Sappho

»Der Mond ist untergegangen

Und die Plejaden –

Ich aber schlafe allein.«

Sappho


»Ich seh' die Stern' am Himmel schon erblassen,
Der Morgenwind weht kühl herauf vom Meere.
Mein schweres Herz hat mich nicht schlafen lassen,
Und auch am Tag bedrückt mich seine Schwere.
Wo bist du, Liebster, daß ich dich nicht sehe?
Ich finde Schlummer nur in deiner Nähe.
Warum bist du so weit von mir geschieden?
In deinem Arm nur find' ich Ruh und Frieden!«
So, als ich früh am Tag vorüberging,
Sang vom Altan ein vierzehnjährig Ding.
Tief in die Stirn fiel ihr das schwarze Haar,
Darunter glüht' ein schwarzes Augenpaar.
Den Rocken schwang sie in der braunen Hand,
Den Feuerblick ins Meer hinausgespannt.
Sang sie von schon erlebtem Liebesschmerz,
Wie? oder träumt' ihn nur voraus ihr Herz?
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Sie sang's vielleicht der ältern Schwester nach,
Verstand nicht halb die Worte, die sie sprach.
Gleichviel. Ihr alle seid von Sapphos Art,
Zu tödlich wildem Herzweh aufgespart.
Doch Leid um Liebe dünkt auch euch Gewinn
Und macht das ärmste Kind zur Dichterin.
Ich aber will zu allen Göttern flehn,
Dir möge nicht das Bitterste geschehn,
Daß dich dein Herz, von Kummer überschwer,
Herab vom hohen Felsen stürz' ins Meer,
Und könnt' auch, Ärmste, dein Rispettisingen
Dir einer Sappho ew'gen Ruhm erringen.

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Citation Suggestion for this Edition
TextGrid Repository (2012). Heyse, Paul. Sappho. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-663F-4