Das Abendmahl

Er sprach's und wollte scheiden:
»Wie, Brüder, lieb' ich Euch!
Noch einen Kelch der Freuden!
Bis uns in Gottes Reich
Nach Müh und Blut und Streite
Empfängt ein Labemahl,
Genießt an Freundes Seite
Das letzte Freundesmahl!«
Er sprach's, und Herz und Liebe
Umgaben All' ihn da!
Verklärt in Gottes Liebe
Sie Jesus Christus sah:
»Wie ich geliebt Euch habe,
Liebt ewig, ewig Euch!
Wie ich Euch jetzo labe,
Labt einst uns Gottes Reich.«
Er sprach von Blutvergießen,
Von Lieben bis ins Grab:
»Mein Blut muß söhnend fließen,
Mein Leben blühen ab!
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Seht, Euch zu Trost und Muthe,
Seht hier Euch ewig Mahl,
Den Bund mit meinem Blute,
Die Feier meiner Qual!
Mein Leib! mein Blut! genießet
Hier ewig meine Kraft!
Des Freundes Blut, es fließet
Zu Eures Lebens Saft.
Bald wird sich Alles wenden;
Getrost! ich bin bei Euch,
Hin zu der Welten Enden
Bis hin in Gottes Reich!«
Er sprach's und ging zum Leiden
Vom letzten Liebesmahl;
Und ewig nach dem Scheiden
Ward es sein Abendmahl,
Ein Mahl der Lieb' und Thränen,
Der Freundschaft in den Tod,
Voll Wehmuth, Wonn' und Sehnen
Und Labsal hin zu Gott.
Auf Paradieses Auen
Umarmt er fern sie schon!
Vom Kelche konnten schauen
Sie auf zu Gottes Thron,
Wo einst, nach Müh und Streite
Und Blut und Kampf und Qual,
An ihres Freundes Seite
Empfängt sie Freudemahl.

Notes
Entstanden 1774. Entstanden zwischen 1780 und 1800.
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Citation Suggestion for this Edition
TextGrid Repository (2012). Herder, Johann Gottfried. Das Abendmahl. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-57E8-E