[Ich lieb den stillen Pfad/ die Ruh der Einsamkeit]

Es hatte aber Strephon/ indem er besagten Brief her vorgelanget/ unvermerkt ein ander Papier mit ausgeschleudert/ welches Floridan aufgehebt/ und ihme/nach beschehener Ablesung des Rosenliedes/ wieder zustellete/ jedoch mit dem bittlichen Zusatz/ er wolte den Innhalt dessen ihnen auch nicht unwissend seyn lassen/ wo ferne er eben dergleichen behandlete und sonsten nicht etwan in heelen Sachen begriffen wäre. Worein Strephon verwilligte/ mit Vermeldung/ daß er ohne daß eine so merkliche Abenteuer ihnen zu entdekken langst gewillt gewesen/ Es solten aber Montano und Klajus gute acht darauf haben/ als die solche zugleich mit/ wiewohl ohne ihr Wissen/ betreffen würde.

Fuhre darauf also fort: Es ist nicht so gar lang daß ich/ meinen Heerden eine fette Weide ausspürende/von ungeschicht auf einen Abweg gerahten/ welchen ich/ weil er mir zuvor unbekandt und daher wegen Neuheit desto annehmlicher/ so lang verfolget/ bis ich vermittels seiner Irrsteige endlich an einen öden Ort kame/ welcher mir wegen seiner einsamen und stillen Gelegenheit so wohl gefiele/ daß ich Papier und den Bleygriffel (allhier ist zu merken/ daß diese Schäfere sich immer zu mit Papier und Wasserbley in ihren Hirtentaschen versehen/ damit ja ihnē bey Gelegenheit an Matery zum Schreibē nicht ermangeln möchte/) ergriefe/ und meine Gedanken von dem alda-wesenden alt-verfallenē Schloß/ anrieslenden Deich/ beystehenden Morast/ und denen mit Baumen verwachsenen Klippen ausbildete in hiesigem Gedichte:


[70] Die Einsamkeit


Ich lieb dē stillē Pfad/ die Ruh der Einsamkeit/
Entfernet vō geplär versüsend meine Zeit.
Hier hat kein Wagenrad den seltnen Weg belastet/
Der Fisch in diesem Deich hat angelfrey gemastet/
Es hat kein Wandersmann/ in seinem Durst entbrandt/
Erhaben aus der Qwell hier Wasser mit der Hand/
Kein leichtgefüstes Reh hat man hier mögen fällen/
Noch in dem dikken Busch nach schwartzē Wildpret stellē/
Es hegt in jenem Schloß der Igel seine Zucht/
Da nur die Fledermauß ihr hole Wohnung sucht.
Das unverschlossne Haus zeigt der gewölbte Bogen/
Der Last hat seinen Grund vorlangsten überwogen/
Das Käutzlein unn der Dachs sind wohnhaft hier zu Land/
Es dekkt das Marderthier mit Jungen diesen Sand/
Im Keller findet man ein Bret von dritten Gaden/
Die Kröten samt der Maus in Otterleiche baden.
Ein Nusbaum wächset dort nächst der verfallnen Tür/
Er stehet Wurtzelfäst/ und grünet hoch herfür/
Der düsterrauhe Wald ümzirkt den öden Rangen/
Den nie-gepflügten Ort/ die dikkbebäumten Hangen.
Wie nennet man den Fluß/ der keinen Namen hat?
Sein Abfall dienet mir jetzt an Begleiters stat.
Ist dann der Schattenwald in diesen Deich gestürtzet?
Sein grünbelaubter Thron ist Mahlerrecht gekürtzet. 1
Hör/ leichtes Felsen-Kind/ bin ich hier gantz allein?
Der gelblich-grüne Frosch quakkt aus der Pfützen/ nein.
Mich dünkt in dieser Gruft solt Echo Lieb erfrieren/
Die pfleget meine Pfeiff und mein Gesang zu zieren.
[71]
Ich liebe diesen Ort/ der ferne von Geschrey
Mich auf so ödem Weg fürt aller Sorgen frey.
Es überschatten mich der Felsen küle Schatten/
Wo sich mit dem Gesang die Nachtigallen gatten.
Von welcher Brunstbegierd erschallt der schöne Schall/
Hört/ wie im Thal erklingt der hold und helle Hall.
Wie? redet auch der Stein? so will ich gleichfalls singen/
Daß meiner Flöten Spiel soll in der Luft erklingen:
Einsamkeit lehret die lieblichsten Lieder/
Lieder die lauten in Felsen herwieder.
Aber wir sollen die Wildnisse hassen
Weil sie verursacht die Schäfer zu lassen.
Liebet doch/ liebet die Anger und Augen/
Liebet die Hürden und Herden zu schauen.
Flöte/ wir wollen die Wildnisse hassen/
Weil sie verursacht die Schäfer zu lassen.

Fußnoten

1 Nach der Sehkunst (ad opticam) wann im Wasser die Bäume herwiederschatten.


License
Der annotierte Datenbestand der Digitalen Bibliothek inklusive Metadaten sowie davon einzeln zugängliche Teile sind eine Abwandlung des Datenbestandes von www.editura.de durch TextGrid und werden unter der Lizenz Creative Commons Namensnennung 3.0 Deutschland Lizenz (by-Nennung TextGrid) veröffentlicht. Die Lizenz bezieht sich nicht auf die der Annotation zu Grunde liegenden allgemeinfreien Texte (Siehe auch Punkt 2 der Lizenzbestimmungen).
Link to license

Citation Suggestion for this Edition
TextGrid Repository (2012). Harsdörffer, Georg Philipp. [Ich lieb den stillen Pfad- die Ruh der Einsamkeit]. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-3598-6