Erhebung und Verlangen

Ein Fragment.


1764, Juni.


»Sieh auf!« so sprach's, als ich schon halb besät
Mit Todtenstaub hinlag, vorm fernen Donner
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Mich tiefer grub und zitternd Ketten küßte,
Von Thränen, Blut und Schweiß durchnagt.
Kaum als mich der nächste Donner rief,
Hob sich mein halbes Aug', doch schnell
Sah's Gott. »Die Fessel weg! auf! komm
Von hier, wo man nichts denkt, nichts fühlt!«
So sprach Apoll, und weiß beglänzet sah
Ich Tempe's Musentänze, schwang den neuen,
Den güldnen Hut – und hörte Kant! und wagte
Mit heller Zung' ein neues Lied!
Und irrte seitwärts Baco nach! Doch kaum
(Da mich schon Hunger hundertklauig faßte)
Entfloh ich – ach, ein neuer Sklav'! Ersticke
Mich nicht, Tyrann! Wie girrt mein Lied,
Dies, das umsonst Apollo's Ohr bestürmt!
O, fänd' es ihn, den für mein Herz und Fehler
Und Glück und Geist die Vorsicht schuf! – –

Notes
Entstanden 1764.
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Citation Suggestion for this Edition
TextGrid Repository (2012). Herder, Johann Gottfried. Erhebung und Verlangen. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-5B90-1