[73] [75]Der Buchstabe Sin.

1.

An das Ufer des Araxes,
Ostwind, deine Flügel lenkend
Küsse jenes Thales Erde,
Deinen Hauch mit Moschus tränkend:
Dort erscheint Sělmā's Behausung,
– Der ich hundert Grüsse schicke –
Laut durchlärmt von Maulthiertreibern
Und Geläute, deinem Blicke;
Küss' der Seelenfreundin Sänfte
Und dann sprich mit bangem Flehen:
»Es verbrennt mich deine Trennung:
Theure, komm mir beizustehen!
Mich, der der Ermahner Rede
Einen Klang der Zither nannte,
Nahm die Trennung bei den Ohren
Was zur Gnüge mich ermannte.«
Schwärme Nachts, von Furcht geborgen:
Sind doch in der Stadt der Liebe
Alle, die die Nacht durchschwärmen.
Wohlbekannt dem Vogt der Liebe.
Liebe ist kein Spiel zu nennen:
Herz, da ist der Kopf zu wagen;
Denn nicht mit der Gierde Schlägel
Lässt der Liebe Ball sich schlagen.
Gern wird trunk'nem Freundesauge
Jedes Herz die Seele spenden,
Gibt auch sonst, wer nüchtern heisset,
Seine Wahl nicht aus den Händen.
[75][77]
Während fröhlich Papageie
Auf dem Zuckerrohr sich wiegen,
Schlagen sehnsuchtsvoll die Pfötchen
Über's Haupt die armen Fliegen.
Wenn dem Freund Hafisens Name
Von des Rohres Zunge glitte,
Hätt' ich an den hohen König
Wahrlich keine and're Bitte.

[77] [79]2.

Seele, sprich, wer dir gerathen
Nicht zu fragen wie's mir gehe,
Fremd zu thun und nicht zu fragen,
Wie's um die Bekannten stehe?
Weil begabt mit edlen Sitten
Du dich mild erweisest Allen,
So vergib was ich verbrochen,
Frag' auch nicht was vorgefallen.
Willst du, dass die Gluth der Liebe,
Dir erschein' im hellsten Schimmer,
Frag' das Licht um die Geschichte,
Doch den Ostwind frage nimmer.
Von dem Leben der Derwische
Wird wohl Jener nichts verstehen,
Der dir sagte: »Frage nimmer,
Wie es dem Derwisch mag gehen?«
Ford're von dem Kuttenträger
Nie das baare Geld der Lüste:
Frage den Verarmten nimmer,
Ob er Gold zu machen wüsste?
Von Dărā und Alexander
Las ich nichts, weiss nichts zu sagen:
Nur um's Mährchen: »Lieb' und Treue«
Sonst um nichts, sollst du mich fragen.
In dem Buch des Weisheitsarztes
Spricht von Liebe kein Kapitel:
Herz, gewöhne dich an Leiden,
Frage nicht um Heilungsmittel!
Jetzt, Hafis, wo Rosen blühen,
Sollst du nichts vom Wissen sagen
Und das Geld der Zeit benützend
Um's Warum und Wie nicht fragen.

[79] [81]3.

Ach, sein schwarzes Haar heisst so mich klagen,
Dass du besser thätest nicht zu fragen;
Hat mir's doch so die Vernunft verschlagen,
Dass du besser thätest nicht zu fragen.
Niemand soll dem Herzen und der Seele,
Hoffend auf der Treue Lohn, entsagen,
Denn so oft hab' ich's schon selbst bereuet,
Dass du besser thätest nicht zu fragen.
Für ein Bischen Hefe, dass ein Jeder
Ohne Nachtheil kann zu schlürfen wagen,
Muss von Thoren ich so viel erdulden,
Dass du besser thätest nicht zu fragen.
Frömmler, zieh' vorbei an mir in Frieden:
Ward mir doch so grausam fortgetragen
Herz und Glaube von des Wein's Rubine,
Dass du besser thätest nicht zu fragen.
Nur in stiller Ruhe eines Winkels
Fand ich mein ersehntestes Behagen;
Doch so freundlich winkt dort die Narzisse,
Dass du besser thätest nicht zu fragen.
Manche Sage gibt's auf diesem Pfade,
Die die Seele schmelzen macht und zagen,
Und so heftig streitet dort ein Jeder,
Dass du besser thätest nicht zu fragen.
Als ich sprach: »Mir soll der Ball des Himmels
Wie die Sache sich verhalte sagen,«
Sprach Er: »Schnellt ihn doch so leicht der Schlägel
Dass du besser thätest nicht zu fragen.
Als zu Ihm ich sagte: »Wem zum Trotze
Willst du nun gelockte Haare tragen?«
Sprach Er: »Lang, Hafis, ist die Geschichte,
Thät'st, beim Koran! besser nicht zu fragen.«

[81] [83]4.

Solchen Liebesschmerz musst' ich ertragen,
Dass du besser thätest nicht zu fragen,
Kosten solches Gift in Trennungstagen,
Dass du besser thätest nicht zu fragen.
Durch die ganze Welt bin ich gewandert
Und am Ende aller meiner Plagen
Hab' ein solches Liebchen ich erkoren,
Dass du besser thätest nicht zu fragen.
Sehnsucht nach dem Staube deines Thores
Fühle ich an meiner Seele nagen,
Und so reichlich fliesst mein Augenwasser.
Dass du besser thätest nicht zu fragen.
Mit dem eig'nen Ohre musst' ich hören,
Wie sein Mund es gestern konnte wagen.
Mich mit solchen Worten zu verletzen,
Dass du besser thätest nicht zu fragen.
In die Lippe beisst du dich und winkest,
Gleich als wolltest du mir: »Schweige!« sagen?
Und ich biss so stark in eine Lippe,
Dass du besser thätest nicht zu fragen.
Fern von dir in meiner stillen Kammer,
Musst' ich in der peinlichsten der Lagen
Durch die Armuth solche Qual erdulden,
Dass du besser thätest nicht zu fragen.
Wie Hafis, ward auf dem Weg der Liebe
Ich in fremde Gegenden verschlagen
Und gerieth an eine solche Stelle,
Dass du besser thätest nicht zu fragen.

[83] [85]5.

Herz, es genüge dir als Weggefährte
Ein Schicksal, das sich günstig dir erweise,
Und von dem Garten von Schĭrās genüge
Der West als Bote dir auf deiner Reise.
Entferne dich, Děrwīsch, in Zukunft nimmer
Von des geliebten Seelenfreundes Stelle,
Denn dir genüge eine geist'ge Reise
Und eine Ecke in der stillen Zelle.
Die Sehnsucht nach der Heimath, der gewohnten,
Und eines langbewährten Freundes Bande
Genügen, dich bei Wand'rern zu entschuld'gen,
Die viel gereist sind durch entfernte Lande.
Setz' auf die Bank dich, auf die Ehrenstelle,
Um den Pocal, gefüllt mit Wein, zu leeren,
Denn dies genügt statt Gelderwerb's und Würden,
Die dir die Welt vermöchte zu gewähren;
Und wenn ein Kummer in des Herzens Winkel
Wie im Versteck auf dich gelauert hätte,
Genüge dir des Wirthes heil'ge Pforte
Als eine oftbewährte Zufluchtsstätte.
Begehre nichts was überflüssig schiene,
So hast du leicht was du gewünscht erreichet.
Denn dir genüge des Rubinwein's Flasche,
So wie ein Götze, der dem Monde gleichet.
Es lässt der Himmel nur die dummen Leute
Frei mit dem Zügel ihrer Wünsche schalten;
Dir aber ist Verdienst und Wissen eigen,
Und dies genügt für sündig dich zu halten.
An die Verpflichtung anderer Gebete
Bist du, Hafis, nun nimmermehr gebunden,
Denn dir genügt die mitternächt'ge Bitte,
So wie die Andacht in den Morgenstunden.
Verlass dich nimmer auf der Ander'n Gnade,
Denn so wie jenseits also auch hienieden
Genüge dir des Schöpfers Wohlgefallen
Und was an Huld der Kaiser dir beschieden.

[85] [87]6.

Mir genügt vom Rosenhain der Erde
Der Besitzer einer Rosenwange,
Mir genügt von dieser Au der Schatten
Der Zipresse mit dem holden Gange.
Ich und Umgang mit der Heuchlerseele?
Fern von mir was so verächtlich wäre,
Denn von dem was schwer ist auf der Erde
Gnügt der Becher mir allein, der schwere!
Mit Palästen wird im Paradiese
Jedes Werk der Frömmigkeit man lohnen;
Mir, dem Zecher und dem Bettelmanne,
Gnügts im Kloster eines Wirth's zu wohnen.
Willst du seh'n, wie schnell das Leben fliehe,
Musst du dich an's Stromesufer setzen:
Uns genüge dieses Warnungszeichen,
Um der Welt Vergänglichkeit zu schätzen.
Sieh des Weltmarkts Baarschaften und halte
Was die Welt an Qualen hegt dagegen:
Und wenn dieser Vor- und Nachtheil nimmer
Dir genügt, mir gnügt er allerwegen.
Da der Freund, der theure, bei mir weilet,
Brauch' ich nicht nach Mehrerem zu zielen:
Mir genügt die Wonne eines Umgang's
Mit der Seele freundlichem Gespielen.
Sende mich um Gotteswillen nimmer
Fort von dir nach jenen Himmelsauen:
Mir genügt's vom ganzen Weltenalle,
Darf ich nur dein theures Dörfchen schauen.
Klagt'st, Hafis, du über Schicksalslaunen,
Mag es wohl an Billigkeit dir fehlen:
Mir genügt ein Inn'res, rein wie Wasser,
Und die Sammlung fliessender Ghaselen.

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Zitationsvorschlag für diese Edition
TextGrid Repository (2012). Ḥāfeẓ, Šams o'd-din Moḥammad. Der Buchstabe Sin. TextGrid Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-2B4D-3