Des Menschen Herz

In ein Gewebe wanden
Die Götter Freud' und Schmerz;
Sie webten und erfanden
Daraus ein Menschenherz.
Du armes Herz, gewebet
Aus Lust und Traurigkeit,
Weißt Du, was Dich belebet?
Ist's Freude? ist es Leid?
Die Göttin selbst der Liebe
Sah es bedaurend an:
»O zweifelhafte Triebe,
Die dieses Herz gewann!
Im Wünschen nur und Sehnen
Wohnt seine Seligkeit,
Und selbst der Freude Thränen
Verkündigen ihm Leid.«
Mitleidig trat ihr Knabe
Hinzu mit seinem Pfeil:
»Auf! meine beste Gabe,
Sie werde Dir zu Theil!
Dein unbezwinglich Streben
Sei Liebe Dir, o Herz,
Sei Deiner Freude Leben,
Und Süßigkeit dem Schmerz!«

Notes
Erstdruck in: Schillers Musenalmanach für 1800.
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Citation Suggestion for this Edition
TextGrid Repository (2012). Herder, Johann Gottfried. Des Menschen Herz. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-56CE-3