[34] Lezte Gedancken

Nun empfind ich's endlich auch, was Verdruß und Arbeit können
Und wie zeitig Creuz und Gram unsrer Jugend Marck verbrennen:
Kraft und Blut und Geister schwinden, Aug und Feuer löschen aus,
Und des Leibes schwache Säulen tragen kaum ihr morsches Haus.
Also schlies ich meinen Tod aus den innerlichen Zeichen
Und so mach ich mich gefast, ihm getrost die Hand zu reichen,
Nicht aus Ungedult im Jammer, sondern mit Gelaßenheit,
Weil mich dies die Weißheit lehret, jenes die Vernunft verbeuth.
Mancher, deßen Eigensinn Gottes Allmacht schlecht betrachtet
Und den schönen Erdenkreiß vor ein Haus voll Kummer achtet,
Flucht dem eiteln Jammerthale, wie er dieses Ganze nennt,
Und erwarthet kaum die Stunde, welche Leib und Seele trennt,
Da hingegen manches Herz, wenn sich nur ein Fieber wittert,
Vor Erschröcken schlägt und bebt und aus Unmuth zagt und zittert
Und, sobald des Arztes Zweifel neben ihm die Achsel zückt,
Mit entsezlichem Geheule Lager, Haupt und Hals verrückt.
Beide, wo ich's sagen darf, handeln als verblendte Thoren,
Denn der Lezte sinnt nicht nach, daß ihn Fleisch und Blut gebohren,
Und der Erste sollte wißen, daß der Eitelkeiten Weh,
Die er am Geschöpfe tadelt, blos in seinem Kopfe steh.
Freylich ist's ein harter Stoß und ein Kelch voll Myrrh- und Gallen,
Wenn ein junger Baum verdorrt und die ersten Blüthen fallen;
Freylich braucht es tapfre Füße, sonder Gram dahin zu gehn,
Wo die Träger unser warthen und die Baaren fertig stehn.
Doch da Schickung und Gewalt keinem etwas Neues machen
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Und das alte Muß erklingt, nehm ich unter Scherz und Lachen
Meinen Abschied von der Erde, wie ein Gast bey später Zeit
Lustig von dem Schmause wandert und noch mancher Jauchzer schreyt.
Könt ich leben, nähm ich's mit; muß ich fort, ich bin's zufrieden.
Diesen Nothzwang leid ich gern, weil ihn die Natur beschieden.
Nach der Neigung dieser Mutter lenckt sich mein gesezter Geist,
Der die Ordnung aller Dinge seines Willens Richtschnur heist.
Weil ich aber doch nicht weis, welche Stunde mich entrücke,
Brauch ich die Gelegenheit und das säumende Geschicke
Und entwerfe die Gedancken, die vielleicht ein Leser liebt,
Weil mir Redligkeit und Liebe alles in die Feder giebt.
Erstlich zeug ich von mir selbst auf mein gut und rein Gewißen,
Daß ich mich nach Mögligkeit meiner Pflicht gemäß beflißen,
Gott zu kennen und zu ehren, meinem Nechsten wohlzuthun,
Dann auch selbst in meinem Herzen in Vergnügligkeit zu ruhn.
Falschheit, Boßheit, List, Betrug hast ich als die ärgsten Schlangen,
Und worinnen sich mein Fuß irgend hier und dar vergangen,
War ein allgemeines Straucheln, und den Fehltritt, so ich that,
Sah ich kaum so schnell und plözlich, als ich um Vergebung bat.
Das, worauf mein Ruhm noch trozt, ist ein ehrliches Gemüthe.
Diesen Adel, diesen Schaz kriegt ich von des Himmels Güte
Mit dem Blute deutscher Eltern; dieses ward so gut gemengt,
Daß mein leicht versöhnlich Herze keinem was zu schaden denckt.
Lieb und Lust zur Wißenschaft trieb mich von den Kindheitsjahren
Bis auf diesen Augenblick, stets was Höhers zu erfahren;
Und ich kan mich noch erinnern, daß ich schon ums zehnte Jahr
Um die Würckung meiner Seele vor der Zeit bekümmert war.
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Sonderlich ergözt ich mich an Natur- und Weltgeschichten,
Aber noch weit eifriger fühlt ich einen Trieb zum Dichten,
Daß auch weder Ernst noch Zuruf, ja wohl gar kein Prügel galt,
Wenn mein Vater auf die Arbeit dieser leeren Brodtkunst schalt.
Mit der Jugend wuchs die Lust zu den holden Piërinnen,
Und am deutschen Helicon wollt ich noch wohl Plaz gewinnen,
Würde nur nicht Fleiß und Fortgang mir so zeitig abgekürzt
Und mein Alter vor den Jahren ins Vergeßungsbuch gestürzt.
Doch wie kan es anders seyn? Mein Verhängnüß und mein Leiden
Bringen mich um Glück und Hals. (Ich beklage mich bescheiden.)
Was mein Herz und Leib gelidten, ist nur jenem recht bekand,
Der mich etwa nur zur Plage in dies Marterhaus gesand.
Unruh, Kälte, Hiz und Durst, Hunger, Elend, Armuth, Blöße,
Schande, Misgunst, Ärgernüß, Kranckheit und Verfolgungsstöße,
Fälschliche Beschuldigungen, blinder Eifer, Elternhaß
Und verlogne Freundschaftsmäuler, o wie schmerzlich peinigt das!
Du im Himmel weist es wohl, denn kein Mitleid wohnt auf Erden;
Jezo braucht ich's auch nicht mehr, da die Menge der Beschwerden
Mit der morschen Hütte sincket, den gefangnen Geist erlöst
Und ihn aus dem Sclavenhause in das Land der Freyheit stößt.
Mein Gehorsam opfert dir, dir mein Vater, diese Lieder,
Ja, er wirft sich jezo selbst zwischen Lieb und Ehrfurcht nieder
Und erkennt die treuen Sorgen und erwegt den treuen Fleiß,
Weil er, wo dir die nichts taugen, sonst mit nichts zu lohnen weis.
Arme Mutter, die du jezt mein entferntes Grab bethränest
Und vielleicht den krancken Leib auch schon an die Baare lehnest.
Nimm samt meiner lieben Schwester eine kurze gute Nacht,
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Weil die Wehmuth des Gemüthes Reim und Kiel zu Schanden macht.
Euch, ihr Lehrer, gilt es auch, so wie allen Mäcenaten,
Die mir jemahls wohl gethan, die mir etwas Guts gerathen.
Milich ist der gröste Nahme, deßen rein- und theures Gold
Ihr veränderlichen Zeiten hier auf ewig schonen sollt.
Glaubt, ihr Freunde guter Art, glaubt, ihr alten Schulgesellen,
Daß mir fast vor Herzeleid Brust und Mund und Auge schwellen,
Da ich den gelehrten Umgang (o empfindlicher Verdruß!)
Eurer mir geneigten Seelen schon so früh verlieren muß.
Deckt die leichten Fehler zu, die ich noch wohl beßern könte,
Wenn mir nur des Himmels Gunst eine längre Frist vergönnte.
Doch erlaubt mir nur den Tittel, daß ich, weil ich hier gelebt,
Sonder Eigennuz und Blendwerck aller Warheit nachgestrebt.
Sollt auch einer unter euch um mein Grabmahl Kräuter lesen,
O so wüntsch er mir dabey ein geruhiges Verwesen
Und erinnre seinen Nachbar: Hier schlief unser Bruder ein,
Der uns oftermahls ermahnte: Brüder, last uns lustig seyn!
Du mein andrer Pylades, du mein Pfeifer, wollt ich sagen,
Machst mir noch das Sterben schwer, das ich sonst so leicht ertragen;
Das Verhängnüß, dich zu laßen, ist mein allerschärfster Streich,
Und ich nennt es gar die Hölle, wüst ich nicht ein Himmelreich.
Unsrer Freundschaft edles Band knüpfte Kunst und Fleiß zusammen;
Muß ich auch gleich Leipzig sonst als mein Jammerthal verdammen,
O so muß ich ihm doch dancken, da ich beßer nachgedacht,
Weil es mir in seinen Mauren deine Liebe zugebracht.
Dencke, bitt ich, dann und wann an die wohlverbrachten Nächte,
(Daß mir doch die Todesnacht auch so süße werden möchte!)
Denck an unser kluges Scherzen, denck an unsre kurze Zeit,
Die wir den verstohlnen Küßen, doch mit Unschuld, eingeweiht.
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David schied von Jonathan und beschenckt' ihn mit den Wafen;
Soll ich dir, mein Jonathan, auch ein treues Denckmahl schafen,
So empfang die beste Regel, die uns Glück und Heil gebiehrt:
Wohl dem Menschen, deßen Weißheit Höll und Furcht gefangen führt!
Allerliebstes Vaterland, Günther wird nicht wieder kommen.
Da ihn nun ein fremdes Grab aller Noth und Last entnommen,
Danck ich deinen schönen Gränzen vor das erst gegebne Licht,
Das sich allgemach verzehret und mir schon im Auge bricht.
Jezo werd ich dort nicht mehr die vergnügten Saythen stimmen,
Noch in Filindrenens Schoos den erhizten Nacken krümmen,
Noch an jenem Teiche schlafen, wo das Ufer oftmahls sprang,
Wenn ich auf der Hirtenflöthe meines Mägdgens Haar besang.
Schwerd und Hunger, Brand und Pest weich aus deinen Lustgefilden,
Und der Seegen träncke dich, Edens Anmuth abzubilden.
Wachs und blüh an Volck und Glücke unter Österreichs Gewalt,
Deßen Stammhaus Kayser gebe, bis die lezte Stimme schallt?
Alles, was mich je geliebt, unterrichtet und gepriesen,
Was mir Trost und Rath ertheilt, was mir Höfligkeit erwiesen,
Was mir eine Handvoll Waßer und ein Stücke Brodt verliehn,
Deßen rühmliches Geschlechte müß in tausend Gliedern blühn.
Wem ich etwan aus Versehn bis daher zu nah getreten,
Dieser glaube, durch dies Blat sey ihm alles abgebethen.
Wem ich Ärgernüß gegeben oder sonst nichts Guts erzeigt,
Bleibe dennoch meiner Asche aus Versöhnligkeit geneigt.
Doch genug, die Stunde kommt, und der Seiger läuft zum Ende.
Warthe doch noch, liebster Tod, da ich mich zur Seiten wende,
Las den Schatten an dem Zeiger einen Grad zurücke gehn
Und die Sonne meines Lebens nur noch etwas stille stehn.
Denn ich muß mich allerdings, eh mir Herz und Augen brechen,
An der liederlichen Schaar meiner wilden Feinde rächen.
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Tretet her, ihr frechen Spötter, höre, du erhizter Schwarm,
Jezo streck ich meinen Eifer wider deinen stolzen Arm.
Der, so allen Hochmuth stürzt, fluche deinen bösen Sitten,
Die so wohl mein Ehrenkleid als mein Glück und Wohl beschnidten;
Er erleuchte deine Thorheit und bekehre deine List,
Die so schädlich als verborgen und so böß als höflich ist.
Hör, ich fluche deiner Wut mit Gedult und Wuntsch und Seegen,
Unglück beßre deinen Sinn, Kummer zieh dich von den Wegen,
Die dich zum Verderben führen, und die Noth, so mich gedrängt,
Dränge dich von allen Seiten, bis sie dich zum Himmel lenckt.
Wo verbleibt das Testament? Gut, ich theile meine Sachen.
Läst mich gleich die Dürftigkeit keinen großen Schaz vermachen,
So besiz ich doch noch manches, deßen rein- und frommer Werth
Meinen guten Willen zeiget und in aller Welt erklärt.
Meinen Leichnahm mag der Sand, meinen Fleiß die Faulheit faßen,
Meine Fehler will ich gern der Vergeßung überlaßen,
Meine Thränen nimmt die Buße, meine Drangsahl die Gedult,
Meine Sünden die Erbarmung, mein Gebeth des Heilands Huld.
Die geheime Liebeskunst, so ich ziemlich ausstudiret
Und, verböth es nicht die Zeit, einst in Deutschland aufgeführet,
Schenck ich dem geschickten Kopfe, der nach mir die Lauthenimmt
Und sie mit gelehrten Grifen nach der griechschen Cither stimmt.
Ihr, o Schönen dieser Zeit, ihr galanten Schäferinnen,
Anders hab ich nichts vor euch, nehmt den besten meiner Sinnen,
Nehmt das zärtliche Gefühle und die treue Redligkeit,
Die ich nechst in unsern Linden Leonilden eingeweiht.
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Was ich noch erinnern will, ist das grünende Gerüchte
Meiner in der Jugendzeit schlecht verfertigten Gedichte.
Doch ich seh, sie sind nicht würdig, Glut und Untergang zu fliehn.
Warum hastu, karger Himmel, mir nicht beßre Ruh verliehn?
Doch, gelehrter Brandenburg, spricht dein Urtheil was gelinder,
O so sammle, wo du kanst, die zerstreuten Musenkinder.
Du verdienst dir, wie ich hofe, an der unerzognen Schaar
Dieser vaterlosen Waisen ein gewißes Danckaltar.
Ewas drückt mir noch das Herz, daß ich jezo doch nicht wüste,
Daß die Liebe, wenn sie trennt, gar zu heftig plagen müste.
Komm, du Liebste meines Herzens, schau, es geht zur lezten Ruh,
Komm und drücke, schönste Seele, mir nur noch die Augen zu.
Ich gesteh es ofenbahr in dem Antliz aller Zeiten:
Seit mich deine Tugenden in den Liebesseilen leiten,
Hab ich in der That erfahren, daß Verfolgung kluger Treu
Bey den halbverstohlnen Küßen starcker Lebensbalsam sey.
Brich mir jezt den Hofnungsstab, reiß den Myrthenkranz in Stücke,
Halt den zugesagten Ring und beweine das Geschicke
Und gedenck an deinen Dichter, der dich mit Gefahr geliebt
Und dir jezt die kalten Thränen, den betrübten Brautschmuck, giebt.
Glaub es, Kind, der süße Trieb, der in mir dein Bild erlesen,
Ist kein kindisches Vergehn oder flatterhaftes Wesen.
Dein Verstand zieht kluge Seelen und entschuldigt meine Brunst.
O was braucht es, dich zu laßen, vor so große Sterbenskunst!
Gute Nacht vor dieses Mahl. Auf den Eliseerfeldern
Will ich, bis du nach mir kommst, unter Palm- und Lorbeerwäldern
Deines hellen Anblicks warthen und, sobald nur dies geschehn,
Meine Seeligkeit vollkommen, meine Flammen ewig sehn.
O was werden wir alsdenn vor Ergözligkeit erfahren,
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Wenn wir uns mit jener Zahl der verliebten Dichter paaren,
Wenn dir dort die schöne Laura, gleich wie mir Petrarch, erzehlt,
Wie sie beiderseits ihr Scheiden in der Eitelkeit gequält.
Welch bethörtes Fabelwerck treibt mich in den lezten Zügen?
Nein, mein Kind, wir finden dort noch ein gründlicher Vergnügen.
Davids Saythen, Assaphs Harfe und die schöne Sulamith
Rufen uns nach Zions Bergen, wo man Sarons Rosen tritt.
So ein ungezehltes Heer von des Allerhöchsten Knechten,
So viel tausend Heilige, so viel Seelen der Gerechten
Werden uns Gesellschaft leisten und nach überstandner Pein
Vor des Lammes Gnadenstuhle lauter Jubelchöre schreyn.
Seele, fort, du hast nun Zeit, deinen Frieden zu bedencken;
Aber welch ein Zweifelmuth mehrt dein innerliches Kräncken?
Wirstu durch dies Ganze wandern? Bistu etwas oder nichts?
Oder ein getrennter Funcke von dem Wesen jenes Lichts?
Las den Kummer, er bethört. Geh am sichersten und glaube
Deines Wesens Ewigkeit. Mach es wie die Turteltaube,
Fleuch vor Angst und Sturm und Wetter aufs Gebürge Golgatha,
Fleuch und suche sichre Rizen, denn der Räuber ist dir nah.
Du gecreuzigte Gedult, die du leidest und doch schweigest,
Und so viel du Grausamkeit auch Erbarmungszeichen zeugest,
Du mein gütiger Erlöser, Heil der Welt und Lebensfürst,
Der du erst mein Mittler worden und dereinst mein Richter wirst,
Ich ergreife dein Verdienst, ich vertraue deinen Wunden,
Hat doch auch des Schächers Herz Ruh in dieser Freystatt funden,
Ich gesteh, ich bin ein Sünder, doch du bist auch Gottes Sohn,
Und verspreche mir das Leben so gewis, als hätt ich's schon.
Lebe wohl, bethörte Welt, leb, ich wüntsche dir's zum Poßen,
Ob ich gleich in dir bisher wenig gute Zeit genoßen.
Auf dem Schauplaz deiner Erde stellt ich einen Jüngling vor,
Der vorher nicht viel beseßen und doch täglich mehr verlor.
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Hat sich etwa noch dein Zorn nicht genug an mir gerochen,
O so sättige dein Maul mit den abgefleischten Knochen.
Dieses Spiel mit meinem Cörper gönn ich dir zur Danckbarkeit,
Weil du mich durch so viel Stöße einmahl aller Last befreyt.

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TextGrid Repository (2012). Günther, Johann Christian. Gedichte. Gedichte. Klagelieder und geistliche Gedichte. Wittenberg November 1715 - Dresden 2. September 1719. Lezte Gedancken. Lezte Gedancken. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-2434-D