[3] Der Buchstabe Elif.

1.

Auf, o Schenke, lass den Becher kreisen
Und dann reiche mir ihn freundlich dar,
Weil die Lieb', die anfangs leicht geschienen,
Schwierigkeiten ohne Zahl gebar.
Hoffnung, dass der Ostwind endlich löse,
Was an Duft in jenen Locken ruht,
Machte, dass ob ihren krausen Ringen
Jedes Herz beträufelt ward mit Blut.
Färbe dir den Teppich bunt mit Weine,
Wenn der Wirth, der alte, es dich heisst,
Denn die Wege und den Lauf der Posten
Kennt der Wand'rer, der so viel gereist.
Geb' ich in des Seelenfreundes Hause
Jemals wohl mich dem Genusse hin,
Wenn die Glocke alle Augenblicke
Klagend mahnet: »Lasst uns weiter zieh'n!«
Finster ist die Nacht und bange Schrecken
Birgt der Welle und des Wirbels Schoos:
Die da leichtgeschürzt am Ufer weilen,
Wie begriffen sie mein hartes Loos?
Nur der Eigenwille gab am Ende
All' mein Handeln üblem Rufe Preis:
Bleibt wohl ein Geheimniss noch verborgen,
Das zum Mährchen wird in jedem Kreis?
Wenn, Hafis, du dich nach Ruhe sehnest,
So vergiss nicht, was die Lehre spricht:
»Hast du einmal wen du liebst gefunden,
Leiste auf die ganze Welt Verzicht!«

[3] [5]2.

Du, von dessen holder Wange
Licht der Mond der Schönheit borgt
Und aus dessen Kinnes Brunnen
Anmuth sich mit Glanz versorgt!
Wann, o Herr, wird es sich fügen,
– Was mein stetes Streben war, –
Dass ich mein Gemüth versammle,
Während sich zerstreut dein Haar?
Dich zu schauen, schwang die Seele
Auf den Rand der Lippe sich:
Soll zurück, soll vor sie schreiten?
Was befiehlt dein Wille? Sprich!
Hoch den Saum vom Staub und Blute,
Gehst vorüber du an mir!
Denn es liegen viele Todte,
Die du hingeopfert, hier.
Freunde! Lasst den Liebling wissen,
Dass er wüst gemacht mein Herz,
Denn es fühlt ja Eure Seele
Mit der meinen gleichen Schmerz!
Wo dein Aug' gestrahlt, that Jeder
Auf Enthaltsamkeit Verzicht:
Drum vor deinen trunk'nen Augen
Prahle man mit Tugend nicht!
Scheint es doch, mein Glück erwache
Endlich aus dem langen Schlaf,
Da der Schimmer deines hellen
Angesicht's sein Auge traf.
Sende mir ein Rosensträusschen
Deiner Wange durch den Ost,
Dass ich deines Gartenstaubes
Düfte athme, mir zum Trost!
[5][7]
Schenken, Ihr von Dschem's Gelage,
Lebet glücklich immerdar,
Wenn in Eurem Kreis gleich nimmer
Weingefüllt mein Becher war!
Horch, Hafis thut eine Bitte;
Sprich ein Amen denn getrost:
»Deine zuckersüsse Lippe
Sei in Zukunft meine Kost!«
Ostwind, sag' in meinem Namen
Jesd's Bewohnern: »Ueberall
Soll das Haupt der Undankbaren
Werden Eures Schlägels Ball!
Bin ich fern gleich von der Nähe,
Meine Wünsche sind nicht fern,
Und ich diene Eurem König
Und mein Wort, es preist Euch gern.«
Fürst, beschirmt von hohem Sterne,
Ich beschwöre dich, erlaub',
Dass dem Himmel gleich ich küsse
Deines Prunkgezeltes Staub!

[7] [9]3.

Schenke, gib durch's Licht des Weines
Meinem Glase hellen Glanz!
Sänger, singe! Meinem Wunsche
Fügt sich ja die Erde ganz.
Im Pocal sah ich des Freundes
Holden Wangenwiderschein:
O Unkundiger der Wonne,
Die da liegt in meinem Wein!
Liebesspielen schlanker Schönen
Lässt man nur so lange Raum,
Als sich nicht, wie Pinien schaukelnd,
Reget mein Zipressenbaum.
Dessen Herz durch Liebe lebet,
Wird den Todten nie gesellt:
Meine ew'ge Dauer stehet
Desshalb in dem Buch der Welt.
Kömmt der jüngste Tag, befürcht' ich,
Werd' im Preis nicht höher sein
Das erlaubte Brod des Scheïches,
Als mein unerlaubter Wein.
Holder Wind, ziehst du vorüber
An der Freunde Rosenflur,
O so bring' von mir dem Liebling
Meine besten Grüsse nur;
Frage Ihn, warum er meiner
So mit Vorsatz nicht gedenkt?
Kömmt doch wohl von selbst die Stunde.
Die mich in's Vergessen senkt.
Meines holden Lieblings Auge
Hat den Rausch für schön erkannt:
Darum gab man auch dem Rausche
Meine Zügel in die Hand.
[9][11]
Lass, Hafis, das Körnchen fallen,
Das dir an dem Auge hängt
Und vielleicht in meinem Netze
Des Genusses Vogel fängt.
Jenes grüne Meer des Himmels
Und sein Schiff, der neue Mond,
In Kăwām's, des Pilgers, Gnaden
Sind zu tauchen sie gewohnt.

[11] [13]4.

Komm, o Ssofi, denn der Spiegel
Des Pocales ist nun rein;
Sieh doch, welche Lust entströmet
Dem rubinenfarb'nen Wein.
Den Ănkā kann Niemand fangen:
Ziehe drum die Netze ein, –
Denn an diesem Orte füllet
Sich das Netz mit Wind allein.
Strebe nur nach baaren Freuden,
Denn des Glück's beraubt verliess
Adam einst das Haus des Heiles,
Das erhab'ne Paradies.
Leere bei dem Fest des Lebens
Einen Becher oder zwei
Und begehre nicht zu gierig,
Dass die Lust beständig sei.
Herz, die Jugend schwand, und keine
Lebensrose pflücktest du:
Wende nun dich, greiser Scheitel,
Gutem Ruf und Namen zu.
Frage um geheime Dinge
Nur der trunk'nen Zecher Schaar:
Dem erhab'nen Frömmler mangelt
Diese Kunde ganz und gar.
Auf die Schwelle deines Thores
Hab' ich Diener manches Recht:
Herr, erkenne es und habe
Doch Erbarmen mit dem Knecht!
Nur des Weinpocales Jünger
Ist Hafis; geh', Morgenwind,
Und dem Scheïche des Pocales
Bring' des Dieners Gruss geschwind!

[13] [15]5.

Auf, o Schenke, gib mir den Pocal,
Streue Staub auf's Haupt der Erdenqual!
Setz' das Glas mir auf die Hand; – mit Lust
Reiss' das blaue Kleid ich von der Brust.
Klugen scheint das gegen Ehr' und Pflicht,
Doch ich will ja Ruhm und Ehre nicht.
Gib mir Wein! Wie manches Thorenhaupt
Hat der Wind des Stolzes schon bestaubt!
Meines heissen Busens Seufzerrauch
Sengte diese kalten Rohen auch.
Keiner, seh' ich, will mein Herz versteh'n,
Möge hoch er oder niedrig steh'n;
Nur bei jenem Holden find' ich Ruh',
Der die Ruhe mir geraubt im Nu.
Niemand blicket auf den Baum der Flur,
Sah er jenen Silberbaum erst nur.
Sei geduldig Tag und Nacht, Hafis,
Du erreichst des Wunsches Ziel gewiss.

[15] [17]6.

Aus der Hand droht mir das Herz zu schlüpfen:
Herzensmänner, helft mir Gott zu Lieb',
Denn sonst wird, o Jammer, ruchbar werden,
Was noch immer ein Geheimniss blieb!
Auf die Sandbank ist mein Schiff gestossen:
Günst'ger Wind, beginne denn zu weh'n,
Denn vielleicht wird mir die Freude werden,
Jenen wohlbekannten Freund zu seh'n.
Nur zehn Tage währt die Gunst des Himmels,
Ist ein Mährchen, eine eitle List:
Freund, um Freunden Gutes zu erweisen,
Nütze sorglich die so kurze Frist!
Gestern Nachts, umringt von Wein und Rosen,
Sang der Sprosser gar so schön und wahr:
»Bringe schnell den Morgenwein und halte
Dich bereit, o trunk'ne Zecherschaar!«
Alexander's wunderbarer Spiegel
Ist das Glas, gefüllt mit Wein, und traun!
Was in Dara's Reiche sich begeben,
Kannst du klar und deutlich in ihm schau'n.
Edler Mann! Erkund'ge dich, zum Danke,
Dass des Himmels Segen dich beglückt,
Einmal nur in deinem ganzen Leben
Nach dem Armen, den der Mangel drückt!
Was die Ruhe beider Welten gründet,
Wird durch diese beiden Worte klar:
»Gütig sei mit Freunden dein Benehmen,
Doch die Feinde täusche immerdar!«
Nach dem Dorf des guten Rufes ging ich,
Doch man wies von dannen mich zurück;
Sollte dieser Umstand dir missfallen,
Nun wohlan, so änd're das Geschick!
[17][19]
Jenen bitt'ren Saft, den einst der Ssofi
Aller Laster Mutter hat genannt,
Hab' ich stets für lieblicher und süsser
Als der Jungfrau holden Kuss erkannt.
In den Tagen der Bedrängniss strebe
Du nach Lebenslust und Trunkenheit.
Denn durch diese Alchimie des Lebens
Wird der Bettler zum Kărūn geweiht.
Sollst nicht störrig sein, denn sonst verbrennet
Dich im Eifer, einer Kerze gleich,
Der Geliebte, dessen Hand den Kiesel,
Gleich dem Wachse, schmiegsam macht und weich.
Neues Leben spenden uns die Schönen,
Wenn da persisch spricht ihr holder Mund;
Schenke, mache diese frohe Botschaft
Allen alten frommen Priestern kund!
Nein, Hafis zog nicht mit freiem Willen
Diese Kutte an, befleckt mit Wein;
D'rum, o Scheïch mit unbeflecktem Saume,
Lass mir deine Nachsicht angedeih'n!

[19] [21]7.

Mit der Jugend Reizen pranget
Abermals der Gartenhain,
Und von Rosen frohe Kunde
Trifft bei'm süssen Sprosser ein.
Trägt dich zu der Wiese Kindern,
Morgenwind, dein leichter Fuss,
Bring' dem Königskraut, der Rose
Und Zipresse meinen Gruss!
Schmeichelt sich des Weinwirth's Knabe
Gar so freundlich bei mir ein,
Fege ich mit meinen Wimpern
Ihm das Thor der Schenke rein.
Du, der einen Ambra-Schlägel
Trägt auf seinem Mondgesicht,
Mache zum geschlag'nen Manne
Mich, dem so schon schwindelt, nicht!
Ich befürchte, jenes Völklein,
Das der Hefentrinker lacht,
Ist es, das zu wüsten Zwecken
Gar den Glauben dienen macht.
Sei ein Freund der Männer Gottes,
Denn die Arche Noë's hegt
Einen Staub, der auf die Sündfluth
Nicht den Werth des Tropfens legt.
Du, dess letzte Schlummerstätte
Aus zwei Handvoll Staub besteht!
Wesshalb bauest du Paläste,
Bis zum Himmelsrand erhöht?
Fliehe aus des Himmels Hause
Und begehr' von ihm kein Brod:
Dieser Unhold schlägt am Ende
Alle seine Gäste todt.
[21][23]
O mein Mond aus Kanán's Fluren!
Dir gebührt Egyptens Thron;
Deinen Kerker zu verlassen
Nahte wohl die Stunde schon.
Welchen schwarzen Vorsatz nähre
Deine Locke, weiss ich nicht,
Da dein Moschushaar sich wieder
So verwirret und verflicht.
Trinke Wein, Hafis, und schwelge
Und geniess' der Lust! – allein
Lass nicht And'ren gleich den Koran
Des Betruges Fallstrick sein!

[23] [25]8.

Nähme der Schiraser Türke
Hold mein Herz in seine Hand,
Schenkt' ich seinem Indermaale
Būchărā und Sāmărkānd.
Gib den Weinrest her, o Schenke!
Wirst im Paradies nicht schau'n
Rōknăbād und seine Ufer
Und Mofsella's Rosenau'n.
Weh, die schelmisch-süssen Lulis,
Die der Stadt den Zwist gebracht,
Machen Jagd auf Herzensfrieden,
Wie auf's Mahl der Türke macht!
Auf mein unvollkomm'nes Lieben
Thut der schöne Freund Verzicht:
Glanz und Maal und Flaum und Farbe
Braucht ein schönes Antlitz nicht.
Sprich vom Sänger nur und Weine,
Doch dem Loos lass seinen Lauf:
Denn durch Weisheit löst und löste
Keiner noch dies Räthsel auf.
Ich ersah aus Joseph's Schönheit,
Die den Tag zu mehren schien,
Liebe mache einst Suleïchen
Aus der Keuschheit Vorhang flieh'n.
Böse war, was du mir sagtest,
Gott verzeih's, gut war's gethan:
Zuckersüsser Onixlippe
Steht ein bitt'res Wort wohl an.
Horch' auf meinen Rath, o Seele!
Mehr noch als die Seele werth
Ist dem wohlerzog'nen Jüngling,
Was der weise Greis ihn lehrt.
Lieder sangst du, bohrtest Perlen:
Komm, Hafis, und gib sie kund,
Dass auf dein Gedicht der Himmel
Streue der Plejaden Bund!

[25] [27]9.

Ostwind! Jenem schlanken Rehe
Sage du mit Gunst und Huld:
»Durch die Berge und die Wüsten
Irre ich durch deine Schuld.«
Zuckerhändler, dessen Leben
Lange währe! Warum, ach,
Frägt er nie dem Papageie,
Der da Zucker kauet, nach?
Wenn du bei dem Freunde sitzest,
Einen Becher in der Hand,
So gedenke der Geliebten,
Die da irren durch das Land!
Stolz, auf Schönheit hat vermuthlich
Es, o Rose, dir verwehrt,
Nach des Sprossers Thun zu fragen.
Den der Liebe Gram verzehrt.
Durch die Macht der schönen Sitte
Fängt man auch den weisen Mann,
Während der verschmitzte Vogel
Jedem Netz und Garn entrann.
Wesshalb wird man nie die Farbe
Der Vertraulichkeit gewahr
An der schlanken, schwarzbeaugten,
Mondgesicht'gen Liebchenschaar?
Mehr als eines einz'gen Fehlers
Zeih' ich deine Reize nicht:
Dass es nämlich einem Schönen
Stets an Lieb' und Treu' gebricht.
Dankbar für der Freunde Umgang
Und des guten Glück's Gewinn.
Wolle du der Fremden denken,
Die durch Feld und Wüste zieh'n!
Ist's zu wundern, wenn am Himmel,
Durch Hafisens Wort erregt,
Der Sŏhrē Gesang zum Tanze
Den Messias selbst bewegt?

[27] [29]10.

Gestern war's, als aus dem Tempel
Unser Greis in's Wirthshaus trat;
Ordensbrüder! was beschliessen
Wir, nach einer solchen That?
Und wie wenden zu der Ka'ba
Wir uns hin, der Jünger Schaar,
Wenn zum Weinhaus sich der Meister
Hält gewendet immerdar?
Nun so lasst denn gleichen Schrittes
Uns auch in die Schenke geh'n,
Denn so muss es, durch des Schicksals
Ewigen Beschluss, gescheh'n.
Wüsste Weisheit, wie sich selig
Fühlt das Herz in Seinem Haar,
Des Verstandes würden Weise,
Meiner Kette wegen, baar.
Kaum dass sich die Ruh' im Netze
Meines Herzensvogels fing,
Als du deine Locken löstests
Und die Beute mir entging.
Einen Koransvers der Anmuth
Macht' dein Huldgesicht mir klar:
Desshalb trifft nur Huld und Anmuth
Man in meinem Commentar.
Ist des Nachts nicht einzuwirken
Auf dein Felsenherz im Stand'
Meiner Seufzer Feuerregen
Und des Busens nächt'ger Brand?
Als der Wind dein Haar berührte,
Schien die Welt mir schwarz zu sein;
Keinen and'ren Vortheil brachte
Deines Haares Lust mir ein.
Meiner Seufzer Pfeil durchdringet
– Schweig', Hafis – des Himmels Schloss:
Sei der eig'nen Seele gnädig
Und vermeide mein Geschoss!

[29] [31]11.

Bringt den Höflingen des Sultans
Niemand dies Gesuch von mir:
»Dankbar, dass du König heissest,
Treib' den Bettler nicht von dir!«
Vor dem Diw, dem Nebenbuhler,
Flüchte ich zu meinem Herrn:
Dies Gestirn der ersten Grösse
Hilft vielleicht dem kleinen Stern.
Eine Welt bringst du in Flammen
Durch der Wangen helle Gluth:
Kann es dir wohl Vortheil bringen,
Dass du sanft nicht bist und gut?
Welchen Aufruhr weck'st, o Seele,
Du in der Verliebten Reich,
Zeigend deine Mondeswange
Und den Wuchs, Zipressen gleich!
Ganze Nächte hoff' ich immer,
Dass, wenn früh der Ost erwacht,
Er dem Freund mit Kunden schmeichle,
Die von Freunden er gebracht.
Ist es deine schwarze Wimper,
Die mein blut'ges Urtheil spricht,
So bedenke, dass sie trüge,
Holdes Bild, und irre nicht!
Durch den Trug des Zauberauges
Schwimmt mein armes Herz im Blut;
O mein Theurer, sieh wie grausam
Es geübt des Mordens Wuth!
Gott zu Lieb' gib dem Verliebten,
Der schon früh zum Himmel fleht,
Einen Labetrunk, und wirken
Wird auf dich das Frühgebet.
Wenn das arme Herz Hafisens
Durch die Trennung bluten muss,
Was, o Freund, wird seiner harren,
Kömmt es einmal zum Genuss?

[31] [33]12.

Wo sind die tugendhaften Werke,
Und ach, wo ist mein wüster Sinn?
Sieh, welch ein Unterschied des Weges!
Wo fängt er an, wo läuft er hin?
Was hat die Trunkenheit zu schaffen
Mit Gottesfurcht und Tugendlohn?
Wo ist die Hörung einer Predigt,
Und wo der Zither froher Ton?
Mein Herz fühlt Abscheu vor der Zelle
Und vor der Kutte falschem Schein:
Wo sind der Maghen Klosterräume,
Und wo ist reiner, klarer Wein?
Vorbei sind des Genusses Tage:
Doch die Erinn'rung währe fort!
Wo kam es hin, das holde Kosen?
Wo kam es hin, des Vorwurfs Wort?
Was frommt dem Herzen eines Feindes
Des Freundes schönes Angesicht?
Wo ist die ausgelöschte Kerze,
Und wo der Sonne helles Licht?
Da mir der Staub von deiner Schwelle
Als Salbe für das Aug' erschien,
So sprich, wohin von dieser Stätte
Ich mich begeben soll? wohin?
Sieh nicht auf Seines Kinnes Apfel:
Es droht ein Brunnen auf der Bahn;
Wohin, wohin mit dieser Eile
Trittst du, o Herz, die Reise an?
Geduld und Ruh', o Freund, erwarte
Du von Hafisen nimmermehr:
Was ist Geduld und was ist Ruhe,
Ach, und der Schlaf, wo wäre er?

[33] [35]13.

Ich, ich zog dahin, du weisst es,
Und mein Herz, das Gram verschlingt.
Wo mich wohl des Schicksals Tücke
Unterhalt zu suchen zwingt?
Deiner Locke ähnlich, fasset
Meine Wimper reich in Gold
Jenes Boten Fuss, der Grüsse
Mir von dir entbietet hold.
Betend kam ich; heb' auch betend
Du die Hand empor und sprich:
»Möge Treue dich begleiten,
Und des Himmels Segen mich!«
Zückte eine Welt auch Schwerter
Auf mein Haupt, – bei deinem Haupt! –
Nimmer würde deine Liebe
Aus dem Haupte mir geraubt.
Irrend treibt nach allen Seiten
Mich der Himmel, wie du weisst,
Weil er meinen Umgang neidet.
Der die Seele kräftig speist.
Übte alles Volk der Erde
Unbill wider dich und mich,
Rächte unser Herr und Richter
Uns an Allen sicherlich.
Wohlbehalten kehrt mein Liebling
Heim zu mir von ferner Bahn:
O des wonnevollen Tages,
Seh' ich grüssend ihn mir nah'n!
Dem, der sagt, dass weite Reisen
Nie Hafis noch unternahm,
Sage, dass die weite Reise
Nie ihm aus dem Sinne kam.

[35] [37]14.

Gnade ist es, birgst vor Bettlern
Dein Gesicht du nicht,
Dass nach Herzenslust mein Auge
Schaue dein Gesicht.
Gleich Hărūt heisst mich die Liebe
Weinen stets und fleh'n:
Hätte doch mein Auge nimmer
Dein Gesicht geseh'n!
Fiel Hărūt in deines Kinnes
Brunnen je hinab,
Wenn er dem Mărūt nicht Kunde
Deiner Schönheit gab?
Holde Peri! auf der Wiese
Hebt sich Rosenduft,
Während der berauschte Sprosser
»Sah'st Mărūt du?« ruft.
Fern von dir hat, o mein Götze,
Qualen zu besteh'n
Mein Hafis; o lass ihn gnädig
Dein Gesicht doch seh'n!

[37] [39]15.

Seit dein Liebreiz die Verliebten
Lud zu des Genusses Mahl,
Gab dein Maal und deine Locke
Herz und Seele Preis der Qual.
Was verliebte Seelen leiden
Fern von dir, hat in dem Maass
Niemand auf der Welt erfahren,
Als die Durst'gen Kērbĕlā's.
Theure Seele! Kennt mein Türke
Nichts als Rausch und Trunkenheit.
Musst auch du vor allem Ander'n
Thun Verzicht auf Mässigkeit.
Weil die Zeit der Lust und Freude
Und des Wein's jetzt wiederkehrt,
So betrachte sie als Beute,
Sie, die nur fünf Tage währt.
Wenn des Königs Fuss zu küssen
Dir gelänge, o Hafis,
Ist in allen beiden Welten
Rubin und Ehre dir gewiss.

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Citation Suggestion for this Edition
TextGrid Repository (2012). Ḥāfeẓ, Šams o'd-din Moḥammad. Der Buchstabe Elif. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-2D5D-2