Karoline von Günderode
Gedichte und Phantasien

[3] Darthula nach Ossian

Nathos schiffet durch den Strom der Woogen
Ardan, Althos, seine Brüder mit,
Erins König, Caibars Zorn zu meiden
In geheimnißvolle Schatten kleiden
Dunkle Wolken ihren fliehnden Schritt.
Wer? o Nathos! ist an deiner Seite!
Traurig seufzt im Wind ihr braunes Haar
Lieblich ist sie, wie der Geist der Lüfte,
Eingehüllt in leichte Nebeldüfte;
Schön vor allen Collas Tochter war.
Ach Darthula! deine irren Segel
Eilen nicht dem wald'gen Etha zu.
Seine Berge heben nicht die Rücken
Und die Seeumwogten Küsten bücken
Turas Felsen schon dem Meere zu.
Wo verweiltet ihr des Südes Winde?
Schwelltet Nathos weiße Segel nicht?
Trugt ihn nicht zum heimathlichen Strande?
Lange blieb er in dem fremden Lande
Und der Tag der Rückkehr glänzt ihm nicht.
[3][3]
Schön, o König Ethas! warst du in der Fremde;
Wie des Morgens Strahl dein Angesicht.
Deine Locken, gleich dem Raben, düster
Deine Stimme, wie des Schilfs Geflüster
Wenn der Mittagswind sich leise wiegt.
Deine Seele glich der Sonne Scheiden,
Doch im Kampfe warst du fürchterlich.
Brausend wie die ungestümen Woogen
Wenn vom Nord die stürm'schen Winde zogen
Stürztest du auf Caibars Krieger dich.
Auf Selamas grau bemoosten Mauern
Sah dich Collas Tochter, und sie sprach:
Warum eilst du so zum Kampf der Speere!
Zahlreich sind des düstern Caibars Heere.
Ach! und meiner Liebe Furcht ist wach.
Freuen wollt ich dein mich, deiner Siege
Aber Caibars Liebe läßt mich nicht.
So sprachst du. Jetzt haben dich die Woogen
Mädchen! und die Stürme dich betrogen,
Nacht umringt dein schönes Angesicht.
Aber schweiget noch ein wenig Winde!
Ueberbraust Darthulas Stimme nicht!
Fürst von Etha! sind dies Usnoths Hallen?
Jene Ströme die von Felsen fallen
Sind es Ethas blaue Ströme nicht?
[4]
Hier empöret Erin seine Berge,
Ethas Felsenströme brüllen nicht.
Dennoch ruh hier an des Ufers Hügel
Denn mein Schwerd umgiebt wie Blitzes Flügel
Dich du Liebliche, du schönes Licht.
Nathos: sagt das braun gelockte Mädchen,
Niemand hat Darthula außer dich,
Denn die Freunde sind mir früh gefallen,
Las um sie noch meine Klage schallen
Hör der Trauer Stimme, höre mich.
Abend ward einst, in der Wehmuth Schatten
Bargen meines Landes Eb'nen sich,
Ueber hoher Wälder Wipfel schritten,
Einzle Lüfte, die aus Wolken glitten,
Da umgaben Trauerschatten mich.
Die Gestalten meiner Freunde gingen,
Traurig, Geistern gleich, an mir dahin.
Da kam Colla mit gesenktem Schwerdte
Seinen Blick geheftet an die Erde,
Brennend glühte noch die Schlacht darin.
»Collas letzte einzige Hoffnung sprach er;
Braungeloktes Mädchen! Truthil fiel.
Siegreich kehrt dir nicht der Bruder wieder,
Zu Selama naht Erins Gebieter,
Mit ihm Tausende im Schlachtgewühl.«
[5]
Ist des Kampfes Sohn gefallen? seufzt' ich!
Hat der lange Schlaf sein Aug verhüllt?
O! so schütze mich der Jagden Bogen
Glücklich oftmahls meine Pfeile flogen,
Tödlich für das dunkelbraune Wild.
Freud umstrahlt den Greisen. Ja Darthula!
Deine Seele brennt in Truthils Glut,
Geh', ergreif das Schwerdt vergangner Schlachten!
Also Colla: seine Worte fachten,
Höher noch in mir des Kampfes Muth.
Wehmuthsvoll vergieng die Nacht, am Morgen
Schimmerte im Stahl der Schlachten ich. –
Caibar saß zum Mahl in Lonas Wüste,
Als Selamas Waffengang ihn grüßte;
Seine Führer rief er da zum Krieg.
Warum soll ich Nathos! dir erzählen
Von des Kampfes schwankendem Geschick?
Ach! umsonst bedeckt von meinem Schilde,
Sank der Vater mir im Schlachtgefilde,
Und in heißen Thränen schwamm mein Blick.
Treulos zeigte da des Mädchens Busen,
Caibar mein zerrissenes Gewand;
Freundlich naht er, sprach der Liebe Worte,
Führte mich zu meiner Väter Pforte,
Aber Trauer meine Stirn umwand.
[6]
Da erschienst du Nathos! meinen Augen,
Freundlich wie ein Abendlich Gestirn.
Caibar schwand vor deines Stahles Sprühen
Wie der Nachtgeist vor des Morgens Glühen,
Doch es wölbte Trauer deine Stirn?
Meine Seele glänzte in Gefahren
Eh' ich dich, du schönes Licht! gesehn.
Aber unsre Segel sind betrogen,
Wolken, kommen gegen dich gezogen.
Und du wirst in ihrer Nacht vergehn.
Oscar weilest noch an Selmas Küste!
Oscar schiffe durch das dunkle Meer!
O daß Winde deine Segel schwellten!
Zittern würden dann Temoras Helden.
Friede wäre um Darthula her.
Wo wird Nathos deinen Frieden finden?
Wo Darthula? wo ist für dich Ruh?
Geister der Gefallnen! sprach Darthula;
Truthil! Colla! Führer von Selama!
Winkt ihr mir aus euren Wolken zu!
Nathos! reiche mir das Schwerdt der Tapfern,
Vater! ich will deiner würdig seyn,
In des Stahles Treffen werd' ich gehen,
Nimmer Caibars düstre Hallen sehen,
Nein! ihr Geister meiner Liebe! nein!
[7]
Freude glänzt in Nathos bei den Worten,
Die das schöngelokte Mädchen sprach:
Caibar, meine Stärke kehret wieder!
Komm mit Tausenden, Erins Gebieter!
Komm zum Kampfe! meine Kraft ist wach!
Ja er kömmt mit Tausenden! rief Ardan;
Schreckbar tönet ihrer Schwerdter Schall. –
»Laß zehntausend Schwerdter sich empören:
Usnoth soll von Nathos Flucht nicht hören,
Ardan! sag ihm; rühmlich war mein Fall.
Winde, warum brausen eure Flügel?
Woogen! warum rauscht ihr so dahin?
Wellen! Stürme! denkt ihr mich zu halten?
Nein, ihr könnts nicht, stürmische Gewalten
Meine Seele läßt mich nicht entfliehn.
Wenn des Herbstes Schatten wiederkehren,
Mädchen! und du bist in Sicherheit,
Dann versammle um dich Ethas Schönen,
Las für Nathos deine Harfe tönen,
Meinem Ruhme sey dein Lied geweiht. –
Nathos blieb gestüzt auf seinem Speere;
Schaurig pfiff der Nachtwind um ihn her
Aber bei des Morgens erstem Strahle,
Drang er vorwärts mit gezücktem Stahle,
Mit dem Führer eilt Darthula her.
[8]
Komm zum Zweikampf! ruft er Fürst Temoras!
Für Selamas Mädchen! – Caibar spricht:
Stolzer, du entflohst mir mit der Schönen
Wähnst du, Caibar kämpft mit Usnoths Söhnen?
Nein, er kämpft mit Unberühmten nicht.
In des königlichen Nathos Augen
Glänzen Thränen; und er wendet sich
Zu den Brüdern, ihre Speere fliegen
Rache dürstend, und gewiß zu siegen
Erins Reihn verwirren schwankend sich.
Da ergrimmet Caibars finstre Seele,
Und er winket, tausend Speere fliehn,
Usnoths Söhne sinken wie drei Eichen,
Die zur Erde ihre Wipfel neigen,
Wenn des Nordens Stürme sie umziehn.
Gestern sah sie noch der Wandrer blühen
Ihre stolze Schönheit freute ihn,
Heute beugte sie der Sturm der Wüste,
Sie, die gestern noch die Sonne grüßte,
Sprachlos starret Collas Tochter hin.
Höhnend naht ihr Caibar, Mädchen sahst du
Nathos Land, in fernes Blau gehüllt?
Oder Fingals dunkelbraune Hügel?
Ha! entrannst du auch des Sturmes Flügel,
Ueber Selma hätte meine Schlacht gebrüllt.
[9]
Caibar sprachs. Da rauscht ein Pfeil, getroffen
Sinkt sie, und ihr Schild stürzt vor sie hin.
Wie des Schnees Säule sank sie nieder,
Ueber Ethas schlummernden Gebieter,
Spreiten sich die dunklen Locken hin.
Da versammelten die hundert Barden
Caibars, um Darthulas Grabmal sich
Ihre Harfen rauschten um den Hügel,
Und es schwang sich des Gesanges Flügel,
Für der Mädchen Erins Schönste! dich!
Trauer schreitet an Selamas Strömen,
Schweigen wohnet in den Hallen nun.
Collas Tochter sank zum Schlafe nieder
O! wann grüßest du den Morgen wieder?
Schöngelockte! wirst du lange ruhn?
Weit entfernet ist dein Morgen, nimmer!
Stehst du mehr in deiner Schönheit auf;
Ach! die Sonne tritt nicht an dein Bette,
Spricht, erwach aus deiner Ruhestätte!
Collas schöne Tochter! steig herauf!
Junges Grün entkeimet schon dem Hügel,
Frühlingslüfte fliegen drüber her.
Sonne birg in Wolken deinen Schimmer!
Denn sie schläft, der Frauen Erste! nimmer
Kehret sie in ihrer Schönheit mehr.
[10]

Timur

[11] [13]Ermar hatte das Geschlecht von Parimor vom Thron gestoßen, Parimor selber, sein Weib und seine Freunde waren gefallen unter dem Schwerte des Ueberwinders, nur Timur sein einziger Sohn fiel lebend in Ermars Hände. Ungern unterwarf sich das Land dem Sieger, der die Burg des unglücklichen Parimor an der Nordküste der Insel bezog; und die höchste Gewalt mit seinem Bruder, dem wilden Konnar theilte.

Keiner von allen Freunden des gestürzten Königshauses wußte wo Timur sey, und ob er lebe? nur die Prophetin wußte es, die verschwiegne Seherin, die in einer Höhle am Eingang der Erde wohnte, sie sah die kommenden Schicksale, die Tiefen der menschlichen Brust, und des unglücklichen Timurs Ketten. Einsam lebte die Prophetin und verrichtete geheimnißvolle Werke, und von allen Sterblichen wußte nur Thia, die schöne Tochter von Ermar, ihre Wohnung. Die Seherin liebte das Mädchen, sie lehrte sie mancherlei Geheimnisse, und enthüllte ihr oft die Begebenheiten der Zukunft.

Einst sprach die Prophetin zu der Tochter von Ermar: Mädchen! fürchte das Geschick deines Vaters, seine Unthat hat den Geist der Rache erweckt; sieh hierher! Und sie zeigte dem erschrocknen Mädchen [13] in einem Spiegel ein tiefes Gefängniß der Burg, und in dem Gefängniß lag auf moderndem Stroh, ein Jüngling mit brennenden Augen, und dichten braunen Locken; Thia konnte ihre Augen nicht sättigen an dem Anblik des Gefangnen; aber die Seherin sprach: dies ist der König dieses Landes, er schmachtet in Ketten, und dein Vater trägt die Krone die ihm gebührt.

Gedankenvoll eilte Thia zurück zu der väterlichen Burg, und suchte allenthalben nach einer Thüre die zu Timurs Kerker führen möchte. Im Nord war die Burg von rauhen Felsen umgeben, die bis zum Meere hinabreichten, in diesen Felsen entdeckte Thia zwischen Gesträusch und Nesseln versteckt, ein Gitter, das eine dunkle Tiefe verschloß; dies Gitter hatte sie in dem Zauberspiegel gesehen; und jeden Morgen ehe die Bewohner des Schlosses erwachten, und jeden Abend wenn die milde Dämmerung die Thaten der Liebe in ihre Schleyer verbarg, gieng sie dahin, setzte sich trauernd neben das Gitter, und seufzte: Timur! Timur! und ihr war als kämen liebe unsichtbare Arme aus dem Gitter herauf und hielten sie umschlungen, daß sie die Stelle nicht verlassen konnte, und es nicht achtete daß der rauhe Nachtwind sie umwehte, und der Thau des Himmels sie benetzte.

Zwei Jahre hatte Timur in dem Kerker geschmachtet, schon waren der Rache wilde Gedanken bleich und ohnmächtig geworden, und die Träume von Erlösung und Befreiung waren verträumt; schon [14] glaubte er sich von allen Menschen vergessen, als ihm däuchte, er höre mit süßer Stimme seinen Namen flüstern, und jeden Morgen und jeden Abend hörte er dieselbe Stimme: Timur! Timur! rufen, und wenn er auf seinem Lager schlummerte, däuchte ihm, ein Engel mit glänzenden Locken und rosigten Wangen beuge sich über ihn her, drücke leise Küsse auf seine Lippen und seufze: Timur! Aber wenn er erwachte, vergingen die rosigten Wangen in Kerkernacht, die hellen Locken erbleichten, die Küsse verglühten, doch die süße Stimme flüsterte fort; und er wußte nicht, ob der Traum wirklich, oder das wirklich Scheinende, Traum sey.

Tage und Wochen waren so vergangen, als das Mädchen zu Ermar sprach: »Vater! der Mund der Prophetin verkündet dir Unheil und Verderben, wegen des Sohnes von Parimor, der unschuldig in deinen Ketten schmachtet, deine Ungerechtigkeit wird den Geist der Rache erwecken, fürchte ihn! Timurs Kraft ist gefesselt, erwiderte Ermar: wo ist der Arm der sich der Rache leihe? Fürchte, sprach Thia, die Zukunft und der Seherin untrügliche Worte; ich habe Timur gesehen, ich liebe ihn, gieb ihm die Freiheit, gieb ihn mir, feßle ihn durch ein heiliges Band an dich, oder fürchte auch deine Tochter. Aber Ermar blieb unerbittlich bis sich die einzige Tochter ihm zu Füßen warf, und ihm schwur den Geliebten zu seinem treuen Sohne und Freund zu machen, oder ihn zu verrathen, wenn er undankbar sey, und ihm den [15] Dolch mitten in seinen Umarmungen in die Brust zu stoßen.

Timur lag in schweren Träumen, der Geist seines Vaters erschien ihm in blutige Grabtücher gehüllt, und sprach, räche mich! die Zeit ist gekommen. Timur erwachte, aber immer hörte er noch die Worte, die Zeit ist gekommen! er dachte noch darüber nach, als das Gitter sich öffnete; ein Krieger trat herein und hies ihn folgen. Schweigend, voll seltsamer Empfindungen gieng Timur hinter seinem Führer her. Jetzt waren sie auf den Felsen angekommen, der Krieger entfernte sich, und Ermar kam dem Jüngling entgegen. Die Zeit ist gekommen, räche mich, flüsterte eine Stimme in Timurs Seele: eine unsichtbare Gewalt trieb ihn; ehe Ermar noch gesprochen hatte, ergriff ihn der Jüngling, und schleuderte ihn die Felsen hinab, daß sein Blut hinunter rauchte bis zur See.

Die Bewohner des Schlosses versammelten sich, sie erkannten den Sohn ihrer Könige, und nannten ihn freudig Herr, und Gebieter. Als es aber Nacht wurde, trat Thia zu ihm, und sprach: »Ich habe dich geliebt, ich habe an der Thüre deines Kerkers gewacht, und deinen Namen der Nacht, und den Sternen vertraut; deine Freiheit ist mein Werk, aber du hast meinen Vater ermordet, du hast die schwere Blutschuld auf meine Seele gewälzt, darum hinweg von dir!

Und das Mädchen gieng, und kehrte nicht wieder.[16] Da ward der König sehr traurig, die lärmende Jagd erfreute ihn nicht, und nicht der Becher, einsam stand er auf seinem Felsen, und sahe, und vernahm nichts als die Schrecken des nahenden Winters. Der Himmel war mit schweren Wolken bedeckt, eisigte Regen fielen herab, der Nordwind zerwühlte den Wald und trieb die falben Blätter in wilden Wirblen umher, die Brandung brauste an der Küste, und der krächzende Rabe unterredete sich mit dem Wiederhall. Monde vergingen so, und immer fielen kalte Regen und Schnee und der Himmel blieb dunkel wie die Seele von Timur; da versammelten sich die Freunde um ihn und sprachen: es ist nicht gut o König! daß du so einsam trauerst, komm! laß uns Thaten thun; Konnar herrscht noch jenseits der Berge mit eisernem Zepter über das Volk, komm! erobere dein Erbe, überwinde die Verräther! Der Jüngling gehorchte, er riß sich empor aus seinen Träumereien und stürtzte sich in das Gewühl der Schlachten zu Thaten und Ruhm.

Ungewiß schwankte das Glück zwischen Konnar und Timur, Timur war tapfer, Konnar fest und klug. Eine Schlacht entschied für Konnar, Timur mußte sich zurückziehen in die Gebürge. Der Tag verfloß im Getümmel der Gefechte, in Angriff und Vertheidigung, aber wenn die Nacht herniedersank, und den Kriegsgott in Schlummer einlullte, versammelten sich die Gefährten um Timur, und in den Schlüchten einsamer Gebürge, in der Nacht dichter [17] Wälder, wo der spähende Feind sie nicht ahndete, errichteten sie ein lustiges Zelt, hundert Fackeln erleuchteten die Wildniß, der Freudenbecher gieng umher, eine süße Musik erscholl begleitet von den Stimmen braunlockigter Mädchen, und Timur schwelgte in Ruhm und Lust und Liebe, und seine Gefährten jauchzten in wilden Freuden.

Einst aber, da Timur allein war auf seinem Lager, und der Schlummer ihn floh, däuchte ihm er höre das Geräusch leiser Tritte, und da er noch lauschte, fühlte er sich plötzlich umschlungen von zarten Armen, und heiße sehnsuchtsvolle Küsse bedeckten seine Lippen; als er aber Morgens erwachte war sein Lager verlassen. Drei Nächte hatte schon die unbekannte Geliebte des Königs Lager besucht, als sie aber zum viertenmale kam, schloß er sie in seine Arme und schwur sie nicht zu lassen, bis sie sich ihm entdeckt habe, damit er seinen Thron und seine Hoheit mit ihr theilen könne. »Laß mich nur noch diesmal ungekannt von dir« sprach das Mädchen, »wenn die Nacht wieder kehrt und die Sterne wieder glänzen, wird ein schwarzes Roß vor dir stehen, dem vertraue dich, es wird dich dahin tragen, wo dir alles offenbar wird.« Der König ließ das Mädchen von sich gehen. Da es aber Nacht wurde fand er das Roß; eins sonderbarer Schauer durchlief sein Gebein, aber er schwang sich auf des Thieres Rücken, und es trug ihn durch unbekannte verworrne Pfade, durch Klüfte und Wälder, und blieb [18] stehen vor einem prächtigen erleuchteten Pallast. Die Thore öffneten sich, zwei Knaben traten heraus, hielten ihm den Zügel und führten ihn in einen Saal. Eine milde Dämmerung herrschte, denn nur ein Halbmond über einem Becken in das sich duftendes balsamisches Wasser stürzte erleuchtete das Zimmer mit wechselndem Schimmer, bald glänzte der Mond in dunklem Purpur, dann in blassem Rosenroth, dann wieder blau wie der Bogen des Himmels, dann endlich wie der grüne Schmelz der Wiesen.

Staunend sah Timur eine Weile dem wechselnden Farbenspiel zu; da that sich die Thüre auf und viel schöne Mädchen kamen herein in allerlei fremden und sonderbaren Trachten; ein Blumenkranz wand sich um die blonden Haare der Einen, ein zierlich weißes Kleid umfloß sie. Eine Andere hauchte Arabiens Balsam, des Morgenlands köstlicher Thau umgab in glänzenden Reihen die dunklen Locken, und Gold gewürkt in persische Seide verhüllte die runden üppigen Glieder. Eine dritte in leichtem Silberflohr glich der Luft ätherischen Schönen; und das Holdeste aller Zonen schien versammelt um den Jüngling. Plötzlich glänzte das Wasser wie die Sonne und goß breite Lichtströme durch den Saal; eine Musik, wie Orgeltöne, ließ sich hören, eine liebliche Stimme begleitete die rauschenden Harmonien und schwebte über ihnen, wie eine leichte Frühlingsluft schwebt über dem brausenden Meer, aber die [19] Töne wurden stärker und stärker, und verschlangen die Stimme in Wogen von Wohllaut. Die Mädchen umgaben den Jüngling, sprachen ihm freundlich zu, und jede sandte ihm heiße Blicke, als sey jede die Geliebte der Nacht gewesen. Forschend betrachtete sie der König, jede dünkte ihm hold und lieblich, aber sein Herz bewegte sich zu Keiner, sie ist nicht hier die ich suche, sprach seine innerste Seele.

Jetzt rauschten zwei Flügelthüren auf, ein prächtiger Saal zeigte sich von vielen Fackeln erleuchtet, die von den Marmorwänden wiederstrahlten; in der Mitte stand eine Tafel. Man setzte sich, der Wein perlte im Gold, die Mädchen nippten mit Rosenlippen an den Bechern, und reichten sie dann dem König; aber Timurs Seele war traurig, er senkte den Blick, und all die Herrlichkeit, und all die Schönheit gieng verlohren an ihm. Da er aber die Augen aufschlug sah er eine Gestalt an der Ecke des Saals ihn gegenüber, an eine Säule gelehnt stehen, sie war ganz schwarz und dicht verhüllt, und blieb immer unbeweglich. Timur betrachtete sie lange und oft, eine tiefe Sehnsucht zog ihn zu ihr; das Maal däuchte ihm unendlich lange, und es ward ihm erst wohl, als man sich erhob.

Die Mädchen verließen den Saal, aber jede sandte ihm noch einladende Blicke, er folgte Keiner, und sah sich endlich allein mit der schwarzen Gestalt, die Fackeln erloschen, nur ein einziges bleiches Licht durchdämmerte den Saal. Die schwarze Gestalt nahte [20] sich ihm, und sprach: »Folge mir!« er gehorchte; und sie führte ihn durch seltsame unterirrdische Gänge, auf einen Fels. Der Mond glänzte eben im vollen Lichte, und Timur erkannte schaudernd den Fels und das Meer in welches er Ermar hinabgeschleudert hatte. Seine Führerin schlug den Schleier zurück. Es war Thia. Geist meines Vaters! rief sie, laß dich dieses Opfer entsühnen. Sie schlang ihren Arm um den König, und stürzte sich mit ihm die Felsen hinunter, daß ihr Blut sich mischte, und hinab rauchte zur wogenden See.

Don Juan

Es ist der Festtag nun erschienen
Geschmücket ist die ganze Stadt.
Und die Balkone alle grünen,
In Blumen blüht der Fürstin Pfad.
Da kommt sie, schön in Gold und Seide
Im königlichen Prunkgeschmeide
An ihres neu Vermählten Seite.
Erstaunet siehet sie die Menge
Und preiset ihre Schönheit hoch!
Doch Einer, Einer im Gedränge
Fühlt tiefer ihre Schönheit noch.
Er mögt in ihrem Blick vergehen
Da er sie einmal erst gesehen,
Und fühlt im Herzen tiefe Wehen.
[21]
Sein Blick folgt ihr zum Hochzeitstanze
Durch all der Tänzer bunte Reihn,
Er stirbet bald in ihrem Glanze
Lebt auf im milden Augenschein.
So wird er seines Schauens Beute,
Und seiner Augen süße Weide
Bringt bald dem Herzen bittres Leide.
So hat er Monde sich verzehret,
In seines eignen Herzens Gluth;
Hat Töne seinem Schmerz verwehret,
Gestählt in der Entsagung Muth;
Dann könnt er vohr'gen Muth verachten
Und leben nur im tiefen Schmachten,
Die Anmuthsvolle zu betrachten.
Mit Philipp war, an heil'ger Stätte,
Am Tag den Seelen fromm geweiht,
Sein Hof versammelt zu Gebete
Das Seelen aus der Qual befreit;
Da flehen Juans heisse Blicke:
Daß sie ihn einmal nur beglücke!
Erzwingen will ers vom Geschicke.
Sie senkt das Haupt mit stillem Sinnen
Und hebt es dann zum Himmel auf;
Da flammt in ihm ein kühn Beginnen,
Er steigt voll Muth zum Altar auf.
Laut will er seinen Schmerz ihr nennen,
Und seines Herzens heißes Brennen,
In heil'ger Gegenwart bekennen.
[22]
Laut spricht er: Priester! lasset schweigen
Für Todte die Gebete all.
Für mich laßt heisse Bitten steigen;
Denn größer ist der Liebe Quaal,
Von der ich wehn'ger kann genesen,
Als jene unglücksel'gen Wesen
Zur Quaal des Feuers auserlesen.
Und staunend siehet ihn die Menge
So schön verklärt in Liebesmuth.
»Wo ist, im festlichen Gepränge?«
Denkt Manche still, »die solche Gluth
Und solches Wort jetzt hat gemeinet?«
Sie ist's, die heimlich Thränen weinet,
Die Juans heisse Liebe meynet.
War's Mitleid, ist es Lieb' gewesen,
Was diese Thränen ihr erpreßt?
Vom Gram kann Liebe nicht genesen,
Wenn Zweifelmuth sie nicht verläßt.
Er kann sich Friede nicht erjagen;
Denn nimmer darf's die Lippe wagen,
Der Liebe Schmerz ihr mehr zu klagen.
Nur einen Tag will er erblicken
Der trüb ihm nicht vorüber flieht,
Nur eine Stunde voll Entzücken
Wo süße Liebe ihm erblüht,
Nur einen Tag der Nacht erwecken,
Es mag ihn dann, mit ihren Schrecken
Auf ewig, Todesnacht bedecken.
[23]
Es liebt die Königin die Bühne,
Erschien oft selbst im bunten Spiel.
Daß er dem kleinsten Wunsche diene
Ist jetzt nur seines Lebens Ziel.
Er läßt ihr ein Theater bauen,
Dort will, die reizendste der Frauen,
Er noch in neuer Anmuth schauen.
Der Hof sich einst im Spiel vereinet,
Die Königin in Schäfertracht,
Mit holder Anmuth nun erscheinet
Den Blumenkranz in Lockennacht.
Und Juans Seele sieht verwegen,
Mit ungestümem wildem Regen,
Dem kommenden Moment entgegen.
Er winkt, und Flamm und Dampf erfüllen,
Entsetzlich jetzt das Schauspielhaus;
Der Liebe Glück will er verhüllen
In Dampf und Nacht und Schreck und Graus;
Er jauchzet, daß es ihm gelungen,
Des Schicksals Macht hat er bezwungen
Der Liebe süssen Lohn errungen.
Gekommen ist die schöne Stunde;
Er trägt sie durch des Feuers Wuth,
Raubt manchen Kuß dem schönen Munde,
Weckt ihres Busens tiefste Gluth.
Möcht sterben jetzt in ihren Armen,
Möcht alles geben! ihr, verarmen,
Zu anderm Leben nie erwarmen.
[24]
Die eilenden Minuten fliehen
Er merket die Gefahren nicht,
Und fühlt nur ihre Wange glühen;
Doch sie, sie träumet länger nicht,
Sie reißt sich von ihm los mit Beben,
Er sieht sie durch die Hallen schweben.
Verhaucht ist der Minute Leben.
Mit sehnsuchtsvollem, krankem Herzen
Eilt Juan durch die Hallen hin.
In Wonne Gram und süße Schmerzen
Versinket ganz sein irrer Sinn,
Er wirft sich auf sein Lager nieder,
Und holde Träume zeigen wieder
Ihm ihr geliebtes, holdes Bild.
Die Sonne steiget auf und nieder;
Doch Abend bleibt's in seiner Brust.
Es sank der Tag ihm, kehrt nicht wieder,
Und sie, nur sie ist ihm bewußt,
Und ewig, ewig ist gefangen
Sein Geist im quälenden Verlangen
Sie, wachend träumend, anzuschaun.
Und da er wacht aus seinem Schlummer
Ist's ihm, als stieg' er aus der Gruft,
So fremd und tod; und aller Kummer
Der mit ihm schlief erwacht und ruft:
O weine! sie ist dir verlohren
Die deine Liebe hat erkohren
Ein Abgrund trennet sie und dich!
[25]
Er rafft sich auf mit trüber Seele
Und eilt des Schlosses Gärten zu;
Da sieht er, bei der Mondeshelle,
Ein Mädchen auf ihn eilen zu.
Sie reicht ein Blatt ihm und verschwindet,
Eh er zu fragen Worte findet,
Er bricht die Siegel auf und liest:
»Entfliehe! wenn dies Blatt gelesen
Du hast, und rette so dich mir.
Mir ist, als sey ich einst gewesen,
Die Gegenwart erstirbt in mir,
Und lebend ist nur jene Stunde,
Sie spricht mir mit so süßem Munde,
Von dir, von dir, und stets von dir.«
Er liest das Blatt mit leisem Beben
Und liebt's, und drückt es an sein Herz.
Gewaltsam theilet sich sein Leben,
In große Wonne – tiefen Schmerz.
Solt er die Theuerste nun meiden?
Kann sie dies Trauern ihm bereiten!
Soll er sie nimmer wieder sehn?
Er geht nun, wie sie ihm geboten;
Da trifft ein Mörderdolch die Brust.
Doch steigt er freudig zu den Todten,
Denn der Erinn'rung süße Lust,
Ruft ihm herauf die schönste Stunde,
Er hänget noch an ihrem Munde;
Entschlummert sanft in ihrem Arm.

[26] Die Manen

Ein Fragment


Schüler.


Weiser Meister! ich war gestern in den Katakomben der Könige von Schweden. Tags zuvor hatte ich die Geschichte Gustav Adolphs gelesen, und ich nahte mich seinem Sarge mit einem äusserst sonderbaren und schmerzlichen Gefühl, sein Leben und seine Thaten gingen vor meinem Geiste vorüber, ich sah zugleich sein Leben und seinen Tod, seine große Thätigkeit und seine tiefe Ruhe in der er schon dem zweiten Jahrhundert entgegen schlummert. Ich rief mir die dunkle grausenvolle Zeit zurück in welcher er gelebt hat, und mein Gemüth glich einer Gruft, aus welcher die Schatten der Vergangenheit bleich und schwankend herauf steigen. Ich weinte um seinen Tod mit heissen Thränen, als sey er heute erst gefallen. Dahin! Verlohren! Vergangen! sagte ich mir selbst, sind das alle Früchte eines großen Lebens? Diese Gedanken, diese Gefühle überwältigten mich, ich mußte die Gruft verlassen, ich suchte Zerstreuung, ich suchte andere Schmerzen, aber der unterirdische trübe Geist verfolgt mich allenthalben, ich kann diese Wehmuth nicht los werden, sie legt sich wie ein Trauerflohr über meine Gegenwart; dies Zeitalter däucht mir schaal und leer, ein sehnsuchtsvoller Schmerz zieht mich gewaltig in die [27] Vergangenheit. Dahin! Vergangen! ruft mein Geist. O möchte ich mit vergangen seyn! und diese schlechte Zeit nicht gesehen haben, in der die Vorwelt vergeht, an der ihre Größe verlohren ist.


Lehrer.


Verlohren junger Mensch? Es ist nichts verlohren, und in keiner Rücksicht; nur unser Auge vermag die lange unendliche Kette von der Ursache zu allen Folgen nicht zu übersehen. Aber wenn du auch dieses nicht bedenken willst, so kannst du doch das nicht verlohren und dahin nennen, was dich selbst so stark bewegt, und so mächtig auf dich wirkt. Schon lange kenne ich dich, und mich däucht, dein eignes Schicksal und die Gegenwart haben dich kaum so heftig bewegt, als das Andenken dieses großen Königs. Lebt er nicht jetzt noch in dir! oder nennst du nur Leben, was im Fleisch und in dem Sichtbaren fortlebt? und ist dir das dahin und verlohren, was noch in Gedanken wirkt, und da ist?


Schüler.


Wenn dies ein Leben ist, so ist es doch nicht mehr, als ein bleiches Schattenleben; dann ist die Erinnerung des Gewesenen, Wirklichen, mehr, als ihre bleiche Schatten dieser Wirklichkeit!


Lehrer.


Die positive Gegenwart ist der kleinste und flüchtigste Punkt; indem du die Gegenwart gewahr wirst,[28] ist sie schon vorüber, das Bewußtseyn des Genusses liegt immer in der Erinnerung. Das Vergangene kann in diesem Sinn nur betrachtet werden, ob es nun längst oder so eben vergangen, gleichviel.


Schüler.


Es ist wahr. So lebt und wirkt aber ein großer Mensch nicht nach seiner Weise in mir fort, sondern nach meiner, nach der Art wie ich ihn aufnehme, wie ich mich und ob ich mich seiner erinnern will.


Lehrer.


Freilich lebt er nur fort in dir, in sofern du Sinn für ihn hast, in sofern deine Anlage dich fähig macht ihn zu empfangen in deinem Innern, in sofern du etwas mit ihm Homogenes hast, das Fremdartige in dir tritt mit ihm in keine Verbindung, und er kann nicht auf es wirken; und nur mit dieser Einschränkung wirken alle Dinge. Das, wofür du keinen Sinn hast, geht für dich verlohren, wie die Farbenwelt dem Blinden.


Schüler.


Hieraus folgt, daß nichts ganz verlohren geht, daß die Ursachen in ihren Folgen fortwirken, (oder wie du dich ausdrückst, fortleben), daß sie aber nur auf dasjenige wirken können, das Empfänglichkeit, oder Sinn für sie hat.


Meister.


Ganz recht.

[29] Schüler.


Gut! die Welt und die Vernunft möge genug haben an diesem nicht verlohren seyn, an dieser Art fort zu leben, aber mir ist es nicht genug; eine tiefe Sehnsucht führt mich zurück in den Schoos der Vergangenheit, ich mögte in einer unmittelbaren Verbindung mit den Manen der großen Vorzeit stehn.


Lehrer.


Hälst du es denn für möglich?

Schüler.


Ich hielt es für unmöglich, als noch kein Wunsch mich dahin zog, ja, ich hätte noch vor Kurzem jede Frage der Art für thöricht gehalten, heute wünsche ich schon, eine Verbindung mit der Geisterwelt möchte möglich seyn, ja mir dünkt, ich sey geneigt sie glaublich zu finden.


Lehrer.


Mir däucht die Manen Gustav Adolphs haben deinem innern Auge zu einer glücklichen Geburt verholfen, und du scheinst mir reif, meine Meynung über diese Gegenstände zu vernehmen. So gewiß alle harmonische Dinge in einer gewissen Verbindung stehen, sie mag nun sichtbar oder unsichtbar seyn, so gewiß stehen auch wir in einer Verbindung mit dem Theil der Geisterwelt der mit uns harmonieret; ein ähnlicher oder gleicher Gedanke in verschiedenen Köpfen, auch wenn sie nie von einander [30] wußten, ist im geistigen Sinne schon eine Verbindung. Der Tod eines Menschen der in einer solchen Verbindung mit mir stehet, hebt diese Verbindung nicht auf. Der Tod ist ein chemischer Prozeß, eine Scheidung der Kräfte, aber kein Vernichter, er zerreißt das Band zwischen mir und ähnlichen Seelen nicht, das Fortschreiten des Einen und das Zurückbleiben des Andern aber kann wohl diese Gemeinschaft aufheben, wie ein Mensch, der in allem Vortrefflichen fortgeschritten ist, mit seinem unwissenden und roh gebliebenen Jugendfreund nicht mehr harmonieren wird. Du wirst das Gesagte leicht ganz allgemein, und ganz aufs Besondere anwenden können?


Schüler.


Vollkommen! du sagst Harmonie der Kräfte ist Verbindung, der Tod hebt diese Verbindung nicht auf, indem er nur scheidet nicht vernichtet.


Lehrer.


Ich fügte noch hinzu: das Aufheben dessen, was eigentlich diese Harmonie ausmachte (z.B. Veränderung der Ansichten und Meynungen, wenn die Harmonie gerade darin bestand) müßte auch nothwendig diese Verbindung aufheben.


Schüler.


Ich hab' es nicht aus der Acht gelassen.

[31] Lehrer.


Gut. Eine Verbindung mit Verstorbenen kann also statt haben, in so fern sie nicht aufgehört haben, mit uns zu harmonieren?


Schüler.


Zugegeben.

Lehrer.


Es kommt nur darauf an, diese Verbindung gewahr zu werden. Blos geistige Kräfte können unsern äussern Sinnen nicht offenbar werden; sie wirken nicht durch unsere Augen und Ohren auf uns, sondern durch das Organ, durch das allein eine Verbindung mit ihnen möglich ist, durch den innern Sinn, auf ihn wirken sie unmittelbar. Dieser innere Sinn, das tiefste und feinste Seelenorgan, ist bei fast allen Menschen gänzlich unentwickelt und nur dem Keim nach da; das Geräusch der Welt, das Getreibe der Geschäfte, die Gewohnheit nur auf der Oberfläche, und nur die Oberfläche zu betrachten, lassen es zu keiner Ausbildung, zu keinem deutlichen Bewußtseyn kommen, und so wird es nicht allgemein anerkannt, und was sich hier und da zu allen Zeiten in ihm offenbahret hat, hat immer so viele Zweifler und Schmäher gefunden; und bis jetzt ist sein Empfangen und Wirken in äußerst seltnen Menschen die seltenste Individualität. – Ich bin weit davon entfernt, so manchen lächerlichen Geistererscheinungen und Gesichten das Wort zu reden; [32] aber ich kann es mir deutlich denken, daß der innere Sinn zu einem Grade afficirt werden kann, nach welchem die Erscheinung des Innern vor das körperliche Auge treten kann, wie gewöhnlich umgekehrt, die äussere Erscheinung vor das Auge des Geistes tritt. So brauche ich nicht alles Wunderbare, durch Betrug oder Täuschung der Sinnen zu erklären. Doch ich erinnere mich, man nennt in der Sprache der Welt diese Entwicklung des innern Sinns, überspannte Einbildung.

Wem also der innere Sinn, das Auge des Geistes, aufgegangen ist, der sieht dem Andern unsichtbare mit ihm verbundene Dinge. Aus diesem innern Sinn sind die Religionen hervorgegangen, und so manche Apokalipsen der alten und neuen Zeit. Aus dieser Fähigkeit des innern Sinnes, Verbindungen, die andern Menschen (deren Geistesauge verschlossen ist) unsichtbar sind, wahrzunehmen, entsteht die Prophezeihung, denn sie ist nichts anders als die Gabe, die Verbindung der Gegenwart und Vergangenheit mit der Zukunft, den nothwendigen Zusammenhang der Ursachen und Wirkungen zu sehen. Prophezeihung ist Sinn für die Zukunft. Man kann die Wahrsagerkunst nicht erlernen, der Sinn für sie ist Geheimnißvoll, er entwickelt sich auf eine geheimnißvolle Art; er offenbahrt sich oft nur wie ein schneller Blitz der dann von dunkler Nacht wieder begraben wird. Man kann Geister nicht durch Beschwörungen rufen, aber sie können sich dem Geiste offenbahren, [33] das Empfängliche kann sie empfangen, dem innern Sinn können sie erscheinen.

Der Lehrer schwieg, und sein Zuhörer verließ ihn. Mancherlei Gedanken bewegten sein Inneres, und seine ganze Seele strebte sich das Gehörte zum Eigenthum zu machen.

Wandel und Treue

Violetta.

Ja, du bist treulos! laß mich von dir eilen;
Gleich Fäden kannst du die Empfindung theilen.
Wen liebst du denn? und wem gehörst du an?
Narziss.

Es hat Natur mich also lieben lehren:
Dem Schönen werd' ich immer angehören
Und nimmer weich ich von der Schönheit Bahn.
Violetta.

So ist dein Lieben, wie dein Leben, wandern!
Von einem Schönen eilest du zum Andern,
Berauschest dich in seinem Taumelkelch,
Bis Neues schöner dir entgegen winket –
Narziss.

In höh'rem Reiz Betrachtung dann versinket
Wie Bienenlippen in der Blume Kelch.
[34]
Violetta.

Und traurig wird die Blume dann vergehen
Muß sie sich so von dir verlassen sehen!
Narziss.

O Nein! es hat die Sonne sie geküßt.
Die Sonne sank, und Abendnebel thauen.
Kann sie die Strahlende nicht mehr erschauen,
Wird ihre Nacht durch Sternenschein versüßt.
Sah sie den Tag nicht oft im Ost verglühen?
Sah sie die Nacht nicht thränend still entfliehen?
Und Tag und Nacht sind schöner doch als ich.
Doch flieht ein Tag, ein Andrer kehret wieder;
Stirbt eine Nacht, sinkt eine Neue nieder,
Denn Tröstung gab Natur in jedem Schönen sich
Violetta.

Was ist denn Liebe, hat sie kein Bestehen?
Narziss.

Die Liebe will nur wandlen, nicht vergehen;
Betrachten will sie alles Trefliche.
Hat sie dies Licht in einem Bild erkennet,
Eilt sie zu Andern, wo es schöner brennet,
Erjagen will sie das Vortrefliche.
Violetta.

So will ich deine Lieb' als Gast empfangen;
Da sie entfliehet wie ein satt Verlangen,
Vergönnt mein Herz Ihr keine Heimath mehr.
[35] Narziss.

O sieh den Frühling! gleicht er nicht der Liebe?
Er lächelt wonnig, freundlich, und das trübe
Gewölk des Winters, niemand schaut es mehr!
Er ist nicht Gast, er herrscht in allen Dingen,
Er küßt sie Alle, und ein neues Ringen
Und Regen wird in allen Wesen wach.
Und dennoch reißt er sich aus Tellus Armen
Auch andre Zonen soll sein Hauch erwarmen
Auch Andern bringt er neuen, schönen Tag.
Violetta.

Hast du die heil'ge Treue nie gekennet?
Narziss.

Mir ist nicht Treue was ihr also nennet,
Mir ist nicht treulos was euch treulos ist! –
Wer den Moment des höchsten Lebens theilet;
Vergessend nicht, in Liebe selig weilet;
Beurtheilt noch, und noch berechnet, mißt;
Den nenn' ich treulos, ihm ist nicht zu trauen
Sein kalt Bewußtseyn wird dich klar durchschauen
Und deines Selbstvergessens Richter seyn.
Doch ich bin treu! Erfüllt vom Gegenstande
Dem ich mich gebe in der Liebe Bande
Wird Alles, wird mein ganzes Wesen seyn.
Violetta.

Giebt's keine Liebe denn die dich bezwinge?
[36] Narziss.

Ich liebe Menschen nicht, und nicht die Dinge,
Ihr Schönes nur, und bin mir so getreu,
Ja Untreu' an mir selbst wär andre Treue,
Bereitete mir Unmuth, Zwist und Reue,
Mir bleibt nur so die Neigung immer frei.
Die Harmonie der inneren Gestalten
Zerstören nie die ordnenden Gewalten
Die für Verderbniß nur die Noth erfand. –
Drum laß mich, wie mich der Moment gebohren.
In ew'gen Kreisen drehen sich die Horen;
Die Sterne wandeln ohne festen Stand,
Der Bach enteilt der Quelle, kehrt nicht wieder
Der Strom des Lebens woget auf und nieder
Und reisset mich in seinen Wirbeln fort.
Sieh alles Leben! es ist kein Bestehen,
Es ist ein ew'ges Wandern, Kommen, Gehen,
Lebend'ger Wandel! buntes, reges Streben!
O Strom! in dich ergießt sich all mein Leben!
Dir stürz ich zu! vergesse Land und Port!

Wunsch

Ja Quitos Hand, hat meine Hand berühret
Und freundlich zu den Lippen sie geführet,
An meinem Busen hat sein Haupt geruht.
[37]
Da fühlt ich tief ein liebend fromm Ergeben.
Mußt ich dich überleben, schönes Leben?
Noch Zukunft haben, da du keine hast?
Im Zeitenstrome wirst du mir erbleichen,
Stürb ich mit dir, wie bei der Sonne Neigen
Die Farben all' in dunkler Nacht vergehn.

Immortalita

Ein Dramolet
Personen

Immortalita, eine Göttin
Erodion
Charon
Hekate

Erste Scene

Eine offene schwarze Höhle am Eingang der Unterwelt, im Hintergrunde der Höhle sieht man den Stix und Charons Nachen der hin und her fährt, im Vordergrund der Höhle ein schwarzer Altar worauf ein Feuer brennt. Die Bäume und Pflanzen am Eingang der Höhle sind alle Feuerfarb und schwarz, so wie die ganze Dekoration, Hecate und Charon sind schwarz und Feuerfarb, die Schatten hellgrau, Immortalita weiß, Erodion wie ein römischer Jüngling gekleidet. Eine große feurige Schlange die sich in den Schwanz beißt, bildet einen großen Kreis, dessen Raum Immortalita nie

überschreitet.

Immortalita (wie aus einer Betäubung erwachend.)

Charon! Charon.
Charon (seinen Kahn inne haltend.)

Was rufst du mich?
Immortalita.

Wann kommt die Zeit?

[38] Charon.

Sieh die Schlange zu deinen Füßen an, noch ist sie fest geschlossen, der Zauber dauert so lange dieser Kreis dich umschließt, du weißt es, warum fragst du mich?


Immortalita.


Ungütiger Greis, wenn es mich nun tröstete, die Verheißung einer bessern Zukunft noch einmal zu vernehmen, warum versagst du mir ein freundliches Wort?


Charon.

Wir sind im Lande des Schweigens.
Immortalita.

Wahrsage mir noch einmal.
Charon.

Deute meine Geberden, ich hasse die Rede.
Immortalita.

Rede! Rede!
Charon.

Frage Hekaten
(er fährt hinweg.)
Immortalita (streut Weihrauch auf den Altar.)

Hekate! Göttin der Mitternacht! Enthüllerin der Zukunft die im dunklen Schoße des Nichtseyns schläft! Geheimnißvolle Hekate! Hekate! erscheine.


Hekate.

Mächtige Beschwörerin!

(sie kömmt hinter dem Altar halb hervor.)

Was rufst du mich aus den Höhlen ewiger Mitternacht; dies Ufer ist mir verhaßt, sein Dunkel zu helle, ja mir däucht ein niedriger Schein aus dem Lande des Lebens habe sich hierher verirrt.


Immortalita.

O vergieb Hekate! und erhöre meine Bitte.
Hekate.

Bitte nicht, du bist hier Königinn, du herrschest hier und weist es nicht.
Immortalita.

Ich weiß es nicht! warum kenne ich mich nicht?
[39] Hekate.

Weil du dich nicht sehen kannst.
Immortalita.

Wer wird mir einen Spiegel zeigen, daß ich mich darin anschaue?
Hekate.

Die Liebe.
Immortalita.

Warum die Liebe?
Hekate.

Weil nur ihre Unendlichkeit ein Maas für die deine ist.
Immortalita.

Wie weit erstreckt sich mein Reich?
Hekate.

Ueber jenseits, einst über Alles.

Immortalita.

Wie? wird einst diese undurchdringliche Scheidewand zerfallen, die mein Reich von der Oberwelt scheidet.


Hekate.

Sie wird zerfallen, du wirst wohnen im Licht, und alle werden dich finden.
Immortalita.

O wann wird dies geschehen?
Hekate.

Wenn glaubige Liebe dich der Nacht entführt.
Immortalita.

Wann? in Stunden, Jahren?

Hekate.

Zähle die Stunden nicht, bei dir ist keine Zeit. Siehe zur Erde! die Schlange windet sich ängstlich, fester beißt sie sich ein, vergeblich will sie dich gefangen halten in ihrem engen Kreis, dein Reich erweitert sich, vergeblich ist ihr Widerstand, die Herrschaft des Unglaubens, der Barbarei und der Nacht sinkt dahin.


Sie verschwindet.
Immortalita.

O Zukunft wirst du der Vergangenheit gleichen! jener seligen fernen Vergangenheit, wo ich mit Göttern in ewiger Klarheit wohnte. [40] Ich lächelte sie Alle an, und mein Lächeln verklärte sich auf ihrer Stirne in einem Glanz den ihnen kein Nektar geben konnte. Hebe dankte mir ihre Jugend, Aphrodite ihre immer blühende Reize, aber ein finsteres Zeitalter kam, von ihren Thronen wurden die seligen Götter gestoßen, ich wurde von ihnen getrennt, ihr Leben war dahin, sie giengen zurück in die Lebenselemente aus denen sie entsprungen waren, ehe mein Hauch ihnen Dauer verliehen hatte; Jupiter gieng zurück in die Kräfte des Himmels, Eros in die Herzen der Menschen, Minerva in die Gedanken der Weisen, die Musen in die Gesänge der Dichter. Und ich Unglücklichste von allen! ich wand den Helden und Dichtern keine unverwelklichen Lorbeern mehr, verbannt in dies Reich der Nacht! dies Land der Schatten! dies düstere Jenseits! muß ich nur der Zukunft entgegen leben.


Charon (fährt mit Schatten vorüber.)


Neigt euch Schatten, dies ist die Königin des Erebos, daß ihr noch lebt nach eurem Leben, ist ihr Werk.


(Chor der Schatten.)

Stille führet uns der Nachen
Nach dem unbekannten Land,
Wo die Sonne nicht wird tagen
An dem ewig finstern Strand. –
Zagend sehen wir ihn eilen,
Denn der Blick möcht noch verweilen
An des Lebens buntem Rand.

Sie fahren weg.


[41] Die vorige Scene.

Charons Nachen im Begriff zu landen. Erodion springt aus dem Nachen. Immortalita im Hintergrund.
Erodion.

Zurück Charon von diesem Ufer, das kein Schatten betreten darf! Was siehst du mich an? Ich bin kein Schatten wie ihr; eine frohe Hoffnung, ein träumerischer Glaube haben meines Lebens Funken zur Flamme angeblasen.


Charon (für sich.)

Gewiß ist dies der junge Mann, der die goldne Zukunft in sich trägt.
(er fährt ab mit seinem Kahn.)
Immortalita (tritt hervor.)

Ja du bist der Jüngling, von dem Hekate mir weissagte. Bei deinem Anblick ist mir, als ob ein Strahl des Tages durch diese alte Hallen, durch diese erebische Nacht hereinbräche.


Erodion.


Wenn ich der Mann deiner Weissagungen bin, Mädchen oder Göttin! wie ich dich nennen soll, so glaube mir, du bist die innerste Ahndung meines Herzens.


Immortalita.


Sage mir wer du bist, wie du heissest, und wo du den Weg fandest, in dieses pfadlose Gestade? wo weder Schatten noch Menschen wandlen dürfen, sondern nur die unterirdischen Götter.


Erodion.


Ungern mögt' ich dir von etwas anderm reden, als von meiner Liebe, aber so ich dir mein Leben erzähle, rede ich von meiner Liebe. Höre mich denn: ich bin Eros Sohn und seiner Mutter [42] Aphrodite, diese doppelte Vereinigung, der Liebe und Schönheit, hatte schon in mein Daseyn die Idee eines Genusses gelegt, den ich nirgends finden konnte, und den ich doch überall ahndete und suchte. Lange war ich ein Fremdling auf Erden, und ich mochte von ihren Schattengütern nichts genießen, bis mir durch einen Traum oder Eingebung eine dunkle Vorstellung von dir in die Seele kam. Ueberall geleitete mich diese Idee, dieser Abglanz von dir, und überall verfolgte ich diese geliebte Erscheinung, auch wenn sie mir untertauchte in das Land der Träume folgte ich ihr nach, und erschien so vor den äussersten Thoren der Unterwelt. Aber nie konnte ich zu dir durchdringen; ein unseliges Geschick rief mich immer wieder an die Oberwelt.


Immortalita.


Wie Jüngling, so hast du mich geliebt, daß du lieber Hälios und das Morgenroth nicht mehr sehen wolltest, als mich nicht finden?


Erodion.


So hab ich dich geliebt, und ohne dich konnte mich die Erde nicht mehr ergötzen, nicht mehr der blumige Frühling, der sonnigte Tag nicht, Schönheiten die zu besitzen Pluto sein finsteres Zepter gerne vertauscht hätte. Aber wie eine größere Liebe sich vereint hatte, in den Umarmungen meiner Eltern, als alle andre Liebe, denn sie waren die Liebe selbst; so war auch die Sehnsucht die mich zu dir trieb die mächtigste, und siegreich über alle Hindernisse war mein Glaube dich zu finden; denn meine Eltern, die wohl wußten, daß der, aus Lieb' und Schönheit [43] entsprungen, nichts höheres auf Erden finden würde, als sich selbst, hatten mir diesen Glauben gegeben, damit meine Kraft nicht ermüden möge, nach Höherem zu streben ausser mir.


Immortalita.


Aber wie kamst du endlich zu mir? unwillig nimmt Charon Lebende in das morsche Fahrzeug, nur für Schatten erbaut.


Erodion.


Einst war meine Sehnsucht dich zu schauen so groß, daß alles was die Menschen erdacht haben, dich ungewiß zu machen, mir klein und nichtig erschien, ein begeisterter Muth erfüllte mein ganzes Wesen: ich will nichts, nichts als sie besitzen, so dacht ich, und kühn warf ich alle Güter dieser Erde hinweg von mir, und führte mein Fahrzeug an den gefährlichen Felsen, wo alles Irdische scheitern sollte. Noch einmal dacht ich: wenn du alles verlöhrst um nichts zu finden? aber hohe Zuversicht verdrängte den Zweifel, fröhlig sagt' ich der Oberwelt das letzte Lebewohl; die Nacht verschlang mich – eine gräßliche Pause! und ich fand mich bei dir. – Die Fackel meines Lebens brennt noch jenseits der stygischen Wasser.


Immortalita.


Die Heroen der Vorwelt haben diesen Pfad schon betreten, der Muth hat Streifereien in dies Gebiet gewagt, aber nur der Liebe war es vorbehalten, ein dauernd Reich hier zu gründen. Die Bewohner des Orkus sagen, mein Daseyn hauche ihnen unsterbliches Leben ein, so sey denn auch du unsterblich; denn du hast etwas Unnennbares [44] in mir bewirkt, ich lebte ein Mumienleben, aber du hast mir eine Seele eingehaucht. Ja, theurer Jüngling! in deiner Liebe erblicke ich mich selbst verklährt; ich weiß nun wer ich bin, weiß, daß ein sonniger Tag diese alten Hallen beglänzen wird.


Hekate tritt hinter dem Altar hervor.

Hekate.

Erodion! trete in den Kreis der Schlange.

(Er thut es: die Schlange verschwindet.)

Zu lange, Immortalita, warst du, durch die Macht des Unglaubens und der Barbarei, von Wenigen gekannt, von Vielen bezweifelt, in diesen engen Kreis gebannt. Ein Orakel, so alt als die Welt, hat gesagt, der glaubigen Liebe würde es gelingen, dich selbst in dem erebischen Dunkel zu finden, dich hervorzuziehen und deinen Thron in ewiger Klarheit, zugänglich für Alle, zu gründen. Diese Zeit ist nun gekommen, dir, Erodion, bleibt nur noch etwas zu thun übrig.


Der Schauplatz verwandelt sich in einen Theil der Elisäischen Gärten, die Scene ist matt erleuchtet, man sieht Schatten hin und wieder irren. Zur Seite ein Fels, im Hintergrund der Styx und Charons Nachen.

Die Vorigen.
Hekate.

Sieh Erodion, diesen Einsturz drohenden Felsen, er ist die unübersteigliche Scheidewand, der das Reich des sterblichen Lebens von dem deiner Gebieterin scheidet, er verwehrt dem Sonnenlicht seine Strahlen hierher zu senden, und getrennten Lieben sich wieder zu begegnen. Erodion! versuche es, diesen Felsen einzustürzen, daß deine Geliebte auf [45] seinen Trümmern aus der engen Unterwelt steigen möge; daß ferner nichts Unübersteigliches das Land der Todten von dem Lebenden trenne.


Erodion schlägt an den Felsen, er stürzt ein, es wird plötzlich helle.
Immortalita.

Triumph! der Fels ist gesunken, von nun an sey es den Gedanken der Liebe, den Träumen der Sehnsucht, der Begeisterung der Dichter vergönnt, aus dem Lebenslande in das Schattenreich herabzusteigen und wieder zurück zu gehen.


Hekate.


Heil! dreifaches, unsterbliches Leben, wird dies blasse Schattenreich beseelen, nun dein Reich gegründet ist.


Immortalita.


Komm Erodion, steige mit mir auf, in ewige Klarheit; und alle Liebe, und jegliche Treflichkeit sollen meines Reiches theilhaftig werden. Und du Charon, entfalte deine Stirne, sey ein freundlicher Geleiter derer die mein Reich betreten wollen.


Erodion.


Wohl mir, daß ich die heilige Ahndung meines Herzens, wie der Vesta Feuer, treu bewahrte; wohl mir, daß ich den Muth hatte, der Sterblichkeit zu sterben, und der Unsterblichkeit zu leben, das Sichtbare dem Unsichtbaren zu opfern.

[46] Der Adept

Ein Weiser, der schon viel erforschet,
Doch nie des Forschens müde war,
Gelangte einst zum Indier Lande,
Nach manchem langen Wandrungsjahr.
Die Priester dieses Landes rühmen
Sich viel geheimer Wissenschaft,
Sie wissen Seyn und Schein zu trennen,
Und kennen aller Dinge Kraft.
Zum Schüler läßt sich Valus weihen,
Verbindet sich durch einen Eid,
Geheimnißvoll, zu diesem Orden,
Wie es der Priester ihm gebeut.
Wie eitel all sein vorig Wissen;
Das siehet bald schon Valus ein,
Kannt' er doch nie der Dinge Seele
Begnügt' an Namen sich und Schein.
Eins sieht er nun in jeder Summe,
Sieht den Naturgeist immer neu
Und immer alt in ew'gem Wandel
Wie er in allen Formen sey.
Jetzt kann er die Natur belauschen,
Er kann ihr tiefstes Wirken schaun,
Weiß, wie die Stoffe sich vermählen
Und wie die Erden sich erbaun.
[47]
Jetzt giebt man ihm die dritte Weihe,
Ein Vorzug wen'ger Weisen nur;
Denn sie, die alles sonst durchschauten
Beherrschen jetzo die Natur.
Nachdem er dreimal so geweihet,
Hat er den großen Schritt gethan,
Der seines Lebens lange Reise
Geschieden von der Menschheit Bahn.
Viel Zeiten gehn an ihm vorüber,
Er siehet die Geschlechter fliehn,
Und bleibt allein in allem Wandel,
Indes die Dinge kommen, ziehn.
Nachdem er oft den Kreis gesehen
Den immer die Natur gemacht,
Ergreiffen Schauder seine Seele,
Denn Alles kehrt wie Tag und Nacht.
Der Neuheit Reiz ist ihm verlohren,
Er kennet was die Erde trägt,
Er findet sich allein auf Erden,
Die Menschen sind nicht sein Geschlecht.
Geleert hat er des Lebens Becher
Und lebet immer, immer fort.
Er kann dem Meere nicht entsteigen
Und hat gelandet doch im Port.
[48]
Weh' dem! ruft er: der auf dem Gipfel
Des Daseyns also stille steht.
Nicht Ew'ges kann der Mensch ertragen,
Und wohl ihm, wenn er auch vergeht.

Ein apokaliptisches Fragment

1. Ich stand auf einem hohen Fels im Mittelmeer, und vor mir war der Ost, und hinter mir der West, und der Wind ruhte auf der See.

2. Da sank die Sonne, und kaum war sie verhüllt im Niedergang, so stieg im Aufgang das Morgenroth wieder empor, und Morgen, Mittag, Abend und Nacht, jagten sich, in schwindelnder Eile, um den Bogen des Himmels.

3. Erstaunt sah ich sie sich drehen in wilden Kreisen; mein Puls floh nicht schneller, meine Gedanken bewegten sich nicht rascher, und die Zeit in mir gieng den gewohnten Gang, indes sie ausser mir, sich nach neuem Gesetz bewegte.

4. Ich wollte mich hinstürzen in das Morgenroth, oder mich tauchen in die Schatten der Nacht, um mit in ihre Eile gezogen zu werden, und nicht so langsam zu leben; da ich sie aber immer betrachtete, ward ich sehr müde und entschlief.

5. Da sah ich ein weites Meer vor mir, das von keinem Ufer umgeben war, weder im Ost noch [49] Süd noch West, noch Nord: kein Windstoß bewegte die Wellen, aber die unermeßliche See bewegte sich doch in ihren Tiefen, wie von innern Gährungen bewegt.

6. Und mancherlei Gestalten stiegen herauf, aus dem Schoos des tiefen Meeres, und Nebel stiegen empor und wurden Wolken, und die Wolken senkten sich, und berührten in zuckenden Blitzen die gebährenden Wogen.

7. Und immer mannichfaltigere Gestalten entstiegen der Tiefe, aber mich ergriffen Schwindel und eine sonderbare Bangigkeit, meine Gedanken wurden hie hin und dort hin getrieben, wie eine Fackel vom Sturmwind, bis meine Erinnerung erlosch.

8. Da ich aber wieder erwachte, und von mir zu wissen anfieng, wußte ich nicht, wie lange ich geschlafen hatte, ob es Jahrhunderte oder Minuten waren; denn ob ich gleich dumpfe und verworrene Träume gehabt hatte, so war mir doch nichts begegnet, was mich an die Zeit erinnert hätte.

9. Aber es war ein dunkles Gefühl in mir, als habe ich geruht im Schoose dieses Meeres und sey ihm entstiegen, wie die andern Gestalten. Und ich schien mir ein Tropfen Thau, und bewegte mich lustig hin und wieder in der Luft, und freute mich, daß die Sonne sich in mir spiegle, und die Sterne mich beschauten.

10. Ich ließ mich von den Lüften in raschen Zügen dahin tragen, ich gesellte mich zum Abendroth, [50] und zu des Regenbogens siebenfarbigen Tropfen, ich reihte mich mit meinen Gespielen um den Mond wenn er sich bergen wollte, und begleitete seine Bahn.

11. Die Vergangenheit war mir dahin! ich gehörte nur der Gegenwart. Aber eine Sehnsucht war in mir, die ihren Gegenstand nicht kannte, ich suchte immer, aber jedes Gefundene war nicht das Gesuchte, und sehnend trieb ich mich umher im Unendlichen.

12. Einst ward ich gewahr, daß alle die Wesen, die aus dem Meere gestiegen waren, wieder zu ihm zurückkehrten, und sich in wechselnden Formen wieder erzeugten. Mich befremdete diese Erscheinung; denn ich hatte von keinem Ende gewußt. Da dachte ich, meine Sehnsucht sey auch, zurück zu kehren, zu der Quelle des Lebens.

13. Und da ich dies dachte, und fast lebendiger fühlte, als all mein Bewußtseyn, ward plötzlich mein Gemüth wie mit betäubenden Nebeln umgeben. Aber sie schwanden bald, ich schien mir nicht mehr ich, und doch mehr als sonst ich, meine Gränzen konnte ich nicht mehr finden, mein Bewußtseyn hatte sie überschritten, es war größer, anders, und doch fühlte ich mich in ihm.

14. Erlöset war ich von den engen Schranken meines Wesens, und kein einzler Tropfen mehr, ich war allem wiedergegeben, und alles gehörte mir an, ich dachte, ich fühlte, wogte im Meer, glänzte in [51] der Sonne, kreiste mit den Sternen; ich fühlte mich in allem, und genos alles in mir.

15. Drum, wer Ohren hat zu hören, der höre! Es ist nicht zwei, nicht drei, nicht tausende, es ist Eins und alles; es ist nicht Körper und Geist geschieden, daß das eine der Zeit, das andere der Ewigkeit angehöre, es ist Eins, gehört sich selbst, und ist Zeit und Ewigkeit zugleich, und sichtbar, und unsichtbar, bleibend im Wandel, ein unendliches Leben.

[52] Mora

[53] [55]Frothal, König von Scandinavien.
Mora, seine Geliebte.
Karmor, ein Krieger.
Thormod,
Carul, Barden.

Carul.


Wehet ihr Lüfte des Frühlings, spielt mit den Locken der Mädchen, flüstert im hohen Gras der Wiese, und rauscht in den Wipfeln des Hains; aber haltet eure Fittiche, daß sie nicht aufrauschen im Sturm, und meine Stimme ungehört entführen, wenn ich den Frühling singe. Schön bist du o Frühling! lieblich deine Tritte über die Fluren! Blumen entkeimen; Quellen entsprudeln dir! Dir jauchzen die Vögel entgegen, diese melodischen Barden der Natur, und sie verstummen, wenn du enteilest, du lieblicher, säuselnder Sohn des Himmels!


Thormod.


Sahst du den Abend herabsteigen auf die Hügel von Scandinavien? du lieblicher Sänger des Frühlings! langsam sind seine Schritte, dunkel sein Gewand von Wolken. Er steigt herauf über die Wälder und Berge, wie die Geister der Verstorb'nen aus ihren Gräbern. Da verstummen die Vögel, kühle Schauer durchzucken alles Leben, feuchte Nebeldünste versammeln sich. Nur der Wiederhall [55] seufzt durch die Nacht, nur die Unke des Sumpfs, und die krächzende Eule unterreden sich mit ihm.


Carul.


Aber die Sterne kommen und lächlen freundlich, und die glänzenden Locken des Mondes, seine grünlichen Strahlen erleuchten die Erde. Nicht alles Leben verstummt in der Nacht, die Lüfte des Abends säuseln, der Wasserfall murmelt melodisch; und das Land der Träume öffnet seine Thore, und die lieblichen Kinder der Gedanken flattern herauf, und küssen die Stirnen der Schlummernden.


Thormod.


Horch! was braust durch den Wald? was hebt so die wogende See? die Winde haben ihre Fesseln gelöst. Reichlicher Regen stürzt herab, Wolken thürmen sich! Blitze zerspalten die Nacht! der Stern des Abends weint in seinen Wolken, die Orkane haben sich ausgerast, zerwühlen den Busen des schäumenden Meers, und zerreissen die Segel kämpfender Schiffe. Der Donner rollt! und der Sohn der Felsen ruft ihm mit hundert Stimmen nach.


Carul.


Frothal, der König der Spere wandelt allein und verirret im Wald, dunkel ist die Nacht, und sein Fuß betritt nicht den Weg der Heimath.


Thormod.


Gräßlich rollt der Donner, die Erde zittert, aber Frothal zittert nicht.

Carul.


Sieh! durch die Nacht sendet ein freundliches Licht den bleichen Schimmer, es ist das Licht von Mora, der schönen Tochter von Torlat. Ihre gastliche Hütte empfängt den irrenden Wand'rer, [56] und ihre Schönheit umfängt das Herz des Königs. Da war Frothal nicht verirrt, als er irrte zu dem lieblichen Mädchen.


Frothal.


Angenehm ist meinem Ohre euer Gesang, ihr Barden des Liedes.

Mora.


Thormod! dein Gesang ist wie der Flug des Adlers. Carul! lieblich ist dein Lied wie die Stimme der Liebe.


Frothal.


Meine Seele ist erregt, mein Arm zuckt nach dem Speer. Komm mit mir zur Jagd der waldigen Insel, Tochter von Torlat.


Mora.


Gehe nicht zur Jagd der wald'gen Insel, meine Seele bangt, denn mich warnte ein Traum; ich sah dich erlegt vom Jagdspies, darum meide die Jagd, o König!


Frothal.


Soll ich die Jagd vermeiden! nimmer Mädchen, nimmer meid ich Gefahr, denn mir ward Liebe und Ruhm, so ist mein Sterben kein Tod, was fürcht' ich noch, Tochter von Torlat?


Mora.


Stirbst du mit Ruhm und Liebe, so starbst du doch Frothal für mich.

Frothal.


Komm zur muntern Jagd, nimm die Waffen der Könige Scandinaviens daß du glänzest im Stahle der Helden, und folge mir Mädchen.


Mora allein nachher Karmor.


Mora.


Die Nacht ist verbraust auf den waldigen Höhen, und Frothal schlummert so süß in der Höhle des Felsen. Ach! mir gab die Jagd nicht [57] Freude, die Ermüdung nicht Schlummer. Meine Seele ist traurig, mein Herz klopft ängstlicher und Frothal schlummert so süß.


Karmor.


Ja er muß hier seyn, hier in der Höhle. Frothal! komm!

Mora.


Was willst du von Frothal? Warum verscheucht deine Stimme den Schlummer?

Karmor.


Ich rufe den König zum Zweikampf.

Mora.


Warum rufst du ihn!

Karmor.


Er hat mir die Seele meines Busens geraubt, ich liebte die Tochter von Torlat, und sie wählt ihn.

Mora.


Sie wählt ihn, und nicht dich. Was nutzt dir der Kampf? was hilft dir der Sieg?

Karmor.


Du bist Frothal, dies ist sein Schwerd, dies der Schild der Könige, komm zum Kampfe um Torlats langlockigte Tochter. Oder fürchtest du das Schwert von Karmor, wie's dein Zögern verräth, kämpfst du nicht für das Mädchen deiner Liebe!


Mora.


Komm, mich dürstet nach Kampf, mein Muth jauchzt der Gefahr entgegen, komm!

Frothal, nachher Thormod und Carul.


Frothal.


Welches Getöse erweckte mich! mir war als vernähm ich fernes Waffengeklirr! aber jetzt ists so stille, nur der Morgenhauch schlüpft durch die Blätter. – Horch! was rauscht im Wald? es ist der leise Fußtritt von Mora. Mora! komm, komm meine Geliebte!


[58] Carul.


Mora kommt nicht zu dir, o König der Speere!

Thormod.


Mora begegnet dir nicht mehr, nicht mehr in der Halle der Muscheln, noch auf grünenden Triften. Sie wandelt in Walhallas traumreichen Hainen, durchbohrt ist ihr Busen so weiß, die dunkeln Locken schwimmen in Blut.


Frothal.


Trauer umnachtet meine Seele, ihr Söhne des Gesangs! ewige Trauer umarmt mich.

Carul.


Karmor, der düstere Krieger, liebte das Mädchen, und fodern wollt' er dich zum Kampfe, aber Moras Schild glänzte wie der der Könige, ihr Schwert war das der Herrscher. Frothal! sie fiel für dich.


Frothal.


Singet ihr Barden, das Lob der schönen Tochter von Torlat! singet den Ruhm des Mädchens, daß unsterblich blühe die leicht verwelkliche Schönheit. Und ruft mir zum Kampfe den finstern Karmor, fallen soll er, und wäre sein Arm mächtig wie der Arm von Thor, sein Schwert wie Odins.


Carul.


Mora du bist gefallen in deiner Schönheit, gesunken in deiner Blüthe! lieblich warst du wie der Stern des Abends, freundlich wie die scheidende Sonne.


Thormod.


Brüllende Bergströme stürzen von ihren Gipfeln, Wogen brausen! tobende Winde heulen über der Eb'ne, aber nicht Bergströme, Wogen, und Stürme erwecken Mora, denn sie schläft den langen Schlummer. Mora! Mora dich erweckt nicht der [59] blumige Frühling, nicht der Glanz des Morgens, nicht der Purpur des Abends, nicht der Ruf der Liebe. Schön ists zu wandeln, im Lichte des Lebens, aber eng ist das Grab und finster, ewig der Schlummer, darum weinet um Mora, denn sie kehrt nicht wieder zum Lichte.

Musa

Der große Ba-Yazed war in einer schmählichen Gefangenschaft gestorben, das osmanische Reich in seinen Grundfesten erschüttert, denn seine Macht ward in der blutigen Schlacht bei Ancyra durch den Beherrscher der Mongolen, Timurlank, gebrochen. Dennoch stand es da, wie eine Ruine, die nur eines gewaltigen Herrscherwortes bedurfte, um herrlicher aus dem Schutt hervorzusteigen. Ba-Yazed hatte drei Söhne hinterlassen, Solimann, Muhamed, und Musa. Musa der Jüngere wurde in dem Hause Othmans seines Oheims erzogen, und der Liebe süseste Bande knüpften ihn frühe an Fetama, Othmans Tochter, und an dessen Sohn Cara-Boga die innigste Freundschaft. So hatte er das siebzehnte Jahr erreicht, als ihn Timurlank zum Sultan der Osmannen ernannte. Gewaltige unaussprechliche Gefühle bewegten die Seele des Jünglings, der bis jetzt sanft und stille war, er staunte nicht lange dankbar über sein Glück, er griff rasch darnach, und [60] wollte es gebrauchen, als sey es ihm angebohren; aber das Schicksal hatte es anders beschlossen. Solimann, sein älterer Bruder, schlau, gewand, ehrgeizig, gewann die Herzen des Volks, er bestieg den Thron, Musa wurde in den Kerker geschleppt, und Fetama die treulose Fetama! gab ihr Herz dem neuen Kronbesitzer. Cara-Boga entzweite sich mit seinem Vater, seiner Schwester, und folgte dem unglücklichen Musa in den Kerker.

Des Gefängnisses tiefe Todtenstille vermochte nicht, Musas wilde Verzweiflung in Schlummer einzuwiegen, und die ewige Nacht die ihn umgab, konnte die Flammen die ihn verzehrten nicht in ihre Schatten begraben. Seine Jugend verblühte im Kerker, seine Tugend erlag der Rache quälenden Gedanken, er war wie ein lebendig Begrabner der verzweifelnd kämpft, den Grabhügel von sich weg zu wälzen, und endlich in schrecklicher Raserei sein eignes Gebein zerreißt.

Schon war ein Jahr so verflossen, als Cara-Boga beschloß ihn zu retten; er verließ ihn mit dem heiligen Schwur: ihm die Krone seiner Väter aufzusetzen oder zu sterben.

Cara-Boga wußte seinen Vater, viele Großen des Reichs und einen Theil der Janitscharen durch Bitten und Versprechungen auf Musas Seite zu bringen. Alle vereinigten sich, den Tirannen Solimann zu stürzen, und Cara-Boga zu gehorchen, bis Musa den Zepter würde ergriffen haben. Die entscheidende [61] Nacht nahte. Mohadi, Großvezier und mitverschworen, beneidete Cara-Bogas Ansehen und künftigen Einfluß. Im Getümmel der Empörung, stieß er ihm, mit Hülfe einiger Anführer der Janitscharen, das Schwert in die Brust. Doch wurde der Plan der Verschwörung da durch nicht unterbrochen; der Palast fiel durch Mohadis Verrath in die Hände der Verschwornen. Solimann fiel, mit Wunden bedeckt. Jetzt stieg der Tag herauf! Die Janitscharen eilten nach Musas Gefängniß; ihm träumte eben: Cara-Boga sey in ein Leichentuch verhüllt, vor ihm vorübergegangen, den Blick traurig, sein Haar blutig! Musa streckte die Hände nach ihm aus, rief ihm; aber er antwortete nicht. Da klirrten die Riegel des Gefängnisses; die Janitscharen drangen herein. Cara-Boga! wollte er rufen; da blitzte ihm die Krone entgegen, da jauchzte das Volk, kleidete ihn in Purpur und führte ihn unter einen Thronhimmel, auf dem Marktplatz von Prusa errichtet.

Musas Wangen waren bleich, seine Augen brannten wie zwei Vulkane in einer eingeäscherten Wildniß, eine erzwung'ne Majestät, unter deren Druck er fast zu erliegen schien, war über sein ganzes Wesen ausgegossen, und er sah aus wie die finstere Pracht eines Grabmahls, das ein blühendes Geschlecht bedeckt.

Durch das Getümmel hindurch drängte sich Mohadi und überreichte dem neuen König, in knechtischer Demuth, das Zepter, und ihm nach drängte [62] sich Othmann, fiel nieder und sprach: Großer König! deine erste Handlung sey Gerechtigkeit! Cara-Boga, dein Freund, der dich liebte wie den Morgen, ist gefallen, nicht im rühmlichen Kampf für dich; durch tückischen Meuchelmord Mohadis. Sein letzter Laut war Segen dir!

Eine schreckliche Stille herrschte; der Sultan verhüllte sich in den Purpur, Zeugen traten auf und zeugten gegen Mohadi, und dieser sank zitternd zur Erde. Da rief Musa mit schrecklicher Stimme: Janitscharen! tödtet ihn auf der Stelle, daß des Mörders Anblick kein Auge mehr vergifte.

Aber das Volk und die Janitscharen riefen: Gnade! Gnade dem Vezir!

Ihr Alle habt mich an einem schrecklichen Tag verlassen, sagte Musa: ruhig saht ihr, wie mich der Bruderhaß in den Kerker stürtzte, nur er folgte mir, und mochte den Tag nicht sehen, und keine Freude haben, ohne mich, und jetzt, da er die Herrlichkeit die er mir bereitet hat, mit mir theilen soll, jetzt ist er ermordet! schändlich! meuchelmörderisch! tödtet den Mohadi, er hat einen Tropfen langsamen Giftes in meinen Lebensbecher gegossen, er soll nicht zusehen, wie ich ihn austrinke, wie er mein Eingeweide verzehrt.

Aber immer noch: Gnade! Gnade! riefen die Völker.

Ihr gehorcht immer noch nicht? sagte Musa: wohl! ich mag diesen Thron nicht, wenn er mir nicht die Gewalt giebt, so blutiges Verbrechen zu [63] bestrafen; mag in dieser Welt nicht leben die so schändliche Sünde gut heißt; ich steige hinab zu meinem Freunde und tröste ihn über seines Volkes Feigheit. Kommt! tödtet mich! ich falle wie es mir geziemt, im Purpur, königlich, herrlich, dieser Tod ist mein Leben werth, kommt! So sprach Musa, und sich selbst vergessend in fieberhafter Tollkühnheit kniete er sich unter die Säbel der murrenden Janitscharen, um den tödtlichen Streich zu empfangen. Aber sie sahen seine königliche Schönheit; der tiefe Schmerz in dem er ganz verlohren war, ergriff sie, Mohadi wurde der rächenden Gerechtigkeit geopfert, und Musa bestieg den Thron.

Die Erscheinung

Siegreich zog das persische Heer gen Ispahan, durch die südlichen Provinzen zurück. Am Eingang der Bucht von Ormus ward, in einem angenehmen Thale, ein Lustlager errichtet, damit der König sich dort ergötzen mögte, indes die Hauptstadt sich bereitete, den Sieger mit asiatischem Pomp zu empfangen.

Es war Abend. Musik, Gesang und Freude war in allen Theilen des Lagers, nur der König saß einsam unter einem Palmbaum und vernahm nichts als das ungestüme Brausen der See an den Felsen [64] von Ormus, denn seine Seele war der Freude verschlossen. Da trat Nadira zu ihm. Nadira! die Sängerin süßer Wehmuth. Dunkle Locken umflossen, wie Trauergedanken, die Stirne des Mädchens, das Feuer ihrer Augen erlosch in glänzenden Thränen, leise umschwebte ihre Stimme die bebenden Saiten, leise, wie die Lüfte des Frühlings umschweben die duftenden Blumen, und sie sang:

»Die Sonne ist in Purpurfluthen versunken, die Mittagswinde kühlen ihre heissen Flügel in den Düften der Nacht, und die freundlichen Sterne steigen herauf, und erwecken zu Leben und Freude. Aber o ihr Sterne! und du Sonne der Nacht! silberner Mond! warum erweckt ihr nicht Freude im Busen Selimas? Schön war Selima, wie ein Engel der Gnade, aber jetzt ist sie bleich, wild weht ihr Haar, ihr Auge ist starr, denn Astor ist dahin! er wird nimmer gefunden, der schöne Astor!

Astor! Astor! rief der König: o Sängerin! warum hast du meinem Schmerze diesen Namen genannt!

Er raffte sich wild auf, und eilte fort durch die Nacht; die Hände ringend, gieng er am Ufer auf und nieder, und rief noch immer: Astor! Astor! du wirst nimmer gefunden!

Ebn-Allar folgte bestürzt seinem König, und redete ihn also an:

Warum o glänzender Jüngling! Liebling der Gottheit! warum vertrauerst du den Frühling deines Lebens? Ruhm und Liebe lächlen dir, und du trauerst?[65] Komm verlasse diesen düstern Aufenthalt, der Himmel liegt schwer und drohend über der See, komm! verlaß diesen Ort.

König: Finsterer als dieser Ort ist meine Seele, blutige Todesengel schlagen ihre schwarzen Flügel um mein Haupt. O Astor! aus deinem vergossenen Blute, steigt ein böser Geist rächend herauf! – Unglückselige That! war er der Verräther, warum mußte ich der Mörder seyn?

Ebn-Allar: Vergiß den Todten, und gedenke der Lebenden, er hat dir die Treue gebrochen, sein Tod war Gerechtigkeit.

König: Wenn du jemals mein Freund warst, Ebn-Allar, so gieb mir den einzigen Trost, dessen ich fähig bin. Du rühmst dich der Wissenschaft, Todte aus ihren Gräbern zu rufen, und ihre verschlossenen Lippen zu öffnen: wenn du es kannst? so rufe mir jetzt den Geist von Astor.

Ebn-Allar gehorchte, Beschwörungen murmelnd, warf er sich andächtig verzuckt am Meeresstrand nieder.

Die Wogen brachen sich ächzend am Ufer, die Nachtwinde brausten mit wildem Ungestüm, und über das Thor des Todes flogen krächzende Nachtvögel. Mit schaudernder Erwartung sah der König hinaus in die Nacht, da vernahm er ein leises Rieseln der Fluthen, und aus den Wassern erhob sich langsam ein bleicher Jüngling mit blutigen Locken, ein blasser Mondschein umglänzte ihn, und sein Blick weilte traurig auf dem König.

[66] Geist: Was rufst du mich herauf? König von Persien!

König: Astor! bist du unschuldig? oder strebtest du nach meiner Krone und meinem Leben?

Geist: Das Blut das an deinem Dolche klebt ist unschuldig, mein letztes Todesröcheln war Vergebung dir, aber du vernahmst es nicht. Immer tiefer in die Wogen hinab sank die bleiche Gestalt, die Wasser rieselten, und rauschten endlich dahin über die blutigen Locken.

Vergieb mir! vergieb mir! ich komme dich zu versöhnen! rief der König, und streckte die Hände nach dem Verschwindenden aus, als wollt er ihn erfassen an den blutigen Locken, oder am Grabtuch. Jetzt öffnete das Meer den weiten Schoos, der König stürzte hinab, und verschlungen von den Fluthen war der Jüngling, in der Blüthe der Jugend, in dem Glanze des Ruhms.

Der Traurende und die Elfen

Zum Grab der Trauten schleicht der Knabe,
Ihm ist das Herz so bang und schwer;
Da sinkt die dunkle Nacht hernieder
Und bleiche Geister geh'n umher;
Des Abends feuchte Nebel thauen,
Der Nachtwind wühlt in seinem Haar,
Das Alles wird er nicht gewahr.
[67]
In Träumen ist er ganz verlohren,
Er merket nicht der Stunden Gang;
Da wekt ihn aus dem dumpfen Schlummer
Musik und froher Chorgesang,
Er blicket auf: und schaut den Reigen
Der Elfen, deren munt'rer Tanz
Sich schlingt um frischer Gräber Kranz.
Und sieh! ihm naht der Elfen Schönste,
Und spricht: »was trauerst du so sehr?
Komm! ist dein Mädchen dir gestorben?
Vergiß sie! komm zum Tanze her.
Frei sind wir Elfen, ohne Sorgen,
Leicht wie der Sinn ist unser Fuß,
Und froh und leicht sind Lieb und Kuß.
O zögre nicht! nur wenig Stunden
So moderst du, nur kurze Zeit
So welket Alles, was jetzt blühet,
Drum komm! entsag dem schweren Leid'. –
Wild springt er auf zum raschen Tanze
Und über seiner Braut Gebein
Schlingt sich der lust'ge Elfenreihn.
Er tanzt, vergisset die Geliebte,
Leicht, wie der Elfen, wird sein Sinn
Entbunden aller Erdensorgen
Schwingt er sich über Wolken hin.
Er sieht Geschlechter kommen, sterben,
Kann Alles froh und lustig sehn
Der Dinge Blühen und Vergehn.
[68]

Die Bande der Liebe

Ach! mein Geliebter ist tod! er wandelt im Lande der Schatten
Sterne leuchten ihm nicht, ihm erglänzet kein Tag
Und ihm schweigt die Geschichte; das Schicksal der Zeiten
Gehet den mächtigen Gang, doch ihn erwecket es nicht;
Alles starb ihm mit ihm, mir ist er doch nicht gestorben
Denn ein ewiges Band eint mir noch immer den Freund.
Liebe heißet dies Band, das an den Tag mir geknüpft
Hat die erebische Nacht, Tod mit dem Leben vereint.
Ja ich kenne ein Land, wo Todte zu Lebenden reden,
Wo sie, dem Orkus entflohn, wieder sich freuen des Lichts,
Wo von Erinn'rung erweckt, sie auferstehn von den Todten
Wo ein irdisches Licht glühet im Leichengewand.
Seliges Land der Träume! wo, mit Lebendigen, Todte
Wandeln, im Dämmerschein, freuen des Daseyns sich noch.
Dort, in dem glücklichen Land, begegnet mir wieder der Theure,
Freuet, der Liebe, sich meiner Umarmungen noch;
Und ich hauche die Kraft der Jugend dann in den Schatten,
Daß ein lebendig Roth wieder die Wange ihm färbt,
[69]
Daß die erstarreten Pulse vom warmen Hauche sich regen,
Und der Liebe Gefühl wieder den Busen ihm hebt.
Darum fraget nicht, Gespielen! was ich so bebe?
Warum das rosigte Roth löscht ein ertödtendes Blaß?
Theil ich mein Leben doch mit unterirdischen Schatten,
Meiner Jugend Kraft schlürfen sie gierig mir aus.

Des Wandrers Niederfahrt

Wandrer.

Dies ist, hat mich der Meister nicht betrogen
Des Westes Meer in dem der Nachtwind braußt.
Dies ist der Untergang von Gold umzogen,
Und dies die Grotte, wo mein Führer haußt. –
Bist du es nicht, den Tag und Nacht geboren
Des Scheitel freundlich Abendröthe küßt!
In dem sein Leben Hälios verlohren
Und dessen Gürtel schon die Nacht umfließt.
Herold der Nacht! bist du's der zu ihr führet
Der Sohn den sie dem Sonnengott gebieret?
Führer.

Ja, du bist an dessen Grotte,
Der dem starken Sonnengotte
In die Zügel fiel.
Der die Rosse westwärts lenket,
[70]
Daß sich hin der Wagen senket,
An des Tages Ziel.
Und es sendet mir noch Blicke
Liebevoll der Gott zurücke
Scheidend küßt er mich;
Und ich seh es, weine Thränen
Und ein süßes stilles Sehnen
Färbet bleicher mich;
Bleicher, bis mich hat umschlungen,
Sie, aus der ich halb entsprungen,
Die verhüllte Nacht.
In ihre Tiefen führt mich ein Verlangen
Mein Auge schauet noch der Sonne Pracht
Doch tief im Thale hat sie mich umpfangen
Den Dämmerschein verschlingt schon Mitternacht.
Wandrer.

O führe mich! du kennest wohl die Pfade
Das alte Reich der dunklen Mitternacht;
Hinab will ich ans finstere Gestade
Wo nie der Morgen, nie der Mittag lacht.
Entsagen will ich jenem Tagesschimmer
Der ungern uns der Erde sich vermählt,
Geblendet hat mich, trüg'risch, nur der Flimmer,
Der Ird'sches nie zur Heimath sich erwählt.
Vergebens wollt' den Flüchtigen ich fassen,
Er kann doch nie vom steten Wandel lassen.
[71]
Drum führe mich zum Kreis der stillen Mächte,
In deren tiefem Schoos das Chaos schlief,
Eh, aus dem Dunkel ew'ger Mitternächte,
Der Lichtgeist es herauf zum Leben rief.
Dort, wo der Erde Schoos noch unbezwungen
In dunkle Schleier züchtig sich verhüllt,
Wo er, vom frechen Lichte nicht durchdrungen,
Noch nicht erzeugt dies schwankende Gebild
Der Dinge Ordnung, dies Geschlecht der Erde!
Dem Schmerz und Irrsal ewig bleibt Gefährte.
Führer.

Willst du die Götter befragen,
Die des Erdballs Stützen tragen,
Lieben der Erde Geschlecht,
Die in seliger Eintracht wohnen,
Ungeblendet von irdischen Sonnen,
Ewig streng und gerecht;
So komm, eh ich mein Leben ganz verhauchet,
Eh mich die Nacht in ihre Schatten tauchet.
Horch! es heulen laut die Winde,
Und es engt sich das Gewinde
Meines Wegs durch Klüfte hin.
Die verschloß'nen Ströme brausen,
Und ich seh mit kaltem Grausen
Daß ich ohne Führer bin.
Ich sah ihn blässer, immer blässer werden,
Und es begrub die Nacht mir den Gefährten.
[72]
In Wasserfluthen hör ich Feuer zischen
Seh wie sich brausend Elemente mischen;
Wie, was die Ordnung trennet, sich vereint.
Ich seh, wie Ost und West sich hier umpfangen,
Der laue Süd spielt um Boreas Wangen,
Das Feindliche umarmet seinen Feind
Und reißt ihn fort in seinen starken Armen:
Das Kalte muß in Feuersgluth erwarmen.
Tiefer führen noch die Pfade
Mich hinab, zu dem Gestade
Wo die Ruhe wohnt,
Wo des Lebens Farben bleichen,
Wo die Elemente schweigen
Und der Friede thront.
Erdgeister.

Wer hieß herab dich in die Tiefe steigen
Und unterbrechen unser ewig Schweigen?
Wandrer.

Der rege Trieb: die Wahrheit zu ergründen!
Erdgeister.

So wolltest in der Nacht das Licht du finden?
Wandrer.

Nicht jenes Licht das auf der Erde gastet
Und trügerisch dem Forscher nur entflieht,
Nein, jenes Urseyn das hier unten rastet
[73]
Und rein nur in der Lebensquelle glüht.
Die unvermischten Schätze wollt' ich heben
Die nicht der Schein der Oberwelt berührt
Die Urkraft, die, der Perle gleich, vom Leben
Des Daseyns Meer in seinen Tiefen führt.
Das Leben, in dem Schoos des Lebens schauen;
Wie es sich kindlich an die Mutter schmiegt
In ihrer Werkstatt die Natur erschauen,
Sehn, wie die Schöpfung ihr am Busen liegt.
Erdgeister.

So wiß! es ruht die ew'ge Lebensfülle
Gebunden hier noch in des Schlafes Hülle
Und lebt und regt sich kaum,
Sie hat nicht Lippen um sich auszusprechen,
Noch kann sie nicht des Schweigens Siegel brechen,
Ihr Daseyn ist noch Traum.
Und wir, wir sorgen, daß noch Schlaf sie decke
Daß sie nicht wache, eh' die Zeit sie wecke.
Wandrer.

O ihr! die in der Erde waltet,
Der Dinge Tiefe habt gestaltet,
Enthüllt, enthüllt euch mir!
Erdgeister.

Opfer nicht und Zauberworte
Dringen durch der Erde Pforte,
Erhörung ist nicht hier.
[74]
Das Ungeborne ruhet hier verhüllet
Geheimnißvoll, bis seine Zeit erfüllet.
Wandrer.

So nehmt mich auf, geheimnißvolle Mächte,
O wieget mich in tiefem Schlummer ein.
Verhüllet mich in eure Mitternächte,
Ich trete freudig aus des Lebens Reihn.
Laßt wieder mich zum Mutterschoose sinken,
Vergessenheit und neues Daseyn trinken.
Erdgeister.

Umsonst! an dir ist uns're Macht verlohren,
Zu spät! du bist dem Tage schon geboren;
Geschieden aus dem Lebenselement.
Dem Werden können wir, und nicht dem Seyn gebieten
Und du bist schon vom Mutterschoos geschieden
Durch dein Bewußtseyn schon vom Traum getrennt.
Doch schau hinab, in deiner Seele Gründen
Was du hier suchest wirst du dorten finden,
Des Weltalls sehn'nder Spiegel bist du nur.
Auch dort sind Mitternächte die einst tagen,
Auch dort sind Kräfte, die vom Schlaf erwachen
Auch dort ist eine Werkstatt der Natur.

[75] Mahomets Traum in der Wüste

Bei des Mittags Brand
Wo der Wüste Sand
Kein kühlend Lüftchen erlabet,
Wo heiß, vom Samum nur geküsset,
Ein grauer Fels die Wolken grüßet
Da sinket müd der Seher hin.
Vom trügenden Schein
Will der Dinge Seyn
Sein Geist, betrachtend hier, trennen.
Der Zukunft Geist will er beschwören,
Des eignen Herzens Stimme hören,
Und folgen seiner Eingebung.
Hier flieht die Gottheit,
Die der Wahn ihm leiht,
Der eitle Schimmer verstiebet.
Und ihn, auf den die Völker sehen,
Den Siegespalmen nur umwehen,
Umkreist der Sorgen dunkle Nacht.
Des Sehers Traum
Durchflieget den Raum
Und all' die künftigen Zeiten,
Bald kostet er, in trunknem Wahne,
Die Seligkeit gelung'ner Plane,
Dann sieht er seinen Untergang,
[76]
Entsetzen und Wuth,
Mit wechselnder Fluth,
Kämpfen im innersten Leben,
Von Zweifeln, ruft er, nur umgeben!
Verhauchet der Entschluß sein Leben!
Eh' Reu ihn und Mißlingen straft.
Der Gottheit Macht,
Zerreiße die Nacht
Des Schicksals, vor meinen Blicken!
Sie lasse mich die Zukunft sehen,
Ob meine Fahnen siegreich wehen?
Ob mein Gesetz die Welt regiert?
Er sprichts; da bebt
Die Erde, es hebt
Die See sich auf zu den Wolken,
Flammen entlodern den Felsenklüften,
Die Luft, erfüllt von Schwefeldüften,
Läßt träg die müden Schwingen ruhn.
Im wilden Tanz,
Umschlinget der Kranz
Der irren Sterne, die Himmel;
Das Meer erbraußt in seinen Gründen,
Und in der Erde tiefsten Schlünden
Streiten die Elemente sich.
Und der Eintracht Band,
Das mächtig umwand
[77]
Die Kräfte, es schien gelöset.
Der Luft entsinkt der Wolken Schleier
Und aus dem Abgrund steigt das Feuer,
Und zehret alles Ird'sche auf.
Mit trüberer Fluth
Steigt erst die Gluth,
Doch brennt sie stets sich reiner,
Bis hell ein Lichtmeer ihr entsteiget
Das lodernd zu den Sternen reichet
Und rein, und hell, und strahlend wallt.
Der Seher erwacht
Wie aus Grabesnacht
Und staunend fühlt er sich leben,
Erwachet aus dem Tod der Schrecken,
Harr't zagend er, ob nun erwecken
Ein Gott der Wesen Kette wird.
Von Sternen herab
Zum Seher hinab
Ertönt nun eine Stimme:
»Verkörpert hast du hier gesehen
Was allen Dingen wird geschehen
Die Weltgeschichte sahst du hier.
Es treibet die Kraft
Sie wirket und schafft,
In unaufhaltsamem Regen;
Was unrein ist das wird verzehret,
[78]
Das Reine nur, der Lichtstoff, währet
Und fließt dem ew'gen Urlicht zu.«
Jetzt sinket die Nacht
Und glänzend ertagt
Der Morgen in seiner Seele.
Nichts! ruft er, soll mich mehr bezwingen:
Daß Licht nur werde! sey mein Ringen,
Dann wird mein Thun unsterblich seyn.

Zilia an Edgar

O Edgar komm! ich wein auf Islands Küste,
Mein müder Blick durchirrt das weite Meer,
Doch, er durchspäht umsonst die Wasserwüste!
Mein Edgar kehret nimmer nimmer mehr.
Ich weine einsam am verlaß'nen Strande
Vom rauhen Nordwind stürmisch nur umsaust;
Und Nebel sinken zum beeisten Lande
Das schäumend wild die hohe See umbraußt.
Nur Tannen wiegen sich im hohlen Winde,
Der Wiederhall seufzt mit am Meeresstrand
Und lange Nacht umringt, wie Grabesschlünde,
Mit dunkeln Trauerschatten Meer und Land.
So muß ich Alles mit mir trauern sehen,
Mein Leben gießt in allen Schmerz sich hin,
[79]
In Aller Trauer werd' ich mit vergehen
Wie sich im Meer die Tropfen Thau verziehn.
Drum komm! ich fühle meine Kraft entfliehen,
In Träumen lös't sich mein Bewußtseyn auf.
Der bleiche Lebensfunke wird verglühen,
In tiefen Schmerzen hört mein Daseyn auf.

Liebe

O reiche Armuth! Gebend, seliges Empfangen!
In Zagheit Muth! in Freiheit doch gefangen.
In Stummheit Sprache,
Schüchtern bei Tage,
Siegend mit zaghaftem Bangen.
Lebendiger Tod, im Einen sel'ges Leben
Schwelgend in Noth, im Widerstand ergeben,
Genießend schmachten,
Nie satt betrachten
Leben im Traum und doppelt Leben.

Ariadne auf Naxos

Auf Naxos Felsen weint verlassen Minos Tochter.
Der Schönheit heisses Flehn erreicht der Götter Ohr.
Von seinem Thron herab senkt, Kronos Sohn, die Blitze,
Sie zur Unsterblichkeit in Wettern aufzuziehn.
[80]
Poseidon, Lieb entbrannt, eröffnet schon die Arme,
Umschlingen will er sie, mit seiner Fluthen Nacht.
Soll zur Unsterblichkeit nun Minos Tochter steigen?
Soll sie, den Schatten gleich, zum dunklen Orkus gehn?
Ariadne zögert nicht, sie stürzt sich in die Fluthen:
Betrogner Liebe Schmerz soll nicht unsterblich seyn!
Zum Götterloos hinauf mag sich der Gram nicht drängen,
Des Herzens Wunde hüllt sich gern in Gräbernacht.

Der Franke in Egypten

Wie der Unmuth mir den Busen drücket,
Wie das Glück mich hämisch lächelnd flieht.
Ist denn Nichts was meine Seele stillet?
Nichts, was dieses Lebens bange Leere füllet? –
Dieses Sehnen, wähnt' ich, sucht die Vorwelt,
Die Heroenzeit ersehnt mein kranker Geist.
An vergang'ner Größe will dies Herz sich heben,
Und so eilt' ich deinem Strande zu,
Du der Vorwelt heiligste Ruine,
Fabelhaftes Land, Egypten du!
Ha! da wähnt' ich aller Lasten mich entladen
Als der Heimath Gränze ich einteilet war.
Träumend wallt' ich mit der Vorzeit Schatten,
Doch bald fühlt' ich, daß ich unter Todten sey,
Neu bewegte sich in mir das Leben,
[81]
Antwort konnte mir das Grab nicht geben. –
Ins Gewühl der Schlachten,
Warf ich durstig mich,
Aber Ruhm und Schlachten,
Ließen traurig mich:
Der Lorbeer der die Stirne schmückt,
Er ists nicht immer der beglückt.
Da reichte mir die Wissenschaft die Hand,
Und folgsam gieng ich nun an ihrer Seite,
Ich stieg hinab in Pyramiden Nacht,
Ich mas des Möris See, des alten Memphis Größe,
Und all die Herrlichkeit, die sonst mein Herz geschwellt,
Sie reicht dem Durstigen nur der Erkenntniß Becher.
Ich dachte, forschte nur, vergaß daß ich empfand. –
Doch ach! die alte Sehnsucht ist erwacht,
Aufs neue fühl ich suchend ihre Macht,
Was geb ich ihr? Wohin soll ich mich stürzen?
Was wird des Lebens lange Oede würzen?
Ha! Sieh, ein Mädchen! wie voll Anmuth,
Wie lieblich hold erscheint sie mir!
Soll ich dem Zuge widerstehen?
Doch nein! ich rede kühn zu ihr.
Ist dies der Weg der Pyramiden?
O, schönes Mädchen! sag es mir!

Mädchen.

Du bist nicht auf dem Weg der Pyramiden,
O Fremdling! doch ich zeig ihn dir.
[82] Franke.

Brennend sengt die heisse Mittagssonne,
Jede Blume neigt das schöne Haupt,
Aber du der Blumen Schönste hebest,
Jung, und frisch, das braungelockte Haupt.
Mädchen.

Willst du in des Vaters Hütte dich erkühlen
Komm, es nimmt der Greis dich gerne auf.
Franke.

Welchen Namen trägst du schönes Mädchen?
Und dein Vater; sprich, wo wohnet der?
Mädchen.

Lastrata heiß ich; und mein guter Vater
Er wohnt mit mir im kleinen Palmenthal,
Doch nicht des Thales angenehme Kühle,
Nicht Bäche Murmeln, nicht der Sonne Kreisen
Erfreuet meinen guten Vater mehr.
Franke.

Wie! freut dem Vater nicht des Stromes Quellen,
Der Palmen lindes Frühlingssäuseln nicht?
Ich faß es; doch, wie es ein Gram mag geben
Der deiner Tröstung möchte widerstreben,
Das nur, Lastrata, faß ich nicht.
Mädchen.

Italien ist das Vaterland des Greisen,
Und vieles Unglück bracht ihn nur hierher.
[83]
Mit sehnsuchtsvollem Blick schaut er am Mittelmeere
Hinüber in das vielgeliebte Land.
Und seufzend sehn' auch ich hinüber
Nach jenen Blüthenreichen Küsten mich.
Erkranket ruht mein Geist auf jener blauen Ferne,
Und schöne Träume tragen mich dahin.
Sag', wogt nicht schöner dort der Strom des Lebens?
Sehnt dort die kranke Brust sich auch vergebens?
Franke.

Mädchen! ach! von gleichem Wunsch betrogen,
Wähnt' ich: schönes berg' die Ferne nur,
Doch umsonst durchsegelt' ich die Wogen,
Hat auch diese Ahndung mir gelogen
Die du, Mädchen, jetzt in mir erweckt. –
Mädchen.

Fremdling! kannst du diese Sehnsucht deuten?
Fühlst du dieses unbestimmte Leiden?
Dieses Wünschen ohne Wunsch?
Franke.

Ja ich fühl ein Sehnen, fühl ein Leiden.
Doch jetzt kann ich diese Wünsche deuten,
Und ich weiß, was dieses Streben will.
Nicht an fernen Ufern, nicht in Schlachten!
Wissenschaften! nicht an eurer Hand,
Nicht im bunten Land der Phantasien!
Wohnt des durst'gen Herzens Sättigung.
Liebe muß dem müden Pilger winken,
[84]
Myrthen keimen in dem Lorbeerkranz,
Liebe muß zu Heldenschatten führen,
Muß uns reden aus der Geisterwelt. –
Mächt'ger Strom! ich fühlte deine Wogen,
Unbewußt fühlt' ich mich hingezogen,
Nur wohin! wohin! das wußt' ich nicht.
Wohl mir! dich und mich hab' ich gefunden.
Liebe hat dem Chaos sich entwunden.

Notes
Entstanden zwischen 1801 und 1804, vermutlich überwiegend im letzten Teil dieses Zeitraum. Erstdruck (unter dem Pseudonym »Tian«): Hamburg und Frankfurt (J.C. Hermannsche Buchhandlung) 1804.
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Citation Suggestion for this Edition
TextGrid Repository (2012). Günderode, Karoline von. Gedichte und Phantasien. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-207F-B