[98] Als er sein festes Vertrauen auf Gott sezte

Ich weis, Gott wird uns nicht verlaßen,
Vertrau ihm nur, besorgter Geist,
Und lerne dich geduldig faßen,
So scharf auch das Verhängnüß schmeist.
Bekenn, Gott rettet auch die Sünder
Und hebet die gefallnen Kinder
Aus mütterlicher Regung auf.
Ach winck ihm nur mit Herz und Armen
Und locke sein getreu Erbarmen,
Er kommt dir selber in den Lauf.
Du hast die Strafe längst verschuldet
Und bist der Langmuth nicht mehr werth,
Die unsre Mißethaten duldet
Und zur Bekehrung Zeit gewährt.
Wie oft hat nicht dein leicht Gemüthe
Das Ohr der allerhöchsten Güte
Geteuscht, betrogen und geplagt
Und, wenn die Sünden Noth gebahren,
Aus blöder Furcht von Jahr zu Jahren
Die Beßrung fälschlich zugesagt.
Thu einmal, was du stets beschloßen,
Und zwing Gewohnheit, Fleisch und Blut.
Die Boßheit scherzt nicht ungenoßen,
Es kommt ein Tag voll Zorn und Glut.
Der Tod hat tausend Pfeil und Stricke,
An einem einzeln Augenblicke
Hängt unser ewig Wohl und Weh.
Es ist noch Zeit; ach lauf und eile
Und greif nach angebothnem Heile,
Eh deßen Gnade weitergeh.
Wie können doch die eitlen Sachen,
Die wilde Lust, die Pracht der Welt,
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Dich gar so blind und hizig machen,
Da doch ihr Schein wie Glas zerfällt!
Der Eckel kommt von geilen Küßen,
Die Ehrsucht füllt ihr weit Gewißen
Mit später Reu, die Hand mit Wind;
Das Schröcken wacht bey großen Schäzen,
Die wir mit Schweiß so lange nezen,
Bis Feind und Dieb die Frucht gewinnt.
Man lacht der Kinder in Gedancken,
Die leichte Kartenhäuser baun,
Um Nadeln, Schilf und Steinchen zancken
Und allem, was nur schmeichelt, traun;
Doch sind wir Alten wohl viel klüger?
Wir sehn die listigsten Betrieger
Zum öftern vor Propheten an.
In Moden sind wir wie die Afen
Und machen uns so viel zu schafen,
Und endlich ist doch nichts gethan.
Was hilft das aufgeblasne Wißen,
Womit der Schulen Hochmuth prahlt,
Der, wenn er Bauch und Kopf zerrißen,
Sein Volck mit Staub und Schimpf bezahlt?
Wir wollen täglich mehr erfinden,
Den Abgrund der Natur ergründen
Und ihr zu Troze Wunder thun;
Und wenn wir alles ausgemeßen,
Ist doch der Plaz zulezt vergeßen,
Nach aller Arbeit auszuruhn.
Gott Lob, mein Geist, wir sind entgangen
Und sehn ein höher Weißheitslicht.
Der Himmel stärcke dies Verlangen
Und hemme, was den Vorsaz bricht,
Wir sehn das Paradies auf Erden,
Man kann von nun an seelig werden.
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Und wie? Durch wahre Seelenruh.
Wo läst sich dieses Kleinod finden?
Verlas nur gleich die Bahn der Sünden
Und eile nach der Tugend zu.
Die Tugend ist ein Kind vom Glauben,
Mit der sich die Erkäntnüß paart,
Sie läst uns nicht die Hofnung rauben,
Die unser höchstes Gut bewahrt,
Das heist, wenn unsre Gegenliebe
Mit rein- und unverfälschtem Triebe
Des Schöpfers Güt erkennt und ehrt
Und wenn man blos aus Lust, den Willen
Der höchsten Weißheit zu erfüllen,
Der Menschen Wohl nach Kräften mehrt.
Mein Heiland, hilf das Werck vollbringen,
Wornach mein Sehnsuchtszunder glimmt,
Und las mir keinen Wuntsch gelingen,
Als der mit deinem Worte stimmt.
Dein Joch ist eine süße Bürde
Und giebt allein die Freyheitswürde
Dem, den dein Creuzzug edel macht.
Ich komme mit erfreutem Rücken,
Mich unter deiner Last zu bücken,
So höhnisch es die Welt verlacht.
Die Demuth und dein ganzes Leben
Soll meines Wandels Richtschnur seyn.
Tritt ja die Schwachheit oft darneben,
Wirst du mir neue Kraft verleihn.
Verdammt mich derer Fluch und Lehren,
Die mehr in deiner Kirchen stören
Als durch ihr Schulgeschweze baun,
So läst dein Vorspruch und Erbarmen,
Du Heil der Welt und Schuz der Armen,
Mich doch ein holdes Antlitz schaun.
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Mein Unrecht hat wie jene Brüder
Auch dir, mein Joseph, Leid gethan;
Nun fall ich auch wie sie darnieder
Und klage mich erröthet an.
Du köntest alles mächtig rächen,
Allein du strafest mein Verbrechen
Durch Mitleid über meine Noth.
Du weinest nebst dem Liebeskuße
Vor Freuden über meiner Buße;
Wie glücklich war anjezt mein Tod!
Ihr wilden Jahre, flieht zurücke
Und nehmt die Jugendsünden mit,
Auf daß sie nicht der Tag erblicke,
Wenn alle Welt zusammentritt.
Gott selbst wird euer Angedencken
Von nun an in das Meer versencken,
Er macht mich durch sein Kind gerecht.
Was wilstu mehr, besorgtes Herze?
Nun faße dich in allem Schmerze
Und leb auf Hofnung arm und schlecht.

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Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2012). Günther, Johann Christian. Gedichte. Gedichte. Klagelieder und geistliche Gedichte. Striegau - Schweidnitz 24. September 1719 - Lauban Ende Juli 1720. Als er sein festes Vertrauen auf Gott sezte. Als er sein festes Vertrauen auf Gott sezte. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-2391-5