[214] Ein Adler

1809.


An dem Mal des Helden schleichen
Siebzig Jahre träg vorbei;
Wecken könnt' ihn von den Leichen
Solch ein Wonnemond von Mai,
Dessen goldne Morgenröthen
Städtebrand und Waffenblitz,
Eingesungen, statt von Flöten,
Von Trompeten und Geschütz!
Zu Schönbrunn in laub'gen Hallen
Geht des Korseneilands Sohn;
Lauscht sein Ohr den Nachtigallen,
Dröhnt es doch von Schlachtenton;
In das Knopfloch eine Rose
Pflückt die schicksalschwere Hand,
Leise schwebt sein Fuß im Moose,
Wenn er stampft, erbebt das Land.
[215]
Zu den Zwingern fremder Thiere
Lenkt der Kaiser jetzt den Tritt,
Plötzlich vor dem Steinquartiere
Eines Adlers stockt sein Schritt;
Auf dem Block im Eisenringe
Zittert ein uralter Aar,
Blöden Aug's, gebrochner Schwinge,
Der einst Fürst der Lüfte war!
Bild des Jammers ohne Gleichen
Solch geknickter Wolkensohn!
Sicher, selbst als Bild und Zeichen,
Sei die Majestät vor Hohn!
Und der Kaiser ruft den Wärter:
»Alter, laß den Vogel frei!«
Seine Züge wurden härter:
»Oder send' ihm ein Stück Blei!«
»Möge Gott den Sinn Euch lenken!«
Sprach der Alte warm und weich;
»Schont dieß theure Angedenken,
Heilig Sinnbild ist's zugleich;
Dieses Thier im Eisenrahmen
Hielt ein Held gar lieb und gut,
Prinz Eugen, – Ihr kennt den Namen?«
Frankreichs Kaiser rückt den Hut.
»Aber seit sein Herr gestorben,
Ist ein schön'rer Wappenaar,
Diesem Vogel gleich, verdorben
Zum Geripp, der Schwungkraft baar,
[216]
Dem der edle Schmuck des Flaumes
Stück für Stück abfällt vom Leib,
Wie das welke Blatt des Baumes,
Rauher Winde Zeitvertreib.
Habsburgs Fahnen sah man wandern,
Federn gleich, am Po, am Rhein,
In Sicilien und in Flandern,
Flattern fort von Belgrads Stein,
Bis in Schlesiens reichem Garten
Jene schönste Schwinge sank;
Traun, auch Oesterreichs Standarten
Sind an bösen Mausern krank.
Als mein Aar im Belvedere
Speise nahm aus Eugens Hand,
Ragte, wie bewußt der Ehre,
Sonnenwärts sein Haupt gewandt;
Schatten warf sein Fittig mächtig,
Wie ein Königsbaldachin,
Und das Auge flammenprächtig
Glomm, ein rollender Rubin.
Wie ihr krankes Kind die Mutter
Pfleg' ich ihn, doch ohne Trost;
Den gestärkt einst Eugens Futter,
Lähmt jetzt meines Kaisers Kost!« –
– »Alter, wahrlich, an dem Brocken
Liegt es nicht, doch an der Hand!«
Nickend sprach's der Korse trocken,
Schritt ins Dickicht und verschwand. – –
[217]
Eines Tags der Aar im Gitter
Schlägt mit Macht sein Flügelpaar;
Grüßt am Himmel das Gewitter
Jungen Muths der greise Aar?
Asperns Donner sind's! sie klingen
Bis in seinen Kerkerraum;
Eines andern Adlers Schwingen
Jetzt entsank der erste Flaum.

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Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2012). Grün, Anastasius. Gedichte. In der Veranda. Prinz Eugenius. Ein Adler. Ein Adler. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-0DBE-4