengetöse hinauszuspielen auf seiner Zither. Und er rührte die Saiten mit raschen Schlägen, gleich als ob er zürne, und bald lockte er dazwischen beruhigende Töne hervor.

Da schalt ihm der Steuermann von dem Hintertheile des Schiffes herüber, daß er in solchem Sturme sein eiteles Saitenspiel immer noch forttriebe. Aber Adelbert achtete nicht seines Scheltens, und erhob nur kräftiger seine Stimme, aus voller Brust in die Wuth der Elemente wieder hinaus singend:


Verhall, Verhall,

Du Donnerschall!

Sanft! Sanft! Ihr wilden Wellen!

Mein Schifflein möcht' zerschellen!

Ihr Winde, schweigt!

Ihr Wolken grau,

Verschwimmt, und zeigt

Den Himmel blau.

Jetzt in Gefahr

Du hohe Kraft,

Die Alles schafft,

Mach dich uns offenbar.

Die Gotteshand,

Die Alles hält,

Führ' unzerschellt

Mein Schifflein zu dem fernen Strand.


Und langsamer und immer langsamer erfolgten die Donnerschläge; und stiller und immer stiller wurde von Augenblick [127] zu Augenblick das Sturmgebrause und das Wellenrauschen; und lichter, und immer lichter wurde das Gewölke; und sanfter und immer sanfter wurde das Schwanken des Schiffes. Und jetzt zerriß das Gewölke und der blaue Himmel lachte hervor, und die Wellen zerrannen und durch die Spiegelfläche gleitete wieder der Kiel, und ferner und immer ferner rollte der Donner, und schon hörte man ihn gar nicht mehr. Da lebte auch der Muth des Steuermanns und der Ruderknechte neu auf, und sie kamen, und dankten ihrem Erretter. Denn sie hatten, trotz Sturmsgesaus und Donnerhall, sein Lied doch vernommen, und nachgebetet in ihren Herzen. Und der Steuermann sprach zu ihm: »Junkherr, jetzt ist's an Euch, mich der Unwissenheit zu beschuldigen und zu strafen. Denn ich wußte nicht, welch großen Schatz des Vertrauens Ihr in Eurer Seele traget, und daß solch Vertrauen also mächtig wirkt in dem Menschen und aus ihm heraus.«

Da antwortete ihm Adelbert: »Sofern Ihr das nun erkannt habt, so gebet Gott die Ehre, dessen sichtbare Führung uns gerettet hat aus der Gefahr der drohenden Elemente, und laßt uns ein Lied singen, ihm zu Dank und Preis.« – Und sie stimmten ein Lied an, und das ganze Schiffsvolk sang mit aus voller Kehle zu dem Klange des wunderthätigen Saitenspiels, und das Lied fing an, wie es [128] jetzt noch bei uns ein Lied gibt: Großer Gott, wir loben dich!

Dann segelten sie glücklich um die Pyrenäische Halbinsel herum, durch die Meerenge bei Gibraltar hindurch, an Malta vorüber, gegen die sieben Mündungen des Nilstromes zu. So es ihnen aber auf dieser fernen Fahrt an Lebensmitteln gebrach, warfen sie nur die Netze aus, und wenn Adelbert sein Saitenspiel rührte, kamen die Fische schaarenweise herbeigeschwommen und ließen sich fahen.

Siebentes Kapitel

Siebentes Kapitel.

So waren sie nach rascher Fahrt gelandet an der vielen Ströme einem, durch die sich der Fluß des fruchtbaren Aegyptens ergießt, und Adelbert und Groß Ott waren mit Adelberts altem Diener Leuthold, der noch immer väterlich für seinen Junkherr besorgt war, und oft mehr als sich gebühren wollte für den herangereiften Jüngling, längs dem Arme des Stromes durch das üppige Nilthal gezogen. Wohl überall hatten sie nach dem fremden Zauberritter gefragt, aber nirgends konnten sie Kunde von ihm bekommen. Da zogen sie denn planlos durch Unter-Aegypten hindurch. Und als sie hinaufkamen an die Stelle, wo der Nil nicht mehr getheilt, sondern in einem breiten Strome fließt, an [129] den schönen Palmenwäldern vorbei, wo hier und da schon auf den kleinen Anhöhen die kleineren Pyramiden sich erheben, da sahen sie zur Rechten hinauf endlich die hohe Cheops-Pyramide stehen, und beschlossen, dahin sich zu wenden. Und sie betraten den langen Damm, der hinauf zur Anhöhe führt, und kamen mit müden Rossen an der Pyramide an. Da standen sie an dem ungeheuern Baue, und staunten daran hinauf, und Groß Ott freute sich höchlich über die Ausführung eines so kühnen Unternehmens.

Indem gewahrte Adelbert im Herumgehen um die Ecke der Pyramide eine Oeffnung in der Mauer, und sprach zu Groß Ott: »O, werther Herr, der Abend dämmert schon im Nilthale, und die Sonne bescheint auch nur noch die Spitze des großen Baues, die Nacht kann nicht fern mehr sein, und bis wir ein wirthliches Dach unter den Fremden fänden, das möchte wohl lange dauern. Auf keinen Fall finden wir ein solch königlich hohes, als das hier. Laßt uns darum die Nacht hier zubringen. Ich gewahre hier einen Eingang, und dafern uns der Nachtthau unter Dach treibet, so können wir ja immer da hineinsteigen.« Das war recht nach Groß Otts Sinne, und er willigte freudig ein. Da ließen sie ihre Rosse von Leuthold wieder hinabführen in das Thal, damit sie dort ihr Futter fänden; sie selbst aber blieben oben bei der Pyramide. Damit sie aber im Nothfalle [130] Bescheid darin wüßten, stiegen sie gleich hinein. Da führten vier schmälere und ein breiter Gang durch die ungeheuere Steinmasse, und aus den Hallen trat man in geräumige Gemächer.

Sie legten sich aber in dem ersten derselben nieder auf die Erde um da zu ruhen bis an den Tag. Es war aber dunkel um sie, denn die Gemächer hatten kein Licht von außen. Herr Groß Ott war bald eingeschlummert, und lag nun in tiefem, bewußtlosem Schlafe, aber Adelbert war ruhig in seiner Seele, und lag schlaflos auf dem Boden. Da griff er endlich nach seiner Zither, und spielte darauf, und rührte kaum hörbar die Saiten. Und es erhellte sich nach und nach das Gemach, und er sah in den Wänden ringsum hohe Mauernischen, und in diesen standen große Steinsärge. Und er rührte ferner die Saiten, da trat zur Thür herein ein brauner Mensch mit grauem Barte und weitem Mantel, und um den Mantel trug er einen weiten Gürtel mit seltsamen Zeichen. Aber in der Hand hielt er einen Stab, mit welchem er Adelberten winkte, ihm zu folgen. Da führte er ihn hinaus durch die andern Gänge bis an das Ende des geräumigen Ganges. Und hier rührte er mit seinem weißen Stabe eine große Steinplatte. Da bewegte sich selbe, wie eine Thür in ihren Angeln, und öffnete einen verborgenen Gang, der führte eine Strecke gerade aus. Und der [131] Mann winkte Adelberten mit seinem Stabe, ihm weiter zu folgen. Da stiegen sie endlich, wo der Gang sich wendete, viele Stufen weit hinab, und schritten dann wieder auf ebenen Wegen, von Mauergewölben gedeckt, weiter und weiter. Endlich stiegen sie wieder einige Stufen hinauf, und schritten nun durch verworrene Hallen und Gänge in eine kleinere Halle, die war wieder an den Wänden ringsum mit Nischen erbaut, und in den Nischen standen Steinsärge. Aber der Mann mit dem Stabe führte den Jüngling an den größten Steinsarg der mittelsten Nische, und rührte mit seinem Stabe den Deckel desselben. Da hob sich der Deckel, und legte sich zur Seite nieder, und darin lag wunderlich eingehüllt seltsam verziert eine ähnliche Mannsgestalt, die war noch ganz umgeben mit einer braunen Rinde. Und der Braune mit dem grauen Barte rührte die Gestalt mit seinem Stabe, da lös'te sich auch der obere Theil der Rinde mit den seltsamen Verzierungen ab, als die äußere Schale, und darinnen lag ein brauner Mensch. Da sagte der Alte zu Adelberten: »Weck' ihn! weck' ihn!« und deutete auf sein Saitenspiel. Und Adelbert hatte kaum die Saiten gerührt, da richtete sich der Mann aus der braunen Rinde auf, und die beiden Braunen bewillkommten sich herzlich, aber schweigend, und traten in die andere Ecke der Halle, und sprachen insgeheim recht angelegentlich mit einander. Nachdem sie lange Zeit [132] so gesprochen, schieden sie wieder von einander, der eine Braune legte sich nieder in seine braune Hülle und der Deckel mit dem Zeichen legte sich darüber und dann auch der Steindeckel des Sarges. Aber der Alte winkte wieder, und führte Adelberten wieder zurück zu seinem schlafenden Genossen, Herrn Groß Ott. Dann zog er aus seinem weißen Stabe, als aus einer Scheide, einen ähnlichen kleinern Stab, und reichte ihm denselben und sprach: »Zieh stromaufwärts bis dahin, wo er über die Felsen hoch herabstürzt. Dort wirf das Stäblein in den Sand, und folg' ihm nach; es führt dich.« Damit schied er nun, und mit ihm verlosch der helle Schein, so bisher ihre Wege erleuchtet hatte. Und Adelbert legte sich auf die Erde neben seinen Genossen. Da sank auch bald der Schlaf auf seine Augen hernieder.

Achtes Kapitel

Achtes Kapitel.

Der alte Leuthold war am Morgen schon einigemal um den großen viereckigen Bau herumgewandelt, und freute sich nicht wenig, als sein edler Junkherr aus der Mauer heraustrat. Denn er meinte doch, es müsse ein unheimliches Schlafen sein in solchem ungeheuren Bau, von dem man [133] wohl sehe, daß er zu Nutz der Lebenden nicht gemacht sei; sonst, glaubte er, hätte man den lieben Tageslichte doch auch einen Eingang darein gestattet.

»Wenn gleich das Tageslicht nicht darin leuchtet, lieber Leuthold,« sprach dagegen Adelbert, »so ist mir doch ein recht erwünschtes Licht in diesem Dunkel aufgegangen, und wo sich Einem das leibliche Auge vor der Dunkelheit schließt, da thut sich das geistige oft desto heller auf.«

»Wie meint Ihr das, mein edler Junkherr?« fragte Leuthold, und Groß Ott sprach: »Ich versteh Euch selbst nicht, mein trauter Genosse.«

Da erzählte ihnen Adelbert, was ihm diese Nacht begegnet, und daß er nun sicher wisse, wohin er sich zu wenden habe, um den Zauberritter zu finden, und zeigte ihnen sein Stäblein. Da zogen sie fröhlich hinab in das Thal und längs dem Strome hinauf. Die Sonne drückte aber heiß, und Adelbert, noch müde von der gestrigen Fahrt, mehr aber von seiner nächtlichen Wanderung, sank nahe an dem schilfigten Ufer des Nil ermattet nieder in den Schatten einiger Palmen. Groß Ott und Leuthold ruheten bei ihm. Da rauschte es plötzlich durch das Schilf, und hervor schoß eine ungeheuer große Eidechse, die faßte Adelberts Zither am Goldbande, und schleifte sie an demselben fort. Das ersah noch Herr Groß Ott, und schnell hatte er seine Lanze [134] zur Hand, und stieß sie der Eidechse zwischen den spitzigen Zähnen durch den Rachen bis tief in den Schlund, daß sie zuckend und sterbend auf der Erde lag.

Als darauf Adelbert erwachte und das erlegte Ungeheuer näher besah, sprach er: »Nun, fast möcht' ich solch ein Thier auch einen kleinen Lindwurm nennen, und ich dank' Euch herzlich, daß Ihr es erlegt habt. Nicht zu gedenken, daß es mich wohl zu verschlingen vermöchte, so ist mir noch mehr, als an meinem Leben, an meinem Saitenspiel gelegen, und um das wär' ich, ohne Euern Schutz, doch sicher jetzt im Schlafe gekommen.«

»Ei,« antwortete Groß Ott mit herzlicher Freude: »Die Kraft des Arms ist doch eine gute Gottesgabe, edler Junkherr, wenn sie nicht schon das Höchste im Menschen ist. Und es ist mir lieb, daß solch ein Abenteuer uns aufstieß. Denn bisher war ich an allem meinen Werthe verzweifelt, weil ich sah, wie Ihr Alles mit Euerm Saitenspiele ausrichtet, und viel vollkommener, als ich mirs auszurichten getraute. Ich glaubte endlich ganz, ich sei ein unnützer Gesell, und zieh' Euch mehr zur Last nach auf Euern Wegen, als zu Nutz und treuer Genossenschaft.«

»Nein, nein, antwortete Adelbert, da seid nur ruhig, mein trauter Genosse, ich werde Eures Armes wohl noch mehr bedürfen, wenn wir einmal zur Stelle sind.«

[135] »Das soll mir lieb sein,« entgegnete Groß Ott, »denn ich möchte ja gern recht viel dazu thun, die blasse Jungfrau dem argen Zauberritter abzugewinnen.«

Aber sie zogen ferner an der zerfallenen Herrlichkeit manches Palastes, an der untergesunkenen Pracht manches Tempels, mancher vergessenen Stadt vorbei, den Nilstrom hinauf ohne besondern Vorfall. Sie sahen wohl häufig die Krokodile aus dem Schilfe des Stromes hervorschießen, aber Groß Ott erlegte sie jedesmal mit vieler Gewandtheit. Oder wenn auch ein häßliches Nilpferd gegen sie herzu kam, so zog es bald, gezähmt durch Adelberts Saitenspiel, eine Strecke mit ihnen stromaufwärts, oder Groß Otts Lanze bewies auch an ihm seine Kraft.

Da kamen sie endlich an die Stelle, wo der Nil in großer Breite sich eine steile Höhe herabstürzt, daß man in stundenweiter Entfernung schon den Donner der stürzenden Wasser vernimmt. Und als sie den Sturz des mächtigen Stromes lange bewundernd angestaunt hatten, und sich jetzt wieder wegwandten, da warf Adelbert sein weißes Stäblein, das ihm der braune Mann in der Pyramide gegeben, vor sich hin in den Sand. Aber kaum lag das Stäblein auf der Erde, da rührte es sich, und wand sich, und ward zu einer weißen Schlange, die schoß vor ihnen hin, nach der Abendgegend hinüber, und sie folgten ihr. Und die Schlange [136] führte sie einige Tage durch Sand und Steppen, wo sie oft kaum fanden, was sie zu ihrem nothdürftigen Lebensunterhalte brauchten.

Da langten sie endlich aber eines Tages mit ihren Rossen, ermattet und an ihrer letzten Kraft erschöpft, durch Sand und menschenleere Einöden an dem Fuße eines Gebirges an, das sie schon den ganzen Tag vor Augen gehabt und heiß ersehnt hatten, weil sie da frisches Quellwasser zu finden hofften. Allein da zog kein Bach durch frischen Wiesengrund, da plätscherte keine Quelle über die ausgespülten Felsen herunter, wie sie es geträumt hatten, als sie noch fern nur schwach an dem weißglühenden Horizonte die Umrisse des Gebirges vor sich sahen. Denn die Berge waren nicht hoch und unfruchtbarer Sand.

Da warfen sich die Reisenden mißmuthig nieder, wie ihre Rosse, die verschmachtend sich in den heißen Sand gestreckt hatten. Die Schlange ringelte sich aber vor ihnen recht frisch und lebenslustig. Und mit neidischen Augen sah Groß Ott auf sie, und sprach: »Ist es nicht in Wahrheit recht zum Aergern, wenn man selbst der vollen Kraft entbehrt, und verschmachtend am Boden liegt, und sieht ein ander Geschöpflein sich noch lustig regen, und einem zum Hohn ordentlich die überflüssige Kraft spielend verschwenden.«

»Solches kann mich nur erfreuen,« antwortete Adelbert, [137] und schaute dem Spiele des Schlängleins aufmerksam zu: »Singt noch einmal ein Lied,« sagte da Leuthold. »Soll ich denn auch noch mit meinem Gesang meine Kraft verschwenden?« fragte Adelbert. »Gut angewendet ist nicht verschwendet!« antwortete Leuthold. Und Adelbert faßte seine Zither, und sang:


Du dürres Land!

Hat dich erschaffen Gottes Hand,

So laß uns nicht verderben,

So laß uns nicht hier sterben,

Verschmachtend in dem heißen Sand.


Aber er legte die Zither gleich wieder weg, und sprach: »Die Zunge klebt mir am Gaumen, ich kann nicht singen.«

Da sagte Groß Ott mit schwacher Stimme: »Seht nur das Schlänglein.« Das Schlänglein hatte sich bei dem Gesange aufgebäumt, und mit klugen Augen zugehört; und nun schoß es pfeilschnell den Sandhügel hinauf. »Es möchte uns vielleicht recht wohl führen,« antwortete Adelbert. »Wenn wir's nur vermöchten, ihm zu folgen.« Aber kaum hatten sie sich noch drein ergeben zu bleiben, so kam auch die Schlange schon wieder herabgeschossen, und brachte, in ihren Zähnen haltend, eine frische saftige Dattelfrucht, und schoß wieder fort. Da theilte Adelbert die Dattelfrucht, und gab einen Theil davon Groß Ott, und einen Theil seinem alten Leuthold. Der wollte die Labung aber nicht annehmen vor [138] seinem Junkherrn. Indem brachte aber die Schlange wieder eine Dattelfrucht, und schoß abermal fort, und trieb dies so lange, bis sie sich alle gelabt hatten, und wieder aufzustehen vermochten. Da sprach Adelbert zu Herrn Groß Ott: »Nun? ist die lebendige Rührigkeit des Geschöpfleins dir noch zum Aerger?«

»O, schweigt! o schweigt!« antwortete Groß Ott. »Ich weiß wohl, daß ich ein Thor war.«

Nun schritten sie aber ihrem Schlänglein nach, den Hügel hinauf, und als sie oben waren, jauchzten sie freudig, denn unten war ein grünes lachendes Thal mit Dattelbäumen und einem Flüßlein. Und sie eilten hinab, und Groß Ott schöpfte aus dem Flüßlein Wasser in seinen Helm, und trugs wieder hinüber, und erquickte auch ihre Rosse. Dann führten sie die Thiere mit sich, und ließen sie unten weiden, und bald hatten auch sie ihre vorige Freudigkeit wieder erlangt.

Neuntes Kapitel

Neuntes Kapitel.

Als sie in dem Thale längs dem Flüßlein einige Tage gezogen waren, kamen sie eines Morgens an einen felsigen Berg. Da hielt das Schlänglein mit einemmale vor einer Höhe, die war geschlossen mit einer goldenen Thür. Da [139] fiel Adelberten der goldene Schlüssel ein, den ihm sein Schwesterlein von dem Flügelroß damals heruntergeworfen in des Königs Garten. Und er zog den Schlüssel hervor, und schloß die Thür auf. Aber der Gang durch den Felsen war breit, und jenseits leuchtete schon wieder das Tageslicht herein. Und Adelbert ritt hinein, und ihm folgte Groß Ott und Leuthold. Hinter ihnen schlug aber die Thür wieder mit heftigem Schlage zu. Da fuhr mit einemmale ein ungeheurer Löwe gegen sie, und versperrte ihnen den Ausgang der Höhle. Aber Adelbert griff schnell in die Saiten und sang:


König Leu! König Leu!

Gutem Herrn nur sei getreu.

Laß vom falschen Zauberritter.

Will auch dich von Sklavenketten,

König Löwe dann erretten.

Folge, folge meiner Zither!

Diene jetzt nur; kehre frei

Dann in deine Wüstenei.


Aber er hatte noch nicht ausgesungen, da sprang das edle königliche Thier ihm entgegen, mit seinem Schweife wedelnd, und fröhlich an ihm hinauf springend, gleich einem treuen Hunde, der seinen heimkehrenden Herrn begrüßt.

Da rief aber Groß Ott halbzürnend: »Wenn Ihr so friedlich und gütlich Alles abthun wollt, so bin ich ja doch ganz unnütz. Haltet Wort, und laßt mir jetzt auch mein Theil zukommen, wie Ihr versprochen habt.« Aber indem sie [140] durch die Höhle vollends hinein ritten, antwortete Adelbert: »Ich denke, wir werden hier alle Dreie der Arbeit genug finden, gebt Euch nur zufrieden.«

Als sie aber aus dem Felsengange hinein ritten, fanden sie sich in einem weiten Kreise, der rings umschlossen von senkrecht stehenden Felsen, und mitten im Kreise standen ungeheure Felsmassen, in wunderliche Formen künstlich zusammengestellt. Und das war die Burg des Zauberritters. Aber der Zauberritter hatte auch gehört, wie die goldene Felsenthür zuschlug, und stand oben auf seiner Felsenburg. Da rief er etliche Worte in fremdlautenden Tönen, und ein kleines Stück des Felsen lösete sich vorn ab, und öffnete den Eingang. Und aus demselben hervor sprengten sechs schwarzgeharnischte Ritter auf schwarzen Rossen. Von ihren Helmen aber weheten feuerfarbene Helmbüsche, wie auf dem Helme des Zauberritters. Da schlug Adelbert wohl die Saiten seiner Zither, allein in ihren rasselnden Harnischen schienen die Ritter die Töne nicht zu vernehmen, und sprengten auf Groß Otten zu, den sie für den gefährlichsten Gegner ansahen. Da konnte Groß Otts kräftiger Speerstoß und die Gewalt seines breiten Schwertes sich hinlänglich erproben, und als tüchtig bewähren. Und das that sie auch. Fünf der Ritter, die ihn umringten, fielen von seinen Speerstößen und Schwertschlägen. Aber auch der sechste wäre wohl von seiner [141] Hand noch gefallen; doch der war mit eingelegter Lanze gegen Adelbert gesprengt, und würde diesen wohl durchbohrt haben, da er ohne Harnisch und Schild war. Da hatte aber der alte Leuthold die Worte wahr gemacht, die Adelbert, vor dem Auszuge ihm, da er im Schlafe lag vorgesungen:


»Dein Junkherr reitet ganz insgeheim,

Und ziehst du nicht mit ihm, er kehrt wohl nimmer mehr heim.«


Adelbert wäre wohl nimmer heimgekehrt. Da war aber der alte Leuthold vorgesprengt, und schlug mit seinem Schwerte des Gegners Lanze auf die Seite, und spornte seinen Schimmel, und drang auf den Feind ein, und sein scharfes Schwert hieb er ihm bis tief unter die Halsberge, daß das Blut hervorquoll, und der schwarze Reiter von seinem Rappen herab sank.

Da ergrimmte der Zauberritter, und stampfte mit dem Fuße auf seine Felsburg. Und ein anderes Thor sprang auf, und hervor stürzten zwei Leoparden in weiten Sätzen. Da sang Adelbert ihnen entgegen, und sie wandten sich von ihm und sahen ihn und seine Gefährten von der Seite lauernd an, als wollten sie den Augenblick erwarten, da er schwiege, um sie dann anzufallen mit ihren Tatzen. Da sang Adelbert, da er solches gewahrte, schnell den Ton wechselnd:


[142]

»König Leu! König Leu!

Diene treu! diene treu.

Packe mir die Riesenkatzen,

Tödte sie mit deinen Tatzen.«


Und der Löwe stürzte hervor, und fiel mit schneller Wuth die Leoparden an. Aber die beiden packten den Löwen, und wären wohl seiner Meister geworden. Doch Groß Ott ritt näher, und spießte den einen derselben; den andern besiegte der Löwe, und zerriß ihn mit seinen Tatzen.

Solches ersehend ergrimmte der Zauberritter noch mehr, und raufte sich von seinen Haaren aus, und warf sie hinab. Und die Haare wurden zu giftigen Schlangen, und die Schlangen ringelten sich, und stellten sich in die Höhe, und sprangen dann plötzlich, wie empor geschnellt, an ihnen hinauf. Da scheuten wohl die Rosse Groß Otts und Leutholds, aber sie selbst hatten ihre Visire herabgezogen, und waren so in ihren Helmen und Harnischen sicher gegen den Biß des giftigen Schlangengewürmes. Aber Adelbert war ihm Preis gegeben. Doch er spielte auf seinem Saitenspiel, und die Schlangen, die ihn berührten, fielen getödtet zu Boden. Und von Leutholds und Groß Otts Klinge getroffen, fiel manche in Stücken wieder herab. Da sah der Zauberritter, daß solche Mittel vergebens wären, und versuchte das letzte, indem er herüber rief: »Ich weiß wohl, was Ihr wollt. Ihr wollt Rosablanka haben, die blasse Jungfrau? Ich [143] will Euch aber den Zugang zu meiner Felsburg schon sperren, daß Euer Keiner es wagen soll, ihr zu nahen. Wozu soll ich länger gegen Euch kämpfen lassen, da ich mich sonst wohl schützen kann.« Und damit lief er schnell in einem Kreise umher, und hielt einen Stab hinaus, und beschrieb so mit dem Stabe ebenfalls einen weitern Kreis, und riß seine feuerfarbenen Helmfedern herab und streute sie umher. Da schlugen die Flammen um die Burg auf, und bildeten rings einen Flammenhag.

»Ho, ho!« rief aber Adelbert, »ist das ein Hag, wie der, den Siegfried durchritt? Nun das kann man ja auch einmal versuchen, wie das thut, wenn man schon nicht hörnern ist, wie er war. Muß mir etwas Anderes denn helfen.« Dann wandte er sich zu Groß Otten, und rief: »Bleib, Geselle mein! Ich hole dir jetzt, wie Siegfried, die Braut.« Und damit rührte er die Saiten, und gab seinem Weißrößlein die Sporen, und indem er hinsprengte, sang er:


»Ho, stackert, ihr Flammen!

Schlagt rauschend zusammen!

Ho, glühe die Gluth!

Euch höhnet mein Muth.

Ich reite hinein,

Es seufzt ja da drinnen

Mein Schwesterlein;

Das will ich gewinnen

Aus Zaubers Reich.

Komm, Jungfrau bleich,

[144]

Die Wangen sollen bald wärmer glühen,

Weiß Rößlein soll bald roth erblühen.

Sollst nicht mehr reiten im Mondenschein,

Ho, flackert, ihr Flammen,

Schlagt um mich zusammen,

Ich reite doch mitten durch euch hinein.«


Sein Rößlein scheuete sich nicht vor den Flammen, er trieb es mitten hinein, und drinnen hörte man ihn noch die letzten Worte des Liedes singen.

Groß Ott und Leuthold wollten ihm nachreiten, aber ihre Rosse bäumten sich vor dem Flammenhage; und gaben sie ihnen gleichwohl die Sporen, sie scheueten sich doch immer, und warfen die Häupter mit gesträubten Mähnen in die Höhe und bäumten sich zurück.

Da war aber Adelbert ganz durch den Flammenhag gedrungen, und der Zauber war damit auf einmal gelöst.

Die Flammen erloschen alle auf einen Schlag; der Zauberer flog als eine geflügelte Schlange scheu durch die Luft in die unermeßliche Sandwüste Sahara hinüber; die Felsburg zersprang, und Rosablanka saß da unter dem Schatten einer Dattelpalme, bei ihr stand verschüchtert das Flügelpferd. Und Rosablanka stand auf, und ging ihren Rettern entgegegen, und begrüßte ihren Bruder mit Freudenthränen, und begrüßte auch dankend Groß Otten und Leuthold, den alten Diener. Der wußte aber seiner Freuden kein Maaß, und weinte bald und lachte bald laut durch einander.

Zehntes Kapitel

[145] Zehntes Kapitel.

Die Heimfahrt war kürzer, als die Ausfahrt. Adelbert gab der holden Schwester Rosablanka sein Weißrößlein, setzte sich, der besorgten Warnung des treuen Leuthold ungeachtet, auf das geflügelte Schwarzroß, das von Tage zu Tage sein voriges spukähnliches Ansehen unter seinem neuen Herrn verlor, und sich immer mehr und mehr in majestätischer Herrlichkeit zeigte, als erhole es sich unter seinen Händen von lang erduldetem Mißbrauch.

Sie waren schon in Groß Otts Vaterland gekommen, und zogen nun in die Stadt ein, da Adelbert mit Leuthold den Lindwurm erlegt hatte mit seiner Brut. Da kam aber das Volk zu Haufen zu Adelbert, und grüßten ihn, als seinen Retter. Und die Aeltesten der Stadt und des Reiches kamen auch, und brachten ihm die Krone ihres Königs, der in der Zeit verstorben war, und sterbend sein Reich in Adelbertens Hand gelegt wissen wollte. Aber Adelbert sprach: »Ziehet mit mir in meine Heimath, dort will ich für Euer Reich sorgen. Jetzt liegt mir erst noch andere Sorge ob.« Und sie zogen mit ihm in seine Heimath.


[146] Da ertönte eines Tages wieder der Burgweg zur Finsterburg von Rosseshufen, und es klopfte an den Thoren der Burg. Und der finstere Ritter rief freudig bewegt aus seiner Halle: »Ihr Knappen, öffnet die Thore, entweder der Tod will herein, und meinem finstern Leben ein Ende machen, oder ist's gar noch eine Freudenpost, die meiner wartet.«

Aber die Knappen kamen wieder, und riefen den Ritter hinab in den Burghof. Und der Ritter stieg, unterstützt von ihnen, die Wendeltreppe hinunter, und trat zum Thore hinaus in den Hof. Da hatte aber Adelbert schon hinten einen Eingang brechen lassen durch die hohe Mauer zu der Stelle, da seiner Mutter Grab war. Und die Diener führten den wankenden Vater hinein. Da kniete Rosablanka bei dem Grabe, und Adelbert auf der andern Seite, und beteten. Als aber Vater Arbogast hereintrat, sank er zusammen, und rief: »O, die Stelle meines verborgenen Verbrechens! Hier hab' ich Eure Mutter erschlagen! Rosablanka! Adelbert! meine Kinder, vergebt mir!«

»Vergeben! Alles!« riefen da seine beiden Kinder, und lagen in seinen Armen. »Der Himmel hat Alles wieder wohlgemacht!« sagte Adelbert. »Wie immer!« setzte Leuthold hinzu: »Und der Blutfleck, mein edler Junkherr, ist auch verloschen auf Eurer Stirn.«

[147] Dann führte Adelbert seinen treuen Genossen, der schweigend fern stand, herzu und sprach: »Vater, wenn Ihr Eure Rosablanka einem edeln Manne zur Hauswirthin geben wollt, so gebt sie diesem.« Und Arbogast legte Rosablankens Hand in die Hand des edeln Groß Ott, und sprach: »der Himmel segne Euch!«

Adelbert winkte aber nun auch die Aeltesten, so ihm aus der Stadt mit der Königskrone gefolgt waren, herbei, und zeigte auf seinen treuen Genossen und seine Schwester, und sprach: »Sehet hier Euern König und Eure Königin!« und nahm ihnen die Krone ab, und setzte sie Herrn Groß Ott auf. Da neigten sich die Aeltesten, und sprachen: »Heil unserm König! Heil unsrer Königin! Heil Euch!«

Da sprach Arbogast mit schwacher Stimme: »Wohl hab' ich's gewußt, als Ihr an der Thür klopftet, daß der Tod käme, oder eine große Freudenpost. Es ist, glaub' ich, beides angekommen. Die Freudenpost brachtet Ihr selber. Der Tod aber kommt auch noch. Adelbert, singe mir ein Schlaflied.«

Da spielte Adelbert ganz sanft über die Saiten seiner schwarzen Zither, und sang:


»Es kommt uns einer der bleibt nicht aus,

Ein gar verschiedner Bote!

Und sicher ist man in keinem Haus

Vor ihm, vor dem Tode.

Dort ruft er wild,

Dort winkt er mild; –

Und wo er ruft, und wo er winkt,

Ihm Einer in die Arme sinkt.

[148] Den führt er in die ewige Pein,

Und den ins Paradies hinein.

Du hast gebüßt, du bist gesühnt, –

Wohl, dir dein Hoffnungszweig ergrünt:

Vergebung darfst du hoffen,

Das Paradies ist offen.«


Und als die letzten Töne verklungen waren, war mit ihnen Arbogasts Seele ins Paradies geflogen. Adelbert und Groß Ott aber begruben ihn neben dem Grabe seiner Gemahlin, Frau Gertrud. Darauf zog Groß Ott mit der blassen Rosablanka, als seiner Hauswirthin, in sein Königreich, und es geschah auch an ihr, wie Adelbert gesungen hatte; die weiße Rose erblühete bald völlig zur rothen. Auf der Finsterburg stiftete Adelbert aber ein Kloster, das von vielen frommen Männern bewohnt wurde, die für das Seelenheil seines Vaters beteten und seiner Mutter. Und bei ihnen blieb der alte Leuthold, und betete mit ihnen bis an sein Ende. Da schwebte keine Spukgestalt mehr über dem Grabe hin, und Frau Gertrud schlief ruhig fortan in ihrem Mooshügel.

Als Adelbert aber so Alles besorgt hatte, setzte er sich auf sein Flügelpferd, und nahm seine Zither, und spielte eine freudige Weise auf den Saiten, und sang dazu folgende Worte:


»All' ist das Irdische bestellt,

Hier unten nichts mich fürder hält.

So fahre wohl du eitle Welt!

Was kannst, was kannst du geben?

Nach oben geht mein Streben,

Herr, laß hinauf mich schweben,

Hinauf! hinauf,

In der Sterne Lauf!

Dort erst beginnt mein Leben.«


[149] Und als er das Lied gesungen, hob sich in Flügelroß mit ihm, und verschwand hoch oben in der unendlichen Höhe.


Es wollen Viele sagen, das Flügelroß sei wieder herabgekommen, und mancher edle Sänger habe sich von ihm durch die Wolken tragen lassen, und es geschehe noch zuweilen. Andere glauben, die schwarze Zither sei wieder gefunden. – Glaub' es, wer da will. Mag wohl Einer noch ein Flügelroß reiten, mag Einer auf einer schwarzen Zither spielen, – das rechte Flügelpferd und die rechte Zither hat er doch nicht. Die hat der Sänger-Jüngling mit hinauf genommen, und reitet noch auf dem Pferde von Stern zu Stern, und spielt noch auf der Zither. Und wenn ihn denn manchmal in Träumen Einer droben sieht oder hört, so glaubt der Thor dann erwachend, er sei es selber, er habe selber auf dem Flügelpferde die entzückende Fahrt gemacht durch den heiligen Sternhimmel, und der Zither die wundervollen Klänge abgelockt.

Wir wissen es aber besser, denn wir wissen wohl, daß es unser Adelbert war, und sonst kein Anderer, und daß des Träumers Lieder, die er uns denn wohl wachend auch noch nachsingt, nur schwache Nachklänge sind von den Liedern und Tönen, die er in seligen Träumen von droben herabklingen hörte.

[150] III. Laß dich der Narren Spott nicht kümmern.

[151] [153]Eine Schildkröte wohnte an einem See, und ließ es sich darin sehr wohl gefallen; denn rings umher war schönes Waldgebüsch und Waldwiesen, wo sie fand, was sie zum Leben brauchte. Weil sie aber allein wohnte von allen andern Schildkröten entfernt, hatte sie Freundschaft geschlossen mit zwei willen Enten, die auch am Ufer des Sees ihre Wohnung hatten, in der sie des Nachts schliefen. Am Tage schwammen sie aber auf dem See herum, und suchten in dem Schlamme desselben ihre Nahrung.

Es geschah aber eines Jahrs, daß es einen sehr trocknen Sommer gab, in dem es lange nicht regnete. Da trocknete auch der See nach und nach aus, da die Schildkröte wohnte. Und sie mußte mit jedem Tage sich mit einem engern Raum begnügen, weil mit jedem Tage des Wassers weniger wurde. Und als der See schon so weit ausgetrocknet war, daß er nur noch eine Pfütze schien, daß die Frösche, so daran wohnten, von einem Ufer aufs andere springen konnten, da traten eines Tages die beiden Enten zu ihr und sprachen: [153] »Wir haben in der verwichenen Nacht mit einander berathschlagt. Hier wird des Wassers und des Schlammes mit jedem Tage weniger, und der See vermag uns forthin nicht mehr zu nähren; denn die kleinen Würmer sterben nach und nach aus, weil sie im Trocknen nicht leben können. Darum sind wir zusammen überein gekommen, heute von dannen zu ziehen, und uns einen andern Wohnort zu suchen. Und so kommen wir jetzt zu dir, Abschied von dir zu nehmen und dir zu danken für alle Freundschaft, so wir bei dir genossen, und für dein gutes nachbarliches Betragen gegen uns.«

Als solches aber die Schildkröte hörte, da ward sie gar traurig, und fing an zu wehklagen: »Ach,« sagte sie, »wie bin ich doch ein unglückliches von Gott verlassenes Geschöpf! Wie seid ihr Vögel doch so viel besser daran, als unser eins! So es euch nicht mehr gefällt an einem Orte, oder so es euch an euerm Auskommen gebricht, so schwingt ihr euch auf in die Lüfte, und die ganze Welt liegt frei unter euch, und ihr überschaut Alles von eurer Höhe herab; und wo es euch gefällt, oder wo es euch gut dünkt, da lasset ihr euch herab, und schlagt eure Wohnung auf. – Wie viel anders und schlimmer ist es da mit uns! Wir sind bestimmt auf der Erde zu kriechen, fast wie die Würmer, und sehen nur, was ganz nahe vor uns liegt. [154] Und so es uns an einem Orte übel gehet, und auch an dem Nothwendigsten gebricht, so können wir nicht frei über die Erde hin schweben, und uns von oben herab aussuchen, was uns wohl gefällt. Dann müssen wir erst langsam fortkriechen, und es hängt mehr von Zu fall als von unsrer Geschicklichkeit ab, wenn wir, ehe wir gar verhungern und verschmachten, an einen Ort kommen, der uns darbeut, was wir nicht entbehren können. Und was wir dann finden, das muß uns genügen. Ach!« klagte sie weiter, »was wird aus mir werden? Der See wird vollends ganz austrocknen, und mein Leben wird mit ihm eintrocknen. Denn wir Schildkröten sind einmal dazu gewöhnt, von Jugend auf unser halbes Leben im Wasser zuzubringen, noch mehr als ihr Schwimmvögel. Ihr habt sogar drei Elemente, in welchen ihr leben könnt, ihr schwimmet im Wasser, ihr schwebet in der Luft, ihr gehet auf der Erde. Aber ich? – daß sich der Himmel erbarme! – ich komme allein im Wasser von der Stelle, auf dem Boden beweg' ich mich nur langsam. Und so ist denn mein Tod gewiß. Denn weit herum ist kein Wasser mehr. Ich bin sonst weit herum gekommen in der Gegend und nirgend hab' ich Wasser angetroffen. Wie soll ich nun, da ich schwach und krank bin von dem Wassermangel und von der Sonnenhitze, noch weiter herum laufen? Ich weiß, ich muß verschmachten, ehe ich noch eine [155] kurze Strecke Weges gekrochen bin. Und nicht einmal meine Freunde bleiben bei mir, daß sie mir beistehen könnten mit Trost und Rath!«

Das erbarmte die beiden Enten, als sie hörten, wie übel ihre Freundin daran sei, und sagten zu ihr: »Ja, wenn wir dir nur helfen könnten, wir wolltens ja von Herzen gern!«

»Ach, erbarmt euch mein! laßt mich nicht hier verschmachten, einsam und trostlos!« sagte die Schildkröte. »Tragt mich mit euch durch die Lüfte. Ich bin ja so schwer nicht, und ihr seid ja ihrer zwei; da vermögt ihr's wohl, mich zu tragen.«

»Ja, wie machen wir das aber?« fragte die eine Ente die andere.

»Ei,« fiel ihnen die Schildkröte schnell in das Wort, »setzet euch nur recht nahe zusammen, dann setze ich mich halb auf den Rücken der einen und halb auf den Rücken der andern. Dann flieget ihr in die Höhe, und haltet immer gleichen Flug, so werde ich leicht von euch getragen.«

»Nein, nein, das geht nicht an,« sagten die Enten. »Wie wollten wir denn unsere Flügel schwingen, wenn du darauf säßest? und wie könnten wir so nahe beisammen fliegen? Wir würden uns ja selbst einander mit den Flügeln [156] nieder zur Erde schlagen, und du fielest zehnmal für einmal zwischen uns hinunter.«

»Ach, so ist keine Rettung für mich!« rief da die Schildkröte aus, und zog den Kopf fast ganz in ihr knöchernes Gehäuse hinein, und weinte bitterlich.

Das erbarmte die Enten wieder gar sehr, und sie sprachen erst lange mit einander. Dann sagten sie zur Schildkröte: »Tröste dich, gute, liebe Nachbarin! wir haben einen Rath gefunden, wie wir dich wohl von dannen tragen mögen.«

Da streckte die Schildkröte wieder ihren Kopf aus der Schale heraus, und fragte ganz fröhlich: »Ei, wie? wie wollt ihr das machen? Ich will euch mein ganzes Leben dankbar dafür sein.«

»Wir haben uns berathen,« sagten die Enten, »und haben's gefunden. Sieh, zu schwer bist du uns nicht; allein wir können dich nirgends fest packen, ohne daß du Schaden davon nehmest. An deiner hornichten Schale bist du überall zu dick. So weit können wir unsere Schnäbel nicht aufreißen, daß wir dich daran zu packen vermöchten. Sonst hast du aber nichts an dir, als Kopf und Füße und Schwanz. Wollten wir dich aber an diesen Gliedern so fest packen, daß wir dich daran tragen könnten, das würde dir zu weh thun. Darum haben wir ein Mittel ersonnen. Wir fassen mit [157] unsern Schnäbeln die beiden Enden eines Stockes, und du selbst beißest recht fest auf die Mitte, und hältst dich daran mit deinen Zähnen, daß wir dich so mit uns tragen, wenn wir mit dem Stock in die Höhe fliegen. Freilich dürfen wir nicht unterweges freundlich mit einander plaudern, und du selbst mußt hübsch still schweigen; denn so eines von uns den Stock los ließe, müßtest du herunter fallen.«

Das gefiel der Schildkröte gar höchlich, und die Enten flogen vorerst aus, einen See zu suchen, den sie in Zukunft zum Wohnort wählen wollten. Und als sie zurück kamen, brachten sie auch schon einen Stock getragen, den jede an einem Ende im Schnabel trug. Und sie ließen sich vor der Schildkröte nieder, und die Schildkröte biß sich fröhlich mit ihren Zähnen in der Mitte des Stockes fest. Die Enten packten aber auch auf beiden Seiten den Stock wieder fester, und so flogen sie mit ihr auf, und flogen dem nächsten wasserreichen Landsee zu, den sie sich zur Wohnung ausersehen hatten.

Sie waren aber noch nicht weit geflogen, als sie an an einer Schaar Elstern und leichtfertigerSpottvögel vorbei kamen. Als diese aber sahen, wie sonderbar sich die Schildkröte von ihren Freunden, den beiden Enten durch die Luft tragen ließ, da erhoben sie ein schallendes Gelächter, und flogen hinter drein, und um sie her, und spotteten ihrer [158] auf allerlei Weise, und sprachen: »Ei, ei, Frau Schildkröte, wie flink fliegt sie durch die Lüfte! und gar ohne Flügel! Ei, wo hat sie denn ihre Flügel gelassen?« – »Aber,« sprachen wieder andere, »warum drückt sie denn ihre Augen beim Fliegen so gewaltig zum Kopfe heraus?« – »Nicht wahr,« sagten wieder andere, »sie hat die Zähne so fest über einander gebissen? Ei, da thut sie Unrecht! Seh' sie, wir fließen ja auch, und uns geht der Schnabel flink auf und zu.« »Ach!« schrieen wieder alle, »wie möcht' ich so stumm fliegen, und mich über gar nichts freuen?«

Bei solchen Worten ärgerte sich aber die Schildkröte gewaltig. Doch schwieg sie noch. Die losen Spottvögel sahen ihr's aber an den glänzenden Augen an, daß sie zornig war, und freuten sich darüber und riefen;


»Ei, ei du leichtes Vöglein!

Verlier' nur ja kein Federlein!

Wie schlank sind nicht die Beine dein!

Wie zierlich ist dein Schnäbelein!

Wie schön muß dein Gesang erst sein!

Laß hören uns dein Stimmelein!«


Da konnte sich die Schildkröte fast nicht mehr halten, als sie hörte, daß die Elstern auf sie Spottlieder sangen. Und die Augen wurden ihr ganz feurig vor Zorn.

Aber die gottlosen Spottvögel machten es noch ärger, als sie das sahen, und sangen:


[159]

»Schildkröte flog einmal

Ueber Berg, über Thal.

Ei, Frau Vierbein,

Was fällt dir ein?

Ei, Frau Hornbauch,

Hast du Zorn auch?

Ei, Frau Knochenrück,

Dir fehlt noch ein Stück!

Fliegst, ich bitt' dich

Ohne Fittig?

Bist gar stumm?

Sag' warum!«


Da konnte aber die verspottete Schildkröte nicht länger schweigen, und vergaß vor Zorn, daß sie sich allein mit den Zähnen festhielt, und rief voll zornigen Eifers: »Euch zum Aerger bin ich stumm! Euch zum Verdruß flieg' ich ohne Fittig!«

Aber indem sie das sagen wollte, ließ sie den Stock los und fiel; und ehe sie es noch ganz gesagt hatte, lag sie auch schon ganz unten. Sie fiel aber auf einen Fels; und fiel aus der Höhe so hart auf, daß ihre Schale zerbrach, und mußte so sterben.

Als aber die beiden Enten auf einmal höher kamen in ihrem Fluge, weil sie ihre Last verloren, und als sie die Schildkröte reden hörten, und fallen sahen und sterben auf dem Fels, da trauerten sie über ihre gute Freundin, und ließen nun auch den Stock fallen, daran sie ihre Freundin [160] getragen, und flogen an den See, und wohnten daselbst, und wünschten oft die Schildkröte wieder lebendig und zu sich, und sagten: »Sie war eine so gute, getreue Nachbarin! Wenn sie nur auch so klug gewesen wäre, sich um der Narren Spott nicht zu bekümmern.«

[161]

Notes
Erstdruck: Frankfurt am Mayn (Wilmans) 1816.
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Citation Suggestion for this Edition
TextGrid Repository (2012). Grimm, Albert Ludewig. Lina's Mährchenbuch. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-FE2E-E