Etliche Abend-Seuffzer

Gleich wie der lichte Tag vor schwartzer Nacht verschwunden
So wird/ wann meine Stund'/ O Gott/ sich eingefunden/
Auch dieses Lebens-Licht in seine Nacht hingehn/
Und Finsternüß und Todt vor meinen Augen stehn.
Ich werd' in tieffen Schlaff den kalten Leib einlegen/
Biß das sich Erd' und See und Himmel selbst bewegen.
Wenn nun der Engel-Stimm was Tod/ aus seiner Grufft/
Mit einem Feld-Geschrey vor Gottes Richtstul rufft:
Gib Herr! wann dieser Schlaff mit mir beginnt zu ringen
Daß ich ein munter Hertz von hier mag vor dich bringen.
Erleuchte mein Gesicht/ steck' an die Glaubens-Kertz/
Hilff Jesu/ daß ich dich/ mein Leben/ nicht verschertz;
Hilff/ daß ich leb' in dir/ dem auch/ was todt/ muß leben
Schlafft/ Glieder! schlafft/ mein Geist soll wachend Gott erheben.

[Danck sey dir von Hertzen]

[96] 1.
Danck sey dir von Hertzen/
Daß für Noth und Schmertzen
Du mich hast bewahrt!
Daß der Höllen Stärcke
Nicht nach meinem Wercke
Mit mir hat gebahrt.
2.
Jesu daß ihr Stellen/
Mich nicht können fällen/
Das schaffst einig du!
Unter deinen Armen
Leg' auf dein Erbarmen
Ich mich jetzt zur Ruh.
3.
Ob sich Satan reget/
Und uns Stricke leget/
Bey der finstern Nacht
Wird er deine Lieben/
Dennoch nicht betrüben
Weil dein Auge wacht.
4.
Schau wie tobt der Drache!
Führe deine Wache/
JESU um mein Hauß.
Wann es Gifft herschneiet:
Wann er Feur ausspeiet;
Lesch' es selber aus.
5.
Daß uns nicht ereile
Mit geschwindem Pfeile
Ein noch schneller Tod/
Daß die/ die voll Trauen/
JESU/ auf dich bauen/
Dämpffe keine Noth.
6.
Weil auch meine Sünden
Deinen Zorn entzünden/
Ey so bitt' ich dich;
Eile nicht zu rächen/
Groß ist mein Verbrechen/
JESU rette mich!
7.
Laß mit deinen Schaafen
[97]
Mich ohn Unheil schlaffen
Du getreuer Hirt/
Hilff die Thüren schliessen/
Bey den Finsternüssen/
Sey du selber Wirth.
8.
Daß ich mit dem Morgen
Frey von allen Sorgen
Deine Treu erheb'.
Biß in deinem Frieden
Ich von hier geschieden/
Und dort ewig leb'.

[Haupt und Beystand deiner Glieder]

1.
Haupt und Beystand deiner Glieder/
Der du ewig vor uns wachst!
Und wann uns die Welt zuwider/
Ihren Rath zu nichte machst:
Schau die Sonne geht zur Ruh!
Nacht und Schrecken setzt uns zu/
Und wir stehn entblöst von Kräfften
Unter Creutz und Ampts-Geschäfften.
2.
Dennoch kommen wir mit Dancken
Vor dein liebreich Angesicht/
Daß bey Gleiten Fall und Wancken
Deine Hand uns aufgericht/
Du dreyeinig hoher Gott/
Der du in Gefahr und Noth/
Dem der dir verpflicht zu dienen
Heil- und Gnadenreich erschienen.
3.
Unter wie viel Stürm und Rasen
Und erhitzter Feinde Macht/
Und verdecktem Gifft ausblasen
Ist der Tag hindurch gebracht/
Dennoch hat mich nichts versehrt/
[98]
Weil du meinen Wunsch erhört.
Und das Schnauben volle Pochen
Auch/ eh ichs gemerckt/ zerbrochen.
4.
Zwar ich weiß das meine Sünden
Nichts dann Höll' und Fluch verdient;
Aber du kanst mich entbinden
Dessen Blut uns ausgesühnt.
Als du vor der Schuld der Welt/
In den Todt dich eingestellt
Und durch Schmach und Creutz und Wunden/
Die Gefangnen hast entbunden.
5.
Als du wirst mich ja nicht lassen
Der du mich so theur erkaufft:
Herr! ich wil auf dir erblassen;
Wann nun meine Stund auslaufft/
Unterdessen leb' in mir
Daß ich einig bleib' in dir:
Und trotz Angst und Hohn und Schmähen!
Meinen Glauben lasse sehen.
6.
Schleuß auch weil ich nun entschlaffe
Was hab' ich in deine Hand/
Schone wolverdiente Straffe
Auszutagen auf diß Land/
Treib der Seuchen strenge Flut/
Treib erzörnter Himmel-Glut
Hunger/ Sturm/ und Pestilentzen/
Krieg und Mord von unsern Grentzen.
7.
Auf dich leg' ich mich zu Bette/
Gieb das ich gesund aufsteh'
Gott des Trostes! ko i und rette
Mich aus Leibs und Seelen-Weh!
Schlummern schon die Augen ein/
Laß das Hertze wacker seyn/
Daß ich/ fern von Furcht und Grauen/
Dich auch schlaffend' mög anschauen

[Lob' Ehr' und Preiß]

[99] 1.
Lob' Ehr' und Preiß/
Ich dir erweiß
JESU du Cron der Ehren!
Weil deine Gunst/
Und Liebes-Brunst/
Sich Zeit für Zeit vermehren.
2.
Du hast den Tag
Der grimmen Plag
Gantz brüderlich gewehret/
Daß kein Unglück/
Noch Hohn noch Tück/
Der Feinde mich gefähret.
3.
Erscheine mir
O meine Zier
Auch diese Nacht in Gnade/
Daß keine Noth
Noch Fall noch Todt
Dem dir Vertrauten schade.
4.
Ich lege mich
Mein Heil auf dich
Und ruh' in deinen Wunden
Mein Hertz verbleib
Wach; ob den Leib
Gleich hält der Schlaff gebunden.
5.
Ich kan ja nicht
Ohn dich mein Licht
Die schwere Zeit hinbringen!
Es würde leicht
Der um uns schleicht
Dein schwaches Kind bespringen.
6.
Mit Macht und List
Ist er gerüst
Reiß mich aus seinen Klauen.
[100]
Laß mich gesund
Die Morgen-Stund
Durch deinen Beystand schauen.
7.
Mein Geist und Blut/
Und Haab und Gut
Sey deiner Treu ergeben!
Ich bleibe dein:
Du bleibest mein/
In Sterben und im Leben.

[Dir Herr der Herrligkeit]

Dir Herr der Herrligkeit danckt dein verpflichtet Kind
Das sich vor deine Füß in Jesu Nahmen find/
Und in des Geistes Krafft/ der Abba ruffen lehret/
In tieffster Niedrigkeit/ dich seinen Vater ehret.

2.
Du bists/ der mich mir selbst/ und was ich an mir hab'
Und was ich vor mir seh' aus lauter Liebe gab.
Du bists der mich ans Licht aus Mutterleibe führte:
Mit Gliedern Haut und Fleisch/ Verstand/ Vernunfft auszierte.
3.
Du bists der mich biß heut' auf diese Stund ernehrt/
Der/ wann kein Mittel mehr/ viel Mittel hat beschert/
Der wañ der Zeiten Sturm mich Blöden wolt ersauffen/
Mich mit der Vater Hand zog aus den gri isten Tauffen.
4.
Du bists/ der mich so hoch da ich dein Feind geschätzt/
Daß du dein einigs Kind vor mich hast aufgesetzt/
Daß ich durch dessen Dienst die Freyheit möcht ererben
Schenckst du das Leben mir durch sein erschrecklich Sterben.
5.
Ich werde durch sein Blut von meinen Greueln rein/
Und geh' durch seine Schmach ins Reich der Ehren ein.
Er zahlet mein Schuld/ er ist vor mich verhöhnet/
Er trug den Fluch vor mich/ durch ihn bin ich versöhnet.
6.
Er schenckt/ was er erwarb/ mir gantz zum Eigenthum/
Er gibt mir seinen Geist/ sein Unschuld ist mein Ruhm;
Sein Fleisch ist meine Speiß/ Er reist mich aus den Stricken
Der Höll/ und wil mein Hertz mit seinem Blut erquicken.
7.
Er zeiget mir den Weg zur höchsten Herrligkeit/
Er ist die Warheit selbst und führt aus Zanck und Streit.
Er ist/ (O Wunder-Lieb! O höchste Treu!) das Leben/
[101]
Er ists/ der alles mir zugleich mit sich gegeben.
8.
Dir Herr der Herrligkeit danckt dein verpflichtet Kind/
Das sich für deine Füß' in Jesu Nahmen find/
Und in des Geistes Krafft/ der Abba ruffen lehret/
In tieffster Niedrigkeit dich seinen Vater ehret.

[Weil nun der süsse Schlaff]

Weil nun der süsse Schlaff die müden Augen schleust/
Und die beschwärzte Nacht gleich einem Strom herfleust/
Weil dicke Finsternüß die frembden Träum einführet/
Und der gebundne Leib nichts fühlt/ nichts kennt/ nichts rühret.
So ko i O süsse Ruh'! erquicke meine Seel!
Die nur durch dich/ nach dir in dieser Marter-Höhl
Mit steten Seuffzen schmacht/ ko i/ wann mein Tag vergangen/
Und ich die Ewigkeit geruffen anzufangen.
Leb' in mir/ wann der Tod das kalte Fleisch bestrickt/
Und mir die lange Nacht beyd' Augen zugedrückt.
Gib daß ich sicher lieg' und nichts mich mög erschrecken/
Wenn an dem grossen Tag du alle wirst erwecken.
Denn laß mich dich o Sonn/ o Licht/ das niemand schaut/
Der noch das Elend hier im Thal der Thränen baut/
Mit immer neuer Freud' in diesen Gliedern sehen;
Laß unter deinem Fuß was hier dich pflegt zu schmähen
Zutretten/ und zuknickt/ mein frölich Lustbild seyn/
Und führe mich ins Hauß der seel'gen Ruhstätt ein.

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Zitationsvorschlag für diese Edition
TextGrid Repository (2012). Gryphius, Andreas. Etliche Abend-Seuffzer. TextGrid Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-1A7F-7