[173] 3. Vom Baal zu Babel

1

Vierzig Schafe und zwölf Malter Weizen
nebst drei Eimern Weines wurden täglich
am Altar des grossen Baal geopfert:
und am nächsten Morgen war es alles
aufgezehrt, und gnädig und gesättigt
grinste Baal herab auf seine Knechte.
Auch der König Cyrus diente täglich
seinem Gott und ging hinab zum Tempel,
am Altar des grossen Baal zu beten.
Und er sprach zu Daniel, seinem Freunde,
den er ehrlich hielt, obwohl er Jude:
Sage mir, was betest du nicht auch an
meinen Gott, den grossen Baal zu Babel?
Daniel versetzte: Keine Götzen,
die von Menschenhand gemacht, verehr ich,
einzig den lebendigen Gott des Himmels,
Zebaoth, den Herren über Alles!
Sprach der König: Hältst du denn den Baal nicht
für lebendig? Siehst du nicht, wie viel er
täglich isst und trinkt?
[174]
Doch Daniel lachte:
Herr, mein König, lass dich nicht bethören!
Dieser Baal ist eine todte Puppe,
draussen Erz und drinnen eine Höhle:
was der Götze frisst, verdaut der Priester!
Zornig ward der König. Rufen liess er
seine Priester, und er sprach zu ihnen:
Wenn ihr mir nicht sagt, wer all die Opfer
täglich frisst, die wir dem Baal bereiten,
müsst ihr alle sterben. Könnt ihr aber
mir beweisen, dass sie Baal verzehre,
so muss Daniel sterben, denn er lästert
unsern Gott!
Und Daniel rief: Herr! König!
Es geschehe so, wie du geredet!

2

Siebzig Priester dienten Baal, dem Gotte.
Siebzig Priester traten mit dem König
in den Tempel, und es sprach der Aeltste:
Siehe, Herr, wir lassen dich gewähren.
Du, der König, mögest Trank und Speise
selber opfern und die Thür verschliessen
und versiegeln mit dem eignen Ringe.
Kommst du wieder dann, am nächsten Morgen,
und du findest, dass der Baal nicht alles
aufgezehrt, so wollen gern wir sterben.
[175]
Findest du jedoch, dass Baal die Speise
und den Trank, so ihm gebührt, verzehrt hat,
so muss Daniel des Todes sterben,
wie du sagtest, weil er Gott gelästert.
Und sie gingen grollend. Cyrus aber
hiess vor seinen Augen Alles häufen,
vierzig Schafe und zwölf Malter Weizen
nebst drei Eimern Weines, Baal zum Opfer.
Daniel indess befahl den Knechten,
dass sie Asche holten: diese liess er
streun ums Opfer, durch den ganzen Tempel.
Schweigend und verwundert sahs der König.
Darnach gingen sie hinaus. Die Thüre
ward verschlossen von des Königs Händen
und versiegelt mit des Königs Ringe.

3

Und am andern Morgen in der Frühe
stand der König auf und ging mit Daniel
vor den Tempel. Und der König fragte:
Ist das Siegel unversehrt?
Das Siegel
hat kein Mensch berührt, versetzte Daniel.
Und die Thür sprang auf. Leer war der Altar.
Cyrus aber rief mit lauter Stimme:
[176]
Baal, du bist ein grosser Gott! Bei dir ist
kein Betrug! Verzeih mir! Und er wollte
vorwärts eilen.
Halt!, rief Daniel lachend:
Halt, mein König, warte nur ein wenig.
Siehe dort! Was siehst du auf dem Boden?
Wes sind diese Stapfen?
Und der König
sah und sprach: Ich sehe wohl die Tritte.
Männer gingen aus und ein und Weiber,
Kinder auch ...
Und siehst du auch, woher sie
alle kamen und wohin sie laufen?
In den grossen Bauch des grossen Baal! Dort
mündet ein geheimer Gang ... Ja, König:
was der Götze frisst, verdaut der Priester!
Da ergrimmte Cyrus! Alle Priester
liess er fangen. Und noch einmal mussten
sie mit Weib und Kindern durch die Höhle
in den Tempel kriechen – statt der vierzig
Schafe wurden siebzig Priester festlich
Baal geschlachtet, der gesättigt grinste.
Aber dann zerschlug das Bild des Götzen
Daniel und zerbrach des Tempels Säulen
und zerstörte seine festen Hallen.

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Zitationsvorschlag für diese Edition
TextGrid Repository (2012). Hartleben, Otto Erich. 3. Vom Baal zu Babel. TextGrid Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-37F6-4