[548] Händel's Messias

1782.

Erster Theil

»Tröstet, tröstet mein Zion!«
Spricht Eu'r Gott,
Redet Trostesworte mit Jerusalem
Und ruft ihr zu,
Daß ihr Kriegszug sei vollendet,
Daß ihre Missethat
Sei verziehn!
Ein Ruf erschallt!
Er rufet in der Wüstenei:
»Bereitet den Weg dem Herrn!
Macht Bahn in der Wüste!
Macht Heerweg unserm Gott!«
Alle Thale werden erhaben,
Und alle Höhen und Hügel tief!
Die Krümme gleich,
Und die Steile gerecht!
Denn die Hoheit, die Hoheit des Herrn
Wird offenbaret!
Und alles Fleisch soll schau'n mit einander;
Denn der Mund des Herrn
Hat's zugesagt.
So spricht der Herr, Gott Zebaoth:
»Es ist noch ein Kleines,
So will ich regen
Den Himmel und die Erd',
Das Meer und die Trockne,
Und will erregen die Völker,
Bis das Verlangen der Völker erscheint.«
»Der Herr, den Ihr sucht,
Kommt eilig zu seinem Tempel,
Und der Engel des Bundes,
Nach dem Ihr verlangt,
Er kommt! sieh, er kommt!«
Spricht der Herr Zebaoth.
[549]
Doch wer mag ertragen
Den Tag, wenn er kommet?
Und wer besteht,
Wenn er erscheinet?
Denn er ist gleich wie ein läuternd Feu'r.
Und er wird reinigen die Söhne Levi,
Daß sie darbringen Gott, dem Herrn,
Ein Opfer in Reinigkeit.
Sieh da! eine Jungfrau empfängt!
Gebiert einen Sohn
Und wird ihn nennen: Immanuel!
Gott mit uns!
O Du, der bringet Frohlocken in Zion,
Steig hinauf auf die hohen Berge!
O Du, der bringet Frohlocken in Jerusalem,
Ruf aus Dein Wort mit Macht!
Ruf es aus! sei nicht verzagt!
Verkünde den Städten in Juda:
»Da ist Eu'r Gott!«
O Du, der bringet Frohlocken in Zion,
Wolauf! glänze! Dein Licht ist da!
Und die Herrlichkeit des Herrn
Erhebet sich auf Dir!
Schau umher!
Dunkel bedecket die Welt
Und Mitternacht die Völker.
Doch der Herr wird über Dir aufgehn,
Seine Klarheit wird erscheinen auf Dir,
Und die Heiden, sie kommen zum Licht,
Die Fürsten zum Glanze, der Dir aufgeht.
Die Völker, die wandeln im Dunkel,
Sie sehn ein groß Licht;
Und die da wohnen im Lande der Schatten des Todes,
Auf ihnen glänzet der Morgen.
Denn es ist uns ein Kind gebor'n!
Es ist uns ein Sohn gegeben!
Und der Königsstab wird sein auf seiner Schulter,
Und sein Name wird heißen:
Wunderbar!
[550]
Hoher Rath!
Der starke Gott!
Der ewig-ew'ge Vater!
Der Friedefürst!
Es waren Hirten
Beisammen auf der Flur,
Hüteten ihre Heerd' zu Nacht,
Als schnell der Engel des Herrn zu ihnen trat;
Und die Klarheit des Herrn umglänzte sie,
Und sie erschraken sehr.
Alsdann der Engel zu ihnen sprach:
»Friede! Erschrecket nicht!
Ich bring' Euch Freude, große Freude,
Für Euch und alles Volk;
Denn es ist Euch
Geboren heut
In David's Stadt
Ein Heiland; der ist Christ, der Herr!«
Und alsobald war da bei dem Engel
Die große Schaar himmlischen Heers,
Lobend Gott und sagend:
»Ehre sei Gott!
Ehre sei Gott in den Höhen
Und Fried' auf Erd'
Und Heil! Allen Heil!«
Erfreu, erfreu, erfreue Dich mächtig,
Erfreue Dich, Tochter zu Zion!
Jauchze, Tochter zu Jerusalem!
Denn sieh! Dein König kommet her zu Dir,
Er ist ein rechter Heiland
Und redet zu: »Friede den Völkern!«
Dann wird das Auge des Blinden sehend sein
Und das Ohr des Tauben aufgethan!
Dann wird der Lahme springen wie ein Hirsch
Und die Zunge des Stummen singen!
Er wird Hirte sein
Seiner Schafe
Und wird sich sammeln die Lämmer in den Arm
Und tragen sie in dem Busen,
Und sanfte leiten, die noch zart sind.
[551]
Kommt her zu ihm, die Ihr mühselig seid,
Kommt her zu ihm, die Ihr seid schwer beladen!
Er wird Euch geben Ruh.
Nehmt sein Joch auf Euch
Und lernt von ihm!
Denn er ist sanft-demüthigen Sinns;
So findet Ihr Ruh für Euer Herz.
Sein Joch ist selig,
Sein Tragen ist leicht.

Zweiter Theil

Sieh, da ist Gottes Lamm!
Es träget hinweg die Sünde der Welt.
Er war verschmähet,
Verschmähet und verworfen,
Verworfen von Menschen,
Ein Mann des Kummers
Und befreundet mit Gram.
Er gab den Rücken der Geißel
Und die Wange Dem,
Der ihm die Haare riß;
Er barg nicht sein Antlitz
Vor Schmach und Speichel.
Wahrlich, wahrlich! er trug unser Leid
Und litt unsern Kummer.
Er ward verwundet um unsre Sünden,
Er ward zerschlagen für unsre Missethat.
Die Züchtigung zu unserm Frieden lag auf ihm;
Durch seine Wunden sind wir geheilet.
Wir gingen All' in Irren umher,
Wir kehrten Alle, Jeder seinen Weg;
Und der Herr legt' auf ihn
Unser Aller Missethat.
Und die ihn sahen, spotteten sein,
Höhneten ihn und warfen das Haupt
Und sprachen:
»Er trauete Gott,
Der könn' erlösen ihn!
Laß den erlösen ihn,
Wenn er hat Lust zu ihm!«
[552]
Deine Schmach
Zerbrach sein Herz;
Er ist voll von Traurigkeit.
Er schauet' umher, nach Mitleid umher;
Aber da war Niemand,
Noch fand sich Einer,
Zu trösten ihn.
Schau an und sieh,
Ob irgend sei ein Kummer
Gleich seinem Kummer?
Man riß ihn aus,
Aus dem Lande der Lebenden;
Um die Missethat Deines Volkes
Mußt' er sterben.
Doch Du ließest nicht
Seine Seel' in der Höll'
Und gabst nicht zu,
Daß der Heilige Dein
Die Verwesung säh'.
Erhebt das Haupt, o Ihr Thore!
Eröffnet Euch weit, Ihr Pforten der Welt!
Denn der König der Ehre wird einziehn.
»Wer ist der König der Ehre?«
»Der Herr, stark und mächtig,
Der Herr, stark und mächtig im Streit.«
»Wer ist der König der Ehre?«
»Gott Zebaoth, er ist der König der Ehre!«
Denn zu welchem Engel
Sprach Gott Jehovah je:
»Du bist mein Sohn!
Heut hab' ich Dich erzeuget!«
Laßt alle Engel des Herrn
Feiern ihn!
Du bist gestiegen hoch!
Hast geraubet, die da raubeten,
Und empfangen Gaben den Menschen
Und Gaben Deinen Feinden,
Daß Gott, der Herr, noch wohne bei ihnen.
Der Herr gab sein Wort.
Groß war die Menge der Gottesboten.
[553]
Wie lieblich ist der Boten Tritt!
Sie kündigen Frieden uns an.
Sie bringen freudige Botschaft,
Die Botschaft unsers Heils.
Ihr Ruf, er erging in alles Land,
Und ihr Wort
Hin an die Ende der Welt!
Wie, daß die Völker so wüthend ergrimmen zusammen?
Wie, daß die Heiden berathen eiteln Rath?
Die Fürsten der Welt stehn auf,
Und die Großen rathschlagen zusammen,
Entgegen Gott
Und entgegen seinem König.
»Laßt uns brechen ihre Bande, ihre Band' entzwei!
Und werfen weg
Ihr Joch von uns!«
Er, der wohnet im Himmel,
Er lachet der Wuth.
Der Herr
Wird spotten ihres Rathes.
»Sie zerbrechen
Soll Dein Eisenscepter!
Sie zerschlagen in Stücke
Wie die irdne Scherbe!«
Hallelujah!
Denn der Herr, Gott der Allmächt'ge, herrschet!
Hallelujah!
Das Königreich der Welt
Ist worden das Königreich des Herrn
Und seines Christs.
Und Er wird herrschen
Ewig und ewig,
Herr der Herrn,
Der Götter Gott! Hallelujah!

Dritter Theil

Ich weiß, daß mein Erlöser lebet,
Und daß er erweckt
An dem letzten Tage
Meinen Staub.
[554]
Und ob Würmer ihn zernagen,
In meinem Fleisch werd' ich Gott schau'n.
Denn Christ ist erstanden aus der Gruft,
Der Erstling
Der Schlafenden.
Denn durch Einen kam Tod;
Durch Einen kommet die Auferstehung von dem Tod;
Denn wie in Adam Alles starb,
So wird einst in ihm
Alles lebend sein.
Vernehmet! ich sprech' ein Geheimniß!
Nicht Alle entschlafen;
Aber Alle werden verwandelt!
In dem Nu!
Im Wink des Augenblicks!
Beim Schall der Drommete!
Es schallt die Drommet',
Und die Todten erstehn
Unverweslich,
Und wir sind verneut.
Denn dies Verwesliche
Muß anziehn Unverwesung,
Und dies Sterbliche
Muß anziehn die Unsterblichkeit.
Dann wird erfüllet sein
Das Wort des Ewigen:
»Tod ist nun verschlungen
In Siegstriumph.«
O Tod, o Tod, wo ist Dein Pfeil?
O Grab, wo ist Dein Siegstriumph?
Des Todes Pfeil ist Sünd'
Und die Macht der Sünde Gebot.
Drum Dank sei Gott,
Der uns den Sieg gegeben hat
Durch Christum, unsern Herrn!
Wenn Gott ist mit uns, wer ist uns entgegen?
Wer will anschuldigen
Die Heiligen Gottes bei Gott?
Es ist Gott, der frei sie spricht!
[555]
Wer ist Der, der verdamme?
Hier ist Christ, der starb!
Ja, der da auferstanden
Nun lebt!
Er ist zur rechten Hand bei Gott
Und redet und bittet für uns.
Würdig ist das Lamm,
Das da starb!
Und hat erkaufet uns dem Herrn
Durch sein Blut,
Zu nehmen Macht und Reichthum
Und Weisheit und Kraft und Ehre
Und Hoheit und Dankpreis!
Dankpreis und Ehre, Hoheit und Macht
Sei ihm, dem Herrn, der sitzet auf dem Thron,
Und ihm, dem Lamm,
Auf ewig und ewig! Amen.

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TextGrid Repository (2012). Herder, Johann Gottfried. Gedichte. Gedichte. Siebentes Buch. Händel's Messias. Händel's Messias. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-5B2C-7