[493] [495]Der Buchstabe He.

1.

Du, der du kamst mit Ketten
Des Lockenhaar's, des langen!
Glück auf! du kamst um schmeichelnd
Den tollen Mann zu fangen.
Sei nur Ein Stündchen freundlich,
Und änd're deine Sitte:
Du kamst ja um zu fragen
Wer dürftig sei und bitte?
Im Frieden wie im Kriege
Will ich dir, Hoher, dienen:
Denn, kamst du, bist du immer
Holdselig nur erschienen.
Dein Mund eint Gluth und Wasser
Mit seltenem Geschicke:
Du kamst als wahrer Gaukler;
Entfernt Euch, böse Blicke!
Dein weiches Herz belob' ich:
Wohl nur der Andacht wegen
Kamst du für die zu beten
Die deinem Blick erlegen.
Was gilt dir meine Tugend?
Zum Herzensraub, o Jammer,
Kamst du, verwirrt und trunken,
In meine stille Kammer.
Er sprach: »Wein ist's, der wieder,
Hafis, dein Kleid befleckte:
Du kamst zurück – so scheint es –
Vom Pfade dieser Secte.«

[495] [497]2.

Ich schrieb an meine Freundin
Mit meines Herzens Blute:
»Mir ist wie am Gerichtstag,
Getrennt von dir, zu Muthe.
Mein Aug' hat hundert Zeichen
Die Trennung zu bewähren:
Das einz'ge Zeichen leider
Sind nicht die vielen Zähren;«
Und was ich auch versuchte,
Es wollte nicht gelingen:
Versucht man schon Versuchtes,
Wird es nur Reue bringen.
Mit einem Arzt berieth ich
Mich meiner Freundin wegen;
Er sprach: »Qual bringt die Nahe,
Doch die Entfernte – Segen.«
Jäh hob der Ost den Schleier
Von meines Mondes Wangen:
Da schien die frühe Sonne
Aus Wolken aufgegangen.
Ich sprach: »Man wird mich tadeln,
Wenn ich dein Dorf umschleiche.«
Bei Gott! wo ist die Liebe,
Die Tadel nicht erreiche?
Gib was Hafis begehrte:
Ein Glas. Bei'm süssen Leben!
Es wird ihm die Genüsse
Der Wunderschale geben.

[497] [499]3.

Verlasse du mich nimmer,
Bist ja mein Augenlicht,
Bist meiner Seele Ruhe,
Der Trost, der mir gebricht.
Kein böser Blick der Menschen
Verwunde jemals dich,
Denn auf die höchste Stufe
Schwang deine Schönheit sich.
Es geben die Verliebten
Dir deinen Saum nicht frei,
Denn ihnen riss'st das Hemde
Du der Geduld entzwei.
Nur Muth! der Tag wird kommen,
Wo der Genuss dir lacht,
Weil du das Gift der Trennung
Verkostet manche Nacht.
Verwehre Ihn zu lieben,
O Mufti, nimmer mir;
Doch mag ich dir verzeihen,
Denn nie erschien Er dir.
Hafis, wenn du im Freunde
Den Vorwurf hast geweckt,
War's, weil du aus der Decke
Zu weit den Fuss gestreckt.

[499] [501]4.

Du, der durch der Wangen Schimmer
Meines Auges Licht erhellt!
Ein berauschtes Aug', wie deines,
Schaute nie das Aug' der Welt.
Einen Zarten der dir gliche,
Schön vom Haupt zum Fusse, fand
Niemand noch auf dieser Erde,
Nie noch schuf ihn Gottes Hand.
Blutdurst hat dein trunk'nes Auge
Und die Braue übermannt:
Jenes lauert im Verstecke
Während diese Bogen spannt.
Soll noch lang mein Herzenstäubchen,
Wie ein wunder Vogel thut,
Von der Trennung Pfeil getroffen,
Wälzen sich in Staub und Blut?
Immer steigt mir Rauch zum Kopfe
Aus des Busens hellem Brand:
Halt' ich, gleich dem Aloëholze,
Länger noch dem Feuer Stand?
Wenn mein Glück, das aufgeschreckte,
Sich gehorsam mir bewährt,
Wird mir jener Mund bescheren
Was mein scheues Herz begehrt.
Neigung fühlt für deine Wange
Deine Braue ganz bestimmt:
Wesshalb wäre sie sonst immer
Meinem Wuchse gleich gekrümmt?
Leg'st du deine Lipp' an meine,
Werd' ich wieder neu belebt,
Wenn mir schon die süsse Seele
Auf der welken Lippe schwebt.
[501][503]
Lässt du wohl mein Herz noch länger,
Ähnlich deinem eig'nen Haar,
Ganz verwirrt zu Boden fallen,
Du mein helles Augenpaar?
An den Fuss des Trennungsdornes
Sank es hin, sich sträubend; doch
In dem Rosenhain der Liebe
Pflückt' es keine Rose noch.
Dieses hier ist meine Waare;
Sollte sie genehm dir sein,
Trag' Hafisen's Perlenworte
In dein Liederbüchlein ein!
Wenn du meine Hand nicht fassest
Klag' dem Meister ich den Schmerz,
Dass du elenden Verliebten
Durch das Auge stahl'st das Herz.

[503] [505]5.

Selig ist das holde Lüftchen,
Das mit Ambra schwanger geht,
Und, von Lust nach dir getrieben,
Schon am frühsten Morgen weht.
Eile, o beglückter Vogel,
Als mein Führer mir voran,
Denn mein Auge schmolz aus Sehnsucht
Jenem Thürstaub bald zu nah'n.
Meiner Harmgestalt gedenkend,
Die da schwimmt im Herzensblut,
Blickt man auf zum neuen Monde
Dort am Rand der Abendgluth.
Kömmt dereinst mit deiner Liebe
An sein Ziel mein Lebenslauf,
Spriesst, statt Gras, aus meinem Grabe
Eine rothe Rose auf.
Athm' ich noch, von dir geschieden?
O der Schmach! Doch du verzeih'st:
Denn was wäre sonst die Tugend,
Die man Schuldvergebung heisst?
Nur allein von deinen Freunden
Lernt die Luft was Liebe sei,
Denn sie reisst am weissen Morgen
Sich das schwarze Kleid entzwei.
Ruf' in deinem zarten Sinne
Nicht so schnell den Unmuth wach,
Weil ja dein Hafis so eben
Erst: »Im Namen Gottes!« sprach.

[505] [507]6.

Der Wirthe Hausthor ward gescheuert
Und ward gewaschen rein;
Es sitzt der Greis davor und ladet
So Alt als Jung hinein.
Zu seinem Dienst gegürtet, prangen
Die Trinker aufgestellt;
Er aber, der der Kron' entsagte,
Hat im Gewölk sein Zelt.
Der Gläser Glanz und der Pocale
Bedeckt des Mondes Licht,
Und selbst den Lauf der Sonne hemmet
Der Knaben Angesicht;
Der holde Trotz der süssen Schenken
Und ihre Zänkerei
Zerbricht den Zucker, knickt Jasmine
Und schlägt die Laut' entzwei;
Die Glück'sbraut, trotz der tausend Reize,
Holt dort im Kämmerlein
Die Brauenschminke sich, und reibet
In's Moschushaar sie ein;
Ein holder Engel der Erbarmung
Ergreift der Wonne Glas,
Und giesst auf Huris und auf Peris
Der Hefe Rosennass.
Ich grüsste ihn, da sprach er also
Mit lächelndem Gesicht:
»Der du des Rausches Folgen fühltest,
Betrunk'ner, armer Wicht!
Wer handelt je wie du gehandelt,
Dem Muth und Einsicht fehlt?
Du floh'st des Hauses Schatz, und bautest
In Wüsten dir ein Zelt.
[507][509]
Die Gunst des wahren Glückes – fürcht' ich –
Wird stets verwehrt dir sein,
Denn, von dem eingeschlaff'nen Glücke
Umarmet, schliefst du ein.« –
Der Himmel selber lenkt den Zelter
Des Schah Nŭssrētěddīn:
Komm, sieh, es heben Engelshände
Zart in den Bügel ihn.
Sich selbst zu adeln, hat die Weisheit,
Der Nichts verborgen ist,
Vom Himmelsthore seine Schwelle
Schon hundertmal geküsst. –
Komm nun, Hafis, mit in die Schenke,
Dort zeig' ich ungestört
Dir tausend Reihen frommer Wünsche,
Die Gott gewiss erhört.

[509] [511]7.

Schlafbefleckt naht' ich der Schenke
Gestern als die Sonne schwand;
Weinbefleckt war schon mein Teppich,
Und durchnässt mein Mönchsgewand.
Doch des Weinverkäufers Knabe
Trat, indem er schalt, heran,
Und dann sprach er: »O erwache,
Schlafbefleckter Wandersmann!
Erst nachdem du dich gewaschen,
Schreite auf die Schenke zu,
Denn die Trümmer dieses Klosters
Könntest sonst beflecken du.
In des Greisenalters Wohnung
Trachte nur nach Reinigkeit,
Und mit Jugendlust beflecke
Nicht des Alters Ehrenkleid!
Wirst nach Lippen süsser Schönen
Du noch fürder lüstern sein,
Und das Kleinod ›Geist‹ beflecken
Mit dem flüss'gen Onyxstein?«
Wer den Weg der Liebe kennet
Tauchte zwar in dieses Meer
Tief hinab, allein es wurde
Nie befleckt vom Wasser er.
Sei stets rein und klar, und steige
Aus dem Brunnen der Natur,
Denn das staubbefleckte Wasser
Es erregt ja Unlust nur.
Und ich sprach: »O Weltenseele!
Keine Schande dürft' es sein,
Wär im Lenz das Buch der Rose
Auch befleckt von meinem Wein.«
Und Er sprach: »Hafis, mit Freunden
Sprich nicht räthselhaft verdeckt!«
Wehe über jene Güte
Die vom Vorwurf wird befleckt!

[511] [513]8.

Er ging dahin mit langer Schleppe
Im dünnen, golddurchwirkten Kleid,
Und hundert Mondgesicht'ge rissen
Sich das Gewand entzwei aus Neid.
Das Feuer des genoss'nen Weines
Trieb Ihm den Schweiss in's Angesicht,
Und schöner prangt des Thaues Tropfen
Auf einem Rosenblatte nicht.
Beredt und süss ist Seine Sprache,
Gewandt Sein hoher Körperbau,
Sein Antlitz sanft und herzgewinnend,
Und schelmisch ist Sein Blick und schlau.
Entsprungen ist dem Anmuthwasser
Sein Onyx, der das Leben mehrt;
Sein Buchs mit dem so holden Gange
Gar zart gepfleget und genährt.
Sieh jenen Mund der, Herzen fesselnd,
Den Aufruhr weckt wenn hold er lacht;
Sieh jenen Gang, so voll von Anstand,
Und jenen Schritt, voll von Bedacht!
Und jener Hirsch mit schwarzen Augen
Entwischte meinem Netze hier:
Wie rath' ich diesem scheuen Herzen,
O sagt es, theure Freunde, mir!
Sei wohl auf deiner Huth, und quäle,
So lang du kannst, Verliebte nicht,
Denn Treue wohnt ja nicht hienieden,
Du meiner beiden Augen Licht!
Soll ich noch lang den Vorwurf tragen,
Womit dein holdes Aug' mich quält?
O blick' nur Einmal freundlich wieder,
Du, den zum Freunde ich gewählt!
[513][515]
Und hat Hafis dich je beleidigt,
Und deinen edlen Sinn verletzt,
So komm zurück, denn was ich hörte
Und was ich sprach bereu' ich jetzt.
Ich will dem Meister, dem ich diene,
Gar reichlich zollen meinen Dank,
Wenn jene Frucht mir, die gereifte,
In die erhob'nen Hände sank.

[515] [517]9.

Als, weinberauscht von vor'ger Nacht,
Bei'm früh'sten Morgenstrahl
Ich nach dem Tamburine griff,
Nach Harfe und Pocal,
Da gab ich dem Verstande Wein
Als Reiseproviant,
Und nach die Stadt der Trunkenheit
Hab' ich ihn abgesandt.
Der schöne Weinverkäufer sah
Mich dann gar freundlich an,
So dass ich, vor des Schicksal's List
Nun sicher, leben kann.
Vom Schenken mit den Bogenbrau'n
Vernahm, was folgt, mein Ohr:
»O du, den sich des Tadels Pfeil
Zum Ziele auserkohr!
Dir schlingt, gleich Gürteln, kein Gewinn
Um jene Mitte sich,
Erblickest in der Mitte du
Nur stets dein eig'nes Ich.
Geh', halte Vögel and'rer Art
In diesem Netze fest:
An gar zu hohe Stellen baut
Sich ein Ăncā sein Nest.
Vertrauter, Schenke, Liedermund,
Dies alles ist nur Er:
Des Wassers und des Thones Bild
Sind Mittel, und nicht mehr.«
So gib mir denn des Weines Schiff:
Ich steu're wohlgemuth
Aus diesem Meer, das uferlos
Vor meinem Blicke ruht!
[517][519]
Wem frommt es wohl, wenn er um Gunst
Bei jenem König freit,
Der mit sich selber Liebe spielt
Von aller Ewigkeit?
Hafis, ein dunkles Räthsel ist
Die menschliche Natur,
Und wer es zu ergründen meint,
Berichtet Mährchen nur.

[519] [521]10.

Um die Fackel deiner Wange
Kreist, ein Falter, selbst das Licht,
Und, dein Maal erblickend, kümmert
Mich die eig'ne Lage nicht.
Der Verstand, nach dessen Urtheil
Man Verliebte fesseln soll,
Ward vom Dufte jener Ringe
Deiner Locken selber toll.
Seine Seele gab dem Oste
Flugs als Botenlohn das Licht,
Als vom Lichte deiner Wange
Es durch ihn erhielt Bericht.
Müsste ich für deine Locke
Auch dem Wind' die Seele weih'n,
Sei's! Selbst tausend Edle mögen
Des Geliebten Opfer sein!
Hat auf Seiner Wangen Gluthen
Irgend wer ein Rautenkraut
Wirkungsreicher als das Körnchen
Seines schwarzen Maal's geschaut?
Gestern konnt' ich, Eifersücht'ger,
Nimmer auf dem Fusse steh'n,
Als ich an der Hand des Fremden
Mein geliebtes Bild geseh'n.
Was ersann ich nicht für Listen?
Fruchtlos war, was ich erdacht:
Er behandelte als eitel
Alle meine Zaubermacht.
Nun des Freundes Lippe blühet,
Band ich mich durch diesen Schwur:
Mährchen, die von Bechern handeln
Bring' ich auf die Zunge nur.
Lass von Schule und von Kloster
Die Erzählung unberührt,
Weil Hafis im Haupte wieder
Sehnsucht nach der Schenke spürt.

[521] [523]11.

Jenem lieblichen Rubine
Dank' ich dauernden Genuss;
Alles fügt sich meinem Wunsche:
Wesshalb Gott ich preisen muss.
Widerspenst'ges Glück, o drücke
Fest an deinen Busen ihn;
Herze bald den gold'nen Becher,
Bald den lieblichen Rubin!
Weil ich mich berauscht, so haben
Mährchen sich von mir erzählt
Unerfahr'ne alte Männer,
Greise die den Weg verfehlt.
Ich bereue, dass ich jemals
Horchte auf der Frömmler Rath,
Und mich möge Gott bewahren
Vor so schnöder Diener That!
Seele, soll ich dir erklären,
Was da sei der Trennung Schmerz?
Hundert Thränen und Ein Auge,
Hundert Seufzer und Ein Herz.
Selbst wer Gott verläugnet, bleibe
Stets von einem Leid verschont
Wie dein Wuchs es der Zipresse
Und dein Antlitz schuf dem Mond!
Schön'res kann es nimmer geben
Als des Liebenden Geduld:
Ford're sie von Gottes Gnade,
Ford're sie von Gottes Huld!
Das geflickte Kleid der Mönche
Gleicht dem Christengürtel nur:
Ssofi, meide diese Sitte,
Meide dieses Pfades Spur!
[523][525]
Wie so froh die Tage schwanden
Die mich einst mit Ihm vereint!
Hundertmal sei Gott gepriesen,
Bringt er mich zum Seelenfreund!
Nie verwende ich das Antlitz
Von der Bahn der Dienerpflicht,
Und empor vom Pfortenstaube
Hebe ich den Scheitel nicht.
Weil Hafis nach deiner Wange
Lüstern ward, so denket er
Weder an die Nachtgebete
Noch die Morgenandacht mehr.

[525] [527]12.

Wenn im Gaue jenes Mondes
Es auch Schwerter sollte regnen,
Will den Nacken hin ich legen,
Und die Fügung Gottes segnen.
Ich auch kenne, so wie And're,
Wie man Gottesfurcht beweise:
Doch was frommt's bei einem Glücke
Das das Ziel verlor der Reise?
Prediger und Scheïche kommen
Mir fast niemals zu Gesichte:
Gib mir einen vollen Becher,
Oder kürze die Geschichte!
Ich, ein Zecher, ein Verliebter,
Sollte Reue offenbaren?
Gott soll mich davor beschützen,
Gott soll mich davor bewahren!
Nie noch sind auf mich gefallen
Deiner Sonne Gegenstrahlen:
Ach, du Spiegelwange schaff'st mir
Durch dein hartes Herz nur Qualen!
Die Geduld schmeckt gar so bitter,
Gar so schnell vergeht das Leben:
Wann – o könnt' ich es erfahren! –
Wird Er mir zurückgegeben?
Sprich, Hafis, warum du klagest?
Willst der Liebe du geniessen,
Musst du auch zu allen Zeiten
Blut zu trinken dich entschliessen.

[527] [529]13.

Festtag ist, und Rosen blühen:
Schenke, halte Wein bereit!
Sah man jemals leere Becher
Aufgestellt zur Rosenzeit?
Dieses Frömmeln und Enthalten
Greift bereits mein Inn'res an:
Schenke, gib mir Saft der Rebe!
Öffnen wird mein Herz sich dann.
Jener Ssofi, der noch gestern
Jeden warnte, der geliebt,
Ist's der, trunken, seine Tugend
Heut den Winden übergibt.
Freue dich der Rosenblüthe
Durch der kurzen Tage Frist;
Suche Lust bei glatten Schenken,
Wenn du ein Verliebter bist!
Brüder! Schon entschwand die Rose:
Warum weilt Ihr allzumal
Ohne Töne einer Harfe,
Ohne Freund und Weinpocal?
Weisst du was gar schön erscheinet
Bei des Morgenweines Fest?
Wenn der Schenke seine Wange
Sich im Glase spiegeln lässt.
Greift der Sänger in die Saiten
In des Prinzen Gegenwart,
Soll dazu ein Lied er singen
Nach Hafisen's Liederart.

[529] [531]14.

Vorbestimmt zur Schenke
Hat der Schöpfer mich:
Ob die Schuld mich treffe
Frag' ich, Frömmler, dich.
Wer bestimmt zum Becher
Ward vom Urbeginn,
Wirft am jüngsten Tage
Man die Schuld auf ihn?
Sprich zum Heuchler-Ssofi
In dem Mönchsgewand,
Dem im kurzen Ärmel
Steckt die lange Hand:
»Nur zur Täuschung zieh'st du
Mönchsgewänder an,
Dass du Gottes Diener
Lockest von der Bahn.«
Echter Zecher Streben
Hab' ich stets geehrt:
Ihnen sind kein Gräschen
Beide Welten werth.
Weil mir nur in Schenken
Wunscherfüllung lacht,
Hat mir Schul' und Kloster
Schwarz das Herz gemacht.
Bettle nicht an jeder
Bettlerthür, Hafis!
Nur durch Gott erreichst du
Deinen Wunsch gewiss.

[531] [533]15.

Du hob'st den Schleier plötzlich von den Wangen;
Doch was bedeutet das?
Und kamst, wie trunken, aus dem Haus gegangen,
Doch was bedeutet das?
Dein Haar lag in des Morgenwindes Händen,
Dem Neider horcht' dein Ohr:
So nährtest du in Allen das Verlangen;
Doch was bedeutet das?
Du bist ein König in dem Reich der Schönen,
Und Bettler seh'n auf dich:
Verkannt hast du, was du an Glück empfangen;
Doch was bedeutet das?
Gabst du mir nicht die Spitzen deiner Haare
Der Erste in die Hand?
Nun soll ich wieder dir zu Füssen bangen;
Doch was bedeutet das?
Das Wort verrieth mir deines Mund's Geheimniss,
Der Gürtel mir den Wuchs:
Du zog'st das Schwert, das du dir umgehangen;
Doch was bedeutet das?
Mit deiner Liebe Würfeln trachtet Jeder
Nach einem guten Wurf:
Du hast im Spiel sie Alle hintergangen;
Doch was bedeutet das?
Als in dein enges Herz der Freund gezogen,
Hafis, da leertest du
Von Fremden nicht das Haus in das sie drangen;
Doch was bedeutet das?

[533] [535]16.

Ihm vereint zu sein ist besser
Als Unsterblichkeit erstreben;
Herr der Welten, wolle immer
Das was besser ist mir geben!
Zwar Er schlug mich mit dem Schwerte;
Doch kein Mensch soll es erfahren;
Besser ist's, des Freund's Geheimniss
Nicht dem Feind zu offenbaren.
Sei, o Herz, in Seinem Gaue
Stets ein Bettler und begehre!
Denn es heisst ja: »Besser ist es
Dass ein Glück beständig währe!«
Fruchtlos würdest du, o Frömmler,
Mich im Paradies erwarten:
Ist der Apfel dieses Kinnes
Besser doch als jener Garten.
Mit der Knechtschaft Maal bezeichnet
Hier an diesem Thore sterben,
Ist – bei Seiner Seele! – besser
Als das Reich der Welt erwerben.
Eine Rose die mit Füssen
Mein Zipressenbaum getreten,
Ist, zu Staub verrieben, besser
Als das Blut von Ergwan-Beeten.
Wollt – ich bitt' um Gotteswillen –
Freundlich meinen Arzt befragen!
Wann denn endlich dieser Schwache
Besser werde, mög' er sagen.
Wende dich nicht ab, o Jüngling,
Räth dir eines Alten Zunge:
Denn es ist der Rath des Alten
Besser als das Glück, das junge.
[535][537]
Nachts einst sprach Er: »Hat doch sicher
Nie ein Sterblicher geschauet
Eine bess're Perl' als jene
Die mir auf das Ohr gethauet.«
Worte aus dem Mund des Freundes
Gleichen zwar den Edelsteinen:
Aber was Hafis gesprochen
Muss als besser noch erscheinen.

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Citation Suggestion for this Edition
TextGrid Repository (2012). Ḥāfeẓ, Šams o'd-din Moḥammad. Der Buchstabe He. TextGrid Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-2798-6