[27] [29]Oden. Das zweite Buch

1650.

[29][31]

Johanni Christophoro à Schönborn. Hæreditario in Schönborn & Zissendorff.


S.P.


Alia Tibi mea, ac Te mage, meque digna operienti nœnias hasce destinare visum. Continuis enim pavoribus nutantem, consuetudine mœroris, longa atque difficili expeditione fessum, quid poscas nisi languori atque otio propiora. Cuicumque, nedum quod ad posteritatem duret molituro secessus placuere, & monumentis ingeniorum referta suburbana. Adde quod celeberrimus quisque laude & applausu, quæ frigidissimos quoque (ut ille loquitur) excitare atque accendere queant, exstimuletur, ut amorem non inanis gloriæ, & quæ seculorum studia extorquet vehementius quam caute appetat. Me etiamsi Patriæ jam non per temporum spiramenta emorientis singultus, & tot acerbi memorum exitus haud conficerent, continuū tamen per Germaniam, Belgium, Galliam Italiamque || iter fatigaret, raro in urbe, sæpius in equo navique viventem. Neque excidit memoria tempestatis illius, quam in hocce caput effudit livor, & dedecus illatura Veritati sævitia. Licuit sane Juveni in publicū apud vos produci, nec scio quo fato, una atque altera actio, subitum adeo mihi summorum conciliarit favorem. Ut primum vero versus ad texendam cladium nostrarum seriem, infestaque Virtuti tempora & squallentes tot oppidorum bustis agros rudi penicillo adumbravi: non id obtrectationi, sed periculo fuit tot testium fide, tot Celeberrimorum ope suffulto. Advertere aures Tuas hostium minæ, spectasti discrimen quod instabat, cum tot inter infensos animam traherem. Melius tamen qui me solum furori destinabat. Certe non decuit Virum Maximum Parentem Tuum, postrema corporis ægritudine decumbentem, miscere sorti meæ, quod ex recepto more breve & innoxium carmen operi præfixisset. Haud discreverim atrocius sit funcstis accusationibus conscientiam facinorum quæ tulimus, velle abolitam; an nobili calumnia incusare Viros [31] Illustres, innocentis amicitiæ pœnas daturos. Non sufficiebam quippe || vilis hostia: quærebatur succidanea major, cujus spolia opesque delatori ante oculos. I nunc, & incusa quod incolumitatem non meam tantum, sed & aliorum ingrato labori ante feram, quod carminum amorem simulem, quo non ignoras tegi posse dum maturescat, majoris operæ industriam. Pervasit certe rumor, haud ultra fides sapere, quos studia, hæcce detinent; infructuosa, ut ajunt, & quæ neque neque dignitatem ullam auctoribus suis conciliant, neque utilitates alunt, quod de me credant licet hostes; dum nihil graveac serium ex eo metuant, qui vel sui oblitus Musas tantum atque citharam cogitare videtur. Hunc interim librum, quem amoris æternum duraturi pignus atque vadem Tibi sisto, vel quod Deum canat, laudabis vel quod multum (utpote de via sorde atque lassitudine oppletus) autoris sui dolores præ seferat, excusabis, Nobilissime Schönborni.


Argentorati 3. Id. Novemb. Gregor. Anni 1646.


A. Gryphius

[32] 1.
Psal. 70. v. 20. Quantas ostendisti mihi tribulationes multas & magnas, & conversus vivificasti me!

Satz.

Reiß Erde! reiß entzwey! Ihr Berge brecht vnd decket
Den gantz verzagten Geist.
Den Blitz vnd ach vnd noth/ vnd angst/ vnd weh' erschrecket!
Vnd herbe wehmutt beist!
Ihr jmmerlichten stätter Himmel Lichter!
Ach bescheinet meine glieder! ach bescheint die glieder nicht!
Die der Donnerkeil der schmertzen/ die die krafft der Angst zubricht/
GOTT/ gutter Gott! nur mir/ zu strenger Richter!
Was lässet mich dein grimm nicht sehen!
Was hör ich nicht für spott vnd schmähen?
Sind die augen mir verliehen
Daß ich nichts alß herbe plagen/ nichts alß Marter schawen soll?
Täglich rufft man dir die Ohren/ ja die matte Seele voll!
Kan ich! kan ich nicht entfliehen!
Kan die Hell-besternte Nacht! kan mich nicht die Sonn' erquicken:
Sol mich jede Morgenrött' jeder Abendstunde drücken:
Gegensatz.

Der dicke Nebel bricht in welchen sich verhüllet
Der alles hebt vnd hält;
[33]
Der aller scharffe pein vnd herbe thränen stillet/
Der Schöpffer dieser welt.
Er wendet sich vnd hört nach meinem wimmern/
Vnd bläßt mein erstarte Leichen mit ernewtem Leben an:
Daß ich/ der ich schon erstummet/ jhm mit jauchtzen dancken kan/
Ich spür' vmb mich sein edle Wächter schwimmern.
Versteckt mich in deß Abgrunds gründe;
Vnd wo ich kaum mich selber finde/
Ja in mittelpunct der Erden.
Er wird mich auß dieser Tieffen/ auß der vnerschöpftẽ klufft/
Auß der Hellen hell' erretten; mir sol aller grüffte grufft
Noch zum ehren Schawplatz werden.
Jagt mich wo die welt aufhört/ wie die kalten lüffte ringen:
Wo das heisse Landt verbrennt; Got der wird mich wider bringen.
Zusatz.

Der/ der vns schützt' in noth/
Erweist an mir die Allmacht seiner Ehren!
Mein ach! mein Todt ist todt.
Es müsse diß was etwas anhört/ hören.
Den/ den was athem holt/ veracht/
Schmückt er mit seiner gütte pracht!
Der/ der mir vor den Rucken wandte:
Der mich in seinem grim verbannte:
Kehret mir den süssen Mund/ vnd die lieben Augen zu
Er erquickt mein Hertz mit trost vnd verspricht mir stille Ruh.
Keine pein ist dem ergetzen
Das ich fühle gleich zu schätzen.

[34] 2.
Verlangen nach den Ewigen Hügeln

Satz. 1.


Der schnellen tage Traum:
Der leichten jahre raum
Rennet mit vnß nach der schwartzen Bar:
Eh' ich die zeit erkent
Wird meine zeit vollendt.

2.
Wir dringen durch die welt
(Die stündlich wächst vnd fällt/)
Nach der erblaßten Völcker schar!
Wir die wir lebend todt/
Vnd stets voll herber noth.
3.
Mit Thränen grüssen wir/
In thränen lebt man hier:
[35]
Mit thränen gibt man gutte nacht!
Was ist der Erden Saal?
Ein herber thränen Thal!
4.
Wie Rosen die wir zihn.
Auff Dörnern nur verblühn.
Wie ein verworff'nes Kind verschmacht:
So muß wer hie wil stehn
In kummer vntergehn.

Gegensatz. 1.

Wenn der Morgenglantz der Erden
Tausendfaches leidt entdeckt!
Ruff ich: Ach/ wie wird es werden!
Ach wie wird mein Hertz erschreckt/
2.
Wenn die Nacht nun eingeschlichen
Vnd der stille Mond erwacht:
[36]
Schrey ich! ach wer ich erblichen.
Würd' ich doch ins Grab gebracht.
3.
Platz der ewig-stätten wonne,
Ewig-lichter Himmelbaw/
Wie daß ich nicht deine Sonne/
Meiner Seelen licht anschaw?
4.
Wer mag die nicht seelig nennen
Die auff deinen lichtern gehn?
Vnd der Lichter Fürst erkennen;
Die an GOTTES seiten stehn.

Satz. 5.

O Burg der sterbligkeit!
O Kercker voll von Leidt!
O Erden Leichen-volle grufft!
O Schlachtbanck/ Stock vnd See/
O Abgrund-tieffes weh'!
[37] 6.
Wie lange zieh' ich noch
Beschwert an deinem Joch'.
Wie daß mir nicht mein Liebster rufft?
Der mich mit trost entsetzt/
Wenn mich die Angst verletzt!
7.
Ach! meiner Seelen licht!
Ach meine zuversicht!
Erquicke mich in diesem schmertz!
Ernewre die Gedult/
Vergiß der alten Schuldt!
8.
Reiß/ was mich bindt/ entzwey!
Vnd mach' auß nöthen frey
Ein dir so fest-verlobtes Hertz!
Vnd führ auß dieser pein
Mich in dein Wonhauß eyn.

[38] Gegensatz. 5.

Wenn wirst du die nassen wangen
Trücknen mit der sanfften Handt?
Ach/ wenn wirst du mich vmbfangen
Mit der süssen Arme bandt?
6.
Wenn wirst du von meinem Rucken
Reissen dieser Bürden pein/
Die mich vnauffhörlich drücken?
Komm' Erlöser brich doch ein!
7.
Kom gewündschter/ laß mich küssen
Dein liebreiches Angesicht!
Heiß den Himmel mir auffschlissen:
Nun mit wonung hier gebricht!
8.
Gutte Nacht verfluchtes Leben!
Das man vnrecht leben nennt!
[39]
Der sich einig dir ergeben;
Hatt/ was leben/ nie erkennt.

3.
Verleugnung der Welt

1.
Was frag ich nach der welt! sie wird in flammen stehn:
Was acht ich reiche pracht: der Todt reißt alles hin!
Was hilfft die wissenschafft/ der mehr denn falsche dunst?
Der liebe Zauberwerck ist tolle Phantasie:
Die wollust ist fürwar nichts alß ein schneller Traum;
Die Schönheit ist wie Schnee'/ diß Leben ist der Todt.
2.
Diß alles stinckt mich an/ drumb wündsch ich mir den Todt!
Weil nichts wie schön vnd starck/ wie reich es sey/ kan stehn
Offt/ eh man leben wil/ ist schon diß Leben hin.
Wer Schätz' vnd Reichthumb sucht: was sucht er mehr alß dunst.
Wenn dem/ der Ehrenrauch entsteckt die Phantasie.
So traumt jhm wenn er wacht/ er wacht vñ sorgt im traum.
3.
Auff meine Seel/ auf! auf! entwach auß diesem traum/
Verwirff was jrrdisch ist/ vnd trotze Noth vnd Todt!
Was wird dir/ wenn du wirst für jenem throne stehn/
Die welt behülfflich seyn? wo dencken wir doch hin?
Was blendet den verstandt? soll dieser leichte dunst
Bezaubern mein gemüth mit solcher Phantasie?
4.
Biß her! vnd weiter nicht! verfluchte Phantasie!
Nichts werthes Gauckelwerck. Verblendung-voller traum/
Du schmertzen-reiche Lust! du folter-hartter Todt!
Ade! ich wil nunmehr auf freyen Füssen stehn
Vnd tretten was mich tratt! Ich eyle schon dahin;
Wo nichts als warheit ist. Kein bald verschwindent dunst.
5.
Treib ewig helles Licht der dicken Nebel dunst
Die blinde Lust der welt: die tolle Phantasie
Die flüchtige begierd' vnd dieser gütter traum
[40]
Hinweg vnd lehre mich recht sterben vor dem Todt.
Laß mich die eitelkeit der Erden recht verstehn
Entbinde mein gemüth/ vnd nimb die Ketten hin.
6.
Nimb was mich vnd die welt verkuppelt! nimb doch hin
Der Sünden schwere Last: laß ferner keinen dunst
Verhüllen mein Gemütt/ vnd alle Phantasie
Der Eitel-leren welt sey für mir alß ein traum/
Von dem ich nun erwacht! vnd laß nach diesem tod
Mich vnerschrocken Herr/ für deinem Andlitz stehn.

4.
Manet unica virtus

1.
Es ist vergebens Lælia daß man acht
Der Augen glantz der trefflichen Stirnen pracht/
Der Purpur Mund/ der Schnee der wangen;
Sey mächtig dieses Hertz zufangen!
2.
Nein! ewre Lippen sind nur umbsonst bemüht!
Ob gleich diß Antlitz gleich einer Rose blüht:
Ob gleich das übersüsse singen
Auch mächtig Löwen zu bezwingen!
3.
Schönste Syren/ Der lieblichen Seiten klang/
Die marmor Brust/ der lustigen Füsse gang/
Diß Fleisch dem alle Lilien weichen
Der Leib dem kein geschöpff zu gleichen;
4.
Der Hände Schnee/ der mächtigen Arme bandt
Sind viel zu nichtig/ wenn nicht das werthe Pfandt/
[41]
Das nur deß Himmels gunst außtheilet/
Die Tugend ew'er schwachheit heilet.
5.
Die werthe Tugend Lælia bleibt vnd steht!
Wenn nun die schönheit alß lichter blitz vergeht
Vnd wenn die beyden Stern' erbleichen:
Vnd wenn der Cörper wird zur Leichen.
6.
Die steckt mich jetzt mit schütternden flammen an!
Die macht daß ich mich selbst nicht regiren kan
Die zwingt mich auß mir selbst zu reissen/
Vnd was nicht ewig/ hin zuschmeissen.
7.
Weg welt! weg Erden! nichtige Phantasie!
Weg Standt! weg Ehre! flüchtiger jtzt als je!
Weg was mein Geist zuvor geliebet!
Weg was mein schlechtes Hertz betrübet.
8.
Gelehrte Torheit! köstlicher vnverstandt!
Vor mein begehren! jtzt nun du nur bekandt
Mein Schmertz vnd Irren/ geh' bey seitte:
Eh' ich mich ferner mehr verleitte.
9.
Weg meine Lauten! was wird das singen seyn/
Wenn man die Glieder setzt in die gruben eyn?
Wird jemand was ich schreibe lesen;
Wann ich werd' in der grufft verwesen?
[42] 10.
Was wird es helffen/ wenn der entleibte Geist
Bloß vnd alleine nach dem Gerichte reißt/
Daß mich ein sterblich Mensch geehret:
Vnd mir mit anmuth zu gehöret?
11.
Die Tugend bricht das schreckliche Netz entzwey:
Trotzt Tod vnd Hölle: spricht vns von schmertzen frey.
Sie lehrt was jrrdisch ist verlachen.
Vnd kan vnß gleich den Göttern machen.

5.
Frewe dich nicht meine Feindin/ daß ich niederliege/ Michæ C. VII. v. 8.

1.
Was hör ich für jubiliren?
Wer ist der so frölich rufft?
Daß/ Feld/ Berge/ Thal vnd Lufft
Das gethöne wider geben?
Woher kompt das triumphiren?
Mag auch jemand sich erheben
Vber mich die ich von oben
Durch der grausen Donner toben/
In den staub gestürtzet bin?
Mag denn ein Menschen geist so gar verteufelt seyn?
So grausam/ so verstäint? Klopfft über meiner pein
Klopfft man Hand' an Handt!
Tritt man mich in Sandt?
Reißt man Kron vnd Zepter hin.
2.
Meine Feindin! magst du prangen?
Rührt dein stoltzer Ruhm daher/
[43]
Daß Erd/ Himmel/ Lufft vnd Meer
Wider mich zur Rach auffstehen?
Der du lange nicht entgangen
Mag dein Geist so lachend gehen/
Daß der Höchste sich ergrimmet
Vnd mein Haupt zum zweck bestimmet
Auff den aller Wetter macht
Mit schwartzer wolcken zorn vnd dunckel-rotten Blitz
Mit harter schläge Sturm vnd Schwefel-lichter hitz
Mit entzünd'ter glutt/
Vnd der schmertzen flutt/
Von der Himmel Rüsthaus kracht?
3.
Ohn ists nicht! ich muß bekennen!
Daß deß Allerhöchsten Schwerdt
Das mir Seel vnd Leib durchfährt/
Geist vnd Hertze gantz zuschnitten.
GOTTES eyver fühl ich brennen
Vnd der scharffen Pfeyle wütten
Die er auff mich abgeschossen:
Alß mein freveln jhn verdrossen/
Doch ich weiß mein Hertze glaubt!
Ich den jetzt jedes blatt vnd jeder wind erschreckt
Wil noch die Stunde sehn/ in welcher ich erweckt/
Auß der Plagen grufft/
In die freye Lufft
Werd' auffrichten Hand vnd Haupt.
4.
Ist mir alles Licht entzogen:
Muß der Sonnen güld'ner Schein/
Von mir außgebannet seyn/
Soll deß zarten Mondes kertzen
Die so offt die Welt vmbflogen
[44]
Weil ich zag' in herben Schmertzen/
Mir zu schawn seyn abgeschlagen!
Soll der Hellbestern'te Wagen
Nicht mir armen mehr auffgehn?
So wird des Herren Glantz. Das dunckel das mich deckt
Die Nacht/ die mich verhüllt: das grawen das mich schreckt
Wenden. weil sein Strahl
In dem trüben Thal
Mit viel glantz vmb mich wird stehn.
5.
Wol! Ich wil die last der plagen
Vnd den jammer-reichen spott
Den der Höchst erzörnte GOTT
Mir auf beyde Schultern leget
Mit getroßtem Muth ertragen.
Daß Er jtzt so grimmig schläget
Hab ich Niemand schuld zu geben/
Alß dem rohen tollen Leben.
Das ich tag für tag verübt
Schlag/ straffe/ streich/ vñ schmeiß. Ich habe mehr verschuldt
Ich wil die Kinder Rutt ertragen mit geduldt
Schlag hier/ schone dort
Besser Rutt alß Mord.
Besser nun/ alßdann betrübt.
6.
GOTT wird was verborgen scheinet
Mehr denn Sonnenklar darthun
Läst er gleich mein Recht jtzt ruhn
Alß obs einmal aufgehoben;
Wird doch/ wenn kein Mensch vermeynet/
Jeder meine Sache loben.
Was ihr Feinde mit viel lügen
Schimpffen/ schmehen/ hohn vnd trügen
[45]
Itzt verdächtig machen wolt.
Wird alß der Sonnen-glantz der Dampff vnd wolcken trenn't
Vnd durch der Nebel dampff am heissen Mittag rennt
Brechen durch die Nacht
Daß/ die jhr jtzt lacht
Heulen vnd erblinden soll't.
7.
Für mich wird der Außspruch fallen!
Denckt! wie werdet jhr bestehn?
Mit was schimpff vnd spott hingehn?
HERR! wie wird mein Hertz dich preisen?
Ach! wie wird dein Lob erschallen/
Wenn du wirst die harten Eysen
Meiner armen schwere Fösser
Meiner Füsse feste Schlösser
Brechen durch ein wort entzwey!
Wenn dieser frewden Tag wird meine Schmertzen Nacht
Abwechßlen/ werd ich gleich/ dem so vom traum erwacht/
Meine Frewde sehn
An dem was geschehn
Loß von Angst/ der wehmutt frey.

6.
Ach daß die Hülffe auß Sion vber Israel käme/vnd der Herr sein gefangen Volck erlösete: So würde Jacob frölich seyn vnd Israel sich frewen/Ps. 14. v. 7.

Satz.

Wie der stoltze Schaum der Wellen
Getrotzt durch grausen Sturm/ vermischt mit wind vnd Sandt
Itzt durch die Wölcken sprütz't/ jtzt das bestürtzte Landt (J ij)
[46]
Wo die Fischer Netz aufstellen
Mit brausen überschwemmt, wie er/ das Spiel der See
Ein halb zu scheittert Schiff/ jtzt aufschwingt in die Höh/
Bald mit sich in den Abgrundt reißt/
Bald über Klipp' auf Klippen schmeißt;
So handelt vnß die herbe Noth.
Der Menschen furcht der hartte Todt
Ist nicht so schrecklich alß das Leben
(Wofern es Leben heißt) in welchem wir verschmachten/
Biß wir den/ durch viel hohn/ vnd Geisseln vnd verachten/
Von hier verjagten Geist auf geben.
Ach! möcht vnß Rettung doch erquicken:
Ach! möcht vnß der doch hülffe schicken
Der sich in Sion hat verliebet
Vnd bricht was Israel betrübet.
Gegensatz.

Zwar! Er selbst hat diß verhangen
Daß man/ vnß die wir sein' vnß die er außerwehlet/
Die er für eigen schätzt vnd derer Haar' er zehlet
In dem Elend' hält gefangen.
Man hat was noch vielmehr die Fessel auff sein wortt
Vmb vnsern Halß gelegt. Er selbst hat diesen ortt
Zu vnserm Kampffplatz außerkiest.
Er hat was für vnd vmb vnß ist/
Mit Waffen wider vns gestärckt/
Vnd wie ein Jäger/ scharff bemerckt;
Damit wir ja im Garne blieben.
Er spreche nur ein wortt so wird der Strick zureissen/
Der Kercker offen stehn; Man wird vnß Freye heissen/
Erlöser! möcht' es dir belieben.
Daß wir die deine Thaten kennen
Dich doch Erlöser solten nennen.
Daß wir/ die dir nur dienen wolten
Nicht frembden Herren dienen solten.
[47]
Zusatz.

Es kommt nicht jederzeit von Weh-mutt daß man weynt/
Die Threnen die wir jtzt vergissen/
Die Zähren die so häuffig flissen/
Prest vnß ergetzung auß; Nicht vnlust/ wie man meynt.
Ich schaw/ ach! ach/ der Tag bricht an!
Vnd die herbe Nacht verschwindet/
Der Tag der vnß ergetzen kan/
Der die schwere band' entbindet.
Ade nun Babilon. Jtzt bin ich nicht gefangen.
Glück zu mein Vaterland ich bin der Angst entgangen
Frolockt jhr Sternen/ ich bin frey/
Die starcken Schlösser sind entzwey.
Ihr Wälder den ich offt mein leiden anvertrawt!
Ihr Zeugen meiner angst/ jhr Berg'/ jhr Thäler schawt
Wie mich deß Himmels gunst anlache/
Ach nein! mir traumt ach nein ich wache!
O alzu süsser wahn! was bild' ich mir doch eyn?
Ich fühle ja daß ich noch muß in schmertzen seyn!
Ach/ kan die Hoffnung mich so ohne maß' ergetzen!
Wie frölich werd' ich seyn/ wenn GOTT mich wird entsetzen!

7.
Terra vale! Dominum vitæ stat adire Tonantem

1.
Ade verfluchtes Threnen-Thaal!
Du Schawplatz herber schmertzen.
Du vnglücks Hauß du jammer Saal
Du Folter reiner Hertzen/
Ade mein Kercker bricht entzwey.
Die Kette reißt/ mein Geist wird frey
Die Schlösser sind zusprungen.
[48] 2.
Wilkommen offt gewündschter Todt/
Wo du ein Todt zunennen:
Wilkommen süsser lebens Bott
Wer kan die Frewd' erkennen?
In die vnß GOTT durch dich einführt
Den Schmuck mit welchem IESVS zihrt
Die standhafft hier gerungen.
3.
Mein jrrdisch Hauß der Leib geht eyn
Der Nothstall meiner Seelen/
Der Stock/ die Werckstatt herber pein/
Die enge Marter höhlen
Der werthe Schatz bleibt vnverletzt:
Den wir/ ob schon der Feind nach setzt/
Dem Höchsten widerbringen.
4.
Die Erden schaw' ich vnter mir!
Ist diß worumb wir kämpffen
Mit Schwerd vnd flammen? Welche wir
Mitt Blutt vnd leichen dämpffen?
Die Handvoll Graß/ diß Häufflin Sandt/
Vmb welches Eitelkeit vnd Tandt/
Vnd fluch vnd Laster dingen.
5.
Hilff Gott was laß ich? nichts alß weh!
Alß zetter/ ach! vnd klagen.
Alß eine bittre threnen See?
Vnd Höllen grause plagen?
Heist jhr diß leben die jhr lebt!
[49]
Vnd zwischen furcht vnd leiden schwebt
Die Angst vnd grimm verzehret.
6.
Dort fällt ein Reich das ander kracht.
Vnd diß wird nicht gefunden.
Dort schluckt die Erd' ein jhre pracht/
Die dar in Rauch verschwunden.
Was nicht der strenge Nord außlescht!
Was nicht die stoltze Well' abwäscht
Wird durch sich selbst verkehret.
7.
Vnd mag noch jemand seyn/ der mich
Mit zähren rufft zu rücke
Denckt liebsten wo jhr vnd wo ich!
Mißgönt man mir mein Glücke:
Ich lach' jhr weynt! ich sieg jhr kriegt!
Ich herrsch jhr dient/ ich steh' jhr liegt
Ich leb' jhr müst verschmachten.
8.
Ihr seyd vmb die man trawren sol;
Ich den die Lust erquicket.
Ihr zagt/ vnd mir ist ewig wol
GOTT hat mich heim geschicket;
Der euch bald ruffen wird zu mir.
In dessen lernt die falsche zier
Der eiteln Welt verachten.
9.
Ade jhr liebsten ich muß fort/
Laßt ab von ewren thränen.
Denckt daß ich auß-steig in den Port
Nach dem sich alle sähnen.
[50]
Dort war der Kampff: hier ist der lohn.
Dort war der Kercker: hier der Thron.
Dort wündschen: hier erlangen.
10.
Das reiche Schloß der Ewigkeit
Geht auff. Ich bin ankommen.
Ade Welt/ Hoffen/ Schmertz vnd Streit/
GOTT hat mich eingenommen.
Hier wil ich ewig leben dir/
Hier wil mit jauchzen für vnd für
Ich dich mein GOTT vmbfangen.

Paraphrasis Psalmi 125. juxta latinos

1.
Nach dem deß Höchsten übergrosse gunst
Die im Elend schier verschmachte/
Die von jederman verlachte/
Die Zion auß der heissen jammer brunst
Auß dem verknüpfften Ketten-Netze/
Dem Kercker stanck/ dem Angst gehetze.
Durch wunder-Allmacht außgerissen
Vnd alß sein freyes Kind lies grüssen.
2.
Da zweifelt jeder: jeder stund vnd fragt
Ist diß Zion die gekränckte?
Die in jammerschlamm versenckte
Die Brand/ vnd Schwerd/ vnd Blitz vñ glutt geplagt?
Ists Zion? oder muß mit liegen
Vnß leichter träume dunst bekrigen.
Wir schlaffen ja nicht? Nein wir wachen/
Vnd hören Zion frölich lachen.
[51] 3.
Die/ Zion die in herben leid erstickt;
Der die Angst/ den Brunn der Thränen
Gantz erschöpfft/ die mattes sehnen
Nur noch allein mit schwachem Geist außdrückt.
Die wie ein Turteltäublein girret:
Sitzt/ in geschwinde lust verwirret.
Sie lacht/ sie jauchtzt/ sie rühmbt/ sie singt.
Daß Thal vnd Berg davon erklingt.
4.
Vnd billich! denn wer dieser wunder schawt:
Vnd die gantz zersprengten Bande.
Die in Ruhmb verkehrte Schande/
Die rawe klufft/ für der der Sonnen grawt:
Läst mich bestürtzung von sich hören:
Wieviel hat GOTT der HERR der Ehren
An jhr gethan: Er hat erzeiget
Was weder Ost noch West verschweiget.
5.
Ja freylich spricht Sie: Thut er viel an mir
Drumb soll: weil mir Blutt vnd Leben
Wird durch Hertz vnd Adern schweben
Mein Mund vnd Hand/ vnd Seele dancken dir/
HERR rette was sich noch nicht findet:
Was der noch feste Fessel bindet.
Was noch der Feind gefangen heisset:
Was noch die scharffe wehmutt beisset.
6.
Diß wird dein Kind erquicken alß die flutt
Alß das rauschen von den Bächen
Die so mit durst vnd gebrechen/
[52]
Im Suden quelt der Sonnen schwere glutt.
Wie leichter Taw das Land ergetzet
Wie Regen der die Felder netzet/
Die glüend-heisse Lufft getrennet
Vnd schier zu leichten staub verbrennet.
7.
Diß bleibt deß Himmels ewig-feste Schluß
Daß Betrübte nicht stets klagen:
Daß die wollust folgt den Plagen
Daß wer getrawrt zu letzte jauchzen muß/
Die jhre Saat in Angst auß strewen.
Die wird die Frucht-reich Erndt' erfrewen:
Seet Thrähnen auß/ seet auß mit weynen.
Trost wird (wenn jhr nun mayt) erscheinen.
8.
Man geht bestürtzt alß sonder Rath einher
Wenn das wüßte Land zu bawen:
Vnd kein mittel mehr zu schawen
Wenn Scheur vnd Schloß von allem Saamẽ ler
Doch wird das ach/ Das vnß verzehret
In frewdenschwang're Lust verkehret:
Wenn man die vollen Garben bringet
Vnd jauchzend' vmb die Awen singet.

9.
Ruhe deß Gemüttes

1.
Wie seelig ist der hohe Geist zu schätzen/
Der deß geschminckten Glückes falsche Pracht
Vnd was bethörte Sinnen mag ergetzen/
[53]
Mit sorg vnd kummer freyem Mutt verlacht!
Dem kein verzagen/
Das Hertz zubricht
Den auch kein klagen
Noch hohn anficht/
Noch Neydt ansticht.
2.
Er tritt was alles tritt mit steiffen Füssen
Herrscht über sich vnd pocht der Menschen Noth
Er trotzt was Fleisch vnd Jahre leiden müssen/
Er zwingt die Pest der grossen Welt/ den Todt.
Er findet in sich/
Was jener sucht
Der stets/ gleich alß Ich
In schneller flucht
Irr't ohne Frucht.
3.
Er hört mit lust/ wen mancher rühm't vnd leuget
Vnd höhnt den Rauch der stoltzen Eitelkeit/
Er schaw't/ wenn mich ein falscher Freundt betreuget/
Sich vmb/ nach trew/ der hochbegreißten zeit.
Er lib't nicht Liebe
Die Wind vnd dunst
Vnd Seelen hiebe
Gibt vor die gunst
Der keuschen Brunst.
4.
Er schmückt sein gantz mit Ehr geziert Gemütte
Mit nicht gemeinem glantz der Weißheit auß;
Er lern't warumb die stoltze Welle wütte;
Er kenn't die Sternen selbst in jhrem Hauß
[54]
Was in den Lüfften
Was ob vns schweb;
Was auß den klüfften
Der grufft/ erheb'/
Vnd ewig leb'.
5.
Ihm steht was Welt vnd Himmel zuschleust/ offen:
Er denen nur/ die sein Verstand erwehlt.
Von denen gleiche Seel vnd gunst zu hoffen/
Vnd Trew/ die Freund erkiest vnd selten zehlt/
Mit den vrtheilet
Er lust vnd leidt
Was schlegt vnd heilet
Was nah' vnd weit
Vnd Todt vnd Zeit.
6.
Ach! könt ich/ was ich jtzund rühm' erlangen/
Ach mein verhängnis! was hält mich zurück?
Wenn wird mich doch die süsse Ruh' vmbfangen?
Die schöne Lust/ das allerhöchste Glück.
Mich würd ergetzen
Ein lustig Feldt
Vor reichßten Schätzen
Der Fürsten Zelt/
Ja Ehr vnd Welt.

10.
Vber die Geburt deß Herrn

1.
Süsses Kind/ der Vätter hoffen:
Kind der Menschen Lösegeldt/
[55]
Steht der Himmel nunmehr offen?
Liefert Gott dich jtzt der Welt?
Heyland wirst du nun gebohren
Zu erlösen was verlohren?
2.
Den eh' ewig angebrochen
GOTT jhm ewig gleich gebahr:
Wortt das GOTT hat außgesprochen
Das im anfang war/ vnd wahr;
GOTT das Wort komm't auf die Erden,
Wunder! Gott soll Fleisch hier werden/
3.
Heiligkeit der höchsten Gütte!
Ach! verläst du deinen Thron!
Wie entsetzt sich mein Gemütte!
Wird Gott eines Menschen Sohn?
Den nichts was er schuff kan schlissen:
Kan die zarte Jungfer küssen.
4.
Ach! Er komm't/ er wird gebohren
Weil der bleiche Monden wacht
Vor dem Liecht sein Liecht verlohren/
Kommt verhüll't mit schwartzer Nacht.
Den viel tausend Jahr begehret:
Wird eh' als man meynt beschehret.
5.
Doch er wird/ den alle kennen
Nicht von seinem Volck' erkannt.
Der die Welt sein Hauß kan nennen
[56]
Wird in einen Stall verbannt/
Der der Erden grund beweget
Wird auff dürres Hew geleget.
6.
Dem der Donner zu gebotte
Dem der Blitz zu dinste steht
Der an Macht dem höchsten Gotte
Alß an wesen gleiche geht
Der was ist vnd ward/ gebawet
Wird hier alß ein Kind geschawet.
7.
Kan der Schöpffer ein Geschöpffe
Kan die Jungfraw Mutter seyn?
Tritt diß Kind der Drachen Köpffe?
Vnd deß Sathans scheytel eyn?
Wird die Weißheit selbst zum Kinde?
Trägt die Vnschuld meine Sünde?
8.
Irr' ich? nein! ich schaw den Himmel
Selbst mit frewden schwanger gehn?
Vnd mit jauchtzendem getümmel
Tausend Engel vmb mich stehn!
Engel/ die zu Ehren singen
Dem der vnß wil Frieden bringen.
9.
Alles frolock't! alles lachet!
Nur mein hochbetrübtes Hertz;
Das im jammer few're krachet:
Das der Marter-volle Schmertz/
Mit stets newen Geisseln plaget/
Schmacht bey dieser Frewd vnd zaget.
[57] 10.
Augen/ die jhr alles sehet/
Seht was meine Seele schätzt:
Schawt wie mich der Sathan schmähet
Schawt/ wie mich die Welt verletzt/
Schaw't wie mich die Nacht erschrecket
Vnd mit trawrigkeit verdecket.
11.
Arm/ verlassen/ vnd alleine
Fall ich für dir auff die Knie!
Vnd wen wunderts daß ich weyne?
Ist mein Leben nicht voll müh?
Könt ich wol die Thränen zwingen,
Wenn du selbst sie must vor dringen.
12.
Wer die wollust trawrig schawet:
Wer die Frewde klagen hört.
Wenn für dem/ der Erden grawet
Der sich selbst der Welt verehrt?
Könnte man im Thal der zehren:
Sich den Herber Angst erwehren.
13.
Doch dein weynen bringt zu wegen:
Was allein ich wündschen soll.
Daß sich meine Schmertzen legen;
Daß mir in vnd durch dich wol:
Daß ich frey von leid vnd rewen:
Mich mit dir werd' ewig frewen.
[58]

11. Gott dem Heiligen Geiste

1. Satz.

Wie die Erden schmacht vnd brennet
Wie die Blume sinckt vnd fällt/
Wie der Garten sich verstellt/
Wie die Wiese sich verkennet/
Wenn die erhitzte Sonn mit ihrem Mittags flammen
Den Kreyß der welt ansteckt.
So/ wenn deß Höchsten zorn wil tödten vnd verdammen.
Wenn vnß die Angst erschreckt:
Wenn vnß die heisse Noth verzehret
Wenn vnß die bange Furcht beschweret:
Denn wil vnß krafft vnd Muth verschwinden:
Denn ist kein Hertz in vnß zu finden.
1. Gegensatz.

Doch wenn ein nicht harter Regen
Diesen durst der Felder lescht.
Vnd die dürren Kräutter wäscht/
Wenn die winde sich bewegen:
Vnd külen lufft vnd See mit angenehmen spielen
Bald lebt was vorhin todt.
So: wenn wir deinen Trost/ Gott/ höchste weißheit fühlen:
Dann lachen wir in noth.
Wenn vnß dein Allmachts Taw erquicket:
Wenn vnß dein Liebe-wind anblicket:
Wenn deines Segens Regen netzet:
So fleucht/ was jemals vnß verletzet.
1. Zusatz.

Viel hat die Höll! viel ein Tyrann' erschrecket;
Du grosser Geist hast sie noch mehr gesterckt
Viel hat die Pein der Folter banck gerecket.
Man hat in jhrem Hertzen dich vermerckt.
Viel sind bedeckt/ mit Purpur rottem Blutt/
Gewiesen in die glutt:
[59]
Ihr Fleisch verfiel/ doch jhnen wuchs der Mutt/
Durch dich/ du höchstes Gutt.
2. Satz.

Geist durch den die Geister leben/
Geist durch den die Weißheit lehrt:
Geist durch den man IESUM ehrt:
Geist der rechten trost kan geben.
Wenn vnß der Strom der Angst biß in den Abgrund reisset:
Wenn vnß der Feind ansticht.
Geist/ durch den vnser Gott vnß seine Kinder heisset.
Vnd frey von Schulden spricht.
Durch dessen krafft wir können betten.
Vnd für deß höchsten Augen tretten:
Durch dessen hülffe/ wir obsiegen:
Wenn vnß anfechtung wil bekriegen.
2. Gegensatz.

Ach! Erwecke meine Seele:
Wende meinen vnverstand
Zeige den/ den Gott gesand.
Reiß mich auß der Jammer höle/
In welcher mein gemütt verschlossen vnd verhüttet
Vnd sonder ende zagt.
In der deß Höchsten zorn mit heissen Eyver wüttet
Vnd mein Gewissen nagt:
Ich zitter: Hilff mir den erbitten.
Der seine Donner auß wil schütten:
Ich kämpffe: Hilff mir vberwinden;
Ich jrre laß den weg mich finden.
2. Zusatz.

Du weist/ daß ich durch mich nichts kan vollbringen:
Ich weiß daß du durch mich kanst alles thun:
[60]
Drumb bitt ich HERR: Laß meiner Faust gelingen
Was du befihlst: diß daß mein Fleisch wird ruhn.
Gib weil diß Blutt sich in den Adern regt/
Ein Hertz das nichts bewegt:
Gib wenn mein Geist/ diß Fleisch sein Hauß ablegt
Was die/ die seelig/ trägt.

12.
Beschluß deß Jahrs

1.
In dem das Jahr in nichts verschwindet:
Vnd eine newe zeit sich findet:
In dem die letzte Nacht vergehet
Vnd gleich alß auß der grufft entstehet.
Laß vnß mein Geist/ dessen Allmacht: Laß vnß diesen König ehren.
Dessen Crone/ Thron vnd wesen/ wird mit keiner zeit auffhören.
2.
Wir/ die wir eine weile blühen.
Vnd mit der zeit von hinnen ziehen.
Wir werden mit der zeit in Erden
Vnd leichten Staub verkehret werden/
Der vor Ewigkeit geherrschet: vnd in Ewigkeit wird bleiben
Heist vns Menschen wieder kommen; Doch jhn selbst mag nichts vertreiben.
3.
Er hat vnß Maß vnd Ziel gesetzet:
In dem die Welt vnß jhre schätzet:
So bald wir arme diß erreichen
Muß dieser Wangen Ros' erbleichen
Vnter dessen läst er stündlich/ seinen jmmerreichen Segen
Vber diß was Athem holet/ fallen alß gehäufften Regen.
[61] 4.
So bald die Morgen rötte lachet:
So bald die güld'ne Sonn' erwachet/
So offt der heisse Mittag schmachtet/
So offt die Nacht den Tag nicht achtet:
Muß sich/ was nur ist verwundern/ über seiner grossẽ Trewe:
Die ob allem was hier lebet/ jeden Augenblick wird newe.
5.
So bald wir dieses Licht geküsset.
Vnd die geschmückte welt gegrüsset;
Wenn wir die zarte Zungen zwingen/
Von seiner wunder ruhm zu singen
Wenn wir leben/ wenn wir alten/ wenn die greissen Haar vns färben/
Steht vnß seine gunst vor augen/ die (sterb alles!) nicht kan sterben.
6.
Wenn der Schnee die Felder kleidet/
Wenn der süsse Westwind weidet/
Wenn die heissen Wälder brennen:
Wenn ein Baum läst frucht erkennen.
Kennet man die frucht der Liebe: die vnß für vnd für vmbgibet/
Die vnß auffhält wenn wir straucheln: vnd erquickt wenn wir betrübet.
7.
Wenn wir vnß in wehmutt stecken:
Wenn vnß Angst vnd ach erschrecken:
Wenn vnß Geist vnd kräfft entgehen
Wenn wir auff der gruben stehen.
Wenn wir diesen Geist hingeben/ vnd diß müde Fleisch gesegnen:
Pflegt mit offnen Hertz vnd Armen/ Er alß Vater zu begegnen.
[62] 8.
Last die schnellen Jahre flihen/
Wenn wir auß dem leben zihen
Wil ins Schloß der ewigkeiten
Vnß/ die starcke faust einleitten.
Mögen wir noch was begehren: wann er vnß so viel versprochen:
Vnd durch seines Sohnes sterben/ vnsers todes Reich zubrochen.
9.
Der du vnß vnsterblich machest:
Der du ewig für vns wachest
Vnd was ewig vnß gewisen
Sey GOTT ewig hoch geprisen.
Vnter dessen laß die Jahre/ die du vnß noch hier wilt geben:
So in deinen Ehren schlissen/ alß mit deinem dienst anheben.

Ende deß 2. Buchs.

Notizen
Entstanden bis 1646. Erstdruck in: Teutsche Reim-Gedichte, Frankfurt am Main (Johann Hüttner) 1650.
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Zitationsvorschlag für diese Edition
TextGrid Repository (2012). Gryphius, Andreas. Oden. Das zweite Buch. 1650. TextGrid Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-1795-D