4. Die Gräfin Linda
eine Romanze
Französisch

Die schöne Romanze ist von Moncrif, eine Schwester zu seiner auch im Deutschen so beliebten Marianne. S. Recueil de Romances p. 27.


Ihr zarten Herzen, hört ein Trauerlied,
Wenn mir dabei nicht Stimm' und Athem flieht –
Ein Lied, von all dem Kummer, Gram und Schmerz,
Der traf der edlen Gräfin Linda Herz.
[190]
Wenn Schönheit, Reiz und Tugend Glück verlieh,
Welch Glück des Lebens sollt geniessen sie!
Sie, Schwester jenes edlen Orosmann,
Und ach! Gemahl vom ärgsten Ehemann.
Nicht, daß der Graf an Würden in dem Reich
So niedrig war; da war ihm niemand gleich,
Doch niedriger an Tugend und Verstand
War niemand, ach! und das an Linda's Hand.
Drum schloß er sie bald in sein Thurmschloß ein,
Da lebenslang gefangen ihm zu seyn,
Ihr fehlte Ritter, Dame, Cavalier,
Gar Edelknabe, alles fehlte ihr.
Ihr Kammermädchen, denket das einmal,
Ihr Kammermädchen selbst war Herr Gemahl,
War Koch und Becker, Tag und Nacht um sie,
Macht selbst das Bett und futtert's Federvieh.
Ist Eifersucht der wahren Liebe Pein,
Weh ihr! – Doch muß man Mitleid noch ihr weihn;
Pfui aber, ohne Liebe Eifersucht
Aus feiger Kälte! dreimal sey verflucht!
Er glaubt, der Thor, daß solche Schöne nie
Getreu seyn könne, darum quält er sie,
Bewacht sie Tag und Nacht mit Teufelsblick,
Und Schlaf und Schlummer scheucht er sich zurück.
Denn einst im Traume sah er untreu sie,
Fuhr auf vom Traum' und Gott, wie schlug er sie!
Sie hatt' auch nichts im Leben, nicht etwann
Ein Hünd- ein Täubchen, das sie liebgewann.
Auch Hünd- und Täubchen ward im Ungestüm
Ihm Nebenbuhler, Nebenbuhler ihm,
[191]
Fort riß ers ihr: »Was küssen Sie, Madam,
Im Thiere da? wie heißt der Herr Galan?«
Ihr brach das Herz: einst gieng sie still im Hain,
Da kam ein Bär, ein Wolf, ein wildes Schwein:
Die folgten zahm und willig ihr zum Stall,
Und sieh, das war nun ihr Gesellschafts-Saal.
Die futtert sie mit eigner zarter Hand,
Mitleidig jedes ihre Stimm' erkannt'
Und liebte sie, als sprach' es: »Herr Gemahl,
Seht doch auf uns, uns Bestien einmal!«
Nichts! ja wenn täglich immer mehr und mehr
Der Bär ein Mensch ward, ward der Graf ein Bär;
Bis ihn zuletzt der Bestien Hof auch plagt
Und er zu sehen sie, ihr untersagt.
Und sieh, da kam vom König' an ein Brief,
Der ihn, o weh, von Frau und Küche rief!
»Herr Graf, an Hof, Herr Graf flugs in den Krieg!
Beschüzt den König, schaft ihm Ruhm und Sieg.«
Ach Unglückspost! O Tag voll bittrer Pein!
Vom Weibe ziehn, nicht mehr ihr Schildwach seyn.
»Wohlan, in diesen Thurm, mein holdes Kind,
Wo Sie vor Feind und Hunger sicher sind.
Durch dieses Loch wird Ihnen Speise bracht,
Und nun Herzlieb –« er schläft bey ihr die Nacht;
Und Schicksal, Jammer! sie, die sieben Jahr
Kein Kind umarmte, sie wird schwanger gar.
Ach armes Weib, wie wird, wie wird dirs gehn
Kommt er zurück und wird dein Mädchen sehn –!
Das süsse Mädchen, das in Gram und Leid
Dir jetzt gemacht so liebe, liebe Zeit.
[192]
Er kommt zurück, kommt schneller als er soll,
Auf springt das Thor: er tritt herein wie toll.
Die Mutter auf dem Schoos, wie Mütter sind,
Sie herzt und weint und küßt das süsse Kind.
Er steht und starrt und zittert blaß und bleich,
Ach Kind und Mutter, Gott genade Euch!
Er zieht den Dolch und sonder Wort und Schmerz
Stößt ihn dem eignen Kinde durch das Herz.
»Weib ohne Zucht und Ehr und Schaam und Treu,
Ergib dich Gott! dein Leben ist vorbey!«
Und steht und knirscht und hebt voll Tigerwuth
Den Dolch empor, der trieft von Kindes Blut.
Sie höret nicht, sie sieht nicht, drückt im Schmerz
Den armen Säugling an ihr Mutterherz,
Sieht ächzen ihn, sein Seelchen will entfliehn,
Und Mund an Mund will sie es in sich ziehn.
Welch Tigerherz hätt' kalt das angesehn?
Er sah es, setzt auf ihren Busen schön
Den Dolch; als plötzlich Lärm, Geschrey im Thurm
Es ruft und lärmt, von allen Seiten Sturm.
Gestürmt, gestürmt das Schloß wird um und an,
Es ist, es ist der wackre Orosmann!
Er hat gehört, er hat vernommen spät,
Wie's seiner edlen, lieben Schwester geht.
Auf einmal stutzt und steht der Herr Gemahl,
Steckt ein den Dolch. »Auf! in den grossen Saal!
Und still Madam, und laßt nichts merken euch,
Und zieht euch an in Gold und Seide reich.
Frägt Euer Bruder: »nun, wie geht es dir?«
So sprecht: »o Bruder, wie ichs wünsche mir.«
[193]
Fragt er: »wo sind die Ritter, deine Leut?«
So sprecht: »sind eben auf der Wolfsjagd heut.«
»Und wo sind deine Damen? Dein Kaplan?«
»Sie haben eben Wallfahrt heut gethan.«
»Wo deine Kammerfrauen?« nun so sprich:
»Sie sind am Fluß und bleichen Garn für mich.«
Frägt er: »wo ist dein Mann? wo treff ich ihn?«
Antwort': »er muste stracks nach Hofe ziehn.«
»Und wo dein Kind? Dein Einig Kind?« so sprich:
»Gott, der es gab, der nahm es bald zu sich.««
Doch Orosmann pocht an schon, pochet brav,
Kein ander Rath, als unters Bett, Herr Graf!
»Wo ist sie? meine Schwester führt mir her!«
»Ach Bruder, Bruder kennst du mich nicht mehr! –«
»Wie Schwester, Schwester! und so seh ich Euch?
Und steht da zitternd und seyd blaß und bleich!«
Laut spricht sie: »Bruder, ich war tödtlich krank.«
Und leise: »ach, ich leid' hier Höllenzwang.«
»Wie Schwester, Schwester, wo ist dein Kaplan?
Wo deine Damen? schaff sie mir heran.«
Laut spricht sie: »Sie sind auf der Wallfahrt heut.«
Und leise: »Bruder, sieh mein Herzeleid.«
»Wie, Schwester, Schwester, wo ist Kavalier,
Und Edelknabe: treff ich keinen hier?«
Laut spricht sie: »sind heut alle auf der Jagd.«
Und leise: »Bruder, wie bin ich geplagt!«
»Wie Schwester, Schwester, wo ist dein Gemahl?
Er kommt nicht und empfängt mich nicht einmal!«
Laut: »Eben rief der König ihn zu sich.«
Und leise – ach erseufzt sie ängstiglich.
[194]
»Wie Schwester, Schwester, und ich sehs an dir,
Die Hälfte deiner Leiden hehlst du mir.
Er ist nicht werth, der Wütrich, der Barbar,
Der seinen Schatz an dir nicht wird gewahr –«
Da sieht er ihn, reißt ihn vom Bett hervor,
Und zieht sein Schwert und hält es hoch empor –
Ein fällt die Schwester ihm in Arm und Stahl:
»Nicht, Bruder, nicht! Er ist doch mein Gemahl.
Ich haß' ihn nicht, ob ich gleich litte sehr;
Verzeih ihm – er wird mich nicht tödten mehr!«
»Nein, Schwester, nein! Er hat verdient den Tod.
Tyrann! so stirb denn und verzeih dir Gott!«
Er sank, der feige Wütrich und sein Blut
Ward noch geehrt mit Linda's Thränenfluth;
Doch jedermann nennt ihn mit Schand und Graus:
Haustyrannei geht selten glücklich aus.

Der annotierte Datenbestand der Digitalen Bibliothek inklusive Metadaten sowie davon einzeln zugängliche Teile sind eine Abwandlung des Datenbestandes von www.editura.de durch TextGrid und werden unter der Lizenz Creative Commons Namensnennung 3.0 Deutschland Lizenz (by-Nennung TextGrid, www.editura.de) veröffentlicht. Die Lizenz bezieht sich nicht auf die der Annotation zu Grunde liegenden allgemeinfreien Texte (Siehe auch Punkt 2 der Lizenzbestimmungen).

Lizenzvertrag

Eine vereinfachte Zusammenfassung des rechtsverbindlichen Lizenzvertrages in allgemeinverständlicher Sprache

Hinweise zur Lizenz und zur Digitalen Bibliothek


Holder of rights
TextGrid

Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Herder, Johann Gottfried. Liedsammlung. Volkslieder. Zweiter Theil. Erstes Buch. 4. Die Gräfin Linda. 4. Die Gräfin Linda. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-5CA8-5