Die Göttergabe

Nach dem Italienischen.


Hört, mit welcher holden Gabe
Mich die Liebe jüngst beglückt!
Wenn ich nie entzückt gesungen habe,
Sing' ich jetzt von ihr entzückt.
Amor, als im schönsten Liede
Ich des Gottes Siege sang,
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Trat zu mir und bot mir Gruß und Friede,
Was er hatte, mir zum Dank.
»Amor,« sprach ich, »Deine Schwingen
Und Dein Köcher und Dein Pfeil
Sollen fürder keinen Sieg mir bringen,
Seit mir Chloe ward zu Theil.
Keine Herzen mehr verwunden
Will ich, bleibet Sie nur mein;
Alle meine Lebens-Tag' und Stunden
Will ich ihr Gefangner sein.
Deine Fackel? Ach, die Liebe
Fliehet ein zu helles Licht!
Wie, wenn Chloe mir nicht Chloe bliebe?
Amor, nein! die Fackel nicht!«
»Nun, Du Sohn der Täuschereien,
Nimm die Binde denn von mir!
Mehr als Alles wird sie Dich erfreuen,
Vieles schenk' ich Dir mit ihr:
Süßen Trug und holdes Wähnen,
Das für mehr als Wahrheit gilt,
Und ein immer wachsend neues Sehnen,
Das die Seele hebt und füllt.
Träume sind in ihr verborgen
(Freund, Du kennest sie noch kaum),
Hoffnungen, mit jedem neuen Morgen
Dir ein neuer Jugendtraum.
Weise Blindheit, nicht zu sehen,
Was Du froh nicht sehen willt,
Nüchternheit, nicht Fehler aufzuspähen,
Die der Liebreiz Dir verhüllt.
Schonung lieget in der Binde,
Ruh und Warten und Geduld.
Nimm sie und sei selig gleich dem Kinde,
Oder – es ist Deine Schuld!«
Seit mit dieser Göttergabe
Amor mich zum Gott entzückt,
Ist sie wechselnd mein' und Chloens Habe,
Und wir tragen sie beglückt.

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Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2012). Herder, Johann Gottfried. Gedichte. Gedichte. Zweites Buch. Die Göttergabe. Die Göttergabe. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-59A9-C