[112] An Herrn Haas. Stud. Phil. et Theol. nach Leipzig

Ein jung- und treues Blut vergaß der Frühlingslust
Bey Schlägen um das Haupt und Pfeilen in der Brust
Und wurde, weil die Glut sein Vatertheil verschlungen,
Von Noth und Blöße fast an Bettelstab gezwungen.
Der Wechsel that gewis dem armen Kinde weh;
Vor diesem stieg von ihm viel Hofnung in die Höh,
Er liebte Fleiß und Kunst noch höher als das Leben
Und hielt sich von Natur der Wißenschaft ergeben.
Doch weil man oft durch Noth zur Tugend wandeln muß,
Begehrt er Hülf und Trost, doch niemahls Überfluß.
Die Freundschaft, so er bat, verschloß ihm Herz und Thüren,
Die Spötter zischten nach: Wen will der Schmerz nicht rühren?
Viel Jahre giengen hin. Es war ihm nicht um sich,
Nein, undanckbare Welt, es war ihm blos um dich,
Daß, da er dir so gern mit Weißheit dienen wollte,
Sein angelegter Fleiß so fruchtlos werden sollte.
Es schien ihm alles toll und, wie man spricht, gemacht;
Ja, was er noch so klug und sinnreich ausgedacht,
Das lief den Krebsen nach. Viel, die sein gut Gewißen
Durch Lehren, Müh und Fleiß aus Unverstand gerißen,
Vergalten Gunst mit Schimpf, wie alle Boßheit lohnt.
Frost, Hunger klagt er nicht, er war es schon gewohnt;
Nur klagt er, daß ihm auch bey aller solcher Bürde
Der klugen Leute Gunst aus Neid gestohlen würde.
Die Länge brach den Muth. Er fiel vor Schwachheit hin:
Und wenn ich denn so gar des Glückes Stiefkind bin,
So würge mich dein Zorn nach angenommner Buße,
Du Wesen, das mich drückt, an diesem Gränzenfluße,
Damit die deutsche Welt und auch mein Vaterland
Mein Grab vor Augen seh. – Hier lag er nun und band
Den krancken Fuß mit Stroh und krümmte sich im Kalten,
In Hofnung, durch den Tod Erlösung zu erhalten.
Mein Bruder, wüntsch es ihm und lis den Klagebrief,
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Der nechst in Austens Haus und Marckards Hände lief,
So weistu, was ich will, und hast vielleicht Erbarmen.
Ach Bruder, könt ich dich doch jezt einmahl umarmen,
Was wär es mir vor Trost! Dein treu- und weises Herz
Versüßt' mir dann und wann den täglich neuen Schmerz.
Ach, hätt ich jezt die Lust der klugen Nachtgespräche,
Ich weis, daß mir dein Mund das halbe Joch zerbräche.
Das Leben hab ich noch, wer weis, wie lang auch dies,
Und was ich etwan kan; sonst alles hat der Riß
Der Schickung hingerückt. Es mag auch immer fahren;
Ich weis, die Vorsicht giebt dergleichen eitle Wahren
Nicht ewig zum Besiz. Es fiele mir nicht schwer,
Wofern nur die Natur dabey so gütig wär
Und unsrer Menschligkeit ein stärcker Herze gönnte,
Damit man ohne Gram sich stets bezwingen könte.
Allein wo lebet wohl so gar ein weiser Mann,
Der stets und überall die Regung dämpfen kan?
Das Fleisch beschwert den Geist, und Adams alte Tücke,
Man kämpfe noch so gut, schlägt dennoch oft zurücke.
Manch Kummer hat zwar Grund. Erwege, theurer Freund:
Die Redligkeit denckt oft, sie hab es gut gemeint,
Man thut, so viel man kan, den Übelstand zu mindern –
Des Glückes Eigensinn ist dennoch nicht zu hindern
Und braucht zum öftern das, was unsre Sorgfalt thut,
Zu Wafen auf uns selbst. Es ärgert bis aufs Blut,
Wenn Prahler ohne Wiz, die noch so thöricht leben
Und aller Feinde sind, sich hoch ans Bret erheben.
Dies wird am Pindus klar; da sizt ein reicher Jeck
Und macht gelehrten Wind und sticht die Demuth weg,
Die mehr verheelt als zeigt. Auch ofenbahre Thoren,
Die einem Juncker nechst das Kutschenpferd geschoren,
Regieren Volck und Stadt und preßen jeden Stand.
Die Weißheit geht geheim und bettelt um das Land.
Gott schüze seinen Ruhm! Mir will das Ohr noch gellen,
Seitdem ich nechst gehört, welch Misbrauch, welch Verstellen
Das Heiligtum entweih. Wie mancher Simon lauscht
Um Hallen und Altar, bis daß der Steifrock rauscht,
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Und streckt der großen Frau den Beuthel nach der Seite,
Damit ihr Zuspruch ihm zwo Stimmen mehr bereite.
Man hält nicht Priesterwahl, man hält nur Auction:
Sechshundert! Hundert mehr! Die giebt der Nachbar schon.
Noch tausend oben drauf! Zum erst- und lezten Mahle!
Zwey Tausend voll! Schlag zu! Der Herr behält's und zahle!
Hier ist's. Den Leibrock her! Stimmt das Te Deum ein!
Die Glocken schlagen an. Indeßen wird der Wein,
Das Salböl heimgebracht, die Väter gehn nach Hause
Und ziehn den Gottesmann zum theurerkauften Schmause.
O herrlicher Beruf! Mein Freund, was sagst denn du?
Sprich ja bey Leibe nicht, es geh nicht richtig zu.
Die Ordnung ist ja schön, was will man beßer haben?
Die Väter sind getreu und sehn auf gute Gaben.
Genug, mein Freund, hiervon, das Urtheil steht dir frey.
Noch weiter in die Schrift! Ich kenn die Barbarey
An wahrer Wißenschaft und kan sie dir beschreiben.
Man fragt nur: Bringt sie Geld? Nicht viel. So las sie bleiben
Und nimm die Brodtkunst vor. Kein gründlicher Beweis,
Kein klug, kein sinnreich Wort, kein netter Dichterfleiß
Noch angenehmer Scherz wird, wenig ausgenommen,
In Umgang, Kirch und Tisch auf Mund und Zunge kommen.
Beweist man aus Vernunft, so heist es Grillenfang;
Erzehlt man, was geschieht, so macht man Groll und Zanck;
Gedenckt man nett und scharf und sucht man rein zu sprechen,
So lobt es kein Geschmack. Ein Sauflied aus den Zechen
Erhält mehr Lohn und Gunst als das, was Flaccus singt
Und was auch noch so schön aus Neukirchs Flöthe klingt;
Ja wollt auch Naso selbst die Mägdgen deutsch verehren,
Ich schwör auf seine Flucht, sie würden ihn nicht hören
Und in die Schencke gehn. Was kommt denn aufs Tapet?
Pferd, Jahrmarckt, Conto, Wein, Proceße, Ball, Piquet,
Flachs, Erbsen, Compliment, Accis, gedruckte Lügen,
Fluch, Moden, Fricaßee, Schuh, Haarzopf und Betriegen
Und alles, was sich sonst in meinen Reim nicht schickt
Und das so ordentlich, wie hier dein Aug erblickt,
Und das noch überdies bey Männern, die sich brüsten,
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Als ob sie nur allein die Kunst zu leben wüsten.
Die Sachen wären gut, nur beßer angewand;
Allein so schwazt man stets ohn Absicht und Verstand,
Nicht so, wie ich und du bey klein- und schlechten Dingen
Vernünftig stille stehn und Nuzen draus erzwingen.
O allerliebster Freund, wie sehnlich wüntscht ich mir
Zeitlebens so ein Herz (ich wüntsch es gleichfalls dir),
Mit dem ich fähig sey, den Lauf der eitlen Sachen,
Von Welt und Stadt entfernt, vernünftig zu verlachen
Und in mich selbst zu gehn. Gott weis, wohin ich geh,
Damit nur einst mein Fuß im Alter sicher steh.
Des Pöbels Raserey hört doch nicht auf zu schlagen,
Drum hab ich mich erboßt, durchaus nicht mehr zu klagen.
Ich liege, wo ich kan, und leide, was ich muß.
Verzehr ich Käß und Brodt, so nenn ich's Überfluß
Und dencke, wie schon längst der Epicur gedachte,
Der schon aus solcher Kost ein Leckerbißchen machte;
Und wenn mir dann und wann was Beßers widerfährt
(Die seltne Kleinigkeit ist kaum der Rede werth),
So folg ich meiner Lust, verbanne Gram und Sorgen
Und küße halb berauscht und traue keinem Morgen.
Weist du, was beßer sey, so theil es freundlich mit;
Wo nicht, so thu wie ich. Sobald mein Schenckel tritt,
Besuch ich dich gewis; du magst nur Fieckchen pfeifen
Und auf ein gutes Glas nach alten Klippen greifen.
Aus Dresden hör ich gern, daß das, wornach ich stand,
Auf Hamburgs Dichter fällt; der Mann ist schon gewand
Und läst den Pegasus nach Hofart glücklich draben;
Ein König wie August muß solchen König haben.
Es freut mich, daß ich nun so schön gerochen bin,
Da jener Waßermann, der Dichter obenhin,
Der mich vor dem verschnidt, den reich- und fetten Bißen
Wie dort Äsopens Hund begierig darben müßen.
Die Rache bleibt nicht aus. Bedächt es Choerilus,
Auf den ich mit Gewalt die Striegel schärfen muß,
So läg er wie ein Dachs dort im Gebürge stille
Und reizte meinen Kiel mit keinem Reimpasquille.
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So glücklich bin ich stets, ich fang auch ungestellt,
Und ob mein Satyr gleich die Hasen öfters prellt,
So stehn sie doch nicht ab, mit Schimpf und Spott zu scherzen.
Doch warum wundert's mich? Wir leben jezt im Merzen.
Du fragest, wen ich zieh? Die Antwort steht mir frey:
Von Goldberg Meister Fritsch, ein Maul voll Milch und Brey
Und deßen Lästerblat mich noch im Zweifel wäget,
Ob Boßheit oder Wurm mehr Hand ans Werck geleget.
Die Zeit sucht alles auf. Er paart sich zum Crispin;
Das Joch ist starck genug, den Satyr fortzuziehn,
Der dieses feine Paar mit Stock und Geißeln plaget
Und künftig im Triumph durch Welt und Jahre jaget.
Vermag ich sonst gleich nichts, so herrscht vielleicht mein Kiel;
Er macht aus Feind und Neid ein ernstlich Poßenspiel,
Schreibt hoher Seelen Ruhm, besinget kluge Brüder
Und sezt der Tugend Lob in dauerhafte Lieder.
Hier, Bruder, stehst auch du. O nimm damit vorlieb;
Du weist, was uns verknüpft: der innerliche Trieb
Gelehrter Redligkeit. Vergieb den andern Grillen;
Ich könte, thät es noth, ein Buch damit erfüllen.
Ich habe viel mit dir; der Bogen wird zu knap,
Mir brech ich nicht zur Lust, doch dir zum Besten ab.
Erwarthe mich nur bald mit tausend andern Schwäncken,
Die theils das Herz erfreun, zum Theil auch etwas kräncken.
Indeßen schlaf voraus. Mein Postgeld ist nicht gut.
So wohl ein grünes Tuch geschwächten Augen thut,
So kräftig wird dein Blat mein sehnlich Herz erquicken;
Du must es nur fein voll und augenblicklich schicken.

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TextGrid Repository (2012). Günther, Johann Christian. An Herrn Haas. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-264C-B