[100] An Herrn Johann George Löbin

Wie geht es dir denn noch, du ehrlicher Löbin,
Dir, dem die Vorsicht auch ein edles Herz verliehn
Und mehr Verdienst als Gold (so pflegt sie stets zu theilen)
Zum Erbgut ausgemacht? Gedenckstu auch bisweilen
An Freunde gleicher Treu und größrer Dürftigkeit,
Die mancherley Versuch vom Elend unsrer Zeit,
Spott, Armuth, Elternhaß, Fluch, Lügen, Feind die Menge
Und das, was Sclaven stets am schärfsten drückt, die Länge,
Die eh Verzweiflung bringt als etwan Buße kirrt
Und Günthern, so wie dir dies Blat, den Sinn verwirrt –
(Soll Jugend gar so scharf vor Schwachheitsfehler büßen?)
An Freunde, sagt ich vor, die solches fühlen müßen?
Gedenckstu nun an sie, so denck auch meiner Noth
Und thu ein Liebeswerck und wüntsche mir den Tod.
Nichts Beßers weis ich doch hinfort mehr anzunehmen,
Da endlich Gift und Weh den schwachen Cörper lähmen.
Beschrieb ich dir die Qual, so wär ein Buch zu klein,
Dir dörfte schlecht gedient, mir nicht geholfen seyn.
Dies aber, daß ich noch die Feder mühsam führe,
Geschieht nur mir zu gut, dieweil ich würcklich spüre,
Es lindre sich der Schmerz, so bald die Cyther klingt
Und dann und wann ein Lied vor gute Freunde singt.
Ich darf mich ohnedem vorjezo nicht beschweren,
Als ließen Tisch und Schlaf mich wenig Zeit entbehren:
Fünf Bißen in den Mund, so ist die Tafel gar;
Die Glieder auf die Banck, das Halstuch um das Haar,
So bin ich in dem Bett und völlig ausgezogen.
Die Hüfte glaubt es nicht, doch wird sie leicht betrogen,
So oft der müde Geist zu eifrig nachgedacht
Und Schwäch und Mattigkeit das Holz zu Federn macht.
Ja, was mich oft ergözt, so helfen mir die Träume
Zu dem den ganzen Tag umsonst gesuchten Reime.
Solch Mitleid hat mit mir ein Schatten oder Geist,
Der Traum sey, was er will, der oft ein Hencker heist
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Und insgemein das Haupt bedrängter Herzen plaget.
Wie, daß sich Gott und Mensch mir ganz und gar versaget?
Das Fenster zeigt mir gleich den Würbel in dem Schnee;
Die Flocken kommen, uns zu seegnen, aus der Höh,
Sie machen keine Wahl, und wo sie hin gerathen,
Erquicken sie so gut das Unkraut als die Saaten.
Das Gleichnüß thut mir weh. Ich seh der Lästrer Zahl;
Der Reichthum aus der Höh beschüzt sie allzumahl
Und tröpfelt doch auf nichts als undanckbare Köpfe.
Ich bin so gut wie sie und auch wohl ein Geschöpfe,
Und doch erhält mein Wuntsch gar selten oder nichts.
Genieß ich auch den Blick der Sonnen und des Lichts,
Was hilft's? Und dient es mir, indem ich mich besinne,
Daß ich vor alle Gunst so viel als sie gewinne?
Sie, die den Erdkreiß stets mit Wärm und Wachsthum trift,
Bekommt doch nichts davor als Dünste voller Gift.
Ich, deßen Trost und Rath vor diesem viel beschienen,
Getrau mich nicht einmahl des Klagens zu erkühnen.
So spiel ich halb verrückt mit Bildern, Noth und Schmerz.
Erholt sich die Vernunft, so fühl ich noch ein Herz,
An welchem Trieb und Zucht, Exempel, Lehr und Faßen
Noch manche Freiheitsspur der Weißheit übrig laßen.
Denn hängt der Himmel gleich nicht immer geigenvoll,
So find ich gleichwohl Ruh, wo jeder suchen soll,
Ich mein in eigner Brust; da lern ich im Betrachten,
Viel, was die Welt erhebt, gering und schädlich achten
Und will es, was sie schilt, ganz gut und anders sehn.
Das Fernglas darf ich auch nicht erst gen Himmel drehn,
Ich bin der Erde nah, hier leben große Wunder,
Die grösten in mir selbst: die Seele, die den Zunder
Zu Mehrung ihres Heils blos in sich selbst ernährt,
Wie schön sich ihr Verstand ermuntert und verklärt,
Begreifet, nimmt und theilt, verbindet, unterscheidet,
Zu diesem Hang verspürt, zu jenem Eckel leidet
Und niemals feyren kan. Da dring ich ganz genau
Auf Ursach und Beweis. Hier steht der nette Bau,
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Die Höhle des Gebeins, des Fleisches Lustgewebe 1,
Der aufgerichte Mund, wodurch ich edler lebe;
Den Augen seh ich auch was mehr als Augen an,
Dieweil ein einzler Blick schon redend lieben kan.
Von innen nenn ich auch den Kreißlauf von den Säften
Und Ordnung, Maß und Ziel in allerley Geschäften.
So siz ich ohne Volck und bin doch nicht allein,
Ich kan mir Lehrer, Freund und Knecht und alles seyn.
Begiebt sich auch zulezt mein Dencken in die Weite,
Hilf Gott, was seh ich da vor Kräuter, Thier und Leute!
Da herrschen Sehnsucht, List, Begierden, Stolz und Fall,
Furcht, Hofnung, Arg und Weh; da macht des Glückes Ball
Ein oft verändert Spiel und allgemein Ermüden.
Doch ist bey mir davon die Würckung unterschieden.
Bald lach ich überlaut, bald wein ich aus Verdruß.
Wer wird, wohledler Freund, hier nicht Democritus,
Wenn die, so weise thun, sich um die Kappe schlagen,
Wenn Armer Hochmuth prahlt, wenn Esel Kragen tragen,
Wenn Alexanders Wut in fremden Schaden reist,
Stiehlt, mordet, sengt und brennt und dies nur tapfer heist,
Wenn Otto bey der Schlacht sich pudert, Spiegel brauchet
Und unter Pulverdampf geborgten Athem hauchet,
Wenn Aberwiz Vernunft und Mode Freiheit schiert,
Wenn Cres und Flavia Hals, Leib und Wiz verschnürt,
Wenn Steifröck ihren Stand in Kirchen weiter strecken,
Wenn viel ihr Vatertheil an Haus und Wagen klecken,
Wenn weiter Crassus tanzt und doch auf Canzeln weint,
Wenn Dorchens scheeler Blick dem Buhlen artig scheint
Und ganze Völcker zieht? Was meinstu zu den Sachen?
Ein andrer sey erbost, ich muß gezwungen lachen;
Vielleicht auch du, mein Freund. Ich werd ein Heraclit,
So bald mein weiches Herz den Jammer hört und sieht,
Der unsern Gränzen naht. Schwerd, Gift und Hunger wincken,
Europa kehrt sich um, die grösten Pfeiler sincken;
Hier preßt der Fürst das Land, dort greift der Unterthan
Des Obern Vaterherz mit grober Boßheit an
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Und sucht wohl gar den Fluch auf Land und Volck zu laden,
Das Blut der Majestät, zum Dancke vieler Gnaden.
Dies zwingt mir Seufzer aus, dies macht mich schröcklich still.
Auf einmahl spring ich auf, zumahl wenn Phoebus will,
Ergreif ein Instrument, auf dem ich klimpern lerne.
(Dies klingt abscheulich schön, es wäre denn von ferne.)
Im Fall ich nun dadurch Gemüth und Blut erweckt,
So ruf ich Haut und Bley, das stets im Busen steckt,
Der schwarz und gelbe raucht. Der Dichter kommt ins Schwermen,
Krazt, rückt sich, mercket nichts, obgleich das nahe Lermen
Von Feuer und Geschrey bereits die halbe Stadt
Mit Pferden, Schlauch und Axt um einen Brauhof hat.
Mein Freund, gedulde dich, wir wollen ihn nicht stören
Und, was er ausgeheckt, viel lieber mündlich hören.

Fußnoten

1 Vid. Porphyrius de antris Nympharum.


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TextGrid Repository (2012). Günther, Johann Christian. An Herrn Johann George Löbin. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-2105-6