[76] Neues Leben
Symphonie in Stanzen

[77] [79]1.

Was will der Geist? Wie wechselt das Betrachten!
Zehn Jährchen mehr – wir scheinen wie vertauscht.
Was heißes Draufgehn in der Jugend Schlachten,
Ist wie vergangne Form des Seins verrauscht.
Doch nur der Lump wird, was er war, verachten,
Zu Parvenüs sind wir nicht aufgebauscht,
Und wenn wir andern Schnitt des Geistes tragen,
Verschmähn wir's doch, uns auf die Brust zu schlagen.
Wir haben einst den Mund recht voll genommen,
Das Herz von Riesenhoffnungen geschwellt,
Jetzt sind wir langsam auf den Punkt gekommen,
Wo sich die Seele zu der Stunde stellt.
Was kann denn auch die schönste Zukunft frommen,
Wenn des Momentes Zauberkelch zerschellt?
Wir klammern uns nicht mehr an künftige Zeiten,
Der nächste Augenblick birgt Ewigkeiten.
Bescheidner sind wir und sind anspruchsvoller,
Man kann es nehmen, wie man eben will,
Wenn wir verzichten auf den Zukunftskoller,
Zum Heute schweigen wir darum nicht still.
Kein souveränes Volk, kein Hohenzoller,
Kein Geldtyrann schickt uns in den April,
Daß wir statt großer Menschen, echter Weisen
Sie als der Menschheit höchste Helden preisen.
[79]
Man wird den Herren nicht zu nahe treten,
Die sich direkt von Gott ihr Wams beziehn,
Gefällt's uns nicht, demütig anzubeten
Und vor den Würdewundern hinzuknien,
Die sich ad usum ihrer Allmacht kneten
Die »Welt«geschichte – seit die Sonne schien,
Ist alles auf die Großmark zugeschnitten,
Selbst Goethes Glaubensgeist wird vorgeritten.
Wer nörgelt denn, wenn sie ihr Mütchen kühlen?
Der Pöbel will's – ihn blendet der Popanz.
Der Hermelin muß sakrosankt sich fühlen,
Verketzert man das Wort des freien Manns.
Herrscht »unbedingtes« Recht auf Richterstühlen?
Die Monarchie zeigt ihren Hexenschwanz.
Träuft ihr noch Gift in deutscher Treue Becher,
Wird selbst ein Engel Majestätsverbrecher.
Man will kein Schattenkaiser sein – versteht sich!
Von hundert Vetos kreuz und quer bedingt.
Will Sonne sein – die Nebelmasse dreht sich
Trabantenhaft, wenn man sich tüchtig schwingt.
Man ist sein Komponist und selbst Poet sich,
Nach dessen Wort und Weise vulgus singt.
Schön war Byzanz! Wilhelm der Absolute!
Mir wird ganz mittelalterlich zumute.
[80]
Enfin – die Hybris herrscht nicht nur auf Thronen,
Wo glorreich weithin gleißt ihr falsches Licht,
Sie kann in jedem Zuckerbäcker wohnen,
Der seine süße Würde heilig spricht.
Fakire, Dichter wird sie kaum verschonen,
Der Größenwahn fragt nach dem Stammbaum nicht,
Als Schwester soll mit allen ihren Reizen
Die Arroganz sich auf dem Geldsack spreizen.
Wir waren grün, als wir die Spieße rannten
Auf alles, was des Blutes Puls empört,
Wenn uns des Unrechts Qualen übermannten,
Wir glaubten fest, daß uns der Sieg gehört.
Nie werden lieben wir die alten Tanten,
Die nichts in ihrem Mittagsschläfchen stört –
Doch daß wir reifer werden, das gewahren
Wir an der Weisheit, die wir schwer erfahren.
Und ist Erkenntnis über uns gekommen,
Daß Satan allem Weltlauf immanent,
Daß weiße Raben sind die wahren Frommen,
Die man am reinen Herzen nur erkennt,
Und daß der Schwindel eher zugenommen,
Als daß er weicht dem lautern Element,
Dann wird man, ging man vorher nicht ins Wasser,
Gelassener, wenn auch kein Gehenlasser.

[81] 2.

Ein großes Mißtraun hat mich überfallen,
Auf Herz und Nieren prüf' ich jedes Wort.
Man sieht es blitzen, hört den Donner schallen,
Auf einmal schiebt sich die Kulisse fort,
Da liegt das Donnerblech in ganzen Ballen,
Der Bühne Feuerzungen sind verdorrt –
Der Pyrotechniker von Geistes Gnaden
Schleicht fort mit Zündschnur und verbranntem Faden.
Die Ehrlichkeit der Seele will ich wittern,
Mit oder ohne Reim, bloß das Getu,
Dies modisch unsolide Phrasenflittern
Berührt mich kläglich wie gestohlne Schuh
Von Königen an schäbigen Heckenrittern,
Vor Prunkfuß halt' ich mir die Nase zu –
Die Pose täuscht, mein Gott, welch fauler Zauber!
Man glaubt an Prinzen – und das Hemd nicht sauber!
Ist Dichtkunst denn ein Komödiantenkasten,
In dem der Mensch sich fürchterlich drapiert?
Bald Übermensch mit plumpen Nietzschequasten,
Der kraß mit Renaissance kokettiert,
Bald Säuseler auf Symbolistentasten,
Romantik mit Verrücktheit imprägniert,
Bald Junkersporen, Dörpertanzgebärde,
Selbst Eichendorff auf dem Theaterpferde!
[82]
Ihr Brüderchen, warum mehr scheinen wollen,
Als man nun grade mal von Haus besitzt?
Soll man dem Pomp von Pumpus Gnaden zollen
Die Ehre, die ihr schwindelnd euch stibitzt?
Hochstapler seid ihr, tut wie aus dem Vollen,
Indes ihr »Nichts!« aus allen Poren schwitzt ...
Man kennt euch doch und eure nobeln Schliche,
Grandiose falsche Grafen – Tinteriche!
Ach, hättet ihr zu Wert und Maß der Dinge
Die schlichte Liebe nur – es stände gut.
So aber seid ihr nichts als Dichterlinge,
Ob ihr auch hochmodern spottwichtig tut.
Ich kreuze nicht mit Hinz und Kunz die Klinge,
Denn epidemisch wuchert diese Brut.
Auf manchen setzt' ich anfangs viel Vertrauen
Und muß ihn jetzt beim Volk der Gaukler schauen.

3.

Basta! Die literarischen Gespenster
Blas' ich hinweg mit einem leichten Hauch.
Die erste Rose grüßt mich heut vom Fenster,
Mit hundert Knospen rankt empor der Strauch.
Bald blütenvoll in Herrlichkeit umkränzt er
Mir die Veranda ... Eintagsruhm ist Rauch ...
Ich habe nachgedacht. Es ist zum Lachen.
Ich kann mir nichts mehr aus der Posse machen.
[83]
Und würden tausend Zeitungen mich feiern,
Und winkte mir der rauschendste Gewinn,
Ich gebe tausend hohle Ruhmesleiern
Für diese eine dunkle Rose hin.
Steckt denn im Kopf von Müllern oder Meiern
Nur der geringste Unterscheidungssinn?
Ich zweifle, seh ich überall im Leben
Den Blick doch an der Etikette kleben.
Drum sei gescheit und freue dich der Rosen!
Aus Rosenheim auch deine Seele stammt.
Die frischlebendigen Morgenlüfte kosen
Um ihrer jungen Schönheit Duft und Samt.
Hier ist dein Reich. Hier gibt es keine Posen,
Hier kannst du feiern, was dein Herz entflammt,
Hier bist du frei von Kameraderien
Und kannst an deinen Hausaltären knien.
Die Römer nannten solch ein Ding Penaten,
Was keine Götter der Boheme sind;
Es waren des Logis intimste Paten
Und steckten eigentlich in Stuhl und Spind.
Wenn nach den öffentlichen Heldentaten
Sich die Quiriten Haus und Ingesind
Recht con amore angedeihen ließen,
Dann spürten sie, was sie Penaten hießen.
[84]
So bet' auch ich zu meines Hauses Göttern,
Und frische Blumen in die Schalen füllt
Mein Weib zum Opfer täglich. Giftigen Spöttern
Bleibt diese Welt verschlossen und verhüllt.
Gebell von Gassenhunden und Hundsföttern
Stört nicht mein Ohr, und ob der Pöbel brüllt
Beifall den Götzen, lebenden und toten,
Hier ist das Brüllen wenigstens verboten.
Denn Helden wähl' ich mir aus anderm Schnitte,
Als sie die öffentliche Meinung schätzt,
(»Die öffentliche Meinung, aber bitte!
Was sagen Sie? Wer dieses Weib verletzt!«)
Mein Sinn hat seine eigene Kultussitte,
Die nicht nach jedermanns Geschmacke schwätzt.
So zieh ich vor den plumpen Faustpanduren
Die feineren, die faustischen Naturen.
Ich schwärme nicht für jede Machtentfaltung
Und frage dreimal nach dem Was und Wie:
Ist es nur Stoffgewalt, ist's Geistgestaltung,
Ist's Herrscherwucht, ist's Schönheitsenergie?
Mich hebt des Herzensadels Krafterhaltung
Und das aus Tiefen wirkende Genie:
Die großen Wahrheitskünstler und die Weisen
Will ich in meiner Hauskapelle preisen.
[85]
Nicht preisen. Ist das Wort doch fast zu tönend
Für mein geräuschlos webendes Gemüt,
Das alle Lippendienerei verpönend
Wie eine stete, stille Flamme glüht.
Die Liebe schweigt und sucht, was schmerzversöhnend
An echten Blumen der Empfindung blüht
Im Wundergarten auserwählter Geister,
Die durch das Leid des Lebens wurden Meister.
Ach, vieles ist aus mir herausgeschmolzen,
Was früher drinnen laut und eifernd war,
Ich stoße nicht mehr mit den Fortschrittsstolzen
Ins Horn: Wie macht die Welt sich wunderbar!
Ich schieße nicht mehr mit des »Freisinns« Bolzen
Nach allem, was für common sense nicht klar –
Wer gut im Buche seines Selbst gelesen,
Zieht sich zurück vom »Jetztzeits«jubelwesen.
Doch nur ein schlechter Wicht soll treulos heißen
Mich jener Liebe, die zum Höchsten strebt.
Versuch's, das Herz mir aus der Brust zu reißen,
Schelm, der sich innerer Wahrheit überhebt!
Dir gilt's, mit äußern Losungen zu gleißen,
Mein Fähnlein ward aus feinerm Tuch gewebt,
Das ganz durchtränkt von goldverklärtem Lichte
Mich zart umspielt, wie zitternde Gedichte.

[86] 4.

Heut brennt der rote Mohn mir auf dem Tische
Und mahnt an manche feurig schöne Nacht,
Voll königlicher Lust und Urweltfrische
Im Arm der schlanken Freundin zugebracht.
O wenn ich Freud und Leid erinnernd mische,
Welch Glück für welchen Gram mir zugedacht,
Statt Schemen solch ein Weib ans Herz zu drücken,
Braust mir durchs Mark ein schauerndes Entzücken.
Wie sich zum Kelche schmiegend weich zusammen
Die Blätter legen, los am spröden Stiel,
Wie neigen hingegeben sich die Flammen
Der Sommerküsse schmeichlerischem Spiel!
Den holden Schlafgott kann ich nicht verdammen,
Der einst mit Mohn zu schmücken sich gefiel –
Wie dehnen dankbar die gelösten Glieder
Sich selig rauscherschlafft zur Ruhe nieder!
Morpheus verzeiht, wenn ich ihn zärtlich deute,
Vermeinend, Amor sei mit ihm im Bund,
Weil Schlummer Balsam ist für Liebesleute,
Die von der Venus süßen Pfeilen wund.
Ich bin der reizendsten Erregung Beute –
Da stopft die Muse schleunigst mir den Mund;
Sie sagt: nicht aus konventionellen Gründen,
Doch weil kaum drei der Unschuld Wort verstünden.

[87] 5.

Ist wahres Liebesglück denn Sturm der Sinne?
O nein! Im Sturme der Zusammenklang
Vermählter Seelen, die zu starker Minne
Der Sehnsuchtsruf der Geisterwelt durchdrang.
Die Liebe schaut von morgenreiner Zinne
In Gärten voller Blumen und Gesang:
Die Blumen himmelstauerquickt – Gesänge,
Wie wenn ein Kinderchor zum Licht sich schwänge.
Wenn ich der Liebe keinen Hymnus schenkte,
Ich wär' ein heillos undankbarer Mann,
Der ich mit ihr mein Leben ordnend lenkte,
Das ohne sie vielleicht zu nichts zerrann.
Wohl mir, daß ich aus dunklem Trieb versenkte
Mich in den ungeheuren Seelenbann,
Darin ich meinen aufgewühlten Geistern
Den Kraftpunkt gab, sich sammelnd zu bemeistern.
Erst war's ein Stoß und dann ein zweifelnd Schwanken,
Ein pendelnd Werben, Flucht und zögernd Nahn,
Ein wiederkehrend Treiben der Gedanken
Auf sonnenkreisender Planetenbahn.
Irrsterne rannten schreckend in die Flanken
Dem Lichtkern, den sie fest sich bilden sahn.
Er wuchs und wuchs, trotz allem Widerstande,
Mit Venus-Jupiter im Schutzverbande.
[88]
Und so geschah's, daß sich der Ring geschlossen,
Der mir ein Ring des neuen Lebens war,
Ein goldiger Lichtstrom hat sich ausgegossen
Auf mein Gemüt, das schon des Schimmers bar.
Ich habe reine Seligkeit genossen
Und sah des Glückes Himmel tief und klar –
Ein Gut gewann ich durch der Liebe Glauben,
Des warmen Glanz kann mir kein Mißgeist rauben.

6.

Wer sprach mir denn von einem trocknen Tone,
Der hörbar wird, sobald der Schleier fiel?
Die Liebe sei gewiß der Dichtung Krone,
Doch nur im Walter-Vogelweide-Stil.
Poetisch sei die Minnesängerzone,
Der standesamtentrückte Dichterkiel,
Doch ehkontraktlich festgelegt und häuslich
Sei die Erotik maustot oder scheußlich.
Der Herr sprach so, weil er's nicht besser kannte,
Zwar häufig trifft die Wandlung leider zu.
An Beatrice sang der große Dante
Sein göttlich Lied. Sein Weib ließ er in Ruh.
Sie gab ihm nichts, wofür sein Herz entbrannte,
Vier Kinder nur, indes – que voulez-vous?
Weil aus »Vernunft« er nahm Donatis Gemma,
Mußt' ihn Beatrix ziehn aus dem Dilemma.
[89]
Wie traurig, wenn der Spiritus der Liebe
Vom heiligen Ehebette wird erstickt!
Sind denn die Myrten Räuber oder Diebe,
Davor die Muse meilenweit erschrickt?
Wenn ich die »Beichte eines Toren« schriebe,
Wär's, weil ich Gift statt Honigbrot gepickt –
Doch wenn ich mir ein musisch Weib genommen,
Braucht dann mein Lied auch auf den Hund zu kommen?
Ein musisch Weib – das heißt nicht, daß sie dichtet!
Für einen Haushalt wär's zu viel der Wut.
Das hätte mich schon längst zugrund gerichtet,
Wenn sie noch peitschte gar der Verse Flut.
Auf Wettbewerb mit Sappho hat verzichtet
Sie von Natur – und das ist schön und gut –
Sonst müßt' ich sicher sie noch kritisch schelten,
Annetten Droste-Hülshoffs sind so selten.
Ein musisch Weib – wie läßt das kurz sich packen,
Ganz knapp und ohne großen Wortebrei?
Sie ist aus dichterischem Teig gebacken,
Doch vom aktiven Dichterwahnsinn frei.
Sie neigt verständnisvoll den stolzen Nacken
Und horcht herzinnig, weit vom Marktgeschrei,
Der Botschaft aus den stilleren Gefilden,
Wo sich der Künste Wunderblüten bilden.
[90]
Ein musisch Weib – ich mag kein Ruhmeslaller
Der treusten Herzenskameradin sein,
Die fern sich hält vom Schwarm der Scheingefaller
Und einzig liebt, was wahr, natürlich, rein.
Spukt noch von ihrem Stammverwandten Haller
Ein Stück Natur in ihrem Fleisch und Bein?
Die Enziane muß ich in ihr lieben,
Die zart in seinen »Alpen« er beschrieben.
»Das hohe Haupt der Edelenziane
Ragt überm Chor der Pöbelkräuter hin,
Ein Blumenvolk dient unter ihrer Fahne,
Grauweiß ihr Blatt, Gold krönt die Königin.«
So etwa sang der Liebsten Urgroßahne
Und gab dem Blumenbilde holden Sinn:
»Gerecht Gesetz! Daß Kraft sich Zier vermähle,
In schönem Leib wohnt eine schöne Seele.«
Schon seh ich dich in Scham dein Auge decken,
Wenn du vernimmst, was ich von dir gesagt,
Du möchtest dich am liebsten mir verstecken,
Weil deinen Sinn die Eitelkeit nicht plagt.
O du! Mit Schmeichelei dich zu beflecken,
Hab ich verachtet stets und nie gewagt.
Recht schroff und rauh bin ich dir oft gekommen,
Drum sei von echtem Lobe nicht beklommen!
[91]
Du weißt, wir haben beide harte Köpfe,
Und ich kann brausen wie ein Katarakt,
Wir sind zwei leidenschaftliche Geschöpfe
Und schenken uns die Wahrheit splitternackt.
Wir warfen ins Gesicht uns keine Töpfe,
Doch hat's geblitzt ... Nun aber geht's im Takt.
Zwei Willen läuterten sich mild zum Bunde
Durch jene Liebe, die sich sucht im Grunde.

7.

Mitschuldige, du, meines schönern Lebens,
Dir beicht' ich meines Herzens Kampf und Krieg:
Kein Groll, der uns geschieden, war vergebens,
Und jeder Friedensschluß war beider Sieg.
Aus allen Banden trotzigen Widerstrebens
Lösten zwei Seelen sich und sangen: »Flieg!«
Der andern zu, »Flieg mit mir, Auserwählte,
Aus jenem Kerker, der uns beide quälte!«
Befreierin laß uns die Ehe grüßen,
Der nächsten Wahlverwandtschaft innres Band,
Den Zwang nicht, der die Freiheit tritt mit Füßen
Und der mit feiger Heuchelei verwandt.
Kein Zucker kann den bittern Trank versüßen,
Kredenzt aus armer Formelheirat Hand,
Mag auch der Becher noch so gülden gleißen –
Befreierin soll uns die Ehe heißen.
[92]
Was lichter Traum war in den knospenjungen
Lenztagen sprossender Liebe – welch Gepoch
Der Herzen gab's, bis alles aufgesprungen
Und schwoll in Herrlichkeiten! ... weißt du noch?
Was uns aus Hochzeitsglocken frei erklungen –
Kein Wurm versteckt durch unsere Blüten kroch –
Das will sich nun mit sonniger Lüfte Walten
Zum Sein erfüllen und zur Frucht gestalten.

8.

Dem Wildbach bin ich abends nachgegangen,
Der vom Gewitterregen lustig schwoll.
Aus dem verstärkten Flutgebrause klangen
Grundtöne, wie des Donners fern Gegroll.
Als so die Wasser schäumend niedersprangen,
War's, wie wenn frisch mir durch die Seele quoll,
Was ich in lustgeschwellten Torenstunden,
Durch Wald und Talschlucht schweifend, je empfunden.
Und mich durchrauschten dunkle Grundgefühle
Mit langentbehrter wonniger Gewalt ...
Da aus des Berggewässers Quellenkühle
Urplötzlich zitternd hebt sich die Gestalt,
Die wieder mein ist ... winkt vom feuchten Pfühle,
Mit einem Hauch gebietet sie mir Halt ...
Auf schmalem Brücklein bleib ich droben stehen,
Ins altvertraute Nixenaug zu sehen.
[93]
Ein Blick so tief, ein Gruß so unergründlich –
Ich bin ein Kind in grüner Wellen Schoß:
Ich weiß nicht, was im Staube fortkriecht sündlich,
Ich weiß nicht, was ein elend Menschenlos.
Ich spüre nur, was rein und ewig kindlich,
Und wähne mich der Föhre gleich und groß,
Die von dem rötlich tropfenden Gesteine
Des Hangs aufragt im letzten Purpurscheine ...

9.

Wie dieser Himmel, dessen Blau verloren
Von schwarzen Wolkenballen rings bedeckt,
Sank schweres Leiden auf den armen Toren,
Von Angst und Grauen ward mein Sinn erschreckt.
Da hab ich mit dem Ruck, der eingeboren
Als rätselhafte Macht uns, mich gereckt
Und niederstampfend der Vernichtung Schauer,
Erstürmt der Lebensfreistatt Wall und Mauer.
Erlitten hatt' ich tiefste Niederlage,
Des geistigen Todes glaubt' ich mich gewiß,
Da mir wie eine jäh geträumte Sage
Das Sein zerrann in Dunst und Finsternis.
Das Leben ward mir zur verwünschten Plage –
Was fehlte viel, daß ich den Schein zerriß? ...
Nun das Genick ich zog aus seiner Schlinge,
Schätz' ich das Leben hoch und – doch geringe.
[94]
Ich glaube fast, das Ding will mir sich schmiegen,
Seit ich's mal recht verächtlich angeschaut,
Und konnt ich's lange Zeit nicht unterkriegen,
Nun gibt's von selbst sich, tut mir sehr vertraut.
Als dank' es mir, läßt es wie Stahl sich biegen,
Daß ich's nicht weggeworfen nachtumgraut ...
Ich kann es ohne Last der finstern Schemen
Mit Sinnen auf die leichte Schulter nehmen.

10.

Und ward ein Blühen an dem Rosenbusche,
Daß besser mir kein Paradies gefällt,
Womit ich der Natur ins Handwerk pfusche,
Phantastisch dichtend eine »schönere« Welt ...
Was gibt es köstlicher als eine Dusche?
Hat Adam wonniger sich dem Weib gesellt?
Umspielten sie noch blühendere Ranken,
Wenn tief im Negligé sie Fruchtsaft tranken?
Das Paradies und die gesamte Hölle
Sind Tag für Tag auf dieser Welt daheim,
Da braucht's kein unterirdisches Gerölle
Und keinen überirdischen Honigseim.
Wem der Gemarterten Geschrei erschölle,
Dem kläng' es grauser als aus Dantes Reim,
Und staunend würde Miltons Satan lachen,
Säh er Lyddit- und Splitterbomben krachen.
[95]
Schlägt ewig Kains Neid auf Bruder Abel,
Weil gottgesegneter sein Opfer dampft?
Wird trotz der internationalen Kabel
Die Saat vom Ungeheuer Krieg zerstampft?
Der Schlachtengeier wetzt voll Gier den Schnabel,
Daß sich vor Weh das Herz zusammenkrampft –
Es wühlt der Haß von Zone fort zu Zone,
Dumpf heult die menschenhungrige Kanone.
Noch hält der rohe Wahnsinn racheschäumend
Bluternte, bis die Scheuern übervoll,
In Knäueln packt sich durcheinanderbäumend
Der zähnefletschend eingefleischte Groll.
Was weltversöhnend, völkerfriedeträumend,
Moloch verschlingt es, blindhinwütend, toll,
Gefüttert mit Verleumdung, lügenstrotzend,
Auf Leichenpyramiden grausig glotzend.
Doch Heer und Flotte sind die Heiligtümer
Vom europäischen Weltmachtkontinent,
Fall nieder, Mensch, und sei ein frommer Rühmer
Der großen Götzen, die mit Furcht man nennt!
Sei aller Schanden schmeichelnder Verblümer
Und weih dem evangelischen Regiment
Der Massenmordsarmeen und -marinen
Den Kult, den solche Fetische verdienen!
[96]
Hinweg! Wer wird am Wahnsinn sich ereifern?
Ich tat es lang. Mein Hirn blieb dennoch heil.
Mich wundert's nur. Ohnmächtig Schaum zu geifern,
Dafür ist Geisteskraft mir nicht mehr feil.
So schreit Hurra gekrönten Volkseinseifern,
Die Ehrgeiz selber hält am Narrenseil!
Ihr wißt's und mögt und wollt es ja nicht besser,
Drum bleibt euch treu und wetzt mit Gott das Messer!
Nie kann ich mich auf einen Wahn verpflichten,
Dem mein Vernunftgewissen widerstrebt,
Ich muß auf einen Fahneneid verzichten,
An dem das Wehe der Besiegten klebt.
Mögt ihr die »nationalen« Anker lichten,
Bis Schwarz-Weiß-Rot ob allen Meeren schwebt –
Tragt ihr nur Großmannssucht von Pol zu Pole,
Bedaur' ich euch und eure Machtidole.
Ein schlechter Deutscher werd' ich vielen heißen,
Kein patriotisch respektabler Mann,
Die Jungfrau wird mich aus dem Busen reißen,
Die Dichter loyal nur lieben kann.
Doch wer gewohnt ans Bellen und ans Beißen,
Lenkt unbekümmert weiter sein Gespann,
Denn dieses Himmels ewige Leuchte können
Sie mir nicht rauben, machtlos nur mißgönnen.
[97]
Was bleibt, ist schmerzlich schweigendes Verachten.
Es scheint, du bist aus anderm Holz geschnitzt.
Du kannst sie nicht verkaufen noch verpachten,
Die Wahrheit, die dir zäh im Blute sitzt.
Verschieden ist der Menschen Sinn und Trachten,
Und ob Erkenntnis donnert, kracht und blitzt
Vom Sinai, Mönch, Montblanc oder Brocken –
Die Pauke dröhnt, vom Kalbe gellt Frohlocken.

11.

Partei, Partei – ich habe sie genommen,
Als grausam die Partei entrechtet war,
Für die mein Glaube glühend schon erglommen
In Tagen der Verfolgung und Gefahr.
Mit meines Liedes Macht bin ich gekommen
Zum Kampfe für der Unterdrückten Schar
Und freue mich der Funken, die gezündet
Im Herzen derer, die die Not verbündet.
Partei, Partei – wer leugnet seine Seele?
Ja, meine ganze Seele gab ich hin:
Der Ton drang ohne Falsch mir aus der Kehle,
Pater peccavi kommt mir nicht in Sinn.
Nichts ist, was ich verschleire und verhehle,
Die Muse ward zur Proletarierin,
Und rot an ihr war nicht nur die Kokarde,
Mit Haut und Haaren ward ich Freiheitsbarde.
[98]
Partei, Partei – ich geh nun ganz alleine,
Kein Überläufer mit Verräterlist.
Ein Wicht, wer mir nachwirft Verleumdersteine
Und mich mit seiner Bosheit Maße mißt!
Ich bin mir selbst Partei und hab die reine,
Rotgoldne Flagge Poesie gehißt
Mit Silberstern – kein falsches Gut zu paschen,
Nicht rechts noch links, doch gottlob nicht verwaschen ...
Wie dort der Weih, der überm See die Kreise
Bald nah der Flut, bald hoch in Lüften zieht
Und seinen Schwingen immer neue Gleise
Fortbahnend jetzt in blaue Fernen flieht
Und jetzt in unberechenbarer Weise
Weitbogig auftaucht, plötzlich niedersieht
Und abwärts pfeilt nach Wasser oder Beute –
Fühl' ich mich frei vom Standpunkt kleiner Leute.

12.

Die weichen Winde streicheln mich vom Garten,
Mein Herz ward fröhlich aus Melancholie;
Mag nun das Schicksal mischen seine Karten,
Ich fand die Ruh, nach der ich lange schrie.
Mitunter nur spukt's auf aus längstverscharrten
Gebeinen meiner Unrast, schwanke Knie
Gehn schlotternd um, des Glückes Fetzen flattern,
Aus Gräbern rascheln toter Reue Nattern ...
[99]
Die nicht mehr Nattern sind. Nur ausgedörrte,
Phantastisch aufgeblasne Schlangenbrut,
Die böse Laune mir vors Auge zerrte,
Zuwidersinn und quälerische Wut,
Wenn ich den Ausblick mir ins Licht versperrte
Aus grauem, grüblerischem Untermut –
So regt sich wohl zuweilen halb in Träumen
Wahnwitzige Hast, zu zügeln nicht, zu zäumen.
Ein Reiter war ich auf dem schnellsten Rosse,
Kopf dicht an Hals, hussa! Die Mütze flog,
Vom Kot des Hufs bespritzt, weit in die Gosse,
Indes des Pferdes Nüster Stickluft sog.
Der jähe Wirbelsturm ward mein Genosse,
Der Birke, Pappelbaum zur Erde bog –
So ging es rasend über Stock und Steine,
Der Himmel droht' in schwefelgelbem Scheine.
Pardauz! Dies Wort blieb eingebrannt der Lippe,
Und doch war's schön: der Schwung von Fall zu Fall.
Niemals beneid' ich die normale Sippe,
Die zahme Kracken vorführt aus dem Stall.
Die Spottlust der Passanten war mir schnippe,
Zu köstlich schien der wilde Intervall
Von Sturz zu Sturz: und brach man ein paar Knochen,
So kam man doch ins Leben nicht gekrochen.
[100]
Der Hundetrott wird mir wohl kaum gelingen,
Jag' ich auch just nicht mehr so toll drauf los.
Solang noch Kraft in meiner Seele Schwingen,
Geht's munter weiter: Welt, wie bist du groß!
Den selbstgezähmten Hengst soll keiner dingen,
Daß er ihn spannt zu Peitschenhieb und -stoß
– Schon der Gedanke liegt mir schwer im Magen –
Vor seinen traurigen Furagewagen ...
Vom Garten streicheln mich die weichen Winde,
Aus Schwermut ward mein Herz ein fröhlich Ding,
Hier ist mein Weib, bei der die Ruh ich finde,
Nach der umsonst ich auf die Suche ging.
Hier ist der Baum, dran ich mein Rößlein binde,
Hier ist der Ast, dran ich das Zaumzeug hing –
Ich weiß, mag ich nun rasten oder reiten,
Du bist bei mir, dein Herz schlägt mir zur Seiten.

13.

Und wir auch mußten fingerübend tasten,
Bis eins dem andern völlig auf der Spur,
Bis wir uns kontrapunktisch klar erfaßten
Auf unsrer doppelten Klaviatur.
Glück ist kein Leierstück für Klimperkasten –
Durch Dissonanz strebt tiefere Natur
Im Wechselkampf von Suchen und Sichfliehen
Zum Lustverschmelzen seliger Harmonien.
[101]
Du bist nicht ich, ich bin nicht du. Es zittert
Durch jeden anders der Akkord der Welt.
Urfugen sind milliardenfach zersplittert,
Zu Wellchen ist des Kosmos Klang zerschellt.
Die Liebe spürt im Klanggewirr und wittert,
Wo sehnsuchtsvoll sich Ton dem Ton gesellt –
Wenn sich zwei Menschenleben ganz gefunden,
Hat sich geschiedner Schall dem Schall verbunden.
Wer kann der Liebe reines Wesen deuten,
Das Gottes heiligstes Geheimnis ist?
Aus dieses Urgrunds Meerestiefen läuten
Verborgne Glocken, deren Klang ermißt
Kein Pfiffikus mit wissenschaftsgescheuten
Witzohren und geriebener Forscherlist:
Mit schwingt ein dunkler Ton aus ewigen Sphären,
Den kann mir kein Akustiker erklären.
Er klingt aus leisem Unterton der Stimme,
Wenn sich die Wange dicht zur Wange schmiegt,
Klingt aus dem Schluchzen, wenn von Trotz und Grimme
Die Doppelseele sich Verzeihn ersiegt.
Klingt aus dem Zuruf, daß zum Licht ich klimme
Aus Stunden, drin mich's düster überfliegt,
Klingt aus dem Abschiedsgruß beim Händedrucke,
Wenn ich, wie vor Verlust, zusammenzucke.

[102] 14.

Ist Liebe der gewaltige Weltenzeiger –
Mir zeigt er Stunden der Erlösung an –
In Höll und Himmel wüßt' ich keinen Geiger,
Der seinem Gang Begleitung spielen kann.
Der beste Virtuose wird zum Schweiger,
Den Bogen faßt ein rätselhafter Bann –
Unsäglich tief und fein noch möcht' er streichen
Und stockt vor einem Wunder ohnegleichen.
Ein kleines Bild von Vogeler-Worpswede
Hängt rechts vom Bücherbörte meiner Frau,
Das »Liebe« heißt: Da ruht des Lebens Fehde,
Ein heiliger Friede sank auf See und Au.
Auf reicher Bank, dran Liebessinnbild jede
Verzierung zu gedankenvoller Schau,
Wie Doppelherz mit Pfeil in Wappens Mitten,
Sitzt Mann und Weib, aus edelm Holz geschnitten.
Sie lehnt sich dicht an seinen breiten Nacken,
Und seewärts lauschen beide vor sich hin.
Hält er ein Buch? – Zierat von Blätterzacken
Schmückt sein gebauschtes Wams mit Bildersinn.
Vorn spielt die Harfe – Goldklang sonder Schlacken! –
In Gras und Blumen die Versöhnerin,
Ein Seelenantlitz mit versunknem Neigen –
Glücksvöglein singt aus zarten Birkenzweigen.

[103] 15.

Mein Herz, du hast doch wunderlich gependelt,
Nach beiden Seiten wichst du maßlos aus,
Unausgeglichen hast du bald getändelt,
Bald riß dich Leidenschaft in jähem Saus
Hinab – du hattest gestern angebändelt,
Und heute lag vergiftet schon die Maus
Mit ihrer zuckersüßen Lieb' im Leibe,
Der Schicksalskatze bloß zum Zeitvertreibe.
Ich möchte, Poesie wär' ganz Gewissen
Und jeder Reim aufrichtiger Herzensschlag,
Und keine Saite fehlte, die zerrissen,
Wenn ich elendiglich zu Boden lag.
Was mich gewurmt, gemartert und gebissen,
Aus finsterm Schachte käm's gerollt zu Tag
Auf meinen Versgeleisen ganz getreulich,
Wirkt Offenheit auch manchmal nicht erfreulich.
Wir Dichter schmuggeln gar zu gerne Farben
Versteckter Selbstverherrlichung hinein,
Wir zeigen stolz auf unsrer Torheit Narben
Und spielen Eisenfresser selbst der Pein.
Des Schicksals Hälmchen häufen wir zu Garben,
Das Tröpfchen Glück wird gleich zum Oxhoft Wein –
Wir sind, berauscht vom Klang der innern Chöre,
Trotz aller Wahrheit leicht ein Stück Poseure.
[104]
Wie jeder Mensch, der sich befühlt, im Grunde.
Du mußt dich oft erinnern: Gib nur acht!
Der Selbstgenuß steht mit der Kunst im Bunde,
Wenn man den Herold seines Herzens macht.
Wir lassen doppelt bluten jede Wunde,
Der Schmerz gefällt sich in der Dichtertracht,
Wir kosten gründlich Weinen oder Lachen,
Der Kopf steckt gern in der Empfindung Rachen.
Die Wollust selbstverhätschelnder Gefühle
Ist sündvererbt beim lyrischen Geschlecht.
Des süßen Spiels drum überdrüssig spüle
Vom Leibe dir die Lust, du Sündenknecht!
Schütt nicht von neuem Korn auf diese Mühle,
Sei baß im Karpfenteich der kritische Hecht,
Der mit den scharfen Zähnen fährt dazwischen
Und den Prozeß macht allzu fetten Fischen!
Zum mindesten des Selbstlobs bin ich müde,
Naiv war ich ein flotter Renommist,
Als junger Racker war ich gar nicht prüde,
Trug meinen Kehlkopf wie ein Tenorist.
Das hat sich ausgegackert. Attitüde
Hat keinen Wert, die sich nicht selbst vergißt ...
's kam vor, da sah ich mich im Spiegel schlimmer
Als außer sich ein nacktes Frauenzimmer.
[105]
Befriedigt sind die kleinen Eitelkeiten,
Und was noch drin steckt, lebt sich eben aus.
Nur nichts erzwingen! Das muß von mir gleiten
Wie so ein abgetragner Sammetflaus.
Es hat doch schließlich alles seine Zeiten,
Was frommt denn mir das Sittlichkeitsgezaus?
Wär' ich zum Schulfuchs der Moral geboren,
Schlüg' ich das Heft mir um die Heuchlerohren.

16.

Im Föhrenwald. Fast lautlos. Zeitvergessen.
Was leis in Wipfeln saust, singt Ewigkeit.
Sanftkühles Moos. Des Lebens Lasten pressen
Mir nicht die Brust, ich bin von Qual befreit.
Ach, Höhn und Tiefen hab auch ich durchmessen,
Weiß, wie der Mensch in wildem Schmerze schreit,
Wie rasch er jauchzt im Taumel der Sekunde,
Wie stolz er hinstelzt, wie er geht zugrunde.
Geheuchelt hab ich auch in Wort und Mienen –
Wie oft, daß mir der Mut zersplittert war
Und bin doch lächelnden Gesichts erschienen
Und stach dem andern Heuchler noch den Star.
Ich wollte mir den Preis der Welt verdienen
Mit Kraftgeflunker wie ein Janitschar:
Des Herzens Schwachheit hab ich überpinselt,
Stramm dreingeschaut und innerlich gewinselt ...
[106]
Ihr zierlichen, ihr goldbetupften Käfer,
Wie lauft ihr grünlichschillernd durchs Gewirr
Der weichen Mooseshärchen! Minneschäfer
Seid ihr und lockt mit lispelndem Gekirr,
Das gar nicht hört so'n Mammutmenschenschläfer,
Ins Lustgarn euch: ihr lauscht nicht dem Geschwirr,
Dem seltsam wipfelwandernden, der Kronen,
In denen ewige Rätselweisen wohnen.
Ihr seid in eurem süßen Trieb befangen
Und klammert euch gar ernsthaft an das Glück,
Das im Moment euch wonnig aufgegangen,
Ihr seid berauscht und könnt nicht mehr zurück.
Ein Käferlein bleibt an dem andern hangen,
Natur spielt aus den alten Schöpfertrick –
Den Knalleffekt, kurz wie Gewitterschauer,
Die Spinne Willewelt liegt auf der Lauer.
Ist's anders denn mit uns vermummten Tieren,
Die nur durch höchst vollkommne Brillen schaun?
Wir können raffinierter räsonieren,
Traktieren kritisch Denken und Verdaun,
Wir sind zum Platzen reif im Selbstsezieren,
Begierig, über jede Schnur zu haun
Und uns vertrackte Triebobjektsgesellen
Vor Selbstbeguckung auf den Kopf zu stellen.
[107]
Das Menschenhirn schlägt Riesenpurzelbäume
(Zwar das aus Feuer nur, nicht das aus Stroh),
Schwingt sich durch seine eignen Weltenräume
Und ist des Nebelflecks im Auge froh.
Nach innen regt zum Tanz der Zukunftsträume
Sich schon der Übermenschenembryo –
Nur wenn die irdischen Fühler uns erkranken,
Verzichten wir auf Weltherrschaftsgedanken.
Die Atmosphäre will robuste Beine,
Sie ist ein unverschämter Geisttyrann,
Erst läßt sie jubeln: »Freiheit, die ich meine!«
Ein Fingerdruck – die Freiheit liegt im Bann.
Zum Hirne spricht sie: »Du bist nicht alleine
Der Herr im Haus, es sitzt ein Rumpf daran,
Verständige dich – Gedanken können fliehen! –
Gefälligst mit den gröberen Partien!«
Grausamer Witz! Auf ewig Kot und Äther?
Du trägst den Kopf hoch? Naseweiser Wicht!
Du Großhirnriese! Geistesheldentäter!
Der Lump von Leib geht mit dir ins Gericht.
Der hinterlistige Gauch wird zum Verräter
Und speit dir Schleim ins Götterangesicht ...
Sei Übermensch! Gebare dich allmächtig!
Da juckt der Wurm – der Witz wird niederträchtig.
[108]
Ah, ich war auch ein rechter Stelzengänger!
Mit Illusionen päppeln wir uns groß.
Wir ragen zu den Wolken etwas länger
Und sagen keck uns von der Erde los.
Was sind wir für gefangne Bauernfänger!
Ein schlauer Zwerg versetzt uns einen Stoß,
Ein Zweifelmännchen mit Mephistofaxen,
Wie 'n Pilz dort aus gemeinem Grund gewachsen.
Und sieben Meilen lang liegt auf der Nase
Der radikale Siebenmeilendrang ...
Zu stehn probiert behutsam die Ekstase,
Den Allerwertsten reibt der Überschwang.
Der Hutzelwicht gibt von sich böse Gase
Und macht mit giftigem Gesicht uns bang,
Bis wir entschieden ihn ins Auge fassen,
Uns auch vom Erdgeist nicht verblüffen lassen.
Doch wer da aufstand, darf von Glück noch sagen,
Wenn Bein und Rückgrat nicht gebrochen sind.
Sein Dasein kröche hin in müden Klagen,
Von weher Schwermut säng' ihm Wald und Wind.
Die Tragikomik könnt' er nicht ertragen
Und müßte weinen wie ein altes Kind,
Sein Antlitz vor den klugen Leuten bergen
Und trauern mit Schneewittchens Unschuldszwergen ...
[109]
Du lieg im Moos und trinke Tannenlüfte!
Aus Mutter Erde sauge neue Kraft!
Gespenster, hütet weiter eure Grüfte!
Ich fühl's, ich fühl's, noch atm' ich unerschlafft.
Die Welt hat Firnen und die Welt hat Klüfte,
In Höhn und Tiefen rinnt der Lebenssaft,
Durch Schlünde dunkel, um die Gipfel helle,
Schlürf beide Sorten, durstiger Geselle!

17.

Heut in der Stadt schnell im Vorübergehen –
Die Luft trotz schwachen Regens drückend schwül! –
Hab ich ein kleines Straßenbild gesehen,
Erquickt mein übermenschliches Gefühl.
Ein Polizist hieß einen Kutscher drehen,
Der falsch getrabt, in gröbstem Zürcher Stil.
Dem Rosselenker schwoll die Zornesader,
Wort gab das Wort, in Flammen stand der Hader.
Und blitzschnell, eh ein Augenblick verronnen,
Die Peitsche traf die hohe Polizei,
Öl goß ins Feuer gleich in ganzen Tonnen
Maßlose Wut, wahnwitzige Raserei.
Fast hat die Hermandad den Bock gewonnen,
Sie hält sich mutig – rings herum Geschrei!
Die Stöße prasseln – wildes Armgerenke!
Der Ordnungswächter packt die Handgelenke.
[110]
Schon wieder frei. Da von der andern Seite
Ein Knirps von Postmensch klettert hinterrücks –
Gesetzeshelfer in dem blutigen Streite –
Und trifft die Wucht des riesigen Genicks
Und bleut mit feiger Faust des Nackens Breite,
Ein Augenpuff beraubt den Mann des Blicks –
Der Polizist legt rasch die Eisenschellen
Ihm an und reißt vom Thron den Staatsrebellen.
Ein Angebinde noch von Gafferfäusten
Dem wehrlos Hingeschleiften ins Gesicht:
»Der chaibe Hund! Wie konnt' er sich erdreusten!«
Zur Wache fort und fort zum Weltgericht!
Die Szene liest sich morgen in den »Neuesten«
Ganz hübsch. Der Metzger zur Frau Metzgern spricht:
»Mietskutscherblut floß in der Storchengasse.
Geschieht ihm recht. So'n Polizist hat Rasse.«
Und weiter nichts? Welch winzig Zwischenfällchen!
Ist so was überhaupt der Rede wert?
Entrüstungsrößlein, bleib in deinem Ställchen!
Zornbübchen, setz dich nicht aufs hohe Pferd!
Das fehlte! Doch aus winzigen Schneebällchen
Wächst lautlos die Lawine, die verheert
Und jäh verschlingt, die weiße Schneehyäne,
Den Hirten samt Schalmei ... La bête humaine!

[111] 18.

Aus schlankem Kelch der hohen Vase steigen,
Von gelber Rosen zartem Samt umschmiegt,
Vier weiße Lilien, die sich himmlisch neigen,
Als sei für ewig alle Schuld besiegt.
Mir wird zu Sinn: ich höre leise Geigen,
Ein Engelstraum durch meine Seele fliegt:
Vier weiße Frauen, schwebende Gestalten,
Die in den schmalen Händen Lilien halten.
Sie grüßen mich, sie sind mir greifbar nahe:
Die Erste singt: »Sei Schönheit dein Geschick!«
Die Zweite: »Staubesblanken Glanz empfahe!«
Die Dritte: »Mild erschlossen sei dein Blick!«
Die Vierte: »Stolze Neigung ich bejahe.
Sieg im Besiegtsein!« Silbern tönt Musik.
Und alle drauf in seligem Quartette:
»Sei frei und rein! Leid löste deine Kette.«
Ein Zittern. Der Gestalten Linien schwinden,
Vier Kelche hauchen feinen Duft mir zu.
O könnt' ich ihrem Sinn Erfüllung finden
Und blühn in leuchtend hoheitsvoller Ruh!
Sie stehn so grad, kein Gärtner mag sie binden,
Vorbild für uns, Geliebte, Schwester du,
Bis wir im Garten dieser Welt erwarben
Staubfäden auch so goldorangefarben ...

[112] 19.

Und Liliensinn soll meinen Kampf verklären,
Denn Kampf wird währen, bis die Flamme loht,
Darin dereinst sich wieder wird gebären
Geheimnisvoll das Leben durch den Tod.
Mich treibt ein Geist aus freiern Liebessphären,
Der liegt in Fehde mit dem Geist der Not
Und wirft, bis sich verwandeln diese Züge,
Den Handschuh hin der Knechtschaft und der Lüge.
Viel kleine Götzen sind die Abgesandten
Der großen Götzen Lüge, Knechtschaft, Not,
Ein Schwarm von festverhäkelten Verwandten,
Gebrütet von der Nacht, gezeugt vom Kot.
Das sind die ewig aus dem Licht Verbannten,
Verräter Gottes gleich Ischariot –
Die Riesenwanzen, die der Sterne besten
Mit ihrem gräulichen Gestank verpesten.
Sinnbild für Unergründliches wird dauern,
Solang der Mensch sich weltgebunden fühlt,
Du mußt vor dem Unendlichen erschauern
Und wirst vom Rätsel grüblerisch durchwühlt.
Erkenntnis stößt an nie erklommne Mauern,
Nie wird der Brand der Sehnenden gekühlt,
Der tiefer brennt als aller Weisen Wissen,
Bis er verlischt in fahlen Finsternissen.
[113]
Und ewig werden arme Seelen jammern
Nach reichen Gütern, die unsterblich sind,
Und bis die Erde geht aus ihren Klammern,
Wird Himmel baun das schwache Menschenkind.
Den Weltbejublern und den Weltverdammern
Wird vor dem einen Punkt die Brille blind,
Sie müssen Fluch und Segen unterlassen
Und schweigend nehmen, was sie nicht erfassen.
Den schlichten Glauben will ich nicht verhöhnen,
Der sich am halben Wissen schlecht genügt,
Nie sprengt die Pforten auf des Zweiflers Stöhnen,
Bis er verzichtet und sich ruhig fügt ...
Doch Blitz und Donner sollen niederdröhnen
Auf eine Kirche, die das Volk belügt
Und sich samt Oberhaupt und Priesteranden
Stets auf Betrug der Menschheit hat verstanden!
Mit Fälschung aufgesäugt von Anbeginne,
Seit Konstantins erlognem Schenkungsakt
Von Sucht nach Herrschaft schwanger und Gewinne,
Fett mästend sich mit allem, was sie packt,
Hat sich die ungeheure schwarze Spinne
Mit Blut »der dummen Bauern« vollgesackt
Und spannt die schlauverknüpften Riesennetze,
Nach Beute lüstern wie die frömmste Metze.

[114] 20.

Die Waffenknechtschaft – Militär geheißen –
Ist solch ein andres scheußliches Insekt,
Das Blut saugt und mit niederträchtigem Beißen
Die Menschen von dem eignen Lager schreckt,
Das sie zu Massen macht zusammenschweißen,
Die lappenbunt die Uniform befleckt.
Ihr Puppenheim sind riesige Kasernen,
Drin läßt sich sogenannte Mannszucht lernen.
Hurra, die Mannszucht! Dieses ist die Spitze
Der Selbsterziehung freigebornen Manns.
Fragt nur die Köckeritz und Itzenplitze
Und sämtliche Reserveleutenants!
Schön ist der Helm und blank sei seine Spitze,
Und blind sei dein Gehorsam, braver Hans!
Für deinen Unteroffizier und Kaiser
Gehst du durchs Feuer, schreist die Kehle heiser.
Die heiligen Instrumente lernst du brauchen,
Die du zur Ehre Gottes täglich putzst,
Auf daß du sie, den Mitmensch zu enthauchen,
Im Ernstfall ohne jeden Fehl benutzst.
(Gottlob, das Pulver sieht man nicht mehr rauchen.)
Du lernst, daß du mit Mord dich nicht beschmutzst,
Im Gegenteil, dir holst das Ehrenzeichen,
Geht es um Massen nur und »Feindes«leichen.
[115]
Im Namen Gottes drillt man deine Seele
Zur Säule wahrer Zivilisation,
Das heißt: stumm zu gehorchen dem Befehle
Und aufzugehn in Subordination.
Denn du bist Null, daß ich dir nichts verhehle,
Mit Eins davor machst du die Million,
Und mit so einigen Prachtsmillionen
Kann man selbst Chinas Kaiserin entthronen.
Das war ja Christi Wunsch im großen ganzen,
Worin er mit Lao-tse sich berührt,
Germania möge China recht kuranzen,
Daß es die Heilstat der Kultur verspürt,
Und gottgeweihte Fahnen mög' es pflanzen
Auf Pekings Zinnen rachegeistgeschürt,
Spricht doch der Heiland: Liebe, die dich hassen!
Und Lao-tse: Sei frei vom Zwang der Massen!
O schönste Pflicht, die Erde zu beglücken
Mit unserer Kasernenhofkultur,
Vor hohen Vorgesetzten sich zu bücken
Und subaltern zu gehn auf »höherer« Spur.
Nach oben kriechen und nach unten drücken,
Nur einem Gott sich weihn mit höchstem Schwur:
Dem wehgenährten, blutgetränkten Gotte
Der mit Hurra fanatisierten Rotte ...

[116] 21.

Das schlimmste Tier in dem hochedlen Bunde
Heißt Mammonitis, wulstig aufgebläht,
Die Wucherin mit dem gemeinsten Pfunde,
Die einzig nach dem ewigen »Mehr«-Wert späht.
Sie betet mit dem Geldschrankschlüsselbunde
Vor einem Altar, dran ein Gauner kräht,
Verkappt in ehrlichen Verdienstes Robe:
»Dem Mammon Heil, den heiligen Mammon lobe!«
Was adlig atmet, herzrein sich gestaltet,
Was geisteskühn zum Sonnenlichte drängt,
Was liebend sich in freier Luft entfaltet
Und freudeschwellend seine Knospen sprengt,
Worin der Genius der Wahrheit waltet,
Der niemals niederm Stoffe sich vermengt,
Das wird verleugnet nur und preisgeboten
Von Geldessklaven und Besitzdespoten.
Was frommt's, Besitz und Geldeswert verdammen?
Der Mensch hat Selbstsucht, wünscht sein eigen Teil.
Weil wir von Tieren, nicht von Engeln stammen,
Hält Beutelust selbst Bruderliebe feil.
Raff denn, wer mag, sein Häuflein hier zusammen,
Liegt in Gemeinschaft auch das höhere Heil –
Vor Übermenschlichem bleibt Adam stutzig,
Doch Geldgesinnung nenn' ich schlechthin schmutzig.
[117]
Sie ist's, die eisig Mensch vom Menschen scheidet
Und dünkelhaft sich spreizt in eklem Wahn,
Die sich am Bild der Armut heimlich weidet
Und tief geringschätzt, die gering sich nahn.
Dem Volk hat sie der Arbeit Lohn verleidet
Und Haß gesät, wo Väter Liebe sahn:
Hochmütig hütet sie die saubern Hände
Vor der Besudlung durch die »untern Stände«.
Brutal setzt sie den Fuß auf jener Nacken,
Die sich im Schweiß des Angesichtes mühn,
Im Überfluß geneigt, noch abzuzwacken
Vom sauren Lohn, des Saaten spärlich blühn.
Sie läßt für sich wohl hämmern, weben, hacken,
Den Acker bauen und das Eisen glühn,
Doch gilt's, zu sorgen für die »niedern Klassen«,
Glaubt sie sich bestenfalls – herabzulassen.
Trumpf ist der Geldsackstolz im Spiel der Tage,
Darin ich lebe. Kümmerliche Schau!
Der Wert des Menschen selbst scheint eine Sage
Trotz Unfallsicherung und Kirchenbau.
Schätzung der Schaffenden mit gleicher Wage,
Darin das Zünglein Recht zeigt haargenau,
Muß ich trotz Brosämlein vom Herrschaftskuchen
Mit der Diogeneslaterne suchen ...

[118] 22.

Es geht ein Mann mit einer goldnen Sense,
Des Blick ist starr und fühllos wie Basalt,
Der mäht dahin mit seiner goldnen Sense
Der schönsten Blumen liebliche Gestalt.
Sein Weib am Wege füttert goldne Gänse
Mit schwarzen Körnern: Elend, Not, Gewalt.
Die Blumen: Liebe, Hoheit, Güte fallen,
Die goldnen Gänse zeigen Raubtierkrallen ...
Und Einer hebt vom düstern Hintergrunde
Sich silberleuchtend ab, der langsam naht,
Sein Blick ist schmerzreich wie von tiefer Wunde
Und doch so mild, wie wenn ein Gott ihn bat.
Ich harre, Herr des Lebens, jener Stunde:
Die goldne Sense sinkt vor höchster Tat,
Die Blumen neigen zart sich dem Befreier,
Und sanfte Schwäne ziehn auf heiligem Weiher.

23.

Bis dahin Kampf der nächsten Augenblicke,
Die hart versagen, was das Bild erfüllt,
Bis dahin Rebellion dem Weltgeschicke,
Das grausam sich in dichte Schleier hüllt,
Bis dahin mit erhobenem Genicke
Empörung, ob der Chor der Hölle brüllt,
Gen Not und Niedertracht und Nebeldrachen
Mit welterschütterndem Verächterlachen!
[119]
Und ist's der Trotz des törichten Titanen,
Des Ohnmacht dräuend sich gen Himmel reckt,
Zu stören das Gestirn in seinen Bahnen,
Das Bös und Gut mit gleichem Licht bedeckt –
Wohlan, zum Hohn den Welterschaffungsahnen
Und ihrem Werk, das sie von Grund befleckt,
Zum Hohn der Schicksalsschlange Trug und Gleißen,
Aus ihrer Bahn will ich die Sonne reißen.

24.

Auf breitem Baumstumpf voller Brombeerranken
Sitz' ich mit meinem Gott und mir allein,
Die greisen Häupter riesiger Fichten schwanken
Hoch über mir – der Wind greift biegend drein.
Der Äther blaut bis an der Firnen Schranken,
Die schneeweiß stehn in leisem Rosaschein ...
Der Holzknecht ging mit Abendgruß nach Hause –
Kein Menschenlaut – nur Astbruch, Krongesause.
Du seltsam Herz – wie rinnt des Blutes Welle
Veränderlich durch deines Muskels Gang!
Du bist ein schwerergründlicher Geselle,
Geheimnisvoll bleibst du mein Leben lang.
Bald Siedeguß, bald wie die kühle Quelle,
Die sprudelnd aufspringt mit Waldschattenklang,
Bald wie der Teich dort, der in müden Träumen
Schlaf brütet, Bergstrom bald zum Überschäumen.
[120]
Erschreckt hast du mich oft, Kumpan da drinnen,
Mit manchem jähen: Hastdunichtgesehn!
Fuhrst kreuz und quer durchs wackerste Beginnen
Und ließest Weg und Ziel zum Teufel gehn.
Du raubtest ganz gemütlich mein Besinnen
Und wußtest, beinah wär's um mich geschehn –
Das war nicht schön, die Wahrheit dir zu sagen,
Doch denk' ich nicht daran, dir's nachzutragen.
Du hast gewiß erprobt, wieviel ich halte
An Qualitäten, die du gern studiert,
Wie heiß ich werde, wie ich ganz erkalte
Und wieviel Energie das konsumiert.
Bist du befriedigt? Bin ich noch der Alte?
Hat der Verlust mich so exploitiert
Vom Wärmevorrat, daß ich leer erkannt bin,
Zum toten Krater schmählich ausgebrannt bin?
Ich will nicht hoffen. Machte gern dir Freude,
Kein trauriges Versuchsobjekt zu sein.
Wenn ich auch hier und da mein Gut vergeude,
So heizt Natur doch stets von neuem ein.
Maß gibt sich ... Saftlos ärmliches Gestände,
Mußt dicht am Boden kleben eng und klein –
Wär's nicht erlaubt, den Sturmwind zu erraffen,
Warum nicht zum Gestrüpp ward ich erschaffen?
[121]
So stark hast du gepocht seit Kindestagen,
Daß ich nicht glauben kann, dein Schlag sei matt –
O Herz, mein Herz, ich muß dich ehrlich fragen:
Magst du noch Tempo halten? Bist du's satt?
Ein heimlich Zittern will mir Antwort sagen:
Getrost, du bist noch kein vertrocknet Blatt,
Noch steigt's und schwillt und bildet grüne Schichten,
Du bist zu lebenszähe zum Verzichten.
Recht so! Nur keine Dekadenzallüren!
In Wind und Wäldern wird mir wahrhaft wohl.
Da brauch' ich nichts von Tagesstaub zu spüren,
Die ganze »Welt«geschichte scheint mir hohl.
Laß doch die Führer ihre Trommeln rühren,
Die »Blätter« wiederkäun den alten Kohl –
Gießt dir das Lebensgluten durch die Glieder?
Hier ist dein Thron! Steig nicht zum Mischmasch nieder!
Auf diesem Baumstumpf voller Brombeerranken
Fühlst du ein Glück, hoch über jener Welt,
Frei tummeln sich wie Kinder die Gedanken
Und bauen sich ein luftig Wanderzelt.
Hinweg mit allem muffig Müden, Kranken,
Das uns um unsre besten Güter prellt!
Ich will mein eignes Leben weltweit spannen,
Als Windesharfe stehn hoch wie die Tannen.
[122]
Und mit der eignen Seele will ich plaudern,
Daß sie ihr Sein und Werden mir vertraut,
Besiegen ihr zurückgezognes Zaudern,
Bis sie sich ganz mir gibt als nackte Braut.
Ihr scheu verborgenes Zusammenschaudern
Soll sie mir beichten, sei's mit Flüsterlaut,
Was wortebang, sei leis nur angedeutet
Wie Glockenklang, der aus der Ferne läutet ...
Sie spricht: Dem Salamander mag ich gleichen,
Der unversehrt durch Glut und Flammen eilt,
Er huscht hervor aus harten Steinesreichen
Und weiß sich Höhlen, wo er sicher weilt.
Sein Rücken trägt des Lebens bunte Zeichen,
Sein Auge Klugheit mit der Schlange teilt –
Das ist die Klugheit der verschlungnen Pfade
Aus Klüften weltentlang zum Feuerbade.
Verschwistert darf ich mich dem Adler glauben,
Der liebend sich dem Gott der Luft erschließt,
Er schwebt für sich – wer kann die Lust ihm rauben,
Wenn Wind und Äther staubrein ihn umfließt?
Er denkt im Tal des Glücks geselliger Tauben,
Indessen er ein einsam Glück genießt –
Wenn er genug gekreist ob dunklem Forste,
Sucht die Gefährtin er im Felsenhorste.
[123]
Und Baum bin ich mit weiten Wurzelgängen,
Der diesen festen Boden zäh durchfaßt,
Voll Fasern, die sich durcheinander drängen,
Zu saugen gierig, was dem Wachstum paßt.
Ein Blütentraum. Nun fühl' ich Früchte hängen,
Auch Schatten spend' ich für des Wandrers Rast,
Und meine Gaben neig' ich frei hernieder
Für den, der kosten will: Der Erde Lieder.
Gewirkt bin ich aus einem Grundgewebe,
Das unverwischbar deine Zeichen trägt,
Ob Feuermolch ich bin, als Adler schwebe,
Als Fruchtbaum wurzle – das bleibt aufgeprägt.
Das ist's, was gänzlich unbewußt ich lebe,
Was schärfster Sinn in Teilchen nie zersägt –
Notwendig Wirken dunkelster Gewalten,
Sich selbst verneinend, könnt' es je sich spalten.
Was wahrhaft treibt, was sich dir vorgespiegelt,
Vermissest du dich richterlicher Macht?
Tat ist ein Brief, von Gottes Hand versiegelt
Und von der Botin Ewigkeit gebracht.
Die Freiheit wohnt verschlossen und verriegelt
In einem Haus, davor die Riesin wacht,
Genannt Notwendigkeit in Gottes Namen,
Die Welten webt auf ungeheurem Rahmen.
[124]
Mein lieber Freund und sinnlicher Geselle,
In dem ich hause wie des Kernes Kern,
Durch den ich zittre wie der Zellen Zelle,
Mit dem ich rede wie der Herr des Herrn:
Da steckt was hinter der bewußten Schwelle,
Erfahren möchtet ihr es gar zu gern, ...
Fahrt eifrig fort zu experimentieren,
Nur brav Geduld und nicht den Mut verlieren!
Einstweilen, Bester, lerne dich bescheiden!
Sei froh, wenn nur dein Triebwerk leidlich klappt!
Wühl nicht zu sehr in deinen Eingeweiden,
Schon mancher hat sich plötzlich überschnappt!
Ich lieb' es nun einmal, mich zu verkleiden,
Instinkte gehn gemeiniglich verkappt
Und tauschen durcheinander die Gestalten –
Sie werden dein Lorgnon zum Narren halten.
Es bleibt dabei: Du kannst mich nicht erklären.
Drum überhebe dich nicht deiner Haut!
Und eine Bitte sollst du mir gewähren,
Die oft ich dir leismahnend schon vertraut:
Laß ab, noch Kampfesglut in dir zu nähren,
Aus der Unduldsamkeit mit Zerrblick schaut!
Ich weiß, du wirst sie restlos überwinden,
Denn so, nur so kann ich Genüge finden.
[125]
Dich ärgert Halbheit. Nun, dann ohne Gnade
Räum auf mit allem, was doch Stückwerk bleibt!
Zum Fanatismus bist du mir zu schade,
Der dich auf recht beschränkte Bahnen treibt.
Mensch, halt auf deines Wesens höchste Pfade
Und sei ein Blatt, darauf mit Liebe schreibt
Das mildverstehend mütterliche Leben
Die schlichten Zeichen, die dir Frieden geben!
Was ist dir Streit um Zepter und um Kronen,
Die äußre Formen innrer Mängel sind?
Nie wird ein Kampf um Wahrheit dich belohnen,
Der für der Wahrheit tiefstes Wesen blind.
Ein enger Zorn drückt dich in niedre Zonen,
Du ziehst auf Mühlen und du kämpfst mit Wind –
Die kleinste Lerche hoch im ewigen Blauen
Kann souverän auf dich herniederschauen.
Sei du – das ist das Donnerwort der Dinge,
Und geh im All auf! Zwiefach scheint das Heil
Und ist doch eins. Halt an dich mit der Klinge,
Sie macht nicht frei, schlägt keine Wunden heil.
Spann deinen Geist, daß er als Sehne schwinge,
Hol dir den Vogel Weisheit mit dem Pfeil!
's ist besser, so auf diesem Baumstumpf sitzen,
Als mit dem Schwert zu züngeln und zu blitzen.
[126]
Versenke dich – und Segen soll dir fluten –
Verweilend in das Wunderwerk der Welt!
Der Märtyrer mag für sein Bild verbluten,
Du stell es dar, beschauend, unentstellt!
Auch er fühlt Ewigkeiten in Minuten,
Wenn ihm sein Gott im Tod die Seele schwellt –
Du fasse ruhig bildend dich zusammen
Und schaff dein Weltbild, rings umloht von Flammen!
O laß hinweg dich nicht vom Strudel reißen,
Der dich in trichterschmale Wirbel lockt!
Steh gleich dem Hochgebirg, dem ewig weißen,
Beharrlich fest, daß selbst der Sturmwind stockt!
Staubbäche laß wie Schleier niedergleißen
Die Brust hinab, daß Schaum auf Wellen flockt,
Lawinen wild an dir heruntersausen
Und das Idyll in deinem Schoße hausen!
Siehst du der Alpengipfel zart Erglühen?
Verklärt vom Hauch der Schönheit ruht die Macht
Der Felsenmassen, die Titanenmühen
Einst aufgereckt zu ragend stolzer Pracht.
Die Rosen schimmernder Verklärung blühen
Entgegen schweigend schattengrauer Nacht –
Laß noch dein Auge letztes Leuchten trinken
Und Brudergruß der stillen Firne winken!
[127]
Und leise wie der Sonnentraum die Spitzen
Umspiele dich ein unverletzlich Licht –
Die Geister, die du birgst, sollst du besitzen,
Berggeister bohren, doch erschüttern nicht.
Kobolde wühlen wandernd durch die Ritzen
Mit faltigem, verwittertem Gesicht,
Mit Kiepen Kummers und Verlusts beladen, –
Die schwarzen Alben sollen dir nicht schaden.
Das sind bloß eingeschrumpfte Dottermännchen,
Die sehr mit Herzenshacken wichtig tun,
Sie schleppen jeder noch ein Reuekännchen
Und gehn in jammerfarbnen Trauerschuhn.
Ein Dutzend zieht ein klägliches Gespännchen
Voll Angstbagasch und schwarzen Sorgentruhn,
Voran die tiefgesenkte Tränenfahne –
'ne Lebenslumpereienkarawane.
Lach dieser Herrchen, die dich zwicken wollen!
Sie zahlen feige winselnd Fersengeld.
Laß du von Hochgewittern dich umrollen
Und gürte dich mit einem Gletscherfeld!
Und ob von Schmerz auch deine Ströme schwollen,
Sei Berg, bleib stehn, ein feuerfester Held,
Der nicht umsonst aus Gluten ward getrieben
In flüssiger Elemente Haß und Lieben!
[128]
Weißt du, wie oft ich wohl zu dir gesprochen:
Zu weich, mein Lieber! Landgraf, werde hart!
Dies Mühlsteindasein fordert feste Knochen,
Du wardst von viel zu viel Gefühl genarrt.
Das Herz verlernt darum noch nicht sein Pochen,
Ein Kern ist da, der, weiß ich, nicht erstarrt –
Just ihn zu sichern vor dem rohen Leben,
Mußt du mit hartem Panzer dich umgeben.
Collegium ex est! ... Deine Liebste lauert
Auf dich mit Omeletten und Kompott.
Der Seelenspeech hat lang genug gedauert
Auf deinem Baumstumpf und mit deinem Gott.
Wir resümieren: Wenn man nicht versauert
Und wird ein ordinärer Hottentott,
Der selbstgerecht nur raucht die Würdepfeife,
Blieb man intakt vom Kopfe bis zum Schweife.

25.

Der Mond, der Träume Meister, schwebt im Blauen,
Auf Strahlenbrücken gleitet leise hin,
Versunken in ein selbstverlornes Schauen,
Der nachtgelöste, weltallkühle Sinn.
Ich fühle feuchten Glanz herniedertauen
Mit silbermaschig perlendem Gespinn,
Die Bäume tropfen von verklärtem Lichte,
Und durch die Seele rieseln Sterngedichte.
[129]
Gefangen von des Schimmers Zaubernetze,
Schaukl' ich im Schoße der Unendlichkeit ...
Und meines Geistes reinste Sehnsucht letze
Vollkommen ich, von Wünschen unentweiht.
Wie selbstentrückt genieß' ich die Gesetze,
Vom Wahne meines engen Ich befreit,
Das sich am Tage bannt in nächste Kreise
Und wirkt nach seines Triebs beschränkter Weise.
Hier geh' ich auf, hier geb ich mich der Größe
Und ihrem unverbrüchlich sichern Gang,
Kein Himmelsstürmer mit Pygmäenblöße,
Der aufbegehrt gen übermächtigen Zwang.
Ich wittre weltweit Ätherwellenstöße,
Der feinsten Elemente Fluß und Drang,
Der mondesaugigen Gottheit Atemzüge
Atm' ich im Gleichtakt, fern der Lebenslüge.
Und meiner Eigensuchten Bürde sinken
Fühl' ich wie Ballast auf der Erde Grund,
Aus leichtern Sphären Allgefühl zu trinken,
Heb' ich den Himmelsbecher an den Mund.
Unendlich Schlürfen! Mondesfeen winken
Und schließen mich in ihren Schwebebund,
In ihrem zartgewobnen Strahlenreigen
Seh ich mit mir die Liebste sternwärts steigen.
[130]
In keuscher Formenklarheit offenbaren
Sich irdischer Bilder Umriß und Gestalt,
So rein, wie wir sie Tages nie gewahren,
Wo von den Dingen grell der Lichtpfeil prallt.
Der Menschen Wohnungen wir neu gewahren
Wie marmorweiß – mit magischer Gewalt
Umgießt ein Abglanz überirdischer Helle
Der Villen Gärten und des Sees Welle.
Nun sind die Stunden, wo die Zeit vergangen
Und alles zittert unermeßlich tief,
Durchsichtige Silberschleier niederhangen
Vom Haupt der Mondfrau, die geblendet schlief –
Nun hält in allumfassendem Verlangen
Die Nacht in weißer Hand den goldnen Brief,
Drin sie die Welt verschwenderisch begnadet,
Zum Traum in blaue Sternensäle ladet ...

26.

Zu unsres Seeheims sonnenhellen Räumen
Mit Blumen und mit Früchten kehrst du froh,
Den Morgenpfad der Ehe schön zu säumen,
Erscheinst du, Mutter, und genügst dir so.
Du sahst mein Leben wirbelnd überschäumen
Und littest, als mir Glück und Heil entfloh –
Nun fühlst du mich vom Sturm der Jugendsorgen
Auf sicherm Eiland liebevoll geborgen.
[131]
Du guter Geist, der friedensstill geglitten
Durch unsre Sphäre wie ein sanfter Stern,
Du Mutterherz, hast nur in unsrer Mitten
Zu kurz geweilt – wie hielten wir dich gern!
Nicht wahr, wenn wir dich doppelt innig bitten,
Steht uns der Tag der Wiederkehr nicht fern? ...
Du hast es uns zum Abschied fest versprochen
Und nicht nur für die karge Frist von Wochen.
Ich weiß, du willst die Liebe recht verteilen,
Und was dich ruft, ist sorgsam treuer Sinn –
Ich sähe dich am liebsten dauernd weilen
An dieser Stätte, wo ich heimisch bin.
Du hast die Hand, zu helfen und zu heilen,
Und wo du bist, winkt edelster Gewinn ...
Du bist so unerschöpflich reich im Geben –
Wie dürftig bettelarm sind wir daneben!
Die hohen Lilien, die du freudig brachtest,
Stehn unverwelklich tief im Herzensgrund:
Ich seh dich stets, wie du für andre dachtest
Mit einer Kraft, die nur der Liebe kund.
Weil schlicht du nach der wahren Güte trachtest,
Kam nie ein hartes Wort aus deinem Mund –
Was schön im Evangelium zu lesen,
Das, Mutter, schenkt uns dein lebendig Wesen.
[132]
Und deine Nähe, mütterliches Walten,
Weht mir den Hauch der alten Heimat zu –
Was da noch flattert in des Herzens Falten,
Du gibst ihm durch dein Mitverweilen Ruh.
Die Namen hegst du mir, die trauten, alten,
Der Kindheit Scholle hängt an deinem Schuh,
In deinen Armen fühl' ich frühste Bande
Geknüpft zum heimischen Hannoverlande.
's ist wie ein liebebittend, leises Mahnen
An Vaterhaus und -garten, Ernst und Spiel,
Aufhissen lange zugerollter Fahnen
An der Erinnrung silberknaufigem Stiel:
Durch Korngefilde zieht auf heißen Bahnen
Der Knabe zu dem schattigen Waldesziel,
Wie traumfern klingt mit sehnsuchtdunkler Klage
Das alte Lied: »Wenn ich den Wandrer frage« ...
Ein Sommertag wie heut. Zur »Eilenriede«,
Hannovers kühlem »Holze«, ging's mit Lust –
Bei »Heiligersbrunnen« herrschte grüner Friede,
Am Efeuschatten labte sich die Brust.
Wird einst mein Haar schneeweiß, denk' ich im Liede
Noch an den Jugendwald, drin unbewußt
Der Seele Wuchs bei Moos und Quell entsprossen,
Sich heilige Brunnen mütterlich erschlossen.

[133] 27.

Noch nicht gerastet in Erinnerungen!
Die Stunde kommt, du lebst Vergangenheit.
Ein leises Glöcklein ist in dir erklungen,
Von Wehmut zitternd aus der Jugendzeit.
Der Ton ist rein, das Glöcklein nicht zersprungen,
Von schrillem Mißklang, grellem Hohn befreit –
Ich habe selbst gewählt, nichts zu bereuen
Und schmachte nicht nach Treberkost mit Säuen.
Geh jeder seinen Weg – ich geh den meinen,
Den starken Stimmen der Natur getreu,
Was ich verfehlt, ich kann es nicht beweinen,
Die Ähre drischt man, und der Halm gibt Streu.
Erwandern muß man's mit den eignen Beinen,
Den Weizen säubern lernen von der Spreu –
Kehr jeder tapfer vor der eignen Tenne,
Wer als verirrtes Schaf sich fühlt, der flenne!
Ich bin daheim, wo Liebe mich verstanden,
Und wo ich schaffe, da ist Vaterland,
Ich bin zu Haus, wo Geister mich umwanden
Aus Flur und Wald, mit denen ich verwandt.
Wo frei mein Sinn von falscher Satzung Banden,
Und wo mein sehnend Fühlen Friede fand,
Wo mir der Fleck kraft meines Lebens teuer,
Da bin ich Bürger, brennt mein Herdesfeuer.

[134] 28.

Welch krausen Zickzackweg bin ich gestiegen
Zu dieser Anhöh, die mich höher ruft!
In welchen Wünschen kann das Herz sich wiegen,
Bis sich dem Blick das Bergziel abgestuft!
Abgründe rings, drin Ungeheuer liegen!
Wer seid ihr, Genien, die ihr so mich schuft,
Daß ich, schon manchem Drachen schier im Schlunde,
Hier stehe heil – mit wem seid ihr im Bunde?
Entwirr' ich dieses Knäul von Leidenschaften,
Drin Schritt auf Schritt mein Fuß verstrickt sich sah,
Wie Schuldgespenster mich zu Boden rafften,
Wie durch Verblendung ich dem Wahnsinn nah,
Wie durch vergeudend Unmaß mir erschlafften
Des Geistes Muskeln, und es doch geschah,
Daß es mich aufhob wie mit Adlersfängen,
Glaub' ich bereitet mich zu Gipfelgängen.
Wer sagt: Durch eigne Kraft? Wer: Gottesmächtig?
Verdienst und Fügung sind von Grund gemischt.
Als ich das Gift geschüttelt schreckensnächtig,
Mir die Verzweiflung: »Trinke!« zugezischt,
»Die Hölle will's. Der Trug ist niederträchtig.
Das Flämmchen quält sich. Besser, es erlischt.«
Wer wirkte, daß den Sud ich fortgegossen?
Wer hat den Faden mir ans Seil geschlossen?
[135]
Und als des Menschheitsglaubens Frühlingsblüte,
Von Frost befallen, tief ihr Haupt gebeugt,
Als Hagel schlug und winterlich Gewüte
Den Lenz zerriß, den ich im Traum erzeugt,
Als eisiger Schauer Anhauch im Gemüte
Des Herzens Kinder mordete, gesäugt
Mit meines Lebens liebevollsten Säften,
Wer nährte mich mit welterprobtern Kräften?
Geheimnis ganz. Frischgärung aus Verderben.
Aufrichtung aus zerstörtem Tempelgrund.
Mußt' ich in niederer Gestaltung sterben,
Um reif zu sein zu höherem Wesensbund?
Brach das Geschirr des Geistes mir in Scherben,
Daß es zu schönern Formen auferstund?
Darf sich mein winzig Schicksal fragend brüsten:
»Läuft so das Lebensschiff von Todesküsten?«
Wer weiß, wohin mich diese Segel tragen?!
Vom Augenblick zur Ewigkeit – hoiho!
Kein enges Sackloch soll mich fürder plagen,
Ich bin ein Mensch – Urgeist, du schufst mich so.
An meiner Schwachheit will ich nicht verzagen,
Der Überwindung werd' ich kräftig froh,
Und diese Welt, gemacht mich zu beschränken,
Soll mich dafür mit ganzer Freiheit tränken.
[136]
Und unter mir aus Freiheit, die erhaben
Ob jener ist, die vordem mich berauscht,
Lass' ich den Losungsschrei des Menschheitsknaben,
Seit ich dem Lied der Ewigkeit gelauscht.
Mag sein, man kommt ins Alter bald der Schwaben,
Und, wie gesagt, wir fühlen wie vertauscht,
Wobei wir weder uns des Frühern schämen
Noch durch Vergangenes uns lassen lähmen.

29.

Denn manches Lasters könnt' ich mich versehen,
Und Fehler zähl' ich wie der Sand am Meer,
Doch bei der Sonne Licht darf ich gestehen:
Nie bohrte mir durchs Herz des Neides Speer.
Ich müßte völlig aus der Haut mir gehen,
Wollt' ich vergrößern noch der Neider Heer:
Dem Würdigsten möcht' ich zu beiden Seiten
Den Hermelin selbst um die Schulter breiten.
Zwar lächelnd müßte, der mir ganz gefiele,
Mundwinkelzuckend steigen auf den Thron,
Das goldne Zepter nehmen wie zum Spiele
Und sich gebärden als Olympiersohn,
Der flott agiert im Byzantiner Stile
Und selber komisch sich als Kaiser schon,
Der bald nach abgestreiftem Hermeline
Als schlichter Meister seines Volks erschiene.
[137]
Ich lache schmerzlich. Fern mir, daß ich haßte!
Ich möchte lieben, ging' es irgend an.
Mir weht die Flagge silberweiß vom Maste,
Ich traure nur, wo ich nicht lieben kann.
Der Sinn der allerhöchsten Kriegerkaste
Ist Wahnsinn für den echten Edelmann.
Das fordert Blut und ruft dem Geist der Rache
In Jesu Namen! – Schmerz, sei stark und lache!
Mein Herz ist leidenschaftlich, voller Schwächen,
Schon oft hat heißer Zorn mich übermannt,
Daß mir Besinnung schwand in Wirbelbächen
Und mich das liebste Wesen kaum erkannt.
Nur eines wußt' ich nie: Was ist: sich rächen?
Wer mich beleidigt haß- und wutentbrannt,
Soll ich dem armen Schlucker zu Gefallen
Gleich zeigen: »Ecce homo – hier auch Krallen?«
»Ich bin wie du. Brauchst dich nicht zu genieren.
Man stillt sich zur Revanche seinen Durst.
Süß ist die Rache. Laß doch mal probieren!
Famoses Wörtchen das: Wurst wider Wurst!
Wie feige, Kraftinstinkte zu kastrieren!
Fest um sich haun! – Arme Vernunft, du murrst?
Soll ich des Bruders Lehrer sein im Lieben?
Moral heißt: »Zahn um Zahn und Heil den Hieben!«
[138]
Nun gut! Mein Hieb ist: Wiederzuvergelten
Mit einer Geste, die mir ganz entspricht.
Ich will mich selbst nicht einen Narren schelten,
Der Sühne nimmt, wenn er gestochen sticht.
Ob noch so sehr die Zornesadern schwellten,
Ein höherer Trieb sucht höheres Gericht,
Und Kränkungen mit Großmut zu ertragen
Ist majestätischer als wiederschlagen.
Wird Tschandala denn ewig Rache brüllen,
Und mußt du einsam auf die Berge gehn?
Wird die Verheißung nie sich hier erfüllen,
Sich nie die Wahrheit hier verwirklicht sehn?
Soll ewig Herrliches sich nur enthüllen
In wenigen, die »was davon verstehn«,
Und ist es Unsichtbarem vorbehalten,
Ein höchstes Gut für alle zu verwalten?
Vom Protoplasma hab ich's nicht erfahren,
Und Weltgeheimnis bleibt, was mich bedrängt.
Das lernt sich auch nicht mit den Schwabenjahren
Und bleibt mit heiligen Schleiern zugehängt.
Es ist bei Juden, Christen und Barbaren
Dasselbe stets in andre Form gezwängt –
Die Priester zeigen es herum im Bilde,
Mir flimmert's mystisch her vom Sternenschilde.

[139] 30.

Die Sterne glitzern und die Blumen saugen
Den lauen Balsam dieser Julinacht,
Ich öffne weit die welterfüllten Augen
Und halte wunderstille Sternenwacht.
Die Blumen duften und die Blicke saugen
Aus blauen Baldachinen Schauensmacht:
Mit goldnen Himmelsblumen hold im Bunde
Zittr' ich im milchig hellen Äthergrunde.
Und dieser sausend sternumsäten Erden
Zeichn' ich der Seele lichte Lettern hin:
Ich kann kein dürftiger Knecht des Daseins werden,
Weil ich in Ewigkeiten web' und bin.
Mag das Geschick Sich, wie »Es« will, geberden,
Hoch thront Unendlichkeit – Befreierin,
Mit schicksallosen, zeiterhabnen Zügen,
Die nie sich wandeln und die niemals lügen.
O Lebensangst, du schlotternder Philister,
Geschlichen fast in diese feine Haut,
Verbrenne nun mit kläglichem Geknister
Am Strahlenherde ganz, den ich geschaut!
Was ficht mich an Frau Missis und Herr Mister,
Die mit gedrücktem Wirbelglied gebaut?
Ich will mich nicht den Kleinen überheben,
Doch über dem Gemeinen will ich schweben.
[140]
Sternflüstern und geheimnisvoll Gefunkel!
Bekenntnis flutet durch den blauen Dom.
Das Leben ist ein lichtdurchrieselt Dunkel,
Ein unergründlich ewiggleicher Strom.
Was spinnt Urahne Kraft auf ihrer Kunkel?
Kein Bruno weiß es und kein Papst in Rom –
Kein freier Geist, kein formgebundner Glaube
Begreift den Sinn des Adlers und der Taube.
»All-einig – einig – einig«, hör' ich rauschen,
»Sei ruhig, Mensch, du Spiegel der Natur!
Ich bin ein Lied, dem Narr und Weiser lauschen,
In Rätselsang verzittert meine Spur.
Was frommt's, mit falschem Tand sich aufzubauschen?
Sei Kind, such Blumen auf der Sternenflur!
Kind Genius – dir tut die Welt kein Schaden:
Dein ist die Unschuld und die Kraft in Gnaden.«

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Zitationsvorschlag für diese Edition
TextGrid Repository (2012). Henckell, Karl. Neues Leben. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-52A9-F