[Weil ich noch die Augen habe]

[249] Cantata auf die doppelt Asmannische Verbindung.


Aria.

Euphrosyne.

Weil ich noch die Augen habe,
Hegt mein Herz die alte Glut:
Diese wacht bey dem im Grabe,
Der mir ewig bange thut.
Flieht und eilt, ihr neuen Triebe!
Denn ihr seyd mir längst vergällt.
Was mich feßelt, was ich liebe,
Wohnt in einer andern Welt.

Recitat.

Fides. Alto.

O rühmliche Beständigkeit,
O seeliges Entschließen,
O seltnes Beyspiel unsrer Zeit,
Das mit getreuen Thränengüßen
Auch meinen Ruhm und Lorbeer fruchtbahr macht!
Da, wo die Treu bey Leichen wacht,
Da schlagen ihre Flammen
Viel herrlicher zusammen,
Da spielt die Glut viel heller aus der Nacht,
Da merckt des Todes Tyranney,
Wie starck ein Beystand sey.

Aria.

Daphnis.

Ach Hofnung, ach! ach süße Liebe!
Ich weis fast selbst nicht, was ich thu.
Ach tröstet doch die matten Sinnen!
Das Herze brennt, die Augen rinnen
Und werden schon vor Ohnmacht trübe.

Recitat.

Spes.

Ach Daphnis, ach, so schweig doch still!
Schweig, Daphnis! Schweig, schweig, schweig und leide
[250]
Den schweren Übergang!
Dein Herz ist kranck,
Und das ist meine Schuld
So gut als meine Freude.
So prüft man die Gedult,
So wird auch die Gedult den Myrthenkranz erwerben.
Das Frauenzimmer insgemein
Quält jeden in der Sehnsuchtspein,
Doch läst es keinen Hungers sterben.
So wahr als ehmahls meine List
Der Dido mächtig worden ist,
So wahr wird Euphrosyne dein.

Aria.

Spes. Basso allegro.

Ja ja! Ja ja! Ja ja!
Triumph und Trost sind nah.
Ich seh die Amouretten
Mit angenehmen Ketten
Und heimlichen Entzünden
Ihr Herz gewaltig binden,
Die Palmen liegen da.
Da Capo.

Recitat.

Euphrosyne.

Nein! Nein!
Doch ja! Was nimmt mich vor ein Zweifel ein?
Welch Feuer schleicht sich in die Glieder?
Die Unruh wirft mich hin und wieder
So wie der Wind ein Rohr.
Ich, die ich kurz zuvor
So, wie ich auch wohl sollte,
In Nacht und Einsamkeit den Todten opfern wollte,
Ich, sag ich, kämpfe wieder mich
Und fühle mehr als brünstiglich
Ein unbekand Verlangen.
Ach Daphnis, ach, ich bin gefangen.
Ach Seeligster, verzeih!
[251]
Die Flammen werden neu,
Die Vorsicht hat die Hand im Spiele,
Ach miß mir nicht den Wechsel bey!
Aria.

Geniest, ihr modernden Gebeine,
Der mir durch euch verstörten Ruh!
Ich deck euch auf dem Leichensteine
Mit jungen Myrthenreisern zu.
Die Palmen liegen da.
Da Capo.
Recitat.

Du aber, jezt mein ander Leben,
Mein Licht, mein Daphnis und mein Trost,
Dem mich des Himmels Hand gegeben,
Mit der dein Wuntsch gelost,
Mein Daphnis, nimm aufs neu
Die ersten Zeichen meiner Treu,
Den Blick, den Seufzer und den Kuß,
Und gieb mir vor mein Wittwenkleid
Den Brautrock der Beständigkeit,
Die uns das Leichentuch zum Voraus weben muß.
Aria.

Bis mich Erd und Sarg umgiebet,
Will ich dir nach Wincken thun,
Und so gern ich sonst verblichen,
Als mein erster Schaz entwichen,
Ach, so gerne leb ich nun,
Weil mich Daphnis küst und liebet.
Die Palmen liegen da.
Da Capo.

Aria.

Daphnis.

Bis mich Staub und Moder decken,
Ehr ich den vergnügten Schluß.
Euphrosynens Treu und Scherzen
[252]
Baut ein Paradies im Herzen,
Und im Alter soll ihr Kuß
Mir so gut als jezo schmecken.
Die Palmen liegen da.
Da Capo.
Euphrosyne und Daphnis.

So paart unsre Neigung das zeitliche Glücke.
Spes.

Mein Ancker befestigt den ewigen Bund.
Fides.

Mein Taubenherz kirret so Herzen als Mund.
Charitas.

Mein Feuer ernähret die kräftigen Blicke.
Charitas, Fides und Spes.

Sieh, fröhlicher Bräutgam, wie schön es sich schickt,
Was Asmann verwundet, muß Asmann jezt heilen;
Geht, last euch die Eintracht den Seegen ertheilen,
Der keusche Gemüther mit Wollust erquickt!

Der annotierte Datenbestand der Digitalen Bibliothek inklusive Metadaten sowie davon einzeln zugängliche Teile sind eine Abwandlung des Datenbestandes von www.editura.de durch TextGrid und werden unter der Lizenz Creative Commons Namensnennung 3.0 Deutschland Lizenz (by-Nennung TextGrid, www.editura.de) veröffentlicht. Die Lizenz bezieht sich nicht auf die der Annotation zu Grunde liegenden allgemeinfreien Texte (Siehe auch Punkt 2 der Lizenzbestimmungen).

Lizenzvertrag

Eine vereinfachte Zusammenfassung des rechtsverbindlichen Lizenzvertrages in allgemeinverständlicher Sprache

Hinweise zur Lizenz und zur Digitalen Bibliothek


Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2012). Günther, Johann Christian. Gedichte. Gedichte. Lob- und Strafschriften. Jauer Frühling 1721 - Oberleipe Anfang Oktober 1721. [Weil ich noch die Augen habe]. [Weil ich noch die Augen habe]. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-2155-0