[173] [175]Der Buchstabe Kief.

1.

Du, auf dessen Salz' der Lippe
Rechte hat mein wundes Herz;
Achte sie! Ich ziehe weiter:
Gott bewahre dich vor Schmerz!
Jenes reine Wesen bist du
Das in heil'ger Geisterwelt
Engel im Gebete preisen
Das dein stetes Lob enthält.
Zweifelst du an meiner Treue,
Unterzieh' der Probe mich:
Auf des Goldes Werth verstehet
Niemand wie der Prüfstein sich.
»Mich berauschen will ich – sprachst du –
Geben dann zwei Küsse dir.«
Mancher Tag verstrich, doch gabst du
Weder zwei noch einen mir.
Lass die lächelnde Pistaze
Zucker streuen rings umher,
Dass das Volk an deinem Munde
Keinen Zweifel hege mehr.
Kühn will ich das Rad zertrümmern,
Dreht's nicht mir nach Wunsche sich:
Lass' ich doch vom Himmelsrade
Nimmer unterdrücken mich.
Weil du, Neider, Ihm verwehrest
Zu Hafisen hinzugeh'n,
O so bleibe du doch mind'stens
Ein paar Schritte von Ihm steh'n!

[175] [177]2.

Trinkst du Wein, so giess' ein wenig
Hefe auf den Boden hin!
Ist die Sünde wohl zu fürchten
Die da Ander'n bringt Gewinn?
Geh', und was du hast geniesse
Ohne Scheu' und ohne Reu':
Denn das Schwert des Schicksals tödtet
Ohne Reu' und ohne Scheu.
Ich beschwör' bei deinem Fussstaub,
Weichliche Zipresse, dich,
Zieh' den Fuss von meinem Staube
Nicht zurück, wenn ich erblich.
Höllengeist und Himmelsbürger,
Mensch und Engel, wer's auch sei,
Die Enthaltsamkeit gilt Allen
Nur für Ordensketzerei;
Und des Himmels Geometer
Schloss gar streng die Wege ab
Dieses würfelart'gen Klosters,
Und kein Weg läuft unter'm Grab.
Es vertritt die Rebentochter
Dem Verstand die Wege schlau;
Bis zur Auferstehung währe
Unzerstört des Weinstock's Bau!
Auf der Schenke Pfaden ging'st du
Schön, Hafis, aus dieser Welt:
Deinem reinen Herzen werde
Der Beherzten Wunsch gesellt!

[177] [179]3.

Wenn auch Tausende von Feinden
Mit dem Tode mich bedroh'n,
Bist nur du mein Freund geblieben,
Sprech' ich allen Feinden Hohn.
Leb' ich, ist es nur in Hoffnung
Der Vereinigung mit dir,
Denn mit hundertfachem Tode
Drohet deine Trennung mir.
Schafft der Wind mir deine Düfte
Nicht von Hauch zu Hauch herbei,
Reiss' ich, Rosen gleich, den Kragen
Mir von Zeit zu Zeit entzwei.
Lässt dein Wahnbild meine Augen
Wohl entschlummern? Nimmerdar!
Ist mein Herz bei deiner Trennung
Wohl geduldig? Gott bewahr'!
Lieber als von Ander'n Pflaster
Sind von dir die Wunden mir;
Lieber als Těrjāk von Ander'n
Ist mir Gift, gereicht von dir;
Sterb' ich, durch dein Schwert getödtet,
Leb' ich fort in Ewigkeit,
Denn, wenn sich mein Geist dir opfert,
Fühlt er hohe Seligkeit.
Wende nicht den Zaum, denn schlügest
Mit dem Schwerte du nach mir,
Machte ich mein Haupt zum Schilde,
Hing' mich an den Sattel dir.
Nicht ein jedes Aug' erblicket
Dich so reizend wie du bist:
Jeder übt sein Sehvermögen
Wie es ihm gegeben ist.
Es erscheint Hafis dem Volke
Dann erst wahrhaft werth und lieb,
Wenn im Staub' er deines Thores
Demuthvoll sein Antlitz rieb.

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Zitationsvorschlag für diese Edition
TextGrid Repository (2012). Ḥāfeẓ, Šams o'd-din Moḥammad. Der Buchstabe Kief. TextGrid Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-2B7A-E