15. Das Mädchen am Ufer
Englisch

Aus Ramsay's Tea-table miscell Vol. II. p. 25. Gleichfalls übersezt in Ursinus.


Die See war wild im Heulen
Der Sturm, er stöhnt mit Müh,
Da saß das Mädchen weinend,
Am harten Fels saß sie,
Weit über Meeres Brüllen
Warf Seufzer sie und Blick;
Nicht konnts ihr Seufzer stillen,
Der matt ihr kam zurück.
»Ein Jahr nun hin und drüber!
Ein Jahr voll bitterm Weh!
O warum gingst du, Lieber,
Und trautest dich der See?
Hör auf, hör auf zu toben,
O Sturm, und gönn' ihm Ruh!
Hier in der Brust das Toben,
Ach! wütet mehr als du.
Der Kaufmann Schäzegierig,
Verzweifelnd flucht er dir;
Was ist Verlieren Schäze,
Zu dem, was ich verlier'?
Und würfst du ihn auf Küsten
Von Gold und Demant schwer;
Ein' Reich're kann er finden,
Ein' Treu're nimmermehr.»
So seufzend, weinend lag sie,
Erharrend ihn zu sehn.
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In jeden Sturm floß Seufzen,
In jede Wog' eine Thrän';
Als schnell auf weissen Wellen
Ein blasser Leichnam schwamm,
Todt sank auf ihn das Mädchen,
Es war – ihr Bräutigam.

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Zitationsvorschlag für diese Edition
TextGrid Repository (2012). Herder, Johann Gottfried. 15. Das Mädchen am Ufer. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-5AC1-C