[155] An sein Vaterland

So lebe wohl mit allen Spöttern,
Du ehmahls werthes Vaterland.
Du trozest bey so nahen Wettern,
Ich wüntsche dir nur auch Bestand.
Was hat dir wohl mein Geist zu dancken?
Verfolgung, Schande, Neid und Zancken
Und Freunde, die kein Flehn gewinnt.
Ja, müst ich heute bey den Drachen
Gefehrliche Gesellschaft machen,
Sie wären gütiger gesinnt.
Ich komme durch dein scheinbar Lügen
Um Gönner, Glauben, Ehr und Freund.
Mein Seufzen kan dich nicht vergnügen,
So lang es auch erbermlich weint.
Ha, unbarmherzige Leäne,
Belohnstu so den Fleiß der Söhne?
Ist dieses die Erkäntligkeit
Vor so viel Wachen und Studiren,
Nur dich mit Nuz und Ruhm zu zieren?
O falsche Welt, o grobe Zeit!
Gesezt, ich hätte mich vergangen;
Wo läst die Mutter so ein Kind,
Das endlich mit bethränten Wangen
Die rechte Straße wiederfindt?
Es sey dein Irrthum oder Tücke:
Gnug, daß dein Zorn mein künftig Glücke
Durch solchen Grund zu Schanden macht.
Du schmähst mich nicht allein im Staube,
Du hast auch gar von meinem Raube
Den Frevlern Vorschub zugebracht.
Wohlan, so reize selbst die Wafen,
Die Warheit und Verdruß regiert!
[156]
Wer sind die meisten deiner Pfafen,
Von welchen all mein Unglück rührt?
Wer sind sie? Lästrer, faule Bäuche,
Tartufen, Zäncker, böse Schläuche
Und Schwezer, so die Warheit fliehn,
Beruf und Gott im Beuthel tragen,
Sich täglich um die Kappe schlagen
Und Weib und Pöbel an sich ziehn.
Du hegst Betrug und Aberglauben,
Den aller Weisen Freyheit hast;
Der Rabe jauchzt, man würgt die Tauben,
Der Reiche spott't der Armen Last.
Was thun die unbeschnidtnen Juden?
Sie brüsten sich in theuren Buden
Und schielen höhnisch in die Quer,
Als wenn, Gott geb, ein Pursch ihr Diener,
Der Mauerpfefer aber grüner
Als unser Musenlorbeer wär.
Die Klügsten sizen an dem Zolle,
Verrechnen Leben und Vernunft;
Was kost't das Heu? Was gilt die Wolle?
So spricht man in Zusammenkunft.
Was sag ich von dem Frauenzimmer?
Ihr Schönseyn ist nur Farbenschimmer;
Sie heißen keusch, sie sind nur tumm,
Und die noch etwas Grüze führen,
Die kehren stets vor fremden Thüren
Und nehmen alles blind herum.
Dies seh ich vor gewiße Zeichen
Vom Greuel der Verwüstung an:
Wo Kunst und Weißheit einmahl weichen,
Da ist's um aller Heil gethan.
Ja, steckten nur nicht hin und wieder
Noch wenig treu- und kluge Brüder,
[157]
So spräch ich: Land, du bist nicht werth,
Daß so ein Carl dein Glück erhebet
Und daß du einen Kopf erlebet,
Der dich durch unsre Kunst verklärt.
Ich fürcht, ich fürcht, es blizt von Westen,
Und Norden droht schon über dich.
Du pflügst vielleicht nur fremden Gästen.
Ich wüntsch es nicht. Gedenck an mich.
Du magst mich jagen und verdammen,
Ich steh wie Bias bey den Flammen
Und geh, wohin die Schickung ruft.
Hier fliegt dein Staub von meinen Füßen,
Ich mag von dir nichts mehr genießen,
Sogar nicht diesen Mund voll Luft.

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TextGrid Repository (2012). Günther, Johann Christian. Gedichte. Gedichte. Klagelieder und geistliche Gedichte. (Lauban) Anfang August 1720 - Hirschberg Ende September 1721. An sein Vaterland. An sein Vaterland. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-247E-B