[523] An Wilhelm Jensen

Wie mir's gehe, seitdem nun endlich zu meinem geliebten
Gardasee ich wiedergekehrt, in Villa Annina
Sehnlich der Ankunft harre des hier auch zögernden Frühlings,
Fragst du mich, Freund, und sagst, du gönnest mir, über des Gartens
Palmen und Lorbeerlauben und dunkle Zypressen die Blicke
Weithin schweifen zu lassen zu Kap Manerba, der Garda-
Insel, die lang hinlagernd, vergleichbar einer gekrönten
Schlange, das Haupt aus den Wellen erhebt, und drüben zur Küste
San Vigilio's, zart von silbernem Duft umwoben,
Während das goldene Licht mit zitterndem Glanz in der weiten
Fläche des Sees sich spiegelt, das Herz im Busen belebend.
Wem dies alles zu schauen vergönnt, dem müsse, so schwärmst du,
Auch die Seele sich weiten und still zum Empfange der hohen
Muse sich rüsten, die hier vor zwei Jahrtausenden gern schon
Weilte, seitdem Katull sein Häuschen in Sirmio baute.
Und so rufst du mir fröhlich Glück auf! und erwartest mit Nächstem
Wieder ein dichterisch Werk des Freunds zu empfangen, darinnen
Leise das Rauschen erklingt von der purpurnen Flut des Benacus.
Fromme Wünsche, mein Teurer! Es ändern sich leider die Zeiten,
Wir mit ihnen. Und wär' auch die Hand des Gealterten, die einst
Unermüdlich die Saiten gerührt, noch kundig des zarten
Musischen Spiels, heut regt nur selten sich noch in der Seele
Irgend ein dichtender Trieb, und der ich jeglichen Tag einst
Für verloren erachtet, an dem die Muse mir fern blieb,
Jetzt, wenn irgend ein Traum mir ihr Nahn ankündigt, erschreck' ich,
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Daß sie mich unwert fänd', und möchte mich gern ihr verleugnen.
Fühl' ich es doch: das Beste, das Eigenste, was ich zu geben
Hatte der Welt, längst gab ich's dahin, und da ich mein Herzblut
Nimmer gespart, wie Wein, in eigener Vigne gekeltert,
Und aus Vollem geschenkt, ich hätte nur dürftige Neigen
Jetzt zu kredenzen den Freunden, die einst ich besser bewirtet.
Ach, und leider versäumt ich, obwohl in mancherlei Künsten
Ich mit Glück mich versucht, von allen die schwerste zu lernen:
Müßig zu gehn! Was köstlich bedünkt an der Schwelle der Achtzig
Tausenden, jetzt von den Mühen des lebenslänglichen Werktags
Auszuruhn, gleichsam in beständiger Sonntagsfeier
Still zu verzehren ihr Ruhegehalt, das sauer verdiente,
Täglich des Otiums froh cum dignitate – und wär's auch
Ohne besondere Würde –, vor Augen stand es mir immer
Als ein drohend Gespenst, nicht Lohn, nein Strafe des Dichters.
Anders freilich genießt dies Los, wer nur um des Lebens
Notdurft kämpfend in schwerem Geschäft, nun endlich die Bürde
Abwirft, täglich beglückt, daß nicht am Morgen die Pflicht ihn
Zwingt, halb ausgeschlafen, das wohlige Bett zu verlassen,
Um zur Arbeit zu gehn, dran nie sein Herz sich erquickte;
Anders der Glückliche, der, stets auf des Genius Weckruf
Lauschend, das Werk nur schuf, das tief im Busen ihm reifte.
Wenn nun der ihm verstummt, ward alles umher ihm auf einmal
Öd und tot. Nicht klingt der Natur melodische Stimme
Ihm noch lieblich ans Ohr. Er wandelt ein lebender Schatten
Unter der strebenden Menschen Gewühl, als hätte das Recht er
Mitzuatmen verscherzt und stünd in der Welt, ein verdorrter
Baum, dem nimmer vergönnt, in Früchten den Saft zu entladen.
Dann wohl neidet er selbst die Genügsamen, welche die leeren
Stunden des müßigen Tags ausfüllen mit allerlei Kurzweil,
Sei's mit Altersgenossen beim Skat im Café und am Abend
Am Biertische die Weltpolitik wohlweise bekrittelnd,
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Oder sie treiben vergnüglich mit ernster Beeiferung eine
Liebhaberei als Sammler und Dilettanten und täuschen
Spielend sich drüber hinweg, daß jetzt mit dem Ernst es vorbei sei.
Wer sein Leben dem Schönen geweiht, die höchste der Wonnen
Kostete, die nur der Künstler genießt, im Äther der reinen
Phantasieen zu schweben, den irdischen Nöten enthoben,
Dem kann, wenn er verloren die Flugkraft und auf der niedern
Erde dahin soll schreiten, den Sinn nichts wieder erheitern,
Wie dem Kraniche, dem es versagt mit zerschossenem Flügel
Seinen Gefährten zu folgen. Nun brütet er trauernd und einsam,
Auch wenn Futter vollauf ihm gereicht wird, über sein herbes
Los, an die Scholle gebannt im Staub notdürftig zu kriechen.
Doch, was sag' ich nur dir, was längst im Freundesgemüt du
Ahnst und vielleicht einst selber erfährst? Auch wirst du den schalen
Trost mir ersparen, womit Wohlmeinende gleich bei der Hand sind,
Wenn dem Alten einmal in verdrossener Stunde der Seufzer
Über die Lippen sich wagt: nicht leicht sei's, müßig am Austrags-
Stübel zu sitzen und still in den Schoß die Hände zu legen.
Viel ja hast du geschafft, so sagen sie, und dir den Feier-
Abend verdient. Nun magst du auf Lebensernten zurückschaun,
Die dir danken die Besten der Zeit, ein reiches Vermächtnis.
O ihr Guten, nur allzu viel, wohl weiß ich es, schuf ich,
Wertlos manches und einiges doch, das wohl noch ein Weilchen
Mich überdauert, so daß der Richter mich nicht zu den faulen
Knechten gesellt, die schlecht mit ihrem Pfunde gewuchert.
Doch – und wäre mir Höheres noch, mir Höchstes beschieden,
Daß mein Bestes bestünd' im launischen Wandel der Zeiten
Und noch spätesten Enkeln vertraut mein Name erklänge –
Nie hat Hoffen und Wunsch, nach solchem Kranze zu streben,
Je mich erfüllt und die Schritte gelenkt und die Seele beflügelt.
Nur zu genügen dem inneren Drang tiefwurzelnder Bildkraft,
Wie ein Weib das empfangene Kind ans Licht zu gebären
Ringt in seliger Qual, so schuf ich meine Gebilde,
Keinem der Menschen zulieb und nicht hinhorchend im Volke,
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Ob sie auch wohlgeraten und beifallswürdig erschienen.
Tat ich doch nur, was nicht ich zu lassen vermocht' und so gut ich's
Konnt'. Ein Schelm gibt mehr als er hat, und des eignen Gewissens
Spruch wiegt schwerer, als Lob und Tadel des mäkelnden Haufens.
Hätt' um Ruhm ich der Muse gedient, bei klarem Besinnen
Wär' ich ein Tor mir erschienen, des Alltags Götzen betrachtend,
Denen das Volk zujauchzt und heut verschwenderisch Weihrauch
Streut, um morgen sie schon von den eitlen Altären zu stürzen,
Hingeopfert dem neusten Idol. So schwebte der Ruhm mir
Nie vor Augen als Ziel, das glücklich errungen die Sehnsucht
Stillt' im schaffenden Geist und süß nun machte das Ausruhn.
Nein, ein besserer Trost im schleichenden Winter der Jahre
Bleibt nach allem Verzicht: in fröhlichen Kindern und Enkeln
Sich fortleben zu sehn und Lieb' im Kreise der Nächsten
Reich zu empfahn und zu geben. Und wie auch dürft' ich der hohen
Freundin, die so getreu ausharrt bei dem Greisen, vergessen?
Weisheit ist ihr Name. Sie ist die Letzte von allen
Himmlischen Musen und bleibt, wenn ihre Schwestern gegangen.
Zwar nur wie im Kamine die Glut die fröstelnden Glieder
Wärmt, nicht lieblicher Hauch der sonnigen Lüfte des Sommers,
Hegt sie und hütet sie uns vor eisigem Seelenerstarren
Und ist traun nicht immer bequem. Sie raubt uns die letzten
Täuschungen, läßt so manches, daran ein alterndes Herz sich
Kindisch selbst sich betrügend, ergötzt, als nichtigen Trug uns
Mitleidslos durchschauen und weniges nur frei ausgehn
Aus dem großen Bankrott des irdischen Glückes. Doch lehrt sie
Auch mit gefaßtem Gemüt erkennen die schicksalsvolle
Macht der Notwendigkeit, der sich mit Würde zu fügen
Göttern und Menschen geziemt.
Nur manchmal, wenn sich wie heute
Über Gebirg und See der lachende Frühlingshimmel
Breitet, die Kinder des Orts auf dem Schulweg jauchzend vorbeigehn
Und sein Eselchen treibend ein Bursch die Straße daherkommt
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Vor dem beladenen Karren – er knallt mit der Geißel und singt aus
Vollem Halse sein Ritornell und dem lockigen Mädchen
Nickt er mit lustiger Schalkheit zu – da mag wohl ein Heimweh
Heimlich den Alten beschleichen nach lange verschollener Jugend,
Und er gäbe die Weisheit gern, die teuer erkaufte,
Gegen die selige Dumpfheit hin der Kinder und Toren,
Wenn er auch noch so stoisch sich beugt der ehrnen Ananke.

Gardone, 28. März 1909


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Zitationsvorschlag für diese Edition
TextGrid Repository (2012). Heyse, Paul. An Wilhelm Jensen. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-63FF-A