[153] Als er ohngefehr auf dem Kirchhofe mit seiner Leonore zusammenkam

Der Mittag brannte scharf, als Philimen spazierte
Und Leib und Herz voll Glut, das Haupt voll Kummer führte
Und, weil die Mattigkeit der Angst zu Hülfe kam,
Den erst- und besten Weg zur Ruh im Schatten nahm.
Dies war die Einsamkeit der grünen Kirchhofslinden,
Sonst war auch in der Näh kein Aufenthalt zu finden.
Hier lies er seinen Gram bey Gräbern, Asch und Graus
Mit aufgestüztem Arm und naßen Seufzern aus.
Die bange Nachbarschaft empfing die schweren Lieder
Und gab sie so, wie folgt, aus hundert Grüften wieder:
Verhängnüß, schencke mir Erbarmung oder Tod.
Verdient mein treuer Sinn dergleichen harte Noth,
Und ist es dir ein Ruhm, die Liebe so zu quälen?
Du läst sich Baum und Vieh nach Wuntsch und Lust vermehlen,
Der Mensch, der arme Mensch soll einzig und allein
Aus abergläubscher Furcht ein blöder Sclave seyn.
Du kennst die fromme Brust der weisen Philidoren,
Sie hält sich blos vor mich und mich vor sie gebohren;
Du kennst auch dies mein Herz und weist, daß deßen Treu
Ihr jederzeit geweiht und dir gehorsam sey,
Und gleichwohl marterst du die unverfälschten Flammen,
Und gleichwohl läst dein Neid uns gar so karg zusammen.
Ich leid es mit Gedult, wenn Glück und Hofnung bricht;
Ach, martre nur mein Herz mit ihrer Trennung nicht.
Es sind, du weist es wohl, fast mehr als sieben Wochen,
Seitdem wir uns bereits nicht mehr vertraut gesprochen,
Seitdem mein dürrer Mund den reinen Kuß entbehrt
Und Sehnsucht und Verdruß mein trocknes Marck verzehrt.
Wir sind in einer Stadt, ja gar in einer Mauren,
Jedoch weil Haß und Neid auf unsern Umgang lauren,
So sind wir halb entfernt. Dies ist ein härtrer Stand,
Als wär sie in Stockholm und ich in Morgenland.
Kein Zufall will sich noch in unsre Wüntsche schicken,
Die Mutter hütet sie mit viel Verfolgungsblicken,
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Kein Fenster und kein Spalt, kein Winckel, keine List
Ergözt mich nur mit dem, was doch noch wenig ist.
Ja, wenn ein einzler Druck die Hand vergnügen möchte,
Ja, wenn mir nur ein Blat verstohlne Nachricht brächte,
So hält ich etwas Trost und so behülf ich mich
In Hofnung beßrer Zeit. Verhängnüß, beßre dich
Und liefre mir mein Kind nur einmahl in die Armen.
Verdien ich auch gleich nicht ein gütiges Erbarmen,
O so verdient es wohl die Länge meiner Qual.
Ich sterbe schon vor Angst des Tages tausendmahl
Und hab ohn ihre Gunst kein ander Glück auf Erden,
Als daß ich hofen kan, gar bald verscharrt zu werden.
Du weist, ich habe noch dein Blizen nicht verklagt;
So scharf mich auch dein Zorn und deßen Würckung plagt,
So viel ich darben muß, so oft ich schwiz und friere,
So viel ich Ungemach, so wenig Trost ich spüre,
Bleibt Philidore mein, so hab ich, was ich will,
Und bin, so scharf du zürnst, in allen Wettern still.
Gedenckstu mich vielleicht mit Härt und Schlag zu zwingen
Und wiltu mich sogar um ihre Liebe bringen,
So wie du mich bereits um Glück und Ruhm gebracht,
So weit erstreckt sich nicht die Herrschaft deiner Macht.
Du magst auch, denckstu dich des Sieges nicht zu schämen,
Mir, dem du alles nimmst, das Leben vollends nehmen,
Ich geb es willig hin, du bringst es nicht dazu,
Daß ihr mein Unbestand Gewalt und Unrecht thu
Und daß – Hier nahm sein Schmerz ein schön und plözlich Ende,
Indem ein sanfter Druck zwo unversehner Hände
Ihm, deßen Herz dabey so Furcht als Hofnung fand,
Mit zärtlich starcker List das Antliz rückwärts band.
Er fühlte kaum die Haut, so ward der Gram geringer.
O drückt nur, fing er an, ihr allerliebsten Finger,
Ich kenn euch gar zu gut, auch bey des Auges Nacht,
Wodurch ihr mir anjezt den Himmel heiter macht;
Befreyt nur mein Gesicht und last euch danckbar küßen. –
Er schwieg und ward sogleich von Philidorens Grüßen
Mit größrer Freud umringt, als wenn das gröste Land
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Ihm jezo Stimm und Wahl zur Crone zugesand.
Er schwieg, sie weint' und sprach: So müßen uns, mein Leben,
Die Gräber Sicherheit, die Todten Zuflucht geben;
Sonst ist kein Ort vor uns so heimlich und versteckt,
An dem die Tadelsucht nicht unsern Scherz entdeckt.
Der Kirchhof nimmt uns ein und stillt mein heiß Verlangen,
Dich, eh du reisen solt, noch einmahl zu umfangen.
Wie hab ich mich gesehnt, wie hab ich nicht so oft
Bey Nebel und bey Nacht auf diese Lust gehoft!
Jezt hat sich gleich mein Fuß den Wächtern weggestohlen,
Um bey der Eltern Grab betrübten Trost zu holen.
Ich war kaum angelangt, so traf ich dein Gesicht;
Ich dacht, es scheuchte mich, und traut und traut auch nicht.
Doch Liebe wehrt der Furcht, ich schlich dir nach dem Rücken
Und sah dich westwärts zu betrübt gen Himmel blicken;
Ich hört auch, wie dein Mund, der mir das Herze brach,
Von meiner Redligkeit so vortheilhaftig sprach.
Ach Kind, ach liebstes Kind, womit vergelt ich's wieder? –
Und damit sanck ihr Arm auf meiner Achsel nieder,
Und damit lag zugleich ihr Haupt in meiner Schoos.
Der Zephyr riß vor Neid den halben Busen blos,
Wo Philimen sogleich, so weit sie ihm erlaubte,
Der Schönheit Rosenknopf mit sanften Fingern schraubte.
Bey dieser stillen Lust, die beiden gleich gefiel,
Erzehlte Philimen, wie heftig und wie viel
Sein längst geübter Geist gewüntscht, gehoft, gelidten,
Wie giftig ihn der Neid bey aller Welt verschnidten,
Und wenn er dann und wann die Lippen zugethan,
So küst er sie einmahl und fing von neuem an:
Betrachte dieses Feld, den Schauplaz kalter Leichen;
Hier triumphiert der Tod, hier stehn die Siegeszeichen
Der starcken Eitelkeit, hier siehstu, liebstes Kind,
Was Hoheit, Wiz und Pracht und was wir Menschen sind.
Den Pöbel schröckt der Ort mit Knochen, Furcht und Särgen,
Uns aber muß er jezt mit Lust und Trost verbergen;
Ja, was noch größer scheint, so muß ein jeder Stein
Und deßen grünes Moos uns statt der Warnung seyn:
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Ihr Menschen, fangt die Zeit, bedient euch eurer Jahre
Und nehmt den Frühling mit! So weckt uns selbst die Baare,
Die andre traurig macht, so führt sie uns zur Lust.
Die Predigt, so ich thu, kömmt nicht aus geiler Brust,
Ich reize deinen Sinn zu keiner frechen Sünde,
Ich sag es, weil ich dich vor treu und klug befinde
Und will, daß auch dein Herz, so ich an Ketten zieh,
Die liederliche Zunft verwegner Dirnen flieh;
Doch darum ist der Scherz der Jugend nicht verbothen.
Ich schwöre bey der Ruh und Seeligkeit der Todten:
Sind Herzen reicher Treu vernünftig, zart und rein
Und stimmt Gemüth und Mund nach Überlegung ein,
So ist der Kuß erlaubt, so mag der Glieder Spielen
Ohn alle Sünd und Schuld der Seelen Bündnüß fühlen.
Bedenckstu dies nur recht, so wirstu mich verstehn,
Ich will dir nicht gesund von dieser Stelle gehn,
Wofern dich nicht mein Ernst auf ewig auserwehlet.
Ich habe dich geprüft, verachtet und gequälet
Und überall versucht; dein Wesen steht mir an,
Und Lorchen ist allein, was Günthern halten kan.
Verdien ich nun dein Herz, so schwör und bleib mein Eigen
Und nimm mit mir vorlieb und las das Unglück steigen
Und halt, ich geh dir vor, in allen Wettern still;
Es geh auch, wie es geh, und komme, wie es will,
So kommt es uns zur Lust. Denn wenn wir ehrlich lieben,
So kan uns auf der Welt nichts als der Tod betrüben.
Erinnre dich der Zeit, worin ich dich bedient;
Denn daß dein schöner Kranz noch ohne Flecken grünt,
Dein Leib nicht Würmer speist, dein Ruhm den Neid vernichtet,
Wer hat es sonst als Gott und ich durch ihn verrichtet?
Ich rück es dir nicht vor, ich sez es darum hin,
Damit man glaub und seh, daß ich dein Liebster bin.
Jezt weis ich freylich nicht, wie lang ich hier noch bleibe,
Noch wo mich Glück und Wind in kurzem hin vertreibe;
Und darum sey es dir hiermit vorausgesagt:
Bleib, wie du jezo bist, und wenn dich alles plagt,
So denck an Gott und mich und an mein Wiederkommen.
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Ich werde, wenn mein Fleiß an Wachsthum zugenommen,
Dein Glücke mit erhöhn. Nichts nimmt man von der Welt,
Als was genoßen ist und was man bald erhält.
Wir wollen unsern Lauf in süßer Ruh vollbringen;
Auch dein Gedächtnüßmahl soll Zeit und Tod bezwingen,
Und Lorchens Nahme wird in meinen Büchern blühn,
So lange Kunst und Fleiß noch einen Dichter ziehn.
Ich will den Pleißenstrand um deine Lieb erheben,
Ich will dem Rosenthal des Pindus Ehre geben,
Nachdem mir sein Revier als deine Vaterstadt
Den besten Schaz der Welt an dir gegeben hat.
Veraltet dein Gesicht und werd ich auch zum Greisen,
So will ich doch dein Kind, du solst mein Mägdgen heißen.
So lebt es sich vergnügt, so stirbt sich's friedenvoll.
Ach Lorchen, daß ich nicht mit dir erblaßen soll!
Kan noch ein treues Flehn des Himmels Schluß gewinnen,
So reißt ein Augenblick uns ganz gewis von hinnen;
Denn gleiche Lieb und Lust begehrt auch gleichen Fall.
Wo du nicht bey mir bist, da sterb ich überall. –
Damit schloß Philimen mit Küßen und Verlangen,
Das Zeugnüß gleicher Gunst begierig zu empfangen.
Sie drückt' ihn scharf und fest an Armen, Brust und Mund,
Der tausend Seufzer lies und voller Sehnsucht stund,
Und sprach: Ich bin zu schwach, mich weiter zu erklären,
Die Zunge kan nicht fort, drum reden Blick und Zähren,
Selbst Silben sind genug: Du lebst und stirbst in mir.
Ach, sagte Philimen, was wollt ich mehr von dir?
Und damit sezten sich die zwey vertrauten Herzen,
Besahen Schrift und Grab mit untermengten Scherzen,
Erzehlten ihren Gram den Bäumen und der Luft
Und kamen ohngefehr zu jener düstern Gruft,
Worein der Schickung Grimm in viermahl sieben Tagen
Ein jung und treues Herz dem andern nachgetragen.
Der Stein gab den Bericht: Mein Pilger steh und lis:
Die Sonne dieser Welt lidt hier die Finsternüß;
Das ist: Die schönste Braut von Geist- und Leibesgaben,
Die edle Kunauin ward hier zu früh begraben.
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Ihr Conrad, dem sie schon ihr ganzes Herz geweiht,
Gerieth dadurch in Gram und folgt' in kurzer Zeit.
Ihr Männer, seyd vergnügt; denn euer Ruhm und Liebe
Besiegt jezt, wie ihr seht, des Frauenzimmers Triebe. –
Hier scherzte Philimen und sprach: Da sieh, mein Licht,
Wie dieses Beyspiel uns des Vorzugs Lorbeer flicht. –
Ja, sprach sie, stirbt mein Kind zuerst an unsern Ketten,
So will ich mein Geschlecht durch größre Tugend retten:
Ich wüntschte mir hernach der Jahre Zahl vermehrt,
Daß, wenn mein Wittwenstand dich in der Aschen ehrt,
Die Größe meiner Treu dich länger klagen könne;
Und daß ich dir vor mir den Abschied willig gönne,
Das ist ein Liebeszug und zeigt die Regung an,
Durch die ich mich um dich zu Tode weinen kan. –
Ihr Mund beschloß dies Wort mit Nachdruck und mit Küßen,
Und beide fuhren fort, den Abend zu genießen,
Bis daß die Dämmerung mit Macht darzwischen kam
Und dies verliebte Paar den Weg nach Hause nahm.

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Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2012). Günther, Johann Christian. Gedichte. Gedichte. Liebesgedichte und Studentenlieder. Leonore .... Als er mit seiner Leonore zusammenkam. Als er mit seiner Leonore zusammenkam. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-21A0-6