Eine Paraphrase des Vaterunser

Gott, der im hohen Himmel wohnet
Und uns, uns Asche, Kinder nennt,
Der über Kron' und Scepter thronet
Und doch für Staub vor Liebe brennt,
Ich nenne Dich den Herrn und sinke
Voll Ehrfurcht auf mein Angesicht
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Und bete: »Vater, Vater, winke
Den Scepter mir zur Zuversicht!«
Dein Name, den das Heer der Himmel
Mit Zittern dreimal heilig preist,
Dem jauchze aller Welt Getümmel:
»Verehrt sei Vater, Sohn und Geist!«
Dein Reich der Himmel senke nieder,
Und Segen ströme Deine Hand!
So kommt uns güldne Ruhe wieder,
Und unsre Welt wird Gottes Land.
Dein Wink gebeut dort Seraphinen
Vor Dir; er will, und es geschicht:
So laß Dir, Gott, die Völker dienen!
Du willst das Beste stets, wir nicht.
Speis' uns mit Früchten Deiner Güte,
Dein Gnadenthau sei unser Trank!
Dem Menschen preis' ihn Eu'r Gemüthe,
Und Himmel hören Euren Dank.
Vergieb die Schuld uns schwachen Armen!
Wir fehlten, sündigten nicht gern.
Sieh, wir vergeben mit Erbarmen
Die Schulden unsern Schuldigern.
Da lau'rt der Feind; laß ihn nicht siegen!
Gieb Kraft uns, wenn er uns versucht!
Lehr unsre schwachen Arme kriegen,
Und Lorbeer sei des Sieges Frucht!
Einst reiß' aus allen Unglückswellen
Uns Deine Rechte! Hoch hervor,
Wo keine Laurer nach uns stellen,
Dahin steigt unser Wunsch empor.
Sprich Ja! und alle Himmel neigen
Sich Deiner Ehre weit und breit.
Dein, Herr, ist Reich und Kraft! Wir schweigen;
Singt, Engel, Gottes Herrlichkeit!

Notes
Entstanden zwischen 1762 und 1769.
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Citation Suggestion for this Edition
TextGrid Repository (2012). Herder, Johann Gottfried. Eine Paraphrase des Vaterunser. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-5828-5