12.

Kommt, schon wartet der Wagen am Haus! – Wie soll ich mich trennen?
Gestern – ein Leichtsinn war's, daß ich es ernstlich beschloß.
Heut – wie am Fenster die Spinne sich anwebt, häng' ich mit tausend
Fäden im eigenen Netz fest an die Stätte geknüpft.
Lieber Vesuv, wir sehn uns drüben in Napoli wieder,
Aber ein anderer dann bist du – ein anderer ich.
Ruhiges Meer, auch du – nicht mehr in der Glorie schwimmst du
Hinter Olivengesträuch, sondern in schmählicher Fron
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Zahllos ankernder Schiffe getrübt die gediegene Klarheit;
Statt des Orangengedüfts dampft an der Reede der Teer.
Und du, innige Stille der Luft, von Stimmen der Liebe
Zärtlich gebrochen, im Lärm Napolis schmacht' ich nach dir.
Stürzt, mitleidige Tränen! Verfinstert den Blick und entreißt ihm
Näh' und Weite; er soll jetzt sich bescheiden, er muß.
Bist du hier, o Luisa? Geleite mich! Sinnen- und fühllos
Geh' ich. Weinest du auch, Mädchen, und bleibst in Sorrent?
Nein, ich fahre mit Euch, bis Castellamare; die Mutter
Auch, Francesco und wen sonst die Karosse noch faßt.
Sonntag ist es, so haben wir Zeit. Als wärt Ihr ein Bruder,
Will Euch jedes im Haus wohl, und das wisset Ihr auch. –
O ihr Guten! – Wir gingen, vorbei dem Altan; ich gewann's nicht
Über das trauernde Herz, droben noch einmal zu stehn.
Und wir fanden die Mutter im Sonntagsputze, die Schwestern
Und Francesco im Flur. Aber sie schmückten mich erst
Wie ein Opfer mit Blumen und steckten mir dunkler Orangen
Zwei in die Hand. Mit Not wehrt' ich ein Dutzend mir ab.
Ach, und am Haustor harrte die leidige Kutsche. Vergnügt saß
Ferdinando bereits neben dem Kutscher mit Stolz.
Jetzt wir anderen hurtig hinein, sechs Große, dazwischen
Zwei von den Kleinen; am Bock hing sich ein drittes mit an.
Freundliche Nachbarn kamen, die Hand mir reichend zum Abschied,
Hoben die Kinder hinein, daß ich sie herzte wie sonst,
Und fort stob das beladne Gefährt. Indessen an eins nur
Dacht' ich: Und du nur bleibst, du, Mariuccia, zurück?
Nicht am Fenster erschien sie. Es hing kaltsinnig der Vorhang,
Und kein Fältchen verschob, winkend und scheidend, die Hand.
Sei's! So will ich auch dies ausstreichen in mir, in die Zukunft
Blicken und hoffen. Ein Gott nehme des andern sich an!
Siehe, der Tag ist heiß. Kaum blieb im Rücken die Ebne,
Und den gewundenen Weg schnaufen die Gäule hinan,
Breit in den Felsen gebaut, der steil in die Wogen hinabsteigt,
Als uns alle befällt Plage der goldenen Glut.
Nun entfalten wir eilig den Schirm, nun ducken sich alle
Unter das Dach, das rot lachende Wangen bescheint.
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Jedes in Sonntagslaune und tut sein Bestes mit Schwatzen;
Nur die Luisa blickt schweigend hinaus auf das Meer.
Ich, am Rande des Schlags, mir zwischen den Knieen das jüngste
Mädchen, von allen befragt, stand ein Erhebliches aus.
Niemals machte zuvor Bosheit so heiß mir die Hölle,
Wie ich im biederen Kreis dieser Verehrten geschwitzt.
Aber sobald um den Felsen die Fahrt bog oder ein Garten
Schatten verstreute, sogleich tauchten wir wieder hervor,
Zeigten einander den wechselnden Schmuck der gesegneten Ufer,
Oder das leuchtende Meer tief an dem gelben Gestein.
Und es erzählte die Mutter: Dereinst – sie säugte das erste
Kind – stieg plötzlich das Öl über die Maßen im Preis.
Und da sagt' ihr Bippo einmal: Frau, wenn wir ein eignes
Gärtchen besäßen, es wär' heuer ein braves Geschäft.
Aber, woher soll's kommen? – Darauf, sie bewahrte die Worte
Still im Herzen, beschlief's ein' und die andere Nacht;
Endlich da war es gefunden: sie tat ihr alles an Ringen,
Spangen und Ohrengehäng, so sie getragen als Braut,
Auch von der seligen Ahne das Schaustück fein in ein Kästchen,
Ferner die Kette: sie ging zehnmal bequem um den Hals.
All das trug sie dem Goldschmied hin, der tauscht' es für blankes
Silber; sie bracht' es dem Mann, welcher sie staunend befrug,
Schalt und belobte zuletzt, und sie kauften den Ölbaumgarten,
Und er gedieh. Niemals hat sie der Handel gereut.
Seht, was hatt' ich den Schmuck auch not? Ich hatte die Kinder,
Hatte den Mann, und blieb immer von Festen zurück. –
Doch du sagtest darauf, Francesco, Diener der Kirchen:
Mutter, ich war unlängst drüben im Garten und sah
Unsere heurige Ernte. Fürwahr, mich dünket es gottlos,
Wie zusehends das Kreuz dort an der Mauer verfällt.
Denket, am Heiland gar ist völlig die Farbe verwaschen,
Und doch wirket der Herr Segen in jeglichem Herbst.
Was dünkt Euch? Wir wenden die paar Karlin an den Tüncher,
Daß er das Bild auffrischt. Aber die treffliche Frau
Nickt' und sprach: So soll es geschehn, Francesco. Es ist dies
Deines Amtes. Du weißt, was für den Himmel sich schickt.
Also plauderten sie; nur als von ferne das weiße
Castellamare sich zeigt, wurden wir stiller und still.
Jetzt in den Bahnhof lenkt das Gefährt, jetzt spring' ich hinunter,
Hebe die Mutter heraus, reiche den Mädchen die Hand.
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Und wir standen und schwiegen. Wie viel will scheidend gesagt sein,
Und wie weniges doch sagt man einander zuletzt.
Aber ich zog Luisen beiseit. Grüß mir Mariuccia;
Grüß und sage, wie sehr ich sie am Fenster vermißt. –
Wißt, sprach leise das Mädchen, zuvor nicht mocht' ich es sagen
Wegen der andern. Ich sprach heut in der Messe mit ihr,
Und ich gab ihr das seidene Band. Sie sagte: Der Herrgott
Weiß, wie gern ich ihm selbst dankte, so gut wie er ist.
Doch – was sagst du, Luisa? – der Carlo, sagt sie (der Onkel
Angiolinens, versteht!) kam zu der Mamma und warb.
Wenige Tag' ist's her, und es war schon finster. Ich stand noch
Auf dem Balkon. Da klopft's innen, da tritt er herein,
Sagt's mit wenigen Worten, um was er komme. Die Mutter
Weinte vor Freuden, und ich – siehe, Luisa, der Tod
Kann mir das Herz nicht stärker als diese Wonne beklemmen,
Als er die Hand mir dann gab wie in früherer Zeit.
Aber du mußt noch schweigen; er will nicht, daß es herumkommt,
Sagt sie. Ich hätt' auch dir nicht das Geringste vertraut.
Doch er nahm mir im Ernste das Wort ab, nimmer den Fremden
Wiederzusehn; ich gab's, sagt sie, und mußt' ich es nicht?
Nicht aus Laune geschieht's das sag ihm. Weißt du, er war mir
Freundlich und ich ihm hold, wie es für Nachbarn geziemt.
Vielmals grüß' ich ihn aber und Margherita, und beiden
Bringe die Hand von mir. Nehmt sie, und meine dazu! –
Und frohlockend ergriff ich die Hand. Glückselige Botschaft!
Rief ich. So ist nun hier alles geschlichtet und gut.
Laß dich küssen, Luisa! – Und Euer Gelübde? – Die Heil'gen
Wissen, mit reinerem Sinn wurde noch keines verletzt.
Grüße sie wieder zu tausendmal, und hör, auch den Onkel! –
Und wir schieden. Dahin fuhr ich im brausenden Zug.
Sei, holdseliges Mädchen, so rief ich, sei mir gesegnet,
Die mir den Abschied auch, die mir die Träne versüßt!
Segne das Glück dir Garten und Haus und am Hause die Reben,
Segne das Kind, das holdlachend im Schoße du wiegst;
Und im Glück – o gedenke des Freunds, der nicht dir es neidet,
Führt ihn dem eigenen auch zögernd ein Gott in den Arm!

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TextGrid Repository (2012). Heyse, Paul. Gedichte. Gedichte. Idyllen von Sorrent. 12. [Kommt, schon wartet der Wagen am Haus! - Wie soll ich mich trennen]. 12. [Kommt, schon wartet der Wagen am Haus! - Wie soll ich mich trennen]. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-63DC-7