[161] An die ungetreue Leonore

Nun hab ich schon genug; schweig, trauriges Gerüchte.
Das Herze sagt es mir, mein Kind sey nicht mehr mein.
Der unverhofte Riß nimmt Regung und Gesichte
Mit stummer Ungedult und blaßem Schröcken ein.
Mich deucht, ich höre schon die neuen Hochzeitlieder,
Ja, ja, ich höre schon der Hofnung Leichenklang;
Die Angst durchwandert mir das Marck der starcken Glieder,
Um die sie kurz vorher die falschen Armen schlang.
Du Kind der Ewigkeit und Mutter alles Guten,
O Liebe, stehstu gern verliebten Dichtern bey,
So gieb, da Aug und Herz in süßer Wehmuth bluten,
Daß diese schwere Last nur noch erträglich sey.
Du weist, ich diene dir mit unverfälschtem Herzen,
Du weist, ich habe stets das böse Volck verflucht
Und blos, das Elendweh im Leben zu verschmerzen,
Ein Kind von frommer Art und gleicher Treu gesucht.
Wie thustu das an mir und stürzest mein Vergnügen,
Worauf ich so viel Zeit und Müh und Fleiß gewand?
Warum erlaubstu nicht, an dieser Brust zu liegen,
Mit der mich deine Macht so lang und starck verband?
Ja, wenn mir alle Welt auf solchen Fall geschworen,
Ja, wenn ein Engel selbst dergleichen prophezeit,
So hätt ich wohl gedacht: Sie reden wie die Thoren
Und kennen wohl noch nicht der Liebe Zärtligkeit.
Ach allerliebstes Kind, so muß ich dir noch schreiben,
Indem ich doch so bald mein Herz nicht trennen kan;
Wie magstu solchen Scherz mit Eid und Schwüren treiben,
Und warum hastu so und noch an mir gethan?
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An mir, an deßen Gunst dein irdisch Heil gehangen
Und der um dich sogar ein Spott der Misgunst hies,
An mir, durch welchen du so vieler Noth entgangen,
An mir, der fast vor dich sein Auge nehmen lies.
Bedencke doch nur dich, ich will von mir nichts sagen;
Wie ofters hat dein Mund (du weist, bey welcher Gruft,)
Der Eltern Asch und Staub, auf dem wir sicher lagen,
Zum Zeugnüß wahrer Treu mit Thränen angeruft!
Geh in dich, falsches Kind, und frage dein Gemüthe;
Dies, weis ich, wird vor mich ein frey Bekäntnüß thun,
Mit was vor Ehrligkeit und nicht erkaufter Güte
Mein Herz allein gewüntscht, in deiner Schoos zu ruhn.
Bedenck auch, was wir schon zusammen ausgestanden,
Wie hart uns Neid und Gram und Eifersucht gequält;
Wie manchmahl rühmtestu bey allen Unglücksbanden,
Es wäre Philimen zu deinem Trost erwehlt!
Wie sauer wurd es mir, dich anfangs zu gewinnen,
Wie lange wurd ich nicht mit List herumgeführt!
So viel der Thränen sind, die jezt aus Unmuth rinnen,
So viel Mahl hat dir dort mein Kuß das Herz gerührt.
Ich troz auf kein Verdienst, so gut ich trozen möchte,
Ich bringe dieses nur aus guter Meinung vor:
Wer schäzte dazumahl dein Ansehn und Geschlechte,
Das vor der halben Stadt bereits sein Lob verlor?
Wer lehrte dich, dein Lob vernünftig zu bedencken?
Wer wies dich auf den Weg, der Menschen glücklich macht?
Wer lies sich deinen Gram bis zur Verzweiflung kräncken?
Wer hat dir den Geschmack der Liebe beygebracht?
Die Kranckheit warf dich hin, der Tod stund vor der Thüre,
Ich kam und hies gesund und lidt wohl mehr als du.
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So oft ich mir die Zeit jezt ins Gedächtnüß führe,
So ofters hängt mir noch ein Theil der Ohnmacht zu.
Mein Helfen schlug nichts an, ich gieng in meine Kammer,
Verschloß mich mit der Angst und warf mich auf die Knie
Und bat ich weis nicht was vor allzu großem Jammer,
Denn eh ich mich besann, so war es wieder früh.
Nun merck ich, daß ich dort um meine Noth gebethen,
Um dich, um meine Noth, die mehr als Schwefel brennt;
Ach, sollte deine Brunst so aus dem Gleiße treten,
Ach, warum hab ich dich dem Tode nicht gegönnt?
Mir wärestu getreu, dir ohne Schuld gestorben,
Mein Seufzen hätte dich in jene Welt geführt,
Es hätte deine Treu ein ewig Lob erworben
Und selbst mein Wittwerflor dein Leichenkleid geziert.
Verführteste der Welt, betrogne Leonore,
Bedenck, um was du dich mit dieser Falschheit bringst
Und ob du als ein Spott von meinem Musenchore
Nicht aus dem Paradies in Cabuls Wüste springst.
Durch Eintracht wäre dir die Eh zum Himmel worden,
Hier hättestu das Marck der keuschen Brunst geschmeckt;
Du strahltest als ein Stern in jener Frauen Orden,
Dem unsre Poesie des Nachruhms Lorbeer steckt.
Steh nächtlich einmahl auf und miß die hohe Ferne
Und sieh den Milchweg an, der ist der Helden Haus;
Dein Nahme mehrte da den Glanz der holden Sterne,
Ich las bereits den Plaz vor deßen Bildnüß aus.
Du bist vorhin gestraft, indem du mich entbehrest,
Du strafest dich noch mehr durch deine neue Wahl,
Bey der du auf der Welt schon in die Hölle fährest,
Aus welcher meine Treu dich so zu reden stahl.
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Mit was vor Zuversicht und Augen und Gewißen
Getraustu dich hinfort mein Antliz anzusehn?
Was wirstu, sterb ich bald, vor Larven fürchten müßen!
Geschieht's, so wiße nur, es sey durch dich geschehn.
Dein Mops, gedenck an mich, wird mich an dir schon rächen,
Sein Kopf ist boßheitsvoll und wird ein Hencker seyn;
Du wirst, wenn Tag und Nacht dich unter Sorgen schwächen,
Dein unbesonnen Werck, doch stets zu spät, bereun.
Alsdenn besinne dich auf Gärthen, Grab und Linden,
Worunter meine Schoos dein schläfrig Haupt gewiegt;
Da wirstu mich nicht mehr auf jenem Felsen finden,
Auf welchem noch von uns ein Bundeszeichen liegt.
Die lezte Sommernacht wird nicht mehr wiederkommen;
Spiel, Küße, Tanz und Vers und Sträußer treuer Hand
Sind Schäze, welche dir der Raub der Zeit genommen,
Was sag ich? die du dir aus Falschheit selbst entwand.
Es hat mir wohl geahnt; denn kanstu dich besinnen,
Bey welcher Garthenlust dein Ring den Finger band?
Mein Auge fing dort nicht ohn Ursach an zu rinnen,
Dir aber fiel das Blut in Tropfen auf die Hand.
Noch mehr, die nechste Nacht verlor ich dich im Traume
Und weckte mich fast selbst durch Angst und Winseln auf;
Der unverhofte Bruch von deinem liebsten Baume
Wies etwan auch vorher der Liebe kurzen Lauf.
Sey da und schüze vor, man habe dich gezwungen;
Der, die warhaftig liebt, hat Flehn und Zwang nichts an.
Du selbst hast nicht gewollt, sonst wär es wohl gelungen,
Indem doch Weiberlist viel Ausflucht machen kan.
Du daurest mich noch sehr, nicht weil du dies verdienest,
Blos weil mich die Natur zum Mitleid aufgelegt
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Und weil mein Herz das Bild, in dem du ehrlich schienest,
Aus großer Zärtligkeit in seinem Blute trägt.
Wie wird mir doch so angst, dir gute Nacht zu geben!
Ist's möglich, liebstes Kind, so kehre doch zurück,
Ich will dir gern verzeihn und noch vertrauter leben;
Ach, wende dich nur um, hier ist der alte Blick.
Der Himmel sieht sich Lust, sobald wir uns vertragen,
Ich selbst berede mich, du habest nichts gethan.
Bleib, Leonore, bleib! Du spottest meiner Klagen
Und siehst mich nun nicht mehr mit deinen Augen an.

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TextGrid Repository (2012). Günther, Johann Christian. An die ungetreue Leonore. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-20FB-6